Bauchentscheidungen

Mehr Information sei immer gut, habe ich in meinem Studium noch gelernt. Das war noch zu Zeiten der kognitiven Revolution. Zwischenzeitlich haben wir schon längst den emotional turn erlebt, auch in der Forschung, und mit ihm wird die Intuition als Entscheidungsprinzip wieder mehr geschätzt.

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“Früher ging man davon aus, möglichst viele Informationen zu sammeln und auszuwerten. Aber das ist nicht immer richtig und sogar häufig irreführend. Wir waren die Ersten, die emprisch nachweisen konnten, dass intuitive Prinzipien bei gewissen Fragestellungen zu besseren Fragestellungen führen als komplexe statstische Softwarepakete.”

Gerd Gigerenzer, der dies sagt, ist Professor für Psychologie. Er gehört zu den meist zitiertesten seines Fachs im deutschsprachigen Raum. Seine Karriere führte ihn von München über Konstanz, Salzburg, Chicago nach Berlin.

Gigerenzers Thema sind Heuristiken. Damit meint man eine menschliche Fähigkeit, Probleme gut zu meistern, auch wenn man wenig Zeit und wenig Informationen hat.

Das Prinzipien sind einfach: Wenn Zukunft verhersagbar ist, sollte man alle verfügbaren Informationen nutzen. Denn es gilt, Fehlschlüsse zu vermeiden. Oekonomische Modelle einerseits, statistische Verfahren andererseits sind dann die leistungsfähigsten Instrument. Wenn die Zukunft indessen aufgrund ihrer Komplexität nicht vorhersagbar ist, schlägt der Professor vor, sich auf seine Intuition zu verlassen. Denn hilft einem zu erkennen, was Wesentlich ist, und danach sollte man handeln, während man den Rest auch ignorieren kann. Die meisten Probleme, so dozierte der Fachmann, liegen aber dazwischen, sodass es durchaus Sinn machem dass sich die Forschung damit beschäftige, wann welches Vorgehen geeigneter ist.

Richter, Aerzte und Manager gehören zu den Gruppen, die am häufigsten bei Gigerenzer Rat suchen. Typischerweise sind das alles Macher, meist eine solide Grundausbildung hinter sich haben, im Alltag aber viel häufiger entscheiden müssen, als sie es gelernt haben. Denn ihre Beruf verlagen sowohl “Wissen” wie “Können”, Analyse wie Anwendung.

“Bauchentscheidungen”, wie es der Psychologe nennt, gibt es aber auch in der Politik. Man verlässt sich auf seine Erfahrung, wenn man abstimmen muss. Immer über alles Bescheid wissen, ist nicht nur aufwendig, es ist gelegentlich auch nicht möglich. Oder führt zur informierten Entscheidungsunfähigkeit, der nicht ganz unbekannten Ueberforderung von Sachverständigen.

Regierungsvertrauen ist eine solche Möglichkeit der Komplexitätsreduktion in der Politik. Parteibindungen ist eine weitere. Genauso, wie darauf achten, was Politiker, die man kennt und schätzt empfehlen.

Machen wir uns nichts vor: Wenn uns etwas interessiert, informieren wir uns ausgiebig, meist auch langfristig. Dann sind wir befähigt, eine gründlich durchdachte Entscheidung zu fällen. Wenn uns dagegen etwas nur mässig anspricht, wollen wir rasch entscheiden können, und meiden wir den Umgang über die Informationsbeschaffung und -verarbeitung.

Gestern habe ich am IPMZ transfer, der Praxisabteilung des Zürcher Uniinstituts für Publizistik und Medienwissenschaft unterrichtet. Und ziemlich genau das für meine Teilnehmenden aus dem Bereich der Behördeninformation empfohlen. Gestern da kannte ich Gerd Gigerenzer noch nicht, denn erst heute habe ich in der Zeitung über ihn gelesen, – und war sofort mit ihm einverstanden!

Doch ist auch das wohl nur eine Bauchentscheidung. Und so erinnere ich mich an die griechische Philosophie zurück, die zwischen Wissen und Meinen unterschied. Letzteres ist das, was man nicht wissen kann. Bei allem, was man wissen kann, ist es die Aufgabe der gerade der Wisenschaften, das Meinen durch Wissen zu ersetzen.