Die Geburt der Opposition am 6. Dezember 1992 (Bundesratswahlen 2008/11)

Am 6. Dezember 1992 wurde über den Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum abgestimmt. Das Nein zum EWR prägte die Mentalität des schweizerischen Nationalkonservatismus, die bis heute unverändert wirksam ist.

Der Abstimmungstag zum EWR
An diesem Tag habe ich erstmals bei einer eidgenössischen Volksabstimmung im Leutschenbach gearbeitet, um eine Hochrechnung zu machen. Am 6. Dezember 1992 kam selbstredend Christoph Blocher in die TV-Hallen. Im Nu waren alle Blicke auf ihn gerichtet. Denn vor allen stand der Held des Tages, der weiten Teilen von Politik und Wirtschaft widersprochen und vom Volk recht bekommen hatte.

Wie nun würde er sich verhalten?, war die Frage, die man sich im und wohl auch ausserhalb des Studios stellte: als Brückenbauer, als Mediator, als Staatsmann?

Der stilbildende Moment
Die Antwort, die Christoph Blocher an diesem Abend gab, sollte bis heute stilbildend für den schweizerischen Nationalkonservatismus werden. Sie lautete: “Nein! Es ist nicht an uns, die Verantwortung zu übernehmen. Das ist die Aufgabe der Anderen, welche die Entscheidung gesucht haben.”

Genau gleich reagiert man im nationalkonservativen Lagern nämlich bis heute gegenüber dem Bilateralismus. Jede Form der Weiterentwicklung wird erneut bekämpft, als würde man wie 1992 wieder Fehler machen. Das gilt für Finanzhilfe zur Osterweiterung genauso wie bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu Kontrollzwecken. Und es ist bei der Personenfreizügigkeit mit den Mitgliedstaaten bis in die Gegenwart der Fall. Obwohl zwischenzeitlich die Mehrheiten regelmässig anders lauten als 1992.

Geblieben ist aber das Reaktionsmuster der Opposition: Wiederum sind “die Andern” Schuld, die das Verfahren festgelegt haben, wie wir über die definitive Verankerung der ersonenfreizügigkeit zu entscheiden haben. Das sei es, sagt man jetzt, was Christoph Blocher, die SVP und die AUNS erneut zwinge, die Ablehnung zu unterstützen.

Meine Kritik
Ich habe eine andere Auffassung: Die Oppositionsbewegung, die mit dem Nein zum EWR ausgelöst wurde und die Machtbasis der Populisten in ihrem politischen Kampf um die Macht darstellt, bleibt nur erhalten, wenn man sich stets im Widerspruch zur Mehrheit verhält, das Volk für sich pachtet und so unveränderten Druck ausübt. Denn so zwingt man die Regierungspolitik, sich einem selbst anzupassen, ohne selber integriert zu werden. Dabei ist es ziemlich egal, ob man selber Teil der Regierung ist oder nicht.

Die Entwicklung der Politik in einem für die Schweiz zentralen Dossier, stelle ich dem entgegen, sollte nicht aus der Logik des konstanten Nein-Sagens bestimmt sein. Vielmehr sollten Siege der Opponenten bei Abstimmungen bewirken, dass sich die Mehr- und Minderheit aufeinander zugehen, um wieder gemeinsam Ja zur Verantwortung zu tragen. Der Bilateralismus war und ist das Angebot der Verlierer vom 6. Dezember 1992. Jetzt ist es an den Siegern von damals ihre Lektion zu lernen.

Claude Longchamp