Personen und Themen: Werden sie bei Wahlen konstant wichtiger?

Zu den gegenwärtig interessantesten Weiterentwicklungen in der Wahluntersuchungen gehört es, etablierte Einzelansätze der Forschung miteinander zu verbinden. Sinnvoll ist es beispielsweise die Mikro-Ebene der Entscheidungen der Wählenden um das Meso-Niveau von Verhaltensweise der Akteure zu erweitern.

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Issue- and Cadidate-Voting als Trends? Das Frage die Dissertation von Kellermann und sagt: Es kommt darauf an, wie die Konstellationen sind.

Eine anregende Dissertation hierzu hat kürzlich die Bamberger Politikwissenschafterin Christine Kellermann unter dem Titel „Trends and Constellations“ hingelegt. Den Titel begründet die Autorin wie folgt: Die gesamtgesellschaftlich vielerorts belegte Abnahme von Parteibindungen über die Zeit hinweg, hat zur Folge, dass die Wahlentscheidungen der BürgerInnen weniger stabil und determiniert sind. Wen man wählt, wird deshalb weniger als Folge der politischen Sozialisation gesehen, sondern als Entscheid aufgrund von Personen und Themen. Dabei stellt sich die Frage, ob es einen grösseren allgemeinen Trend in der Verlagerungen gibt, oder ob das Gewicht der Komponenten aus den jeweiligen Konstellationen eine Wahl resultiert.

In ihren umfangreichen empirischen Abklärungen aufgrund der deutschen Bundestagswahlen kommt Kellermann zu einem erstaunlich differenzierten Schluss, der nur mit Umfragedaten nicht zu ziehen gewesen wäre. Erwähnenswert sind zunächst:

. „Issue-Voting“ nimmt trotz steigendem Bildungsniveau und wachsender kognitiver Mobilisierung der Wählenden durch intensivierte Informationsangebote nicht einfach zu. Entscheidend nämlich die Zugänglichkeit der Information einerseits, die Aufmerksamkeit für Themen anderseits.
. Auch beim „Candidate Voting“ gilt, dass es von den Umstände abhängt. Personalisiertes Wahlverhalten ist eher jüngeren Datums und wird von der Wahl durch die Positionierung und Persönlichkeit der SpitzenkandidatInnen determiniert.

International vergleichend wird deutlich, dass die institutionellen Gegebenheiten die Chancen von Candidate- und Issue-Voting bestimmen. Der Zeitvergleich wiederum macht klar, wie wichtig die wahlrelevanten Ereignisse, die Wahlkampagnen und die Wahlberichterstattung im Einzelfall sind. Denn das alles determiniert das massgebliche Meinungsklima, indem die Angebote der Parteien an Identifikationen überhaupt erst Sinn machen.

Bezogen auf Deutschland hält die Dissertation die nachstehenden Befunde fest:

. Generelle Parteibindungen sind bei neu entstehenden Parteien in der Opposition unverändert wichtig, während diese bei Regierungsparteien abnimmt..
. Der Personalisierungstrend bei der SPD war ein Phänomen, das stark von der Person Gerd Schröders abhing. Aehnliches gilt mit Bezug auf die CDU/CSU für Helmut Kohl..
. Kaum einen Trend kann man auch bei der Sachfragenorientierung erkennen. Das gilt vor allem für die CDU/CSU. Themenbindungen gehen am ehesten bei linken Parteien zurück, während sie für die FDP meist einen konstanten, wenn auch nicht entscheidenden Stellenwert haben.

Das alles fast die Autorin in der griffigen Formel zusammen: „Less Trends, More Constallations“. Inhaltlicher gesprochen neigt sie zur Folgerung, dass bei den kleinen Parteien die Parteiidentifikation an sich wichtig ist, bei den grossen jedoch eine themenspezifische Kandidatenorientierung von Belang wird.

Fortschritte der Wahlforschung erwartet die junge Politikwissenschafterin insbesondere dann, wenn Mikro-Analysen regelmässig in ihrem systemischen Zusammenhang reflektiert, wenn Ereignisse, Kampagnen und Berichterstattungen fallweise untersucht und wenn das daraus resultierende Meinungsklima in die Analysen der Entscheidungen von Wählenden miteinbezogen werden.

Wahrlich eine klare Analyse auf der Mikro- und Meso-Ebene, die vorliegt und weiter weist – über Deutschland hinaus.

Claude Longchamp