Zur Verortung von Grundlagen- und Anwendungsforschung in den Sozialwissenschaften

Die heutige dritte Vorlesung an der Universität Zürich zur Wahlforschung war der Wissenschaftstheorie und -praxis gewidmet. Dabei stellte ich ein Schema vor, das ich speziell zur Verortung von Grundlagen- und Anwendungsforschung in den Sozialwissenschaften entwickelt habe.

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Karl Popper Wissenschaftstheorie bildet den Ausgangspunkt. Wirklichkeit und Wissenschaft werden getrennt. Wissenschaft ist der Wahrheitssuche verpflichtet. Dabei nähert sie sich der Realität heuristisch an. In dieser Phase müssen fehlerhafte Beobachtungen und widersprüchliche Konsequenzen ausgeschlossen werden. Was sich darüber hinaus bewährt, wird verallgemeinert. Etablierte Theorien zeichnen sich dadurchaus, dass sie in der Regel Ableitungen zulassen, die Prognosen liefern, welche mit der Wirklichkeit übereinstimmen.

Doch bin ich nicht bei der klassischen Zweiteilung von Induktion und Deduktion stehen geblieben. Vielmehr habe ich die Logik der Forschung nach dem deutschen Soziologen Volker Dreier viergeteilt, der die Wissenschaftspraxis untersucht hat. Demnach kommen die Konstruktion und Reduktion hinzu. Denn die Beobachtung der Forschung selber zeigt, dass die Induktion nur zu brauchbaren Hypothesen führt, auf denen eigentliche Theorien konstruiert werden müssen. Und die Deduktionen sind selten so trennschaf, dass sie ohne Reduktionen der entwickelten Vielfältigkeit zu eindeutigen Ergebnissen führen. Das Erste ist eine Präzisierung der Arbeit in der Grundlagenforschung, das zweite in der Anwendungsforschung.

Damit bin ich beim eigentlichen Zweck des Schema. Die Grundlagenforschung, meist von akademischen ForscherInnen betrieben, beschäftigt sich vor allem mit der Entwicklung von Theorien. Dabei setzt sich zunächst auf die Falsifikation von Irrtümern, zusehens aber auf die Bestätigung und Verfeinerung von an sich bewährten Hypothesen. Minimales Ziel ist die Erklärung von bestehenden Sachverhalten, maximales die Prognose neuer Zustände oder Trends. Die Anwendungsforschung übernimmt diese zwei Operationen, erweitert sich aber durch zwei andere Kompetenzen: die Beschreibung des Ist-Zustandes einerseits, die Deutung dessen, was ist anderseits. Beides kommt dann zum Zug, wenn es um Realitätsausschnitte geht, für die noch keine gesicherten Theorien bestehen. Das ist so, ob ausseruniversitäre oder universitäre WissenschafterInnen angewandt forschen.

Claude Longchamp