Beschreiben, diagnostizieren, erklären und vorhersagen

Was muss ein Wahlforscher, eine Wahlforscherin in der Praxis können? Vier Fähigkeiten sollte man entwickeln: die der Beschreibung von Wahlen, der Diagnose von Ergebnisse, der Erklärung von Ursachen hierfür und der Vorhersage von Wahlen. Das ist eine der Quintessenzen aus meiner ersten Einführung in die Vorlesung der Wahlforschung.

falter2005a
Jürgen Falter, Professor für Politikwissenschaft in Mainz, einer der führenden Wahlforscher in Deutschland, der eine eigene Praxis entwickelt hat

Das letzte ist gleichzeitig das Spektakulärste und Schwierigste. Wer weiss, wie etwas ausgeht, und das im Voraus mitteilt, ist eine gemachte Person in der Wahlforschung. Und trotzdem sollte man nicht damit anfangen. Denn es gibt vielfach nur Ansätze für Prognose, keine fertigen Theorien, keine eindeutigen Methoden.

Die Forschung ist heute vor allem im Bereich der Erklärung tätig. Wenn das Ergebnis bekannt ist, will man es erklären können. Die Ursachenklärung ist etwas weniger schwierig als die Vorhersage. Denn sie hat eine andere Logik. In diesem Bereich gibt es sehr wohl Theorie, Methoden und Verfahren, die sich in den Fachdisziplinen bewährt haben.

WahlforscherInnen können nicht immer warten, bis sie aufwendige Untersuchungen abgeschlossen sind. Sie müssen aus ihrem Wissen heraus, aber auch mit ihrer Erfahrung eine geeignete Diagnose stellen können, was Sache sein könnte. Dabei stützen sie sich in der Regel auf frühere Untersuchungen, und machen sie Analogieschlüsse zu Geschehenem anderswo oder frühr, um eine Fährte zu legen, die ans Ziel führen kann.

Die einfachste, aber grundlegendste Fähigkeit von Wahlforschung ist die Beschreibung: Beim Ergebnis ist das in der Regel sehr einfach. Schwieriger ist es, wenn es um Prozesse geht, beispielsweise um den Wahlkampf, und um das Umfeld, in dem dieser stattfindet. Schwierigkeiten ergeben sich auch, weil man für die wissenschaftliche Beschreibung eine Fachsprache braucht, um nicht ideologischen Fallen der Politiksprache zu erliegen.

Die Grundlagenforschung konzentriert sich in der Regel auf die Entwicklung der beiden ersten Fähigkeiten. Sie sind auch die beiden, die am stärksten theorie-orientiert sind. Die Anwendungsforschung ist nicht so eingeschränkt. Gerade die Kompetenz zur Diagnose, zur Deutung eines Geschehens, um es verständlich zu machen, ist hier wichtig. Und auch die Beschreibung will gelernt sein, denn sie kommt der Realität am nächsten, und sie bildet gleichzeitig die Basis, auf der alle anderen Kompetenzen erst entwickelt werden können.

Ausgestattet mit diesen wissenschaftstheoretischen Kompetenzen kann man sich als WissenschafterIn in eine Praxis begeben.

Claude Longchamp