Die letzte funktionierende Börse …

54 Prozent der Stimmen erhält Barack Obama, 47 Prozent gehen an John McCain. Das ist Prognose, welche die Wahlbörse der Iowa University am Vortag des election day ermittelt hat. 90 Prozent der Händler gehen zudem davon aus, dass der demokratische Bewerber gewinnt, 10 Prozent glauben noch an den Sieg des Republikaners.


Das Experiment

1988 begann das Tippie College of Business der Iowa University zu wissenschaftlichen Zwecken mit elektronischen Wahlbörsen zu experimentieren. Seit 1996 wird dieses Instrument regelmässig bei nationalen Wahlen in den USA, aber auch verschiedenen anderen Ländern eingesetzt.

Wahlbörsen funkitionieren wie richtige Börsen, doch geht es nicht um die Bewertung von Firmen, sondern die Wahlergebnisse von Parteien oder Kandidaten. Es gibt Wahlbörsen, bei denen echtes Geld eingesetzt wird; sie funktionieren aber auch mit Spielgeld. Abzocken ist nicht das Ziel der Wahlbörsen, die mit wissenschaftlicher Absicht geführt werden. So setzt man beim Experiment der Iowa University echtes Geld ein, doch sind die Beiträge limiert.

Anders als bei Repräsentativ-Befragungen, die individuell geäusserte Wählerwillen aggregieren, funktionieren Wahlbörsen nach dem Prinzip, dass die Masse recht hat. Wenn sich genügend Händler einfinden, die selber Wetten wollen, aber auch andere Wetten bewertenl, stellt sich ein bewerteter Marktwert von Parteien oder Kandidaten ein.

Die amerikanischen Präsidentschaftwahlen
Die aktuellen Quotierungen der amerikanischen Präsidentschaftsbewerber im Iowa Electronic Market haben sich über die Zeit mit wenigen Ausnahmen nur beschränkt verändert.

Eigentlich ging man von Anfang an davon aus, dass Barack Obama gewinnen würde. Die jetzigen Verhältnisse pendelten sich schon bald ein, und sie blieben trotz regem Handel insgesamt weitgehend unverändert.

Stark erhöht hat sich aber in den letzten Wochen die geschätzte Wahrscheinlichkeit eines demokratischen Wahlsieges bei den Präsiedentschaftwahlen.

Mein Kommentar
Wenn Wahlbörsen bei einfacher Ausgangslage recht schnell plausible Schätzungen von Wahlausgängen liefern, sind sie doch kein Ersatz für Wahlbefragungen. Denn sie geben “nur” die Grössenordnungen, allenfalls auch die Wahrscheinlichkeiten von Wahlergebnissen an. Sie lassen keine Rückschlüsse zu, wer wie und warum so stimmen wird, nur, dass so gestimmt wird. Zudem ist bis jetzt kein namhaftes Experiment bekannt, bei dem es Wahlbörsen, aber keine Wahlbefragungen gegeben hat.

Immerhin, Wahlbörsen sind ein Element der Bestimmung öffentlicher Meinung nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik geworden. Ich würde fast eine Wette eingehen, dass sie besser funktionierende Börsen sind als jene an der Wahlstreet. Solange jedenfalls man sie zu Erkenntniszwecken für die Realpolitik betreibt, und sich um spekulative Gewinne in der Fiktivwirtschaft zu erzielen …

Claude Longchamp