Christoph Blocher mag nicht mehr politisieren

Im Newsnetz der grossen Tageszeitungen darf heute Reto Hunziker über Christoph Blochers Motive nachdenken, sich für den Lehrstuhl für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen zu bewerben. Viel Sinn mag er der gestrigen Ankündigung nicht abgewinnen, sodass er sie nur noch ins Lächerliche ziehen kann.

brunner_blocher1
Kommunikativer Trick: Mit der nicht ernst gemeinten Bewerbung als Professor lenkt Christoph Blocher von seinem schrittweisen Rückzug aus der Politik ab. Denn Fakt ist: In die Wahlen 2011 mag er die SVP nicht mehr führen.

Ich bin der gleichen Meinung wie der genannte Journalist und widerspreche ihm dennoch. Weil er wie allen anderen Medienschaffenden in ihren fast schon symbiotischen Beziehung zur Christoph Blocher nicht gründlich lesen will. Denn der Gag provoziert die erwartete Anschlusskommunikation, die geeignet ist von der effektiven Botschaft der Stellungnahmen in der Sonntagspresse abzulenken.

Diese betraf nämlich den sukzessiven Rückzug des SVP-Präsidenten aus der Politik. Angefangen hatte alles mit der Abwahl Blochers aus dem Bundesrat. Es folgten zwei bitere Abstimmungsniederlagen bei der Einbürgerungsinitiative und bei der Personenfreizügigkeit, – zwei Kernanliegen der SVP. Dazwischen lag die unsanfte Botschaft der Fraktion, die eigene Leitfigur der letzten Jahre nicht mehr als Bundesratskandidaten nominieren zu wollen. Als das auf Umwegen dennoch erfolgte, scheiterte der frühere Tausendsassa der Schweiz Politik zwar nicht an der eigenen Partei, dafür umso deulicher am Veto der FDP.

An Christoph Blochers Frontkämpferrolle ist seither einiges kritisiert worden, auch parteiintern. Empfohlen wurde ihm, einen Rollenwechsel zum elder statesman vorzunehmen, bei den Nationalratswahlen 2011 zu kandidieren, und für die Partei die Wahlkampfleitung zu übernehmen. Nur Aussenseiter empfahlen ihn darüber hinaus noch für das Amt des UBS-Präsidenten, und wurden vom Uebervater gleich selber desavouriert.

Denn Christoph Blocher mag nicht mehr. Seine SVP drängt in ihrer Mehrheit mit kräftigem Schritt zurück in den Bundesrat. Einen Sitz hat sie schon, die Aussichten auf einen zweiten bestehen. Dafür wird man aber von der verbalen Fundamentalopposition Abschied nehmen und sich mit der Themenopposition, die von allen anderen Regierungsparteien auch geübt wird, begnügen müssen.

Allem Anschein nach ist das nicht mehr Christoph Blochers Welt. In aller Stille hat der früher so erfolgreiche Unternehmen Teile seines Vermögens in Beteiligungen an Firmen investiert und steht er im Gespräch, die Leitung eines serbelnden Geschäfts zu übernehmen.

In dem Punkt sind seine Aussagen über sich und seine Absichten ernst zu nehmen: Führen ist seine Sache, sei es in Wirtschaft oder Politik, im Unternehmen oder in der Partei. Und wenn das in Helvetiens Oeffentlichkeit, die gemeinsam über allgemeinverbindliche Beschlüsse nachzudenken hat, nicht mehr gefragt ist, interessiert es das animal politique aus Herrliberg nicht mehr am gemeinsamen Strick ziehen.

Statt nach weiteren Posten zu fahnden, die man Christoph Blocher als Trostpreise, die er gar nicht mag, antragen könnte, würde es dem Schweizer Journalismus gut anstehen, über die Ausgestaltung und Wirkungsweise von Wahlkämpfen nachzudenken, die nicht mehr von Parteipräsident, Bundesrat oder Oppositionführer der SVP ersonnen und umgesetzt werden.

Claude Longchamp