Analyse der Abstimmung zur Erweiterung von Frontex

Selber denke ich, die öffentliche Meinung neigt zugunsten von Frontex. Die Meinungsbildung zur konkreten Abstimmungsvorlage ist und bleibt aber labil. Momentan hat die Ja-Seite einen Vorteil, doch sind die Stimmabsichten für eine klarer Aussage zu wenig gefestigt. Veränderungen durch den Kriegsverlauf in der Ukraine resp. den Abstimmungskampf sind denkbar.

Um was es geht
Die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) unterstützt die Schengen-Staaten operativ bei der Kontrolle der Schengen-Aussengrenzen. Die Schweiz arbeitet als Mitglied des Schengen-Raumes seit über zehn Jahren mit Frontex zusammen. Seit Ende 2019 wird die Organisation ausgebaut.
Bundesrat und Parlament haben entschieden, dass die Schweiz sich am Ausbau von Frontex beteiligt. Dafür haben sie bis maximal 61 Millionen Franken jährlich bewilligt. Mit der Vorlage von Bundesrat und Parlament übernimmt die Schweiz ihren Anteil an dieser Reform. Auch wird sie mehr Personal und Material zur Verfügung stellen.

Die Fronten
Im Nationalrat passierte die Vorlage mit 88 zu 80 Stimmen nur knapp. 28 ParlamentarierInnen, namentlich aus der SVP, enthielten sich. Im Ständerat ging die Vorlage mit 30 zu 14 Stimmen durch. Der Kompromiss wurde getragen, wenn auch mit wenig Enthusiasmus.
Gegen die Parlamentsentscheidung haben Kreise aus der Flüchtlingsbewegung das Referendum ergriffen.
In der Oeffentlichkeit werden die Behörden durch die BundesrätInnen Karin Keller-Sutter und Ueli Maurer vertreten. Vor allem die EJPD Chefin ist frühzeitig in die Offensive gegangen und wiederholt seither die negative Folgen eine Ablehnung für die Schengen-Mitgliedschaft der Schweiz.
Bisher haben sich ihr die FDP, Mitte, Grünliberale und EVP angeschlossen. Grüne und SP haben ein Nein beschlossen. Bei der SVP ist die Entscheidung noch offen. Die Delegiertenversammlung behandelt das Geschäft kontradiktorisch. Die grosse Berner SVP hat das Gesetz vorgängig eindeutig befürwortet. Das gilt auch für die mässig rechtskonservative Thurgauer SVP.
Sollte die SVP Schweiz eine Nein-Parole beschliessen, käme die Opposition von zwei Seiten, was die Sache der BefürwoterInnen erschweren würde.
Die Opponenten kämpfen aus unterschiedlichen Positionen. NoFrontex ist eine ausserparlamentarische Bewegung und setzt sich für die Abschaffung der EU-Organisation ein. Die SP dagegen will, dass sich die Schweiz bei der dauerhaften Aufnahme von Flüchtlingen mehr engagiert.
Unterstützt wird die Nein-Seite wohl durch Plattformen wie wecollect und campax.

Der Abstimmungskampf
Hauptargument der befürwortenden Seite ist, dass bei einer Ablehnung der Schengen-Weiterentwicklung die Zusammenarbeit mit den Schengen- und Dublin-Staaten automatisch endet – es sei denn, die EU-Staaten und die EU-Kommission kommen der Schweiz entgegen. Sie sieht ohne das negative Auswirkungen auf die Sicherheits- und Europapolitik der Schweiz. Die Gegnerschaft widerspricht, denn die Frist dafür sei ohne Konsequenzen bereits abgelaufen.
Das Referendumskomitee argumentiert, Frontex sei mitverantwortlich für die gewaltvolle Migrationspolitik an den EU-Aussengrenzen. Dafür stehen ihr ein Milliardenbudget zur Verfügung. Die Folgen der Abschottung seien menschliche Opfer, vor allem Mittelmeer. Illegale «pushbacks» würden Menschenrechte verletzen. Die Schweiz sei Gaststaat der Genfer Flüchtlingskonvention, und wer das ernst meine, müsse den Frontex-Ausbau stoppen.
Ein zusätzliches Nein von rechts könnte anti-europäisch begründet sein, verbunden mit der Forderung, die Schweiz solle lieber in ihren nationalen Grenzschutz investieren.
Der Krieg in der Ukraine mitten im Abstimmungskampf hat zusätzlich polarisiert. Die öffentliche Meinung ist zugunsten der Aufnahme von Flüchtlingen in der Not. Frontex erscheint da hilfreich. Die Kritiken vor allem wegen dem Umgang mit Flüchtenden aus Nordafrika und Syrien sind in den Hintergrund gerückt. Es gibt aber Widerspruch zur Ungleichbehandlung von Flüchtenden verschiedener Nationalität aus der Ukraine. Der Vorwurf des Rassismus steht im Raum. Dass das EU-Parlament die Abnahme des Berichts zu Frontex jüngst verweigert hat, nährt die Kritik von links.

Analysetools
Zwischenzeitlich liegen sieben Tools vor, die den Stand der Meinungsbildung oder den Ausgang der Abstimmung analysieren. Sechs von sieben rechnen mit einem Ja, eines mit einem knappen Nein. Die Ausnahme betrifft das Kombi einzelner Tools des Politikwissenschafters Nick Glättli. Eine Ja Mehrheit sehen die beiden Umfragen, als Momentaufnahmen gedacht, die Hochrechnungen der Schlussabstimmung im Nationalrat resp. des Parolenspiegels, die Inhaltsanalyse des Abstimmungsbüchleins, die Prognosen sind.

Vergleichsabstimmungen
Asylvorlagen, die ausserparlamentarisch und parlamentarisch bekämpft wurden, gab es immer wieder. So auch 2013, als die Opposition von linkskam. Das Referendum scheiterte damals mit 22 Prozent Zustimmung deutlich.
Ein direkter Vergleich mit anderen Vorlagen ist an sich schwierig, war doch der Zusammenhang mit der EU und einer Kriegssituation nie so direkt gegeben war wie diesmal.

6.4.2022

PS: Heute morgen ist eine weitere Umfrage erschienen, diesmal von LeeWas für 20min. Sie zeigt im Wesentlichen das Gleiche. Der vorläufige Stimmenanteil beträgt: 59 zu 33 Prozent, mehrheitlich dagegen ist nur die Basis der SVP.