Ja, Ja, Nein: Die Zwischenbilanz zu den eidg. Abstimmungen vom 28. Nov. 2021. Hält sie?

Heute Morgen ist die zweite Welle der Tamedia-Umfrage zu den eidg. Volksabstimmungen vom 28. November 2021 erschienen. Sie legt ein Ja zur Pflegeinitiative und zum CovidGesetz nahe, während der Ausgang zur Justizinitiative noch offen erscheint.


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Normal- und Spezialfälle der Meinungsbildung
Seit heute kann man erstmals mit Umfragen Trends in der Meinungsbildung bestimmen. Sie sind negativ bei den beiden Initiativen und positiv beim Covid19Gesetz. Alle drei Trends entsprechend der normalen Erwartung: Initiativen starten höher als sie enden, denn sie haben einen anfänglichen Sympathiewert. Der ist bei der Pflegeinitiative massiv, bei der Justizinitiativen gering. Doch die Zustimmung lässt mit der Dauer des Abstimmungskampfes nach. Bei der Pflege-Initiative ist dies wohl nicht entscheidend, bei der Justiz-Initiative schon.
Bei Referenden ist der Mechanismus anders, denn sie sind das Produkt eines parlamentarischen Kompromisses. Deshalb starten sie meist mit einer mehrheitlichen Unterstützung, und der Abstimmungskampf entscheidet, wie es weiter geht. Meist baut sich das Ja auf, selten wird es kleiner.

Pflegeinitiative
Bei der Pflegeinitiative war die Einschätzung vor Monatsfrist noch anders. Die Analysen aufgrund der Schlussabstimmungen im Nationalrat, der Inhalt des Abstimmungsbüchleins und der Allianzstärken im Ja und Nein sprachen für eine knappes Nein. Doch war das bestimmt durch den Diskurs der Behörden. Das Parlament setzte auf das klassischen Mittel des indirekten Gegenvorschlags. Damit sollten Ausbildungsbedingen des Pflegepersonals verbessert, die Arbeitsbedingungen sollten jedoch nicht angetastet werden.
Alle vorliegenden Umfragen legen nun nahe, dass das riskant war. Bis jetzt steht eine klare Mehrheit hinter der Volksinitiative und damit hinter verbesserten Arbeitsbedingungen. Pflegebedarf durch Alterung, aktualisiert durch den offensichtlichen Personalmangel während der Covid19-Phase machen das nachvollziehbar.
Sollte es am 28. November 2021 tatsächlich ein Ja zur Pflege-Initiative geben, wäre es die allererste gewerkschaftlich ausgerichtete Volksinitiative, die mit Ja endet. Hauptgrund dafür ist die seit Corona politisierte Gesellschaft. Gewachsen ist so die Bedeutung der Zivilgesellschaft in Form neuer Bewegungen, die Kampagnen auslösen oder verstärken und so in politischen Entscheidungen eingreifen. Eigene (soziale) Medien sind dafür die Voraussetzung.

Covid19 Gesetz
Die neue Umfrage legt zeigt (bei aller Vorsicht mit Zwischenergebnissen) auch, dass dies beim Covid19-Gesetz nicht der Fall ist. Ein Widerspruch? Ich denke nicht! Meines Erachtens hat das zunächst mit der Ausgangslage zu tun. Die Vorlagen entspringt einem breit getragenen Kompromiss. Sodann stützt gemäss allen verfügbaren Umfragen eine Mehrheit der Stimmberechtigten die Corona-Massnahmen loyal; Hauptmotiv ist der eigene Schutz. Schliesslich hat sich die opponierende Minderheit radikalisiert. Zwar gibt es auch hier eine lautstarke Bewegung mit eigenen und sympathisierenden Medien dagegen. Die Protagonisten auf der Strasse werden aber zusehends aggressiver, und sie haben sich auf einen “infight” mit der beklagten Staatsmacht eingelassen. Das schadet der Sache letztlich.
Selbstredend kann man nicht ganz ausschliessen, dass es Menschen gibt, die aus Protest abstimmen gehen, sich aber in Umfragen nicht äussern.
Trotzdem ist mit dem Normalfall einer Refenendumsabstimmung zu rechnen, wonach ein Gesetzesreferendum in der Volksabstimmung scheitert und auch dieses Gesetz gute Chance hat, in der Volksabstimmung angenommen zu werden. Zu Höhe der Zustimmung kann man sich heute noch nicht äussern.

Justizinitiative
Von der Zivilgesellschaft kaum getragen ist zu guter Letzt die Opposition gegen die Wahl der Bundesrichter. Die Initiant:innen wirken isoliert. Sie bekommen etwas Unterstützung in akademischen Kreisen. Die Breitenwirkung bleibt indessen aus. So entwickelt sich die Meinung wie bei Minderheitsinitiative typisch: Der Support ist nie grösser als 50 Prozent, und er geht mit der Dauer der Kampagne zurück.
Die Vorlage dürfte schliesslich scheitern.

Claude Longchamp