Die Wahlen 2019 werden im Ständerat entschieden – der Aufstieg der SP dürfte enden

Mit Blick uf die Schweizer Parlamentswahlen in knapp einem Jahr spricht alles von den Stimmenanteilen im Nationalrat. Der wichtigste Wahlgang des Landes wird aber nicht in der Grossen Kammer, sondern im Ständerat entschieden. Was sich schon heute abzeichnet: die Sozialdemokratische Partei wird es schwer haben.

Der Ständerat ist mit seinen 46 Mitgliedern die kleine Kammer des Schweizer Parlaments: Jeder Kanton hat zwei Sitze. Doch die Auswirkung der Wahlen 2019 wird gerade dort sehr gross, ja, entscheidend sein.

Ein erstes Element in dieser Dynamik: Bereits haben 14 Ständerätinnen und -räte ihren Rücktritt auf 2019 beschlossen oder ernsthaft in Aussicht gestellt.

Ein weiteres Element kommt hinzu. Werden bei den Bundesratswahlen vom kommenden 5. Dezember zudem eines oder zwei Mitglieder der kleinen Kammer in die Regierung gewählt, müssten sie bereits Anfang 2019 ersetzt werden.

Das hiesse, dass insgesamt ein Drittel der kleinen Kammer neu bestellt werden müsste, was ein neuer Rekord seit der Jahrtausendwende wäre. Mehr als sonst eröffnet sich somit die Möglichkeit einer Zäsur in der kleinen Parlamentskammer.

SP-Mutationen im Fokus

Nebst der Zahl ist auch die Verteilung der Rücktritte 2019 ausserordentlich. Denn die Hälfte geht auf das Konto einer einzigen Partei: der SP (mehr zu den Parteien in der Box unten).

Noch ist nicht überall entschieden, wer die Nachfolge antreten soll. Für die Linke scheinen aber Verluste programmiert.

Am wahrscheinlichsten ist der Erhalt des SP-Ständeratssitzes nur in Basel-Stadt. Allgemein rechnet man dagegen mit einem Verlust im Kanton Aargau. Alle anderen SP-Ständeratssitze werden 2019 zumindest umstritten sein.

Echte Gewinnchancen für die SP gibt es kaum. Im besten Fall ergibt dies für die SP im nächsten Jahr einen Sitzverlust. Im schlechtesten Fall aber könnten es deren fünf sein. Das wäre eine eigentliche Dezimierung.

Trendwende

Eines steht aber schon heute fest: Der langjährige Aufstieg der SP im Ständerat wird 2019 gestoppt werden. 1991 hatten die Sozialdemokraten drei Sitze in der Kantonskammer. Mit Ausnahme von 2007 ging es danach stetig und steil nach oben.

Zuerst veränderte die Polarisierung die Schweizer Parteienlandschaft massgeblich. Das setzte namentlich der CVP-Ständeratsabordnung zu. Dann kamen die Querelen mit der rechtskonservativen SVP hinzu, was der FDP zu schaffen machte.

Nur die SP konnte immer profitieren. Heute ist sie in der kleinen Kammer drittstärkste Kraft, bloss einen Sitz hinter den führenden Parteien FDP und CVP.

Ende der Frauenpower

Massgeblichen Anteil am SP-Aufstieg hatten starke Kandidatinnen. Doch dieser Frauenpower droht das Aus: Alle vier SP-Ständerätinnen treten 2019 nicht mehr an; in mindestens drei der vier Diskussionen um die Nachfolge sind Männer entweder bereits nominiert oder parteiintern in der Poleposition.

Tiefere Ursache ist die neue Links-Orientierung der Partei. Das sichert ihr zwar Wähleranteile bei Proporzwahlen, schwächt aber die Bindungsfähigkeit bei Majorzwahlen wie jenen in den Ständerat.

Die SP hat diese Entwicklung in den jüngsten Regierungsratswahlen durchgemacht, wo ihre Vertreter in Kantonen wie Baselland, Luzern oder Schwyz aus der Regierung abgewählt wurden.

Abstieg in den Seitenwagen

Ganz anders als im Nationalrat sind im Ständerat die Mehrheitsverhältnisse heute noch recht offen. CVP und FDP bilden das Zentrum und bestimmen. Bei Differenzen können beide auch mit der SP eine Mehrheit suchen. Mit der SVP geht das zahlenmässig nicht – im kleinen Rat hat sie dazu zu wenig Sitze.

Deshalb gibt es seit 2011 in der kleinen Kammer einen Schwerpunkt Mitte/Links. Der erlaubt es CVP und SP, Mehrheiten von SVP und FDP aus dem Nationalrat zu kontern. Genau das steht 2019 zur Disposition!

Denn mit zwölf Ständeräten kann die Linkspartei in zahlreichen Kommissionen des Ständerats mit ausgewiesenen Spezialisten aufwarten. Man weiss zudem, dass diese im Plenum mehrheitsfähig sind, wenn sie in gesellschaftspolitischen Fragen mit der FDP, bei sozialpolitischen Vorlagen mit der CVP einig sind.

Oder bildlich gesprochen: Bei herben Verlusten nähme die SP nur noch im Seitenwagen Platz. Die Chance, das Motorrad selber zu steuern, wäre vertan.

Offensive der Freisinnigen

“Wir wollen die Mehrheit Mitte/Links im Ständerat brechen”, sagte FDP-Präsidentin Petra Gössi jüngst in einem Interview. Ihre Überlegung: Der oft beschworene Rechtsrutsch nach 2015 war unvollständig. Zwar funktionierte er zunehmend im Nationalrat, im Ständerat dagegen scheiterte er.

Im Bundesrat korrigierte die Vereinigte Bundesversammlung 2017 mit der Wahl von Ignazio Cassis den Schwerpunkt nach rechts. Nun steht aus liberaler Sicht der Umbau des Ständerats an.


Uebergewicht des Ständerats

Ein neues Buch von Adrian Vatter zum Parlament in der Schweiz macht diese Analyse noch brisanter. Der Berner Politikwissenschaftler weist darin nach: Trotz des perfekt ausgewogenen Zweikammer-Parlaments der Schweiz hat der kleine Ständerat effektiv mehr Gewicht hat als der grosse Nationalrat.

Zunächst politisiert die kleine Kammer näher beim Bundesrat als die Grosse. Sie stützt damit aufgegleiste Vorhaben der Regierung stärker. Sodann ist der Ständerat dank der Kleinheit effizienter als der Nationalrat. Die kleine Kammer ist häufiger Erstrat und beeinflusst die generelle Stossrichtung einer Gesetzgebung etwas stärker.

Schliesslich verhandelt die kleine Kammer weniger polarisiert. Letztlich ist man auf Lösungen aus, bei denen Anliegen verschiedener Seiten berücksichtigt werden.

Die Neuauflagen der gescheiterten Unternehmenssteuer-Reform und der abgelehnten AHV-Revision reiften im Ständerat. FDP und CVP legten den Grundstein, sicherten sich dabei aber nach links ab. Unter den sechs Mitgliedern des Ständerats, die den Konsens fanden, waren zwei Sozialdemokraten. Das Entgegenkommen an sie war substanziell.

Bilanz

Meine These: Veränderungen in der Kantonskammer sind nachhaltiger als in der Volkskammer. Genau hier ist 2019 eine politische Zäsur möglich.

Statt auf einzelne Sitzgewinne und -verluste in der grossen Kammer zu wetten, schaut man besser aufmerksam auf die Machtverhältnisse im Ständerat. Insbesondere dort, wo sie sich wegen der vakanten SP-Sitze bald ändern könnten.

Claude Longchamp