Polarisierung oder Zentrierung: Was dominiert den Abstimmungskampf vor dem 12. Februar 2017?

Statt drei Normalfälle in der Meinungsbildung zu Behördenvorlagen, spricht die aktuelle SRG-Befragung von Spezialfällen bei der Einbürgerung resp. der Unternehmenssteuerreform. Warum?

Die aktuelle SRG-Repräsentativbefragung zu den Volksabstimmungen vom 12. Februar 2017 zeigt in zwei der drei Fälle einen unüblichen Verlauf der Stimmabsichten für eine Behördenvorlage. Sowohl bei der erleichterten Einbürgerung als auch bei der Reform der Unternehmenssteuer sank im letzten Monat die Zustimmungsbereitschaft. Im ersten Fall ging sie um 8 Prozentpunkte zurück und steht jetzt bei 66 Prozent. Im zweiten reduzierte sie sich um 5 Zähler auf 45 Prozent.
Normal wäre, dass sich die Unentschiedenen bei einer Behördenvorlage auf beide Seite verteilen, das Ja also zunehmen würde. Das zeigt sich aktuell nur beim Strassenfonds NAF.

Nun kennen wie die Mechanik recht gut, wie abweichende Fälle zustanden kommen. Mit dem Abstimmungskampf steigen die Beteiligungsabsichten an, und zwar nicht überall gleich, sondern asymmetrisch. Namentlich opponierende Gruppen werden auf den Plan gerufen, sich über das bekannte Niveau hinaus zu beteiligen.
Nun zeigt unsere Befragungsreihe, dass das in drei Segmenten der Fall ist: bei parteipolitisch ungebunden Stimmenden (+19 Prozentpunkte), bei SP-Wählerinnen und Wähler (+16 Prozentpunkte) und bei misstrauischen Bürger und Bürgerinnen (+14 Prozentpunkte).

Bürger und BürgerInnen mit negativem Institutionenvertrauen sind das klassische Potenzial für populistisch aufgezogene Kampagnen. Diese wollen die Beteiligung erhöhen, denn das ist der beste Garant, dass sich WutbürgerInnen in Volksabstimmungen äussern. Die Vorlageninhalte sind dabei sekundär; primär geht es darum, Opposition zur Behördenarbeit zu manifestieren.
Bei der Einbürgerungsvorlage zeigt sich dies eindeutig: Das föderalistische Nein-Argument, das die parlamentarische Debatte bestimmt, interessiert gar nicht. Vielmehr geht es mit der Pauschalisierung von Muslimen als schlecht integriert darum, den Graben zwischen einem offenen und geschlossenen Bild der Schweiz auch in diesem Zusammenhang aufzureissen.
Nun zeigt unsere Analyse, dass sich das aufgeheizte Klima auch auf die Entscheidung zur Unternehmenssteuer auswirkt. Zum wirksamsten Argument avancierte der Hinweis, bereits bei der zweiten Reform bei den Auswirkungen zu Steuerausfällen über den Tisch gezogen worden zu sein. Die Aktivierung in der laufenden Debatte hat die gegnerische Argumentation befeuert, man riskiere erneut Steuerausfälle, welche die mittleren Einkommen zu spüren bekommen werden. Der SP, aufgestachelt durch die gefakte Fotomontage in der Abstimmungszeitung der Steuerreform-Befürworter, hat das in die Hände gespielt.
Zweifelsfrei hat die Verquickung beider Kampagnen zur Emotionalisierung des Entscheidungsklimas geführt. Das nützt in keinem Fall den Behörden, denn es mobilisiert gegen sie, sowohl bei der Beteiligung wie auch bei den Stimmabsichten. Nicht auszuschliessen ist, dass das bei der Unternehmenssteuerreform entscheidend sein wird, während bei der Einbürgerungsvorlage ein möglich erscheinendes Nein der Kantone im Vordergrund steht.

Bilanzieren wir am 12. Februar die ersten Niederlagen der Behörden in der laufenden Legislatur? Entschieden ist noch nichts! Denn unsere jüngste Umfrage hat den 22. Januar 2017 als mittleren Befragungstag. Die letzten drei Wochen deckt sie damit nicht ab und diese drei Wochen sind die Zeit des Übergangs von der Haupt- zur Schlusskampagne.
So wie die Aufregung der Opposition nützt, hilft die Beruhigung des Klimas, verbunden mit der Rückkehr zu Sachargumenten, den Behörden. Das ist die Voraussetzung, dass sich nicht vorwiegend die Anhänger der Polparteien äussern, sondern in vergleichbarem Masse auch die Wählenden aus dem politischen Zentrum.

Claude Longchamp