Elektorale Integrität – Problemfall Briefwahl

Studentischer Gastbeitrag von Pascale Münch, Mastertrack Datenjournalismus, Institut für Politikwissenschaft Uni Zürich

Obwohl Schweizer Wahlen integer sind, besteht hierzulande durch die briefliche Stimmabgabe die Möglichkeit eines Verstosses gegen das zentrale demokratische Prinzip des „one man – one vote“. Die Briefwahl ermöglicht dem Stimmberechtigten eine mehrfache Stimmabgabe ohne erkannt zu werden.

Gelingende, faire und korrekt ablaufende Wahlen sind heute noch in vielen Regionen der Welt eher die Ausnahme als die Regel. Die Gründe dafür sind vielseitig. Sind Wahlen nicht integer, so liefern sie auch keine legitimierten Ergebnisse. Mängelbehaftete Wahlen kommen aber nicht nur in sogenannten „grey middle zone“ Ländern – weder absolute Autokratien noch etablierte, konsolidierte Demokratien – vor, sondern können durchaus auch in eben diesen auftreten. Eine der möglichen Verfehlungen stellen die Risiken der brieflichen Stimmabgabe dar.
Seit der Einführung der brieflichen Stimmabgabe in der Schweiz 1994 gehen nur noch wenige persönlich an die Urne. Mehr als 85 Prozent der heutigen Wahl- und Stimmbevölkerung nutzt seither den Weg der brieflichen Stimmabgabe. Bestehen Mängel bei der brieflichen Stimmabgabe dürfen diese bei einer solch regen Nutzungszahl nicht unberücksichtigt bleiben.

Nutzung der brieflichen Stimmabgabe seit der Einführung 1994 in Prozent

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Quelle: Bundeskanzlei und OSCE, eigene Darstellung

In modernen Demokratien sind die Termini „gleich“, „geheim“ und „allgemein“ für die Grundsätze des aktiven Wahlrechts allgegenwärtig.
Klar ist, dass durch die briefliche Stimmabgabe allen Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern den gleichen Zugang zu Wahlen gewährleistet wird. Mehr noch, durch die briefliche Stimmabgabe wird der Abstimmungsmodus massiv erleichtert und Menschen, die aus diversen Gründen nicht in der Lage wären an Wahlen teilzunehmen, wird eine Teilnahme ermöglicht.
Nun wird von den internationalen Standards zur Durchführung von Wahlen nicht nur die gleichen Zugangschancen verlangt, sondern auch, dass sowohl die geheime Wahl garantiert, als auch, dass allen Stimmberechtigten das gleiche Stimmengewicht zugestanden wird. Und genau hier liegt eines der Hauptprobleme der brieflichen Stimmabgabe. Durch die geheime Wahl wird dem Individuum ermöglicht, dass es seinen Willen ohne allfällige Zwänge und Druck unverfälscht widergeben kann. Das wiederum führt aber zu möglichen Missbräuchen seitens der Stimmbürger. Durch die geheime Stimmabgabe wird nicht mehr ersichtlich, ob diesem Credo der unverfälschten Willensabgabe wirklich Rechnung getragen wird oder ob mehrere Wahlzettel durch ein und dieselbe Person ausgefüllt und eingeworfen wurden.
Beim Ausfüllen von mehreren Wahlzetteln durch dieselbe Person wird das zentrale demokratische Prinzip des „one man – one vote“ beschnitten, indem jedem Stimmberechtigten genau eine Stimme zusteht.

Planmässige Wahlbetrüge können nur aufgedeckt werden, wenn panaschiert oder kumuliert wurde. In diesen Fällen können identische oder ähnliche Handschriften erkannt werden. Bei unverändert eingereichten Listen oder Listen mit gestrichenen Kandidaten wird ein Betrugsnachweis fast unmöglich. Hinzu kommt das Wahl- und Abstimmungsgeheimnis. Durch die Trennung von Stimmrechtsausweis und Stimmzettel kann bei einem Betrug nicht mehr nochvollzogen werden, woher die Mehrfachausfüllungen stammen. Der Betrüger kommt davon.

Dass es in der Schweiz offensichtlich zu Verstössen bezüglich des Credos „one man – one vote“ kam, zeigten die beiden vorsätzlichen Wahlmanipulationen von Linus Dobler (CVP, 2001) und Sigfried Noser (SVP Glarus, 2010).

Durch die Möglichkeit der mehrfachen Stimmabgabe wird gegen das demokratische Prinzip des „one man – one vote“, dass jedem Stimmberechtigten das gleiche Stimmengewicht zugestanden wird, verstossen und das wiederum führt zu nicht vollständig korrekten und fairen Wahlen. Demzufolge hat die Schweiz in diesem Kontext ein Problem mit der Elektoraten Integrität.