Meinungsverstärkung, Meinungsaufbau, Meinungswandel – neue Einsichten zu Wahlkampagnen

Parteiidentifikation ist das entscheidende Konzept in der Wahlforschung. Als theoretisch relevante Ansatzpunkt werden die Bindung an die Partei als Ganzes, aufgrund ihres Personals oder ihrer programmatischen Aussagen gesehen. Im Beitrag zum neuen Sammelband “Wahlen und Wählerschaft in der Schweiz” sind Cloe Jans und ich der Frage nachgegangen, wie sich Wahlkämpfen auf die Meinung zur Parteien auswirken.

Eine Neuinterpretation der Daten zu den Nationalratswahlen 2011 führte uns zu drei Indikatoren:

. die Meinungsverstärkung,
. der Meinungsaufbau und
. die Verhinderung von Meinungswandel.

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Meinungsverstärkung baut auf einer mehr oder weniger gefestigten Parteibindung bei Wählenden auf. Sie muss frühzeitig vor einer Wahl reaktiviert und gestärkt werden. Meist braucht es hier keine programmatische Ueberzeugungsarbeit mehr, doch muss der Kitt an die Partei emotional erneuert werden. Die Stimmung im Wahlkampf zählt dazu, Spitzenkandidatinnen im Kanton können massgeblich sein, aber auch der direkte Kontakt zwischen Partei und Wählenden können die Prädisposition, eine bestimmte Partei bevorzugt zu wählen, stärken.
Meinungsaufbau meint, dass punktuelle Beziehungen zwischen Wählenden und Parteien entwickelt werden können, im Idealfall bis zu einer neuen Parteibindung. Die lockersten Meinungen zu Parteien haben wir in der Schweiz zu Personen, insbesondere wenn wir bereit sind, Kandidatinnen verschiedenster Partei zu wählen. Hinzu kommt, dass man für Parteien auch in einer Sachfrage eine Präferenz haben kann, ohne gleich die ganze Partei zu unterstützen.
Schliesslich geht es in einem Wahlkampf darum, bisherige Wählenden von einer Aenderung der früheren Wahlentscheidung abzuhalten. Das kann bezüglich des bisherigen Parteientscheides der Fall sein, aber indem man die bisherige Teilnahme ernsthaft in Frage stellt.
Man kann alles drei Indikatoren zu einem übergeordneten Konzept zusammenfassen, und diese Mobilisierungsfähigkeit nennen.

Die Re-Analyse der Nationalratswahlen 2011 legt nahe, dass die SVP alle drei Aufgaben am besten gelöst hat. Ihre Art der Kampagnenführung ist am ehesten geeignet, vorhandene Meinung zu stärken, zu entwickeln und eine Aenderung von Meinungen zu verhindern. Letzteres können alle Parteien, unabhängig von ihrer Stimmenstärke ähnlich gut. Bei der Meinungsverstärkung und dem Meinungsaufbau gibt es aber erhebliche Unterschiede. So ist die Mobilisierung bestehender Parteibindungen namentlich bei GLP, BDP und GPS weiter unterdurchschnittlich, während dies bei CVP, FDP und SP im Mittel erfolgt, aber deutlich schwächer ist als bei der SVP. Der Meinungsaufbau gelingt nach der SVP der SP noch einigermassen, während dies bei allen anderen Parteien zurückbleibt.
Auf einem Index, bei dem jede Partei bei jedem Indikator 100 Punkte holen konnte, kam die SVP im Schnitt auf sensationelle 82. Die SP erreichte 57, die FDP 56 und die CVP 55 Punkte. Deutlich geringer lag das Mittel bei GPS (41), BDP (38) und GLP (31).
Mit anderen Worten: Die SVP löst die Mobilisierungsaufgaben sensationell gut, die grösseren Parteien im Mittel, und die kleineren verschenken, trotz gelegentlichen Wahlerfolgen viel.

Nun fiel uns auf, dass der Mobilisierungserfolg in erheblichem Masse vom finanziellen Mitteleinsatz abhängt. Denn zwischen Mitteleinsatz, Mobilisierungsleistungen und Wahlerfolg gibt es einen Zusammenhang. Erklärt werden können sie kaum Veränderungen im Stimmanteil, aber die Stärke der Partei unter den Wählenden insgesamt. Es lassen sich drei Hypothesen vermuten:
. Je höher der finanzielle Mitteleinsatz ist, umso eher kann sich eine Partei eine ausgedehnte Vorkampagne leisten, mit Folgen insbesondere für die Meinungsverstärkung.
. Je höher der Mitteleinsatz bei rechten Partei ist, umso eher gelingt, bestehende Meinungen zu verstärken.
. Je höher der Mitteleinsatz bei einer Polpartei ist, umso eher gelingt der Meinungsaufbau an den Polen.

Wir interpretieren die Abhängigkeiten nicht streng kausal, vermuten aber temporale Zusammenhänge. Politische Kommunikation ist in der Schweiz einem starken Wandel unterworfen, indem Finanzierung, Medialisierung und Professionalierung der Partei-Wählenden-Beziehung zunehmen. Der Trend kommt von rechts, hat die entsprechenden Parteien früher und stärker erfasst, dehnt sich aber immer weiter aus.

Claude Longchamp

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Wahlen und Wählerschaft in der Schweiz