Wenn “Blick”-Schlagzeilen Weiterbildungskurse bestimmen …

… dann muss man kräftig gegenhalten, um seine Lernziele dennoch durchzubringen.

Der verbockte Einstieg
Ich war letzte Woche am MAZ, um im “CAS Kommunikation” für Menschen, die in Organisationen mit Oeffentlichkeit zu tun haben, über Lobbying referierten. Wie immer in diesem Tageskurs wählte ich einen weichen Einstieg: 3 Minuten nachdenken, was man übers Lobbying weiss und was man davon hält.

Die Antworten waren nicht untypisch: “Interessenvertretung” ist die gängige Kurzformel für die neutrale Mehrheitsposition; eine positive Umschreibung (“Vertretung der Interessen von Tieren und Pflanzen”) kommt nur zögerlich, wie seit 2007 im Zusammenhang mit Al Gore’s Klimaoffensive. Zahlreiche Assoziationen sind negativ: Einflussnahme durch Einflüsterer, Manipulation durch Bestechung, Zerstörung der Demokratie durch Partikularinteressen sind nur einige solcher Meinungsäusserungen.

Schnell kommt diesmal auch die “Blick”-Reportage über das Lobbying unter der Bundeskuppel zur Sprache. Die Stimmung wird teilweise rasch aversiv. Ein Teilnehmer recherchiert gleich im Internet und zitiert, fast schon frohlockend, die “Blick”-Grafik. Die Zahl der Lobbyisten würde nicht zunehmen, meint er, wenn es sich nicht lohnen würde. Geld regiert die Welt, ist das Fazit!

Jetzt muss ich eingereifen. Wir würden über Geld in der Politik noch sprechen, nehme ich das Thema auf und füge bei: soweit möglich faktenbasiert. Die Behauptungen im “Blick” könnten aber nicht die Grundlage für einen Fortbildungskurs an einer Fachschule für Kommunikation sein, hole ich weiter aus. Entweder müsse man bereit sein, in einem Kurs etwas lernen zu wollen, ober man wolle auf dem Niveau von Schlagzeilen stehen, bleiben. Dann könne man den Kurs auch gleich lassen.

An den Lernzielen festgehalten

Das war auch gut so! Ich denke, ich habe meine Lernziele nach dem verbockten Einstieg mehrheitlich durchgebracht. Bezogen auf die Wissensinhalte waren das:

Erstens, Lobbying ist nicht Entscheidung durch LobbyistInnen anstelle von PolitikerInnen, sondern ebenso Beziehungspflege, Gedankeaustausch, Beschlussvorbereitung.
Zweitens, Lobbying vermittelt in erster Linie Information, in zweiter Kontakte, Legitimation, Unterstützung und Macht.
Drittens, Lobbying ist ein Prozess. Er findet nicht punktuell bei Schlussabstimmungen, sondern prozessorientiert gegenüber Regierungen, Parlamenten und Verwaltungen statt.
Viertens, mit gutem Lobbying versucht man voraussschauend politische Prozesse zu steuern, nicht Fehlentscheindungen mit harten Interventionen zu verhindern.
Fünftens, zentrale Arenen des Lobbyings sind die vorparlamentarische, parlamentarische und nachparlamentarische Phase einer Entscheidung. Von Vorteil ist es, alle zu begleiten.
Sechstens, Lobbying wird zunehmend professionell betrieben. Es braucht in- oder externe Stand-by-Organisationen, mit denen operativ gehandelt werden kann.
Siebtens, Lobbying ist auch Initiierung neuer Politiken oder Programme, die als Ganzes in politische Prozesse einfliessen sollen.
Achtens, Lobbying bedient sich heute sowohl der vertraulichen wie auch der öffentlichen Ansprache von EntscheidträgerInnen, ist damit direkt und indirekt adressiert.

Dem Schlussapplaus glaubte ich entnehmen zu dürfen, dass die anfängliche Fixierung aufgebrochen werden konnte. Immerhin, sage ich mir auf der Rückfahrt.

Claude Longchamp