Warum neue Parteiprofile national und nicht kantonal entstehen und was das für Folgen hat

“Die CVP im Abwärtstrend“, schreibt die heutige Sonntagszeitung zu einer Verlaufsgrafik mit Parteistärken. Das ist gar nicht das, was mich interessiert; denn die Aussage stimmt für die letzten 25 Jahre fast ununterbrochen. Deshalb interessiert mich die dahinter liegende Dokumentation aus einer ganz anderen Warte.

Die nachstehende Grafik ist meines Erachtens deshalb erhellend, weil sie die Stärken der grösseren Parteien im Vergleich zwischen Kantonen und Bund darstellt. Dafür hat Michael Hermann, anders als in Uebersichten anderer, die kantonalen Ergebnisse nach Bevölkerungsstärke der Gliedstaaten gewichtet. Erst das verhindert, dass man nicht regional verzerrte Ergebnisse mit nationalen vergleicht.


Grafik anclikcen, um sie zu vergrössern, Quelle: SoZ/Sotomo

Nun zeigen die Parteistärken auf den verschiedenen Ebenen auffällige Unterschiede. National ist die SVP stärker als kantonal. Die Differenz war bis 1995 negativ, seither ist sie positiv. 2007 war der Höhepunkt, denn der Unterschied entwickelte sich 2011 zurück. Auch die SP war 1995 bis 2003 national stärker als kantonal, wenn auch nie in dem Masse, wie das für die SVP gilt. Minimal galt das auch an der Wende zu den 80er Jahren im 20. Jahrhundert. Bei der GPS gab es 2003 eine kleinere Differenz im genannten Sinne, sonst waren die Unterschiede kaum nennenswert. Ganz anders die FDP, die kantonal immer stärker war als national. Bis und mit heute! Die Differenz ist dabei seit den 90er Jahren erheblich. Tendenziell gilt das Gleiche für die CVP, wenn auch nicht so ausgeprägt. Nicht ganz einfach ist schliesslich die Beurteilung von GLP und BDP, denn Vergleiche sind nur 2011 möglich, mit eine Plus auf der nationalen Ebene.

Das Muster ist offensichtlich: Kantonale Wahlen sind, alles in allem, lange weniger polarisiert und seit neuestem weniger pluralisiert. Der Aufstieg der SVP, teilweise auch der SP und ganz beschränkt selber der GPS ist/war getrieben durch die Profilierung der Parteien via nationale Politik. Das hat verschiedene Gründe: Die Themen, die sich mit der EU- und Migrationsfragen, aber auch mit dem Klimawandel stellten, waren herausfordernder, verlangt nach schweizerischen, nicht kantonalen Lösungen. Die Medienberichte der überregionalen Zeitungen betonten entsprechend vermehrt das Gegensätzliche in den Parteiprogrammen. Die Werbung vor Wahlen, oder im Falle der SVP als permanente Sammlung, verstärkte die Effekte.

Es muss nicht einmal so sein, dass es namhafte Verschiebungen an Wechselwählenden zwischen kantonalen und nationalen Wahlen gibt. Denn die Mehrzahl der jüngeren Wahluntersuchungen zeigt, dass die Beteiligung ganz unterschiedlich ausfällt: Bei Nationalratswahlen ist sie zwischenzeitlich einiges höher als im Mittel der kantonalen Wahlen. Da mobilisieren erneuerte und neu Parteien besser als veraltete, die sich selber nicht reformieren können.

Verwiesen sei auch auf Parteifusionen: Sie entstanden wie bei der Freiheitspartei mit der SVP aus der übergeordneten Warte. Genau das gilt auch für die Parteiabspaltung der der BDP von der SVP, die aus dem Ersatz von Christoph Blocher durch Eveline Widmer-Schlumpf als SVP Vertretung im Bundesrat entstand. Vordergründig nicht ganz in dieses Schema passt die Entstehungsgeschichte der GLP, die ihren Ursprung im Kanton Zürich hat; durch die hohe Medialisierung von Züricher Ereignissen verbreitete sich das Phänomen jedoch national schneller und zieht auf der kantonalen Ebene nach.

Die stabilisierende Mitte, traditionellerweise gebildet aus FDP und CVP, ist so fast flächendeckend in Bedrängnis geraten: auf nationaler Ebene deutlicher als auf kantonaler, weshalb sich beide Parteien in den Gliedstaaten besser hielt als im Bund. Die Phänomene, auf die ich hier hinweise, müssen allerdings nicht von Dauer sein. Bei den Grünen lief der nationale Effekt von 2003 schon 2007 aus. Bei der SP hielt die Profilierung von 1995 bis 2003. Selbst bei der SVP scheint der Höhepunkt mit den Wahlen 2007 erreicht zu sein. Bleibt die Frage, was mit den beiden neuen Parteien 2015 geschieht.

Aktuell holen GLP und BDP kantonal das nach, was sie national vorgelegt haben. Das ist für beiden Parteien gut, denn es stabilisiert sie in den Regionen. Die SP profitierte nach 2011 sicher ein Jahr vom Schwung insbesondere aus den Ständeratswahlen; aktuell könnte das bereits auslaufen. GPS und FDP haben sich nach den Wahlniederlagen 2011 stabilisiert, während der Trend bei der SVP möglicherweise komplementär zu jenem bei der SP verläuft: 2012 war negativ, 2013 markiert möglicherweise eine Umkehr.

Bleibt die CVP: Ihre Niederlage bei den Nationalratswahlen 2011 hat den Eindruck von 2007, sich aufgefangen zu haben, zerstört. Umso schneller entwickelt sich seither der Niedergang der Mittepartei in der Ueberzahl der Kantone.

Claude Longchamp