Politische Kommunikation in direktdemokratischen Kampagnen exemplarisch untersucht

Hanspeter Kriesi, eben von der Uni Zürich an die von Florenz gegangen, hat sein letztes in der Schweiz entstandenes Buch vorgelegt. Konzeptionell markiert es einen Meilenstein in der Abstimmungsforschung, datenmässig bleibt es bescheiden, sodass man auch einige Folgerungen anders sehen kann.

Kampagnen zu Volksabstimmungen sind umstrittener geworden, denn es steht immer häufiger im Raum, Abstimmungsentscheidungen könnten durch Eliten bestimmt werden. Genau diese Polarität zwischen Aufklärung und Manipulation greift Hanspeter Kriesi, weiland Professor für Politikwissenschaft an der Uni Zürich, in seinem jüngst erschienen Sammelband zur politischen Kommunikation in direktdemokratischen Kampagnen auf, um sie, unterstützt von einem Forschungsteam an der Uni Zürich, einer vorläufigen Antwort der Wissenschaft zuzuführen.

Die generelle These lautet, dass man Kampagneneffekte in direktdemokratischen Entscheidungen nicht an sich bestimmen kann. Denn sie hängen von Verschiedenem ab: dem Kontext, dem Thema und den Kampagnen selber. Um das einzugrenzen, schlägt Kriesi neuerdings vor, zwischen dem Wettbewerbscharakter von Entscheidungssituationen, die Medienausstattung in der Demokratie und die BürgerInnen-Kompetenzen für differenzieren.

Basis des breit angelegten Lesebuches sind drei vertieft untersuchte Fallbeispiele von Kampagnen vor Volksentscheidungen in der Schweiz: die Aslygesetzgebung, die Einbürgerungsfrage und die Unternehmenssteuerreform. Die Beispiele wurden typologisch ausgewählt: Das erste gilt als einfache und alltagsnahe Entscheidung, das zweite als einfaches, aber nicht alltägliches Exempel, und das dritte erfüllt keines dieser beiden Kriterien. Damit entsteht eine simple Rangierung für Vorlagen, die den Test von Hypothesen zur Wirksamkeit von Kampagnen hinsichtlich der Komplexität Abstimmungsthemen und der Familiarität der BürgerInnen zu erlauben soll. Generell gilt, je anschaulicher und einfacher das Thema, desto klarer dominieren BürgerInnen-Präferenzen.

Zusammengefasst wird die Vielzahl an Untersuchungsergebnissen im 260 seitigen Buch in einem vorbildlich gegliederten Schlusskapitel. Hier meine Learnings:

Erstens, die Strategien der PolitikerInnen werden zunächst durch die Logik der direkten Demokratie selber bestimmt, die ist auf Mehrheitsbildung aus. Sie trifft, mindestens in der Schweiz, auf eine Parteiensystem, das durch ganz andere Determinanten wie Konkordanz und Föderalismus geformt wurde und eher schwachen Minderheitsparteien führte. Deshalb kommt hierzulande der Koalitionsbildung vor einer Volksentscheidung die erste grosse Bedeutung zu. Kriesis Schluss ist, dass die gemässige Rechte – gemeint sind wohl FDP und CVP – die Schlüsselposition einnehmen, denn sie können sowohl mit der populistischen Rechten (der SVP) wie auch der Linke (der SP, GPS) Allianzen eingehen. In der Regel gelinge es so die binäre Logik von Volksabstimmungen zu durchbrechen. Was die Orientierung von Kampagnen betrifft, spricht Kriesi von einer erheblichen Ausrichtung an der Substanz. In der Regel seien die Kampagnen beider Seiten inhaltlich, denn es gelinge ihnen mindestens eine relevante Botschaft zu platzieren. Indes, die Bewertung dieser fällt gespalten aus, weil es nicht mehr eindeutig sei, ob es sich um eine Begründung oder um eine Rahmung der Entscheidung handle. Genau letzteres mache es schwer, den Effekt von Kampagnen zu bestimmen. Denn in der traditionellen Analyselogik stelle man auf die Fähigkeit von Botschaften ab, Reaktionen der anderen Seite zu erzeugen. Wenn es jedoch gar keine Reaktionen mehr gäbe, versage diese Definition. Wirkungen von Kampagnen könnten dann nur noch anhand des Impacts auf Stimmabsichten gemessen werden. Das wiederum lasse sich nur formal messen, beispielsweise aufgrund der Dauer von Kampagnen oder dem Mitteleinsatz der Akteure. Ersteres sei in der Schweiz auch ohne gesetzliche Regelungen stark routinisiert: Entscheidend sei die Hauptphase, in der Regel die letzten drei Wochen vor dem Abstimmungstag, erweitert durch eine Vorphase, die 4 bis 5 Wochen vorgelagert sei. Sich dabei ein Plus zu verschaffen, hänge in erster Linie von den finanziellen Mitteln ab, denn diese determierten den relevanten Inserate- und Plakateeinsatz. Ob es dabei einen engen Zusammenhang zwischen Ressourcen und Ergebnissen gäbe, lasse sich bezweifeln, resümiert Kriesi. Richtig sei, dass die Rechte in der Regel über mehr Geld verfüge, aber keine Garantie für Abstimmungssiege habe. Eine höhere Wirkung vermutet er einzig bei knappen Ergebnissen, wo die Mobilisierung durch Geld jene durch Botschaften übertreffen könne.

Damit leitet die Buchbilanz zu den Medienstrategien über. Der zweite Schluss Kriesis ist, auch Medienkampagnen seien routinisiert, bisweilen sogar auch ritualisiert. Insgesamt attestiert er den Schweizer Medien jedoch, einen hohen Aufwand zugunsten der direkten Demokratie zu betreiben, welcher primär der journalistischen Logik folge. Zudem glaubt er genügend Belege für die spitze Folgerung gefunden zu haben, in Abstimmungskämpfen agiere die Politik, während die Medien nur reagierten. Auch hinsichtlich der vielfach diskutierten Personalisierung von Abstimmungskämpfen fällt die denkbare Kritik zurückhaltend aus: Ausnahme machten letztlich nur die BundesrätInnen, die stark medialisiert, von ihrer Funktion her aber zur sachorientierten Vermittlung verpflichtet seien. Zugenommen habe dabei die Zuschreibung von individueller Verantwortung bei Niederlagen, was mit dem Kollegialsystem kollidiere, ohne aber zu erheblichen Problemen geführt zu haben. Negative Veränderungen im Mediensystem sieht Kriesi vor allem in der Boulevard-Presse, aber auch den Gratismedien. Deren aufklärungskritische Medienkultur werde aber dadurch relativiert, dass es keine substanziellen Hinweise dafür gäbe, dass man sich ausschliesslich über diese Medium infomriere, um sich bei einer Abstimmung zu entscheiden.

Womit wir, drittens, bei den Bedingungen der BürgerInnen-Entscheidungen angelangt sind. Um diese zu analysieren, verwenden die ForscherInnen den Begriff der Prädisposition, genau genommen der generellen politischen Erfahrung einerseits, der themenspezifsichen Involvierung anderseits. Wenn das gegeben sei, komme es zu frühen Entscheidungen, die Bestand hätten; ohne das seien situative Entscheidungen aber verbreitet – mit eigenen Bestimmungsfaktoren. Kriesi spricht dabei von drei Kampagnen-Prozessen: der Verstärkung anfänglicher Stimmabsichten, der Mobilisierung von allgemeinen Prädispositionen und der Bildung von neuen Meinungen durch Kampagnen. Generell sieht er zahlreiche Belege, dass Kampagnen individuelle Lernprozesse auslösen würden. Wie sie sich auf Entscheidungen auswirkten, hänge von der anfänglich postulierten Typologie ab: Verstärkung finde sich vor allem bei eingeführten Abstimmungsthemen, Aktivierung bei wenig bekannten, und Meinungswechsel komme namentlich bei Themen mit hoher Alltagsferne und beträchtlicher Komplexität vor.

Was heisst das alles für die Kardinalsfrage? Der Chef des Forschungsteams entscheidet sich ganz am Schluss des Buches eindeutig für “Aufklärung”. Das sei nicht nur die zentrale Aufgabe der politische Kommunikation in direktdemokratieschen Kampagnen, sondern auch die effektive Wirkung. Die überwiegende Zahl der bisher untersuchten Fälle spräche für diese Vision der Abstimmungsdemokratie. Die exitierenden Abweichungen kämen vor, wenn die Komplexität hoch und die Vertrautheit der BürgerInnen gering sei, schreibt Kriesi. Dann überwiege der Einfluss der Eliteentscheidungen, derweil diese sonst auf die Präferenzen der Stimmberechtigten aufbauen müssten, um Erfolg zu haben.

An diesem Buch überzeugt zunächst die Gesamtsicht der untersuchten Einflussgrössen. Dabei hat die konzeptionelle Erörtung von Abstimmungsentscheidungen in den letzten 20 Jahren beträchtliche Fortschritte erzielt, und sie hat sich von den Konzepten der Wahlforschung vorteilhafterweise gelöst. Es bleibt aber das Problem von Verallgemeinerungen. Letztlich basiert alles hier Beschriebene auf drei Fallbeispielen aus einem politischen System und in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum. Es kommt hinzu, dass eine, vielleicht massgebliche Unterscheidung für die Analyse von Schweizer Volksabstimmungen gar nicht diskutiert wird: der Unterschied in der Logik von Oppositionsvorlagen und der von Behördenvorlagen. Bestimmend ist dabei die umgekehrte Beweislast von Kampagnen: Bei Referenden entstehen Vorlagen im Parlament, und sie wissen eine repräsentative Mehrheit hinter sich, während dies bei Volksinitiativen in aller Regel nicht der Fall ist. Genau das bestimmt die sehr unterschiedlichen Annahmechancen, die mit den herausgearbeiteten Faktoren wie Koalitionsbildung, Medienwirkungen und BürgerInnen-Heuristiken für Initiativen und Referenden separat erklärt werden sollten.

Meine Erfahrungen mit der dynamischen Betrachtung von Volksentscheidungen – bei zwischenzeitlich rund 100 Fallbeispielen aus 25 Jahren – lehrt mich, dass das der fundamentale Unterschied ist, auf dem man das Ganze nochmals durchspielen sollte. So könnte es denn auch sein, dass die eine oder andere der sehr positiven Wertungen der politischen Kommunikation in direktdemokratischen Entscheidungen etwas kritischer ausfallen würde.

Claude Longchamp