Die verkannte Bedeutung der Ständeratswahlen 2011

Der Wahlkampf 2011 war durch die Nationalratswahlen bestimmt, die Ständeratswahlen entfalteten nicht die gleiche Wirkung – mindestens auf der nationalen Ebene. Dabei unterschätzt man die Bedeutung des Ausgangs der Ständeratswahlen für die Allianzbildung in der kleinen Kammer.

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Grafik anclicken, um sie zu vergrössern (Quelle: NZZ)

Wenn der Ständerat zur Schlussabstimmung schreitet, demonstriert er unverändert gerne überparteiliche Einstimmigkeit. Gelingt dies nicht, schart sich meist die SVP hinter das Zentrum und die Ratslinke auszulassen. Seltener kommt Umgekehrtes vor. Immerhin. die Häufigkeit des Bürgerblocks ist seltener geworden, zunehmend ist die Allianzbildung Mitte/Links. Ganz selten sind polarisierte Situation, bei denen die CVP zur Linken hält, die FDP zur SVP.

Das hat zunächst mit der Diskussionskultur im Ständerat zu tun. Diese ist eine Folge der Ratsgrösse, aber auch der parteipolitischen Zusammensetzung. Denn CVP und FDP haben seit der Gründung des Bundesstaates eine numerische Mehrheit in der kleinen Kammer, seit Beendigung des Kulturkampfes Ende des 19. Jahrhundert zwischen beiden Parteien bildet ihre Allianz gar das Rückgrad des Ständerates.

Das alles könnte sich 2011 ändern. Beide Parteien stellen heute noch 26 der 46 Parlamentarier in der kleinen Kammer. Wenige Sitzverluste bei den anstehenden Wahlen könnte das gewohnte Bild massgeblich auf den Kopf stellen.

Eine Uebersicht über die anstehenden Ständeratswahlen. publiziert im Tages-Anzeiger vom 12. Oktober 2011, benennt die unsicheren Wahlgänge, bei denen ein(e) Abgeordnete(r) aus CVP, FDP (und BDP, die wir hier dazu nehmen) über die Klinge springen könnte:

Erstens, von der SVP herausgefordert wird die FDP namentlich in Luzern und Neuenburg. Im Tessin ist die Lega die Konkurrenz (die sich der SVP-Fraktion anschliessen würde) und in Schaffhausen ist es Thomas Minder, der im Falle einer Wahl mit einem Beitritt zur GLP liebäugelt.

Zweitens, in aussichtsreicher Lauerstellung zur CVP ist die SVP in den Kantonen Uri und im Wallis.

Drittens, auf FDP oder CVP abgesehen hat es die SVP in St. Gallen.

Viertens stehen die SP und GPS in den Kantonen Aargau und Bern auf der Angreiferseite, wobei es FDP/BDP oder SVP treffen könnte.

Damit kommt auf mindestens 9 Wahlgänge, die über die Möglichkeiten Allianzbildung im Zentrum des Ständerates entscheiden.Gegenteiliges zeichnet sich nur in Graubünden ab, wo die FDP einen Sitz der SVP erben wird.

Am Sonntag abend wird man eine erste Auslegeordnung machen können, was Sache werden könnte; höchstwahrscheinlich weiss man dann noch nicht, ob die CVP/FDP-Mehrheit kippt, denn es dürften in verschiedenen der genannten Kantone zu einem zweiten Rundgang kommen. Bei dem wird entscheidend sein, wer sich mit wem verbindet, resp. wer unter welchen Auflagen auf eine Wahl verzichtet.

Was es heisst kann, in einem Rat zu politisieren, in dem es keine starke Mitte-Allianz mehr gibt, zeigt eine Studie des Genfer Politikwissenschafters Simon Hug. Gespaltene Situationen mit einer Trennlinie zwischen CVP und FDP kommen im Nationalrat vermehrt vor als im Ständerat, sind aber nicht der Trendsetter. Häufiger – und klar zunehmend – sind Blockbildungen, die von rechts oder links ausgehen, denn es braucht drei Parteien für eine Mehrheit. Das erhöht die Chancen der Polpartei, nicht nur auffällige parteipolitische Positionen einzubringen, sondern auch mit ihnen durchzukommen.

Ob das geling, hängt aber von verschiedenen Faktoren ab: der sachpolitischen Tendenz im Zentrum einerseits, der Kompromissfähigkeit der Pole auf der anderseits. Nimmt man die letzte Legislatur als Massstab, ging die Dynamik häufig zwischen Mitte und rechts Seite aus als umgekehrt. Doch überzeichnete die SVP ihre Position bieweilen, weil ihr die Darstellung der eigenen Position wichtiger war als die Entscheidung. So war, seit den Wahlen 2007, die Mitte/Links-Allianz unter Ausschluss der SVP im Nationalrat die häufigste Konstellation in den Schlusabstimmungen des Nationalrates.

Das ist genau das Umgekehrte als das, was man bisher im Ständerat hatte. Wie gesagt, nur wenige Sitzverluste im Zentrum der kleinen Kammer entscheiden darüber.

Claude Longchamp