Liechtensteiner Fürsteninitiative: Was zum Ergebnis führte, was daran verallgemeinerbar ist und was typisch liechtensteinisch bleibt.

Zur Jahrhundert-Abstimmung Liechtensteins liegt zwischenzeitlich in eine umfassende Analyse vor, die erhellt, was geschah und zeigt, was man daraus lernen kann – für die politischen Kommunikation generell, aber auch für die Liechtensteins.

2003 stimmte Liechtenstein über eine grundlegende Verfassungsreform zum Fürstenhaus ab. Dabei setzte sich der Fürst mit seiner Initiative durch. Bei einer Stimmbeteiligung von 84 Prozent wurde die Fürsteninitiative mit 65 Prozent angenommen. Der Gegenvorschlag scheiterte mit 83 Prozent Nein-Stimmen. Im Vorfeld der Entscheidung hatte der Fürst gedroht, bei Ablehnung seines Vorschlages des Wohnsitz ausser Landes zu verlegen und bei Annahme des Gegenvorschlages diesem seine Zustimmung zu verweigern.

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Quelle: Politische Kommunikation und Volksentscheid 2011

8 Jahre danach legen die Medien- und Politikwissenschafter Frank Macinkowski und Winfried Marxer unter dem Titel “Politische Kommunikation und Volksentscheid” eine umfassende Fallstudie zu Volksentscheidungen in Liechtenstein vor. Sie kommen zum Schluss, dass der Beschluss in hohem Masse prädisponiert war. “Politische Einstellungen wie insbesondere das stark ausgeprägte Vertrauen in die “Institution Monarchie” bei gleichzeitig auffälligen Vorbehalten gegenüber “der Politik” (vor allem Parteien und Landtag) im Zusammenwirken mit Wertorientierungen wie Patriotismus, Konservatismus, und Autoritarismus waren für das individuelle Stimmverhalten und das Ergebnis der Abstimmung massgeblich.2

Die Studie arbeitet mit einem Modell der Haupteinflüsse auf die Meinungsbildung und das Stimmverhalten, das dem sozialpsychologischen Trichter der Kriterien verwandt ist, diese aber mit medienwissenschaftlichen Ueberlegungen ergänzt. Unterschieden werden politische Kognitionen, öffentliche Kommunikation, Parteiidentifikation, politische Prädispositionen, Wertorientierungen und sozialstrukturelle Merkmale. Die finale Regressionsanalyse kann hohe 78 Prozent der individuellen Entscheidungen erklären. Hoch ist die Betrachtung der politischen Prädispositionen ausserhalb der Parteiidentifikation. Dabei sticht das Vertrauen in den Fürst als Indikator heraus. Verstärkt wird dies durch Werthaltungen, insbesondere durch den Autoritarismus, und die saldierte Wirkung der Argumente resp. das Framing der Entscheidung.

Die Bedeutung der rund 300 Seiten strake, vorbildlich strukturierte Analyse sehen die beiden Autoren namentlich im medienwissenschaftlichen Konzept des Framings. Demnach stimmen Menschen “nicht einfach über eine Voralge ab, sie stimmen über das ab, was sie für das Wesen des Problems halten.” In der Schweiz sind dafür die Begriffe “Signifikanz” oder “Enjeu” gebräuchlicher. Verwiesen wird damit auf etwas Gemeinsames: dass in der Mediengesellschaft öffentlich vermittelte Vorstellungsbilder in die direktdemokratischen Entscheidungen einfliessen, die “bestenfalls lose an die tatsächliche “Papierform” einer Volksabstimmung gekoppelt, im Detail aber durchaus kontingent sind.” Sie urteilen, das sei auch mit intensiver Informationskampagnen und Aufklärungsarbeit nicht aus der Welt zu schaffen. Denn das Gefühl, sich informieren zu müssen, hänge mit der Vertrauensheuristik zusammen, die bestimme, ob man sich überhaupt weitergehend informieren wolle. “Das öffentliche Erscheinungsbild der Sachfragen und seine Konstruktion in der öffentlichen Kommunikation werden damit zum kritischen Punkt der direkten Demokratie.”

Die Studienergebnisse reihen sich durchaus in die Einsichten ein, die wir in der Schweiz unter dem Stichwort “Dispositionsansatz” zu den Dynamiken der Meinungsbildung vor Sachabstimmungen entwickelt haben. Denn auch da geht man bei Grundsatzfragen von prinzipiellen Ueberlegung aus, die nur beschränkt mit dem Inhalt einer Vorlage zu tun haben, sondern durch die Signifikanz der Entscheidung beeinflusst werden.

Der Vergleich mit der Vielzahl von untersuchten Beispielen in der Schweiz rät allerdings zu Vorsicht, was die verallgemeinernden Schlüsse zur Funktionsweise der direkten Demokratie betrifft. Denn die Fürstenentscheidung in Liechtenstein entspricht in einem hohen Masse dem Typ Volksabstimmung, den wir als “vorbestimmt” taxieren. Die zahlreichen VOX-Analysen und Trenduntersuchungen zu schweizerischen Abstimmungen (die leider ausser Acht gelassen werden) zeigen, dass bei weitem nicht alle Volksentscheidungen hierzu zählen. Die Problematik der Sachentscheidung, aber auch ihre Problematisierung in Kampagnen entscheiden darüber, ob es zur beobachteten Reduktion kommt. Namentlich dann, wenn die angesprochenen Prädispositionen komplex sind, werden Argumente und Botschaften zum Inhalt wie auch zu den Konsequenzen der Entscheidung wichtiger, es steigt der Einfluss der Kommunikation oder die Parteibindungen determinieren das Ja resp. das Nein mehr. Das verweist auf eine erhöhte Offenheit der Entscheidungen, kurzfristiger und medialer induziert gefällt werden.

Denn zwei Sachen dürfen an der Liechtensteiner Entscheidung zur Fürstenfrage nicht übersehen werden. Die Vorlaufzeit der Meinungsbildung war angesichts des 10 Jahre dauernden Konfliktes enorm, betraf die Existenz des Landes und wühlte die Gesellschaft in einem Masse auf, die man sonst kaum je erlebt hat. Das drückte sich in der unüblich hohen Stimmbeteiligung aus. Zudem wurde bei dieser speziellen Ausgangslage eine Gesellschaft in Aufruhr gebracht, die noch kleiner ist als die schweizerische, was die Bedeutung informeller Entscheidungsdeterminanten wie das politische Gespräch gegenüber Medieneinflüssen erfahrungsgemäss stark ansteigen lässt.

Am Ende der Studie hätte man es deshalb gerne gehabt, nicht nur verallgemeinernde, sondern auch relativierende Schlüsse zu lesen. Denn das Fallbeispiel eignet sich sehr wohl zur Theoriebildung, jedoch nur, wenn man sich der Besonderheiten innerhalb der reichhaltigen Praxis der politischen Kommunikation zu Volksentscheidungen bewusst bleibt.

Claude Longchamp