Lobbyisten und Lobbyierte in der Schweiz erstmals befragt

Diese Woche erscheint der Lobbying Survey Switzerland 2011. Hier der Auszug aus dem Vorwort zur Studie, die in Zusammenarbeit zwischen gfs.bern und Burson&Marsteller als Schweizer Teil einer europäischen Studie entstanden ist.

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Lobbying ist mehr als die viel zitierte Beziehungspflege zwischen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Die aktuellen Trends in der Schweiz im Lobbying zu bestimmen, ist die Aufgabe der Studie “Lobbying Survey Switzerland 2011”.

Vor gut 15 Jahren begann ich am Institut für Verbandsmanagement der Universität Freiburg im Üechtland mit Weiterbildungskursen für das Lobbying. Robert Purtschert, der die Idee eines solchen Unterfangens hatte, meinte in der ersten Einführung, Lobbying sei ganz einfach Interessenvertretung. Dafür brauche es ein Bindeglied zwischen Wirtschaft und Politik, genauer zwischen Verbänden, Genossenschaften, Stiftungen und Vereinen einerseits, Regierungen, Verwaltungen und Parlamenten anderseits.

Nach mehr als einem Dutzend Veranstaltungen mit durchschnittlich 30 Personen aus der Praxis komme ich zum Schluss: Lobbying ist öffentlich geworden. Namentlich die Medien beschäftigen sich mit dieser Systemneuerung. Die Politik bestimmt ihr Verhältnis zum Lobbying Schritt für Schritt neu. Und auch die Wissenschaft ist dabei, sich dem Themenfeld systematisch zu näheren.

In der Bevölkerung ist das Bild des Lobbyings ambivalent. Ist man selber Treiber in einer Sache, wird fast automatisch der Ruf laut, in eigener Sache mehr zu lobbyieren. Ist man dagegen der Getriebene, sind die Lobbyisten an allem Elend Schuld, weil sie im Schummerlicht demokratischer Entscheidungswege ihre separaten Interessen durchgesetzt haben.

Lobbying ist, so meine Sicht der Dinge, Einflussnahme auf politische Entscheidungen, welche das legislative, exekutive oder administrative System treffen, und die tatsächliche oder beabsichtigte Beeinflussung durch Einzelne oder Gruppen zum Ziel haben, ohne durch ein demokratisch gewähltes Amt speziell legitimiert zu sein.

Die Einflussnahme erfolgt entweder in einer direkten Aktion oder aber indirekt durch die Schaffung eines günstigen Umfeldes. Meine Übersicht lehrt mich, dass Lobbying systemtheoretisch begründet und handlungstheoretisch geplant werden kann. Die Lehren der Sozialwissenschaften, vor allem auch der politischen Kommunikation und des politischen Marketings, haben einiges hierzu beigetragen. Rein strukturelle Verständnisse des Lobbyings greifen dafür häufig zu kurz. Denn ohne ein Grundwissen an politischer Kultur in einem System gelingt konkretes Lobbying nicht. Deshalb ist es nötig, dass der Lobbyismus in der Schweiz von internationalen Erfahrungen profitiert; es ist aber auch nötig, die nationalen und lokalen Gegebenheiten gut zu kennen.

Lobbying ist heute in erster Linie Informationsvermittlung zwischen Interessierten und Betroffenen in einer und durch eine Entscheidung einerseits, den Behörden, welche allgemeinverbindliche Beschlüsse vorbereiten, erlassen und umsetzen anderseits. Glaubwürdigkeit, die sich namentlich aus Fachkompetenz nährt, ist deshalb das höchste Gut des guten Lobbyings. Hinzu kommt Vertrauen, das langfristig aufgebaut und erneuert werden muss. Das geschieht in der Regel durch Beziehungspflege in Netzwerken. Lobbying ist einfacher, wenn man dazu legitimiert ist, nicht im staatlichen Sinne als geregelter Teil von Entscheidungsprozessen, aber als gesellschaftliches Interesse, das repräsentativ ist. Lobbyisten und Lobbyistinnen sind umso gefragter, als sie Zustimmung in einer Sache verschaffen, allenfalls auch eine Entscheidung verhindern können. Dann steigt ihr Einfluss auf behördliche Entscheidungen. Damit sind die Ressourcen von Organisationen gefragt, die in politischen Aktionen eingesetzt werden können, aber auch die Machtmittel, die eine solche Organisation hat, wenn sie Einfluss nimmt.

Die öffentliche Diskussion fokussiert auf einige Aspekte dieser Diskussion: Dabei werden Politikerinnen und Politiker häufig als unwissend, unfähig und unethisch dargestellt, sodass sie einfach übertölpelt, schrankenlos manipuliert und ohne weiteres gekauft werden können. Das alles will ich im Einzelfall nicht ausschliessen, doch erscheint mir das Problem grundlegender zu sein. Das Milizsystem der Schweiz hat sich als Möglichkeit bewährt, viele Fähigkeiten in einem Kleinstaat kostengünstig zu sammeln und eine erhöhte Identität zwischen Regierenden und Regierten zu stiften. Es stösst heute aber dort an Grenzen, wo es um den internationalen Standortwettbewerb geht, um die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen oder um die Regelung juristischer oder technischer Verfahren, die eine Expertise voraussetzen. Genau da setzt das Lobbying der politischen Akteure, die nicht im Milizsystem organisiert sindn an. Denn ist das Milizsystem in die Defensive geraten. Kritisiert wird die Vermengung von Rollen, die zwar alle kurze Entscheidwege garantieren, jedoch auch den Filz begünstigen.

Seit einigen Jahren erleben wir deshalb jenseits der Bilder über das Lobbying, die im politisch-mediale Diskurs gepflegt werden, ganz andere Realitäten des Lobbyings. Fünf Trends lassen sich meines Erachtens identifizieren. Sie erlauben es, Entwicklungen idealtypisch zu denken, um sie im konkreten Umfeld zu entdecken und zu untersuchen:

• Erstens der Trend zur Differenzierung: Gemeint ist damit, dass es an verschiedensten Orten in der Gesellschaft zur Entstehung von Organisationen oder Organisationseinheiten kommt, die sich speziell mit dem Lobbying beschäftigen.
• Zweitens der Trend zur Standardisierung: Angesprochen wird hiermit, dass es zur Etablierung von Standards kommt, was Lobbyisten tun und lassen sollten, was ihre Kunden von ihnen erwarten dürfen und wo der Staat Grenzen der Einflussnahme setzt.
• Drittens der Trend zur Professionalisierung: Dabei geht es darum, dass Lobbying aus dem mehr oder minder unbewussten und ungeplanten Handeln zu einer Tätigkeit wird, die zielorientiert erfolgt und periodisch erfolgt, um effektiver zu werden.
• Viertes der Trend zur Steuerung: Diskutiert wird in diesem Zusammenhang der Übergang von der punktuellen Intervention im Einzelfall hin zur generellen Interaktion zwischen Lobbying und Behörden, die anders als beim einseitigen Eingreifen auch nicht mehr unilateral, sondern bilateral gedacht wird.
• Und fünftens der Trend zur Lancierung neuer Politikzyklen durch das Lobbying. Dabei geht es weniger darum, auf bestehende Entscheidungsprozesse Einfluss zunehmen, sondern solche überhaupt zu initiieren, sei es auf lokaler, nationaler oder globaler Ebene.

Ich habe mich entschieden, mich in meinen Seminarien an der Universität St. Gallen ab 2012 ganz diesen Entwicklung zu wenden, soweit sie einen Bezug zur Schweiz haben. Auftakt dazu bildet eine Studie, welche diese Woche erscheint. Präsentiert werden darin die Erfahrungen und Erwartungen von Lobbyisten und Lobbyierten, die bereit waren, anhand eines systematisch erarbeiteten Fragebogens Auskunft zu geben. Inspiriert wurde das Projekt durch Burson-Marsteller, einer amerikanischen PR-Agentur, die 2009 hierzu auf europäischer Ebene eine Pionierarbeit erbracht hatte. Ich hoffe, die Publikation ist der Auftakt dazu, dass eine neue politische Tätigkeit auch in der Schweiz vermehrt öffentlich wird.

Claude Longchamp