Ende März 1992 verliess ich die Uni Bern als Lehrbeauftragter (etwas unfreiwillig); gestern vergab mir die WISO-Fakultät der Uni Bern nach 19 Jahren den Lehrauftrag für Wahlforschung erneut!
Was Wahlen entscheidet, soll ich inskünftig den Studierenden der Uni Bern lehren!
Im Herbstsemester 2011 nehme ich meine Lehrtätigkeit auf der Masterstufe der hiesigen Universität auf. Als Erstes ist ein Seminar vorgesehen – zu den von der Wahlforschung lange vernachlässigten Ständeratswahlen. Verlangen werde ich qualifizierte studentische Projekte, die uns helfen zu verstehen, was bei Ständeratswahlen anders seit langem anders verläuft als bei Nationalratswahlen, was sich heute ändert, und wohin sich die wichtigste Wahl von KantonsvertreterInnen auf Bundesebene entwickelt.
Traditionellerweise versteht man unter Ständeratswahlen Personenwahlen. In der Tat, auf unsere Wahlzettel schreiben wir KandidatInnen. Chancenreich sind StänderätInnen, die wieder antreten. Erfolgsversprechend waren lange Kandidaturen von RegierungsrätInnen. Heute steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man als bekannte Nationalrätin, als profilierter Nationalrat in die kleine Kammer gewählt wird. Offenbar gerät einiges in Bewegung.
Zwar ist die Polarisierung zwischen den Polen links und rechts geringer als bei Nationalratswahlen, doch nimmt die Zahl erfolgreicher Bewerbungen von SP, SVP und GPS zu. Ueberhaupt, langweilige Ständeratswahlen werden seltner, umstrittene Wahlgänge mit offenem Resultat häufiger.
Die Medienaufmerksamkeit für die Wahlen in die Kantonsvertretung nimmt offensichtlich zu – nicht nur auf lokaler Ebene, auch auf nationaler. Die Entscheidungen fallen zwar in den Kantonen, doch die nationalen Themen erfassen sie immer deutlicher. Nicht die angepasste Bewerbung in der Mitte interessiert dabei, sondern die angriffige der CharismatikerInnen, die ihre Anhänger, ja die Wählerschaft mit polarisierender Abgrenzung zu mobilisieren wissen.
Personalisierung von Persönlichkeitswahlen heisst heute Vieles: Man traut dem Menschen, nicht seinen Hintergründen. Man will mehr Privates wissen, weil das Oeffentiche gestellt und. Oder man will den Kampf in Sachfragen, weil die Ideologien aufgeweicht sind. Das alles machte Ständeratswahlen interessant: für Aufbau-Kandidaturen, als Plattformen für den Wettbewerb von Ideen, als Kampf der Titanen, bei dem man sein ganzes Prestige aufs Spiel setzt. Nicht nur für das Schaulaufen verdienter PolitikerInnen.
Ob das gut oder schlecht ist, werden dereinst die HistorikerInnen beantworten. Die normative Sozialwissenschaft bereitet die Antworten heute schon vor. Die empirisch Wahlforschung ist dafür nicht wirklich geeignet: Sie will beobachten, was ist, diagnostizieren, was das heisst und analysieren, was die Ursachen sind. Genau so verstehe ich auch mein erstes Seminar in Bern, das ich inskünftig, mit variierenden Themen regelmäsig anbieten werde.
Die Rückkehr an den Ort, wo ich vor mehr als zwei Jahrzehnten zu unterrichten begann, zu Europa-Abstimmungen und kantonalbernischen Wahlen freut mich umso sehr, als ich meinen Abgang 1992 bereute. Denn nicht nur als Forscher, auch als Dozent machte es mir immer wieder Spass, junge Menschen in die Einsichten der politikwissenschaftlichen Forschung einzuführen und aus ihren Ueberlegungen die Spuren herauszufiltern, welche die Entwicklung des Faches auf neuen Gebieten befördern werden. Dafür will ich mich, rechtzeitig vor den Wahlen 2011, aber auch darüber hinaus, erneut einsetzen.
Ein grosses Dankeschön ans Institut für Politikwissenschaft und an die WISO-Fakultät, die mir, dem Vernehmen nach einstimmig, eine zweite Gelegenheit hierzu eröffnen!
Claude Longchamp
Herzliche Gratulation! Irgendwie sind Sie ja schon lange Dozent, denn kaum einen anderen Politologen hört man so genau zu.
Herzlichen Glückwünsch dazu! Ich habe Sie als Dozent an der Uni Zürich im letzten Herbst erlebt und hoffe, dass Ihre kompetente und belesene Art, junge Menschen zum Nachdenken zu motivieren, aus einem unerschöpflichen Quell schöpft!
Danke Ernst und Rahul, man wird ja nicht häufig gelobt als Dozent. Die Uni stellt fest, dass man eine Veranstaltung durchgeführt hat, zahlt den Lohn, allenfalls kriegt man ein Dozentenblatt mit studentischen Bewertungen. MeinProf auf Internet funktioniert auch nicht wirklich, sodass es nicht einfach ist, zu situieren was ankommt und was nicht.
Vorbilder gibt es ja auch immer weniger, weil die professorale Vorlesung aus einem Buch nicht mehr der Realität entspricht, die Skripten einem Patchwork aus der Literatur gleichen, und sich die Studierenden den Stoff eh via Internet reinziehen. Bei mir kommt noch hinzu, dass ich ausser einiges Dutzend Slides auf powerpoint gar keine Notizen habe, die ich meinen Studierenden überreichen könnte, sondern festüberzeugt bin, das vor ihn (frei) reden etwas besser ist als vor ihnen abzulesen.
Nun, ich freue mich auf das Seminar in Bern, in Zürich werden ich 2012 im Frühlingssemester eine Bilanz ziehen zu den Wahlen 2011 und der Wahlforschung in der Schweiz. Das schon mal als weitere Ankündigung.
Herzliche Gratulation!
Ich hoffen bloss, dass der Weg zu mehr Ehrlichkeit und Ethik in der Politik führt und nicht bloss im Lernen von Strategien zu mehr Wähleranteil …
Da kann ich schon mal beruhigen. Die Analyse von Wahlentscheidungen ist zuallerst da, den Wählendenwillen zu verstehen, die WählerInnen der Parteien zu kennen, und die Wahl als Ganzes zu erklären. Optimierungen von Wahlstrategien sind zwar ein Lieblingskind der Medien, nicht unbedingt der Wahlforschung. Das sieht man daran, dass die Medien und die Parteiforscher immer weniger die gleiche Sprache sprechen: Für Journalisten ist klar, dass Wahlerfolge vom Parteipräsidenten abhängen, spin doctors der Auftritte steuern, kurzfristiges Taktieren den Wahlkampf bestimmt, und die SVP am Schluss eh gewinnt. Wahlforscher modellieren das Ganze komplexer, betonen die Veränderungen in den Wählerschaften, die WählerInnen-Märkte rund um neue Angebote und unzufriedene Wählende, die mittelfristigen Neueinbundungen durch ökologische und natonale Werte, den Stellenwert von Themen für die Positionierung von Parteien, die Bedeutung der indirekten und direkten Kampagnenarbeit, die neuen sozialen Medien als Involvierungs- und Mobilisierungsstrategien und die Arbeit der Zuspitzung, wenn des darum geht, trotz allem Unschlüssige anzusprechen.
Das alles ist nur die eine Seite der Wahlforschung, die anderen sind die Auswirkungen von Wahlen auf Behördenzusammensetzung und politische Programme. Gerade da geht es in hohem Masse auch um die Verarbeitung von Problemen durch die Parteien, wie wir sie aktuell in mit der Frage der Personenfreizügigkeit erleben, und es dreht sich Einiges rund um die Glaubwürdigkeit von PolitikerInnen, gehe es um ihre Wahlkampfausgaben, ihre Positionen vor und nach den Wahlen oder um den Einfluss der Macht auf die moralischen Vorstellungen der Behördenmitglieder.
Ein kleiner Rückblick auf zoonpoliticon zeigt, dass es mir mindestens so häufig darum geht, wie um Wählerprozente.
Ich unterstütze rehcolb voll und ganz. Mehr Grundsätzliches in der Wahlforschung wäre angebracht. Wahlen sind Weichenstellungen. Keine Partei sagt, was auf uns zukommt. Sie redet nur davon, was ihr nützt, und meldet an, was sie dazu zu sagen hat. Deshalb haben die meisten Parteien für sich gesehen recht, fürs Ganze stagniert die Schweiz. Es wäre die Aufgabe der Politologen und Wahlforscher hier eine Uebersicht über alle Probleme, alle Parteien und alle Lücken zu verschaffen. Denn das, was die Parteien in ihren Wahlkämpfen ausklammern, ist es, was uns in der Vergangenheit auf dem falschen Fuss erschwischt hat. Im Sinne einer bessern Politik wäre es besser, das zu vermeiden. Das würde dann auch mich freuen!
Herzlichen Glückwunsch, Claude! Ich hoffe natürlich, dass die neuen Medien und insbesondere Social-Media bald auch fester Bestandteil der empirischen Wahlforschung werden … Liebe Grüsse, Christian
Herzliche Gratulation! Wohlverdient! Du bist ja auch qualifizierter als die Erbsenzähler da.