power ambition – policy ambition

Kein Machterhalt um jeden Preis ist heute gefragt, wenn es um politische Parteien geht. Vielmehr erwartet man zunehmend klare Antworten auf die grossen Herausforderung der Zeit – gerade auch von den Traditionsparteien.

Eine amerikanische Studie aus den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts fragte nach dem Motiven für den Einstieg in die Politik. In der stärksten Vereinfachung unterschieden die beiden Autoren zwischen power or policy ambition. Zu deutsch: Man wird politisch aktiv, weil man an die Macht will (was in der klassischen politikwissenschaftlichen Definition auch die Kernaufgabe von Parteien ist) oder weil mein ein bestimmtes politische Projekt verfolgt (was gemeinhin eher den Bewegungen und Ein-ThemenpolitikerInnen zugeordnet wird).

Wahlbarometer vom 27.04.2011
Die Wahlbarometersendung von gestern, die das hier skizzierte Thema aufnimmt.

Die Unterscheidung ist für mich treffender denn je, wenn es um die zeitgenössische Schweizer Politik geht. Doch darf sie nicht statisch und polar verwendet werden, vielmehr muss sie dynamisch und vermittelnd eingesetzt werden.

Konkordanzsysteme neigen dazu, zentrale Machtfragen zuerst zu lösen, und Sachfragen danach zu beantworten. Das ist in Konkurrenzsystem umgekehrt. An die Macht kommt nur, wer die Mehrheit der WählerInnenwünsche hinter sich hat, sei es ausgehend von Wahlen oder vermittelt über Koalitionsverträge.

Nun gehöre ich nicht zu jenen, die einem Systemwechsel das Wort reden. Ich stelle aber fest, dass die elektorale Erneuerung der Parteien in den letzten 20 Jahren nur beschränkt über Machtbewahrung, dafür in hohem Masse über Politikformulierung erreicht wurde.

Konkret: Seit 1999 steigt die Wahlbeteiligung national an. Hauptgrund ist die politische Polarisierung. Damit verbunden sind kontroversere thematische Auseinandersetzungen, die den Parteien Profil geben.

In den 90er Jahren profitierte die SP, welche die Schweiz europa-kompatbler machte. Danach bestimmten die SVP und Grünen die Themen – rund um Migrations- und Klimafragen.

Heute geht es darum, was politisch im Zentrum passiert: ganz auf power ambition setzen, wie die BDP rund um Eveline Widmer-Schlumpf, oder ganz auf policy ambition machen, wie die GLP, die mittelfristig aus der Atomenergie aussteigen will?

Ich rate beiden Zentrumsparteien auf Vereinseitigungen zu verzichten. Denn dem Erfolg des Neuen steht die Erfahrung des Bewährten gegenüber. Doch dieses darf sich nicht auf Machterhalt beschränken. Wer das macht, franst heute von den Rändern her aus, weil sich Enttäuschte entweder von der Politik ganz abwenden oder zu ThemenwählerInnen werden, die gerade in der Ausländer- oder Umweltfrage mit dem Angestammten nicht mehr einverstanden sind.

Gefragt ist, den inhaltlichen Kern der eigenen Existenz herauszustreichen und darauf aufbauend Antworten auf die Herausforderungen der Zeit zu geben. Zum Beispiel: Warum es die von der Mehrheit der Regierungsparteien befürwortete Personenfreizügigkeit braucht, was sie wirtschaftlich bringt und gesellschaftlich kostet, und wie wir damit umgehen wollen. Oder: Warum ein Land wie die Schweiz auf sichere Art und Weise mit Energie versorgt werden muss, und wie das angesichts der ungemütlichen Lage nach Tschernoybl und Fukushima wirtschafts-, sozial- und umweltverträglich geschehen soll.

Wenn die Anworten darauf einmal klar sind und erfolgreich vermittelt wurden, können die Sitze im Bundesrat verhandelt werden – nicht umgekehrt. Denn die Antwort auf die Machfrage lautet heute: mit den Kräften koalieren, mit denen man inhaltlich übereinstimmt. Und nicht mehr: mit denen Zusammenarbeiten, mit den sich vielleicht Uebereinstimmungen ergeben.

Claude Longchamp