VOX-Analyse zur Waffeninitiative: von der Sach- zur Wertfrage

Die heute erscheinende VOX-Analyse zur Volksabstimmung über die Waffeninitiative bestätigt den erkannten Parteienkonflikt in der Sachfrage. Sie macht auch auf die Bedeutung der Mobilisierung von gesellschaftlichen Wertekonflikten bei Volksabstimmungen aufmerksam.

Tagesschau vom 08.04.2011

Das Ergebnis zur Volksabstimmung über die Waffen-Initiative vom 13. Februar 2011 war recht klar: 56 Prozent lehnten das SP-Begehren ab. Wer der SVP nahe stand, war mit einer Wahrscheinlichkeit von 93 Prozent gegen die Waffeninitiative; wer in der Regel für die GPS votierte mit einer Probabilität von 89 Prozent dafür. Mehrheitlich Ja sagten die SP-Leute, mehrheitlich Nein die SympathisantInnen von FDP und CVP. Die Geschlossenheit war aber geringer als an den Polen. Das zeigt die VOX-Analyse, basierend auf einer Nachbefragung von gut 1500 stimmberechtigten Personen unseres Institut; ausgewertet wurden die Daten durch ein Team unter der Leitung von Politikwissenschafter Pascal Sciarini.

Der Bericht der Uni Genf legt nahe, nicht nur von einer konkreten Sachfrage auszugehen, sondern von einem tieferliegenden Wertekonflikt.

Stark zum Tragen im Prozess der Meinungsbildung kam die Frage, was für eine Schweiz man wolle: eine traditionelle, die sich auf sich selber bezieht, wie die politische Auslegeordnung der Werthaltung ist, oder eine moderne und offene, welche sich als Teil der westlichen Gesellschaft definiert, und sich auch an ihren Standards orientiert, prägten die Entscheidungen zur Waffeninitiative nachhaltig. Damit nicht genug: Wer eine Schweiz mit Vorrechten für die Schweizer will, wer eine starke Armee befürwortet, war in erhöhtem Masse dagegen, und umgekehrt. Oder anders gesagt: Die Vorstellungen der Wunschschweiz sind in einem relevanten Masse politisierbar.

Seit 1 bis 2 Jahren ist das zu einer der wichtigsten, wenn auch nicht einzigen Konfliktlinie bei Schweizer Volksabstimmungen geworden. Die VOX-Analyse zeigt nun, wie diese im konkreten Abstimmungsfall mobilsiert wird: Wer ein Gewehr zu Hause hat, wollte das in seiner Mehrheit auch in Zukunft behalten können. Und wer darüber hinaus in einem Schützenverein ist, war hochgradig motiviert, diese Tradition fortsetzen zu können. Die Kampagnen der Gegnerschaft setzte voll auf dieses Potenzial – und gewann damit. Es gelang ihr in der Polarisierung, die Beteiligung ihrer Potenziale zu befördern. Insbesondere die Mitglieder von Schiessvereinen wurde im Abstimmungskampf weit über das übliche Mass hinaus zu einer Teilnahme motiviert. Besonders bemerkenswert: Diese Motivierung geschah nicht nur bei den Aktiven. Erfasst wurden auch Passivmitglieder, ja selbst die SympathisantInnen von Schützenvereinen waren zahlreich als das Mittel an der Entscheidung beteiligt.

Ergebnisse sind Ergebnisse. Ihre Analyse ist keine Relativierung. Sie ist der Versuch, nachvollziehbar aufzuzeigen, wie Entscheidungen entstehen. Diejenige zur Waffen-Initiative oszillierte, von der Sach- zur Wertfrage. Die Analyse der Meinungsbildung, wie sie erstmals von Paul Lazarsfeld erarbeitet worden ist, kennt diesen Typ seit mehr als 60 Jahren. “Aktualisierung” wird er genannt. Das meint, dass mit einem Abstimmungskampagne ganz bewusst ziemlich konstante, tiefliegende Prädispositionen angesprochen werden, die im Zusammenhang mit eine Sachfrage aktualisiert werden, um sie zur Entscheidungsgrundlage zu machen. Theoretisch ist das Konzept solcher Kampagnen recht einfach; praktisch muss es zum Funktionieren gebracht werden, was nicht immer so schön gelingt wie diesmal.

Claude Longchamp