Zum Hinschied von Werner Ebersold

Es mag sein, dass Werner Ebersold der jüngeren Generation SozialforscherInnen nichts mehr sagt. Den Mitgliedern der Schweizerischen Gesellschaft für praktische Sozialforschung schon, denn er gehört zu den Prionieren der Umfrageforschung in der Schweiz.

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Werner Ebersold ist am Dienstag dieser Woche nach einer längeren Demenzkrankheit fast 86jährig verstorben. 1959 gründete er die Schweizerischen Vereinigung für praktische Sozialforschung, die vor Jahresfrist in Zürich, leider ohne ihn, ihr 50jähriges Bestehen feierte.

Ziel der Gesellschaft war und ist es, parallel zur Marktforschung in der Schweiz auch die Sozialforschung bekannt zu machen. Deshalb trennten sich die GfS von der GfM, urspürnglich vereint, schon früh.

Mehr als 10 Jahre führte man Kurse zu den Methoden der emprischen Sozialforschung durch, wie die Umfrageforschung im gesellschaftlichen Bereich damals noch genannt wurde. Danach ging man 1971 dazu über, dem Gesellschftssekretariat kleinere und grössere Forschungsaufträge aus dem Kreis der Mitglieder zu übergeben. Realisiert wurden sie stets von Werner Ebersold, einem promovierten Oekonomen der Universität Bern.

Zu den ersten Projekten der GfS gehörte die Abklärung der Entstehung von Fremdenfeindlichkeit. Ein zentrales Ergebnis war, dass SchweierInnen mit Kontakten zu ItalienerInnen ein besseres Bild der Einwanderer hatten, als solche, die keine Kontakte pflegten. Bis heute ist dieses Ergebnis x-fach bestätigt, aber kaum je widerlegt worden.

Eine der wichtigen Auftraggeber der Untersuchungen war die damalige Wirtschaftsförderung, heute Economiesuisse, die an einer liberalen Gesellschaft mit Offenheit für ausländische Arbeitskräfte interessiert war. Sie war es denn auch, die als erste mit der Umfrageforschung zur Meinungsbildung bei Volksabstimmung experimentierte. Wieder wurde Werner Ebersold dafür ausgewählt, die Volksentscheidung über den IWF-Beitritt der Schweiz zu untersuchen.

Ein Jahr später, 1977, entstanden aus der Zusammenarbeit von Theorie und Praxis die Vox-Analysen eidgenössischer Urnengänge, die es heute zu den renomiertesten Beispielen der Umfrageforschung in der Schweiz avanciert sind. Realisiert wurden sie anfänglich von der GfS und dem Forschungszentrum für schweizerische Politik an der Universität Bern. Später kamen die Unis in Zürich und Genf dazu, und der Bund finanzierte eine Teil des Unterfangens.

Neun Jahre danach wurde ich von Dr. Werner Ebersold angestellt, als Projektleiter bei der GfS den Ausbau der Vox-Analysen namentlich gegenüber Medien voranzutreiben. Mit Vorliebe nannte Werner Ebersold die VOX eine Analyse der Taktik in einer konketen Entscheidung, während sein neues Projekt Uni(versal)Vox die langfristigen Veränderungen untersuchen sollte, damit sich die politsichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteure strategisch positionieren konnten. Die finanzielle Dimension dieses Unterfangens verlangte es, GfS-Gesellschaft und GfS-Forschungsinstitut zu trennen, das eine als gemeinnützigen Verein mit Vertretern der Arbeitgeber, Arbeitnehmer, der Wissenschaft und des Staates, das andere als betriebswirtschaftliches Unternehmen zu führen.

Zwischen 1990 und 1993 übergab Werner Ebersold angesichts rasanter Veränderungen die Leitung des Forschungsinstitut Schritt für Schritt der nachfolgenden Generation. Peter Spichiger und ich wurden alternierend Vorsitzende der Geschäftsleitung. Wir stellten uns gemeinsam der Herausforderungen, Umfrageforschung im sozialen politischen und kommunikativen Bereich zu kommerzialisieren, denn die Beiträge der Universitäten und der Gönner erlaubten es die Führung eines funkitionierenden Befragungsinstituts nicht mehr. Weiters war es unser Ziel, die Arbeit zu professionalisieren, weshalb wir zielstrebig ausgebildete SozialwissenschafterInnen zu beschäftigen begannen. Bis 2004 existierte das GfS-Forschungsinstitut als Einheit, und seither wirken gfs-Zürich und gfs.bern als selbständige Forschungsstellen und führen gemeinsam den gfs-befragungsdienst als Tochtergesellschaft.

Ich habe Werner Ebersold als liberal denkenden Menschen mit starker Bindung an die Schweiz kennen und schätzen gelernt. Er hatte mir früh beigebracht, was ich an der Universität nicht gelernt habe: dass Umfrageforschung nicht nur eine Methode der Sozialwissenschaften ist, um Daten zur Testung wissenschaftlicher Theorien zu gewinnen, sondern auch ein Instrument ist, um der gesellschaftlichen Praxis Entscheidungsgrundlagen für Akteure zu beschaffen. Gelernt habe ich in seinem kleine Laboratorium in Zürich auch, dass die Visualisierung ein wichtige Form der Kommunikation von Wissenschaft ist, auch wenn sie ihrerseits Gefahren der Vereinfachung in sich birgt.

Der Sozialforscher der ersten Stunde stand meiner Neigung, Sozialforschung mit elektronischer Medienkommunikation zu popularisieren, eher skeptisch gegenüber. Als ich einmal bei ihm zu Hause zum Mittagessen eingeladen war, änderte er seine Meinung, holte seine drei Kinder und vier Kindeskinder zu sich, um mir mit grosser Erfüllung zu erklären, immer wenn ich etwas aus gfs-Forschungen im TV erzähle, rufe er alle seine anwesenden Nachfahren vor den Bildschirm. Es war das einzige Mal in unserer Begegnung, in der er mich auch duzte.

Ich verdanke Werner Ebersold viel: Den Blick fürs Praktische. Die Sicht auf die Gesellschaft als Ganzes. Den Hang zur Geschichte, um die Gegenwart zu verstehen. Nur seine Leidenschaft für türkische Teppiche teilte ich nicht im gleichen Masse. Ich mochte es nie, durch die Lüfte zu fliegen, wanderte lieber auf dem festen Boden der Städte. So freut es mich, das Werner Ebersold noch kurz vor seiner Erkrankung, mit seiner lieben Frau Henriette wenigstens einen Teil einer meiner Stadtwanderungen in Bern mitmachen konnte.

Claude Longchamp