Schlüsselfigur Rime?

Morgen Dienstag finden die Hearings statt, bei denen die Fraktionen der Bundesversammlung den KandidatInnen für die Bundesratswahlen den Puls fühlen. Allgemein rechnet man damit, dass sich danach abzeichnet, wer zurecht in der FavoritInnen-Rolle schlüpft. Denn aus eigener Kraft schafft es keine Fraktion, die eigene(n) Bewerbung(en) durchzusetzen.

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Jean-François Rime, SVP/FR, könnte zur Schlüsselfigur bei den kommenden Bundesratswahlen werden.

In der LeserInnen-Umfragen auf www.newsnetz.ch ist alles klar: Sommaruga führt, vor Keller-Sutter, unwesentlich vor Schneider-Ammann, aber einiges von Fehr, die ihrerseits sicher vor Jean-François Rime und Brigit Wyss liegt. Das ist seit Tagen unverändert.

Doch das Vorgehen täuscht in mehrfacher Hinsicht: Es wählt die vereinigte Bundesversammlung, keine Online-Community. Und es finden zwei Wahlen statt, je ein für die Nachfolge von Leuenberger resp. Merz. Zudem irrt man womöglich, wenn man alleine von der Beliebtheit ausgeht. Denn die Wahlen in den Bundesrat finden nicht in einer einfachen Wahlrunde statt, sondern einer in mehreren Stufen, die taktische Ueberlegungen zulassen. Die ersten zwei Umgänge sind offen, doch danach scheidet der oder die KandidatIn mit dem schwächsten Ergebnis aus, bis eine Bewerbung das absolute Mehr erreicht.

Die SVP-Gruppe will in beiden Wahlen antreten und jeweils geschlossen für Rime stimmen. Das gibt rund 65 Stimmen. Wyss von den Grünen hat den gleichen Vorteil, als Einzige für ihre Fraktion zu kandidieren, doch bekommt sie aus dieser selber bei geschlossener Stimmabgabe nur 24 Stimmen. Die SP und die FDP werden vorsichtig votieren, denn beide Fraktionen wissen, dass sie ihre Bewerbungen auf die Stimmen des Gegenüber angeweisen sind. Zusammen sind das 98 Zähler. Ohne die Stimmen von CVP und BDP, die zusammen auf 58 kommen, wird niemand gewählt, und genau über ihre Präferenzen weiss man am wenigsten. Insbesondere bei der CVP kursieren mehrere Ueberlegungen: Konservative CVPler aus der Innerschweiz scheinen gewillt zu sein, bei der mindestens FDP-Wahl Rime zu favorisieren, um die SVP mit Blick auf die Wahlen ruhig zu stellen. Die Parteispitze und mit ihr wohl auch die Mehrheit der Zentrumsfraktion werden für die Offiziellen von SP und FDP votieren und dafür auf Gegengeschäfte hoffen. Das dürfte auch bei der BDP so sein.

Bei der ersten Wahl haben die beiden SP-KandidatInnen ein gemeinsames Potenzial von rund 180 Stimmen. Selbst wenn es bei der CVP AbweichlerInnen und leere Wahlzettel an verschiedenen Orten geben sollte, können sie mit 165 bis 170 Stimmen rechnen. Im besten Fall ist eine der beiden Bewerberinnen klar vorne und gewählt. Im schlechtesten Fall haben bei SP-BewerberInnen je 82 bis 85 ParlamentarierInnen hinter sich, während Rime auf 76 bis 81 kommen dürfte. Die Chancen sind damit intakt, dass beide SP-Kandidatinnen ins Finale kommen, der Sitz also an die SP geht. Aus Sicht der SP wäre es deshalb riskant, eine Kandidatur forcieren zu wollen.

Bei der zweiten Wahl treten die SVP und die Grünen gegen die FDP an. Bekommen die Freisinnigen alle Stimmen der übrigen, reicht das für rund 155 Zusagen, verteilt auf zwei BewerberInnen heisst das, 75 bis 80 Stimmen. Nicht auszuschliessen ist, dass einige Stimmen aus der CVP und der BDP an die SVP gehen, und bei der SP ebenso vereinzelte ParlamentarierInnen für die Grünen votieren, wenn sie ihre Kandidatin im Bundesrat wissen. Das nützt der Grünen Wyss nicht viel, denn sie dürfte selbst bei mehrheitlich linkem Sukkurs als Erste ausscheiden. Doch Rime könnte auf mindestens so viele Stimmen kommen wie in der ersten Wahl. Damit ist als Variante gut denkbar, dass Rime eine der beiden Bewerbungen aus der FDP aus dem Rennen wirft, ohne dass die andere gewählt ist. Damit würden sich am Schluss je eine Kandidatur aus der FDP und der SVP gegenüber stehen – mit unsicherem Ausgang. In dieser Ausmarchung ist demnach nicht nur personell, parteipolitisch mehr offen, als das bei der ersten Wahl erscheint. Die FDP kann sich dieser Selektion durch die SVP nur dann sicher entziehen, wenn sie alles auf die Karte setzt, die im Parlament die besseren Chancen zum Stich hat.

Es mag sein, dass am Schluss Sommaruga und Keller-Sutter obsiegen, wie das die LeserInnen des newsnetz gerne hätten. Ob Sommaruga oder Fehr vorne sind, weiss man nach den Hearings vielleicht besser. Bei der Paarung Keller-Sutter und Schneider-Ammann, ist nicht auszuschliessen, dass Rime den Ausschlag in der Personenauswahl gibt, und damit selbst bei einer Nichtwahl zur Schlüsselfigur dieser Wahl wird.

Claude Longchamp