#Bankenkrise: Mehrheitliche Skepsis gegenüber der vorliegenden Uebernahme

Die erste Umfrage vin gfs.bern zur Bankenkrise zeigt: Wut und Verunsicherung bei einer Mehrheit der Schweizer Stimmberechtigten. Die Unterstützung des Bundes für die Übernahme der CS durch die UBS stößt entsprechend auf Skepsis. 35% sind eher einverstanden, 54% eher nicht.


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Quelle: Swissinfo.de

Drei Forderungen werden mehrheitlich stark akzeptiert; es sind dies:
Die Verantwortlichen für die VS Strategie müssen zur Rechenschaft gezogen werden.
Es brauche griffige Massnahmen gegen die Abzockerei im Bankenwesen.
Es müsse aufhören, dass die Gewinne privat und die Risiken verstaatlicht würden.

Den höchsten Werte für die Glaubwürdigkeit findet sich bei der Schweiz. Nationalbank. Es folgen der UBS-Verwaltungsrat resp. der Bundesrat.
Unter den Parteien führt die SP, gefolgt von der Mitte, den Grünen, der SVP, der GLP und der FDP.
Das Management der CS findet sich am Ende der Skala.

Die lässt die Schlüsse zu, dass die Aufwallung der öffentlichen Meinung hoch ist, harte Forderungen gegenwärtig durchaus akzeptiert werden und die Hauptakteure glaubwürdig sind. Parteipolitisch dürfte Mitte/Links profitieren dürfte, allen voran die SP.

Bestellt wurde die Umfrage von SFRNews nach der Entscheidung der Behörden. Durchgeführt wurde die Umfrage mittels offener Online-Umfrage, die nachträglich gewichtet wurde. Hier der ganze Forschungsbericht:
https://www.gfsbern.ch/de/news/

Eidg. Abstimmung über der Klima- und Innovationsgesetz: Vorteil für die Ja-Seite, Restunsicherheit bleibt

Die Umsetzung der Energiewende ist ein zentrales Thema der jetzigen Legislaturperiode. Der erste Versuch scheiterte. Nun kommt es mit dem Klima- und Innovationsgesetz zu einer modifizierten Zweitauflage. Analyse.

Inhalt
Das «Bundesgesetz über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit» (kurz KIG) verankert das Netto-Null-Ziel in der Schweiz bis 2050. Der Bund wird aufgefordert, die Treibhausgasemissionen soweit wie möglich schrittweise zu reduzieren. Verbleibenden Emissionen sollen kompensiert werden. Denkbar sind dabei Aufforstungen, die Speicherung von CO2 im Boden oder die Gewinnung von Bioenergie. Zudem fördert das neue Gesetz Innovationen bei der Energiegewinnung. Und es subventioniert den Ersatz von fossilen Heizungen mit einem Implusprogramm von 200 Mio. CHF.
Abgaben wie im 2021 gescheiterten CO2-Gesetz sind im neuen Vorlage nicht keine vorgesehen.
Trotzdem versteht das Parlament das Gesetz als relevante Roadmap zur Erreichung der Klimaziele im Pariser Klimaabkommen.

Uebersicht über die vier wichtigsten Indikatoren zum Abstimmungsausgang beim Klima- und Innovationsgesetz vom 18. Juni 2023

• Nationalrat: Ja in der Schlussabstimmung/200
• Parolenspiegel: % NRW 2019 des Ja-Lagers
• Medientenor: fög Index
• Umfragen: SRG/gfs Erhebungen

Parlament
Das KIG entstand im Wesentlichen im Parlament. Es wird vom Bundesrat befürwortet. Es versteht sich als indirekter Gegenvorlage zur Gletscherinitiative. Deren InitiantInnen sind bei Annahme des KIG in der Volksabstimmung zum Rückzug bereit.
In der Schlussabstimmung ging die Vorlage mit 139:51 im National- und mit 39:4 im Ständerat durch. Bei Parlamentarierinnen und Parlamentariern der SP, Grünen, GLP und Mitte war das Vorhaben unbestritten. Vereinzelte skeptische Stimmen gab es in den Reihen der FDP. Die SVP stellte sich komplett dagegen.

Referendum
Ein Komitee aus SVP-Grössen hat erfolgreich das Referendum ergriffen. Trotz anfänglichen Schwierigkeiten kam 104’000 Unterschriften zusammen; 50000 wären nötig gewesen.
Gemäss dem Argumentarium der Nein-Seite stösst man sich daran, dass die Stromproduktion zurückgehe und damit die Preise erhöhe. Gekämpft wird deshalb plakativ gegen das sog. “Stromfressergesetz”. Es sei teuer, beinhalte Vollmachten und verlange staatliche Umerziehungsmassnahmen.
Im Dezember 2022 haben sich die Vorzeichen der Volksabstimmung etwas geändert. Denn dem federführenden UVEK steht nach dem Rücktritt von BRin Simonetta Sommaruga (SP) BR Albert Rösti (SVP) vor, selber Mitglied des Referendumskomitees. Er wird im Abstimmungskampf die Position des Bundesrats gegen seine eigene Partei vertreten müssen. Seine Partei wird auf die bekannten personalisierten Angriffe verzichten, aber die Politik der Energiewende umso klarer in Frage stellen.

Parolen
Bis jetzt haben drei Parteien eine Ja-Parole gefasst. Die SP, die FDP und die Mitte sind dafür. Die SVP ist selbstredend dagegen.
Verhalten sich die Parteien gleich wie ihre Mitglieder im Parlament, wird das Ja-Lager durch Parolen der Grünen, der GLP und der EVP verstärkt werden. Die SVP wäre damit parteipolitisch isoliert.
Auf der Ja-Seite befinden sich vor allem Wirtschaftsverbände, aber auch kirchliche Organisationen. Dagegen ausgesprochen habt sich vorerst nur der Hauseigentümerverband. Casafair, eine kleine Vereinigung von HauseigentümerInnen, widerspricht ihm allerdings.

Abstimmungskampf
Die Vorlage ist nicht selbstredend, sie muss erklärt werden. Es besteht in Informationsbedarf im Abstimmungskampf.
Der mediale Abstimmungskampf hat noch nicht begonnen. Es ist mit einem kurzen aber heftigen Abstimmungskampf zu rechnen, der auf ein breites mediales Interesse stossen dürfte. Entscheidend wird sein, ob es beispielsweise in der FDP, allenfalls auch der Mitte zu einem Elite/Basis-Konflikt kommt. Warnhinweise dafür wären ParlamentarierInnen mit Nein-Werbung.
Im Mitte/Links-Lager dürften die Zustimmungsmehrheiten gesichert sein.

Referenzabstimmung
Aehnlich war das Konfliktmuster beim C02-Gesetz. Im Parlament ging die Vorlage mit einer ähnlichen Unterstützungsallianz durch. Der Elite-Basis-Konflikt brach erst im Abstimmungskampf auf.
Dabei mobilisierte die Nein-Seite besser als das Ja-Lager. Hilfreich war die Kombination der Vorlage mit den Agrarinitiativen, vom Bauernverband exemplarisch bekämpft.
Die Zustimmungsbereitschaft sank entsprechend in den letzten Wochen vor der Abstimmung knapp unter 50 Prozent.

Ausblick
Alles spricht für eine labil vorbestimmte Vorlage mit Vorteilen für die Ja-Seite sprechen. Abschliessend gemacht sind die Meinungen nicht. Ohne überraschende Ereignisse im Abstimmungskampf dürfte die Mehrheit dafür bleiben.
Bei einem Ja würde das modifizierte Regierungslage ohne SVP, aber mit GLP gestärkt werden. Denn eine grosse Baustelle der Legislaturperiode konnte mit einem breiten Kompromiss gerade noch rechtzeitig begradigt werden. Sollte die SVP mit ihrem Nein durchkommen, wäre das scharfe Munition für ihren Wahlkampf und die beste Legitimation für BR Rösti, bei der Umsetzung der Energiewende eine Neuanfang zu wagen.

Eidg. Abstimmung über die OECD Mindeststeuer: Vorteile für Ja-Seite, Ausgang etwas offen

Steuerfragen sind Interessensfragen. Sie polarisieren nach der Nutzen-/Schadenseinschätzung. Das ist auch bei der OECD-Mindeststeuer der Fall. Umstritten ist nicht die Einführung an sich, aber die Umsetzung .

Vorlage
Rund 140 Staaten, darunter auch die Schweiz, haben sich dazu bekannt, dass grosse, international tätige Unternehmensgruppen mindestens 15% Steuern auf ihrem Gewinn bezahlen müssen.
Bundesrat und Parlament wollen das für grosse, international tätige Unternehmensgruppen mit mindestens 750 Mio. CHF Umsatz die Mindestbesteuerung realisieren. Für alle übrigen Unternehmen wird sich nichts ändern. Betroffen sind einige hundert Schweizer und über etwas 1000 ausländische Firmen in der Schweiz. 99 Prozent der Firmen sind nicht betroffen. Für diese Ungleichbehandlung muss in der Verfassung eine Grundlage geschaffen werden.
Die national Umsetzung muss Ende 2023 erfolgt sein.

Uebersicht über die vier wichtigsten Indikatoren zum Abstimmungsausgang bei der OECD Mindeststeuer vom 18. Juni 2023

• Nationalrat: Ja in der Schlussabstimmung/200
• Parolenspiegel: % NRW 2019 des Ja-Lagers
• Medientenor: fög Index
• Umfragen: SRG/gfs Erhebungen

Parlament
Im Parlament war nur die Verwendung der erwarteten Mehreinnahmen von 1-2.5 Mia. CHF umstritten.
Die bürgerliche Mehrheit setzte sich für eine Rückvergütung von 75% an die Kantone ein, während 25% beim Bund bleiben sollten. Rotgrün hatte für eine Teilung von 50/50 optiert.
In der Schlussabstimmung passierte die Vorlage recht klar mit 127 zu 59 Stimmen im Nationalrat, mit 38 zu 2 Stimmen im Ständerat. Dafür waren VertreterInnen der SVP, FDP, Mitte und GLP, dagegen SP und Grüne.

Parteiparolen
Drei Parteien haben ihre Parolen für die eidg. Abstimmung vom 18. Juni 2023 bereits gefasst. Die FDP und Mitte und sind erwartungsgemäss im Ja-Lager, die SP entscheid sich für ein Nein. Der neue Parteirat hatte zuvor Stimmfreigabe empfohlen, doch der Parteitag wollte eine klare Aussage.
Erwartet wird, dass SVP und GLP noch ein Ja, die Grünen ein Nein beschliessen werden. Das spricht für eine maximale Polarisierung entlang der ökonomischen Rechts/Links-Achse.
Allerdings gibt es in beiden Lagern prominente Abweichungen, die im Abstimmungskampf noch auftauchen dürften. Innerhalb der SP befürwortet ex- Bundesratskandidatin und Ständerätin Eva Herzog aus Baselstadt die Vorlage. In der Mitte unterstützte Bauernverbandspräsident Markus Ritter während der Detailberatung die Position von links, denn der Bund sein auf Einnahmen angewiesen.

Abstimmungskampf
Das Abstimmungskampf zur Mindeststeuer hat eben eerst begonnen. Vorbereitet erscheint vor allem das Ja-Lager mit economiesuisse in der Hauptrolle. Dafür ausgesprochen haben sich auch zahlreich weitere Wirtschaftsverbände und der Schweizerische Gemeindeverband.
Drei Hauptbotschaften der Ja-Seite zeichnen sich ab:
• keine Steuergeschenke ans Ausland,
• Erhaltung der Schweizer Attraktivität und
• Absicherung staatlicher Leistungen.
Die Nein Seite tritt noch nicht organisiert auf. Konsequent dagegen argumentieren namentlich VertreterInnen der Entwicklungshilfeorganisation Alliance Süd.

Referenzabstimmungen
Eine direkte Referenzabstimmung fehlt; indirekt können aber verschiedene Volksabstimmung zu Steuervorlagen der jüngsten Zeit beigezogen werden. Namentlich sind das
• Unternehmenssteuerreform III,
• Stempelabgabengesetz und
• Verrechnungssteuergesetz.
Ihnen gemeinsam ist, dass sie im Parlament angenommen wurden, im Abstimmungskampf von links her umstritten waren und der Volksabstimmung scheiterten.
Das spricht für eine labil vorbestimmte Vorlage mit Vorteilen für die Ja-Seite, wobei der Abstimmungskampf entscheidet. Diesmal sind die Auswirkungen auf der individuellen Ebene allerdings geringer, sodass die Entscheidung auf der Ebene der Umsetzung, wo das Image der grossen internationalen Unternehmen entscheidet.

Auswirkungen auf die Wahlen im Herbst

Sollte die Linke gewinnen, wäre es vor allem ein Vorteil für die SP für den Wahlkampf. Bei einem Ja ist nicht mit Auswirkungen für eine Partei zu rechnen, aber für die bürgerliche Steuerpolitik.

Claude Longchamp

Veränderte Grosswetterlage wirkt sich auf Wahlabsichten aus

Heute veröffentlichte die Tamedia-Gruppe die erste nationale Wahlumfrage des Wahljahres 2023. Sie zeigt die aktuellen Parteistärken in der Schweiz. Das verstärkt den Eindruck der Restabilisierung. Es legt nahe, dass bei den Nationalratswahlen 2023 die Reihenfolge der Parteien wie vor den Wahlen 2019 wiederhergestellt werden dürfte.


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Die Grünen verlieren in der Umfrage von LeeWas am meisten und liegen hinter der Mitte, wie das vor 2019 bezogen auf die CVP der Fall war. Diese dürfte sich dank der Fusion von CVP und BDP den vierten Platz unter den Parteien und damit einen Bundesratssitz gesichert haben. Dagegen dürften die Aussichten der Grünen auf einen Sitz in der Landesregierung erneut getrübt worden sein.
Die SVP bleibt gemäss Umfrage die grösste Partei. Sie könnte 1.9% zulegen. Leichte Gewinne gäbe es auch für die GLP (+0.7%). Alles andere ist definitiv im Streubereich der Umfrage. Letztlich heisst das, SP, FDP und Mitte haben sich nach den Verlusten 2019 wieder stabil sind.
Nur bei der GLP ist demnach eine Trendfortsetzung von 2019 möglich. Bei den Grünen und der SVP handelt es sich um JoJo-Effekte. Sie gewinnen resp. verlieren einen Teil von dem, was sie 2019 verloren resp. gewonnen haben. Die Pole sind damit nicht stabil. Das deutet auf veränderte Mobilisierung hin.

Vergleiche mit anderen Umfragen und mit kantonalen Wahlen in Zürich
Final ist der Befund nicht. Bis zu den Wahlen 2023 vergehen noch acht Monate.
Die aktuelle Momentaufnahme ist allerdings nicht beliebig. Denn sie bestätigt einiges, was schon das Wahlbaromter der SRG 2022 vorgezeichnet hat. Auch damals verloren Grünen am meisten. Allerdings war die GLP noch im Plus. Das galt auch für die FDP. Der damals diagnostizierte liberale Aufschwung nach der Pandemie-Phase könnte geschwächt worden sein.
Qualitativ werden mit der neuen Umfrage die Ergebnisse der realen Wahlen im Kanton Zürich bestätigt. Auch das verloren die Grünen am meisten, und es legte die SVP am meisten zu. Der Rest fiel in Zürich so gering aus, dass wir schon damals von stabilen Ergebnissen gesprochen haben.
Quantitativ sind die Ausschläge an den Polen aber nicht identisch. Grüne verlieren in der aktuellen Umfrage mehr, auch die SVP gewinnt mehr. Ganz überraschend ist das nicht. Denn die Prognose aus den Zürcher Ergebnissen besagt nur, wer bei den nationalen Wahlen zulegen kann oder verlieren wird, nicht aber wie fiel das sein wird.

Veränderte Grosswetterlage
Den Hauptgrund für den aktuellen Umschwung sehe ich in der veränderten Grosswetterlage. 2019 stand ganz im Zeichen der Klimawahl, geprägt durch einen langen Wahlkampf. 2023 wird durch den Krieg in der Ukraine bestimmt, der auch schon ein Jahr dauert. Der mainstream ging 2019 von den ökologischen Parteien aus. 2023 bieten sich verschieden Kriegsfolgen an: die Flüchtlinge, aber auch die Lebenshaltungskosten kommen vor allem in Frage. Ersteres wird von rechts her bewirtschaftet, letzteres von links her. Aktuell spricht einiges dafür, dass die Wirkungen der Flüchtlingsfrage etwas grösser ist.
Auch das ist nicht ganz überraschend. Denn aus der langjährigen Erfahrung mit Schweizer Wahlkämpfen wissen wir, dass Umwelt- oder Migrationsfragen im weitesten Sinne die entscheidenden Themen im Wahljahr sind: 2003 (Klima), 2011 (Atomenergie) und 2019 (Klima) war es ersteres, 2007 (Ausschaffung) und 2015 (Flüchtlinge) zweiteres. 2023 könnte auch da das Pendel zurückschlagen.

Ein Wissenschafter mit Strahlkraft – zum Tod von Andreas Ladner

Original in der NZZ,14.2.23

Der Politologe Andreas Ladner ist unerwartet 65-jährig verstorben. Die Schweizer Öffentlichkeit verliert eine wichtige Stimme.


Klare Sprache, kluge Einordnungen: Andreas Ladner.

Mit Andreas Ladner ist ein Pionier der Politikwissenschaft in der Schweiz kurz vor seiner Pensionierung unerwartet von uns gegangen. Eine seltene Kombination zeichnete ihn aus: Ladner war mustergültiger Forscher, begeisternder Dozent und gefragter Gesprächspartner in der Öffentlichkeit.

Der 1958 geborene Zürcher war vielerorts zu Hause. Er studierte an der Universität Zürich Soziologie, Volkswirtschaft sowie Publizistik und promovierte 1990 mit einer Arbeit über die Schweizer Gemeinden. Privatdozent wurde er an der Universität Bern, wo er auch als Assistenzprofessor wirkte. In Lausanne bekleidete er eine ordentliche Professur für Schweizerische Verwaltung und Institutionelle Politik. Dort war er auch seit 2016 Direktor des IDHEAP, des Hochschulinstituts für öffentliche Verwaltung. Er verfasste mehrere politologische Handbücher, die in verschiedenen Sprachen erschienen und seine Bedeutung als Wissenschafter belegen.

Schon früh stellte Ladner seine Kompetenz dem Schweizerischen Nationalfonds und dem nationalen Forschungsschwerpunkt NCCR Democracy als Projektleiter zur Verfügung. Mit Smartvote begleitete er ein erstes Projekt der digitalisierten Politik in die Praxis. Die Universität Zürich beauftragte ihn, ein Zentrum für Demokratie in der Schweiz mitzuplanen. Und durch seine Einschätzungen zur Schweizer Politik war er weit über den akademischen Raum hinaus bekannt: Für die Medien war er ein geschätzter Gesprächspartner, weil er klug einordnete, klar sprach und schnell zur Sache kam.

Kennengelernt habe ich Andreas Ladner Mitte der 1980er Jahre. Wir waren beide von der SP Schweiz eingeladen, neue Wege der Verjüngung der Partei durch Wahl- und Mitgliederwerbung zu suchen. Dabei entdeckten wir schnell gemeinsame Interessen.

Unsere Wege kreuzten sich bis in die jüngste Zeit immer wieder. So war ich meist auch über die weniger bekannten Tätigkeiten Ladners im Bild. Zum Beispiel, dass die Migros ihn einst beauftragte, den Nutzen der Investitionen in den Landesring der Unabhängigen (LdU) zu erforschen. Oder dass ihn die damals noch jungen Grünliberalen des Kantons Zürich zu den Chancen einer eigenen Ständeratskandidatur befragten. Oder dass ihn die SVP Schweiz als Experten zur Frühjahrsklausur nach Bad Horn einlud, als die Partei in die Opposition drängte.

Ladner verzichtete in seinen Analysen auf Provokationen und präferierte stattdessen die faktenbasierte Vermittlung und den Kompromiss. Die staatliche Unterstützung der Parteien sah er in der Konkordanzdemokratie als herausfordernde Notwendigkeit, damit ein komplexes Land wie die Schweiz politisch funktionieren kann.

Als langjähriger Gastdozent in seinen Kursen weiss ich auch: Zahlreiche ehemalige Studentinnen und Studenten Ladners sitzen heute im Stände- oder im Nationalrat, wirken in verschiedenen Kantonen als Volksvertreter, arbeiten in der Verwaltung von Gemeinden, Kantonen und Bund, sind als Parteipräsidenten, Verbandsfunktionäre oder Politaktivistinnen tätig. Der Politologe Ladner hat mehr als eine Generation von Leistungsträgern des schweizerischen Milizsystems ausgebildet und geprägt.

Die vielen Reaktionen auf die Publikation seiner Todesanzeige bezeugen die Wertschätzung ihm gegenüber. Er sei ein Menschenfreund, ein unaufgeregter Ratgeber, ein mitreissender Mentor und ein hochanständiger Berufskollege gewesen, lautete der Tenor.

Andreas Ladners Ableben ist ein grosser Verlust für die Schweizer Öffentlichkeit. Das Beileid gilt seiner Familie, seinen Freunden, seinen Weggefährten und allen Personen, denen nun ein wertvoller Mensch fehlen wird.

Claude Longchamp, Bern

Claude Longchamp zu den Baselbieter Wahlen: «Im Baselbiet werden die Weichen neu gestellt»

Original in der BZB, 12.2.23

Politikwissenschaftler Claude Longchamp analysiert, wie EVP-Kandidat Thomi Jourdan bei den Baselbieter Regierungswahlen den Coup geschafft und welche Fehler die SVP gemacht hat.

Herr Longchamp, wie gross ist Ihre Überraschung über den Ausgang der Baselbieter Wahlen?

Claude Longchamp: Es ist eine Überraschung mit Ansage. Nüchtern betrachtet herrscht extreme Stabilität im Kanton Baselland. Alle vier Bisherigen wurden wiedergewählt, sogar in der gleichen Reihenfolge wie 2019. Wenn man bedenkt, was in den vier Jahren alles passiert ist – Klimawahl, Frauenwahl, Pandemie, Ukraine-Krieg, Energiekrise – ist das ein Zeichen höchster Stabilität.

Bemerkenswert ist ja Platz 5, wo EVP-Kandidat Thomi Jourdan die anfängliche Favoritin Sandra Sollberger klar hinter sich liess.

Schon Thomas Weber landete als SVP-Regierungsrat vor vier Jahren auf dem fünften Platz. Damals aber mit einer hausinternen Konkurrenz. Dieses Mal gab es eine Bewerbung aus der politischen Mitte. Das war eine neue Ausgangslage: Zuvor gab es immer eine klare Polarisierung mit bürgerlich gegen Rot-Grün. Jetzt kam die Möglichkeit des Ausgleichs dazu.

Wo sehen Sie die Gründe für den Coup von Thomi Jourdan?

Er war eine unkonventionelle EVP-Kandidatur: Ein Managertyp, der einen offensiven und für seine Partei extrem personalisierten Wahlkampf geführt hat, der sich auch nicht auf die klassischen EVP-Themen beschränkte. Schon alleine sein Einsatz von Plakaten und Werbemittel ist nicht typisch für die EVP. Er schaffte es, dass plötzlich Spannung im Baselbieter Wahlkampf aufkam.

Sandra Sollberger als anfängliche Favoritin kam dagegen nie richtig auf Touren.

Sie war von Anfang an umstritten. Vielen ist sie politisch zu rechts. Zudem wurden Zweifel an ihrer Kompetenz geäussert. Dazu kommt ein Wahlkampf, der als ziemlich misslungen bezeichnet werden muss. Spätestens nach dem Podium bei der Handelskammer war die Kritik auch von Partnern und auch aus den eigenen Reihen nicht mehr zu überhören. Als Effekt resultierte ein völlig defensiver Wahlkampf, der darauf ausgerichtet war, möglichst wenig Fehler zu machen – für die SVP eine völlig untypische Rolle. Das gab einen Rollenwechsel: Jourdan war in der Offensive und Sollberger in der Defensive. Aus diesem Überraschungsmoment kam Frau Sollberger nicht mehr raus. Deshalb war es eine überraschende Wahl mit Ansage.

Die SVP hat von Beginn weg auf Sandra Sollberger als einzige Variante gesetzt und auch bei den bürgerlichen Partnern war kaum mehr als ein Aufmucken zu hören. War das ein taktischer Fehler?

Die Grundregel bei Konkordanz-Wahlen ist: In die Exekutive werden mehrheitsfähige Personen gewählt, die nicht allzu stark anecken und vertretbar sind für andere Parteien. Die SVP ist aber in den vergangenen Jahren immer wieder mit Kandidaten angetreten, die dieses Profil nicht erfüllt haben. Man wollte den Erfolg erzwingen. So gesehen war Sollberger eine nachvollziehbare Kandidatin. Eher überraschend war für mich, dass dieses Vorgehen in den bürgerlichen Parteien mit verhaltenster Kritik geschluckt wurde mit dem Ziel, so die Regierungsmehrheit zu sichern.

Was bedeutet es für Thomi Jourdan, Regierungsrat zu sein als Vertreter einer Kleinstpartei?

Das ist ein Vertrauensvorschuss in ihn als Person, politisch aber eine Herausforderung. Schweizweit gesehen ist es nicht ein ganz neues Phänomen. Für mich ist die Wahl ein Ausdruck, dass sich das politische Zentrum im Umbruch befindet und neu formiert. Es wird nicht mehr eindeutig von der Mitte, also der früheren CVP besetzt. Bisher hat man vor allem den Grünliberalen zugetraut, hier die Parteienlandschaft neu zu prägen. Die EVP hatte man eher weniger auf der Rechnung. Wenn man aber die kantonalen Wahlen dieser Legislatur anschaut, hat diese nach den Grünliberalen und den Grünen die drittbeste Bilanz.

Welche Schlüsse kann man aus dem heutigen Tag für die nationalen Wahlen im Herbst ziehen?

Mir fällt auch bei den Parlamentswahlen die grosse Stabilität auf. Luft ist bei der GLP drin, wohl zu Lasten der Grünen. Und es baut sich sachte etwas Neues rund um die Mitte-Partei auf. Was auch die Wahlen im Kanton Zürich gezeigt haben: Allen disruptiven Ereignissen zum Trotz bleiben die Verhältnisse stabil. Die Stimmbevölkerung reagiert auf die Verunsicherungen nicht mit Wut, was eine Voraussetzung für Änderungen wäre, sondern mit Angst, was den Status Quo stärkt.

#Frischgebloggt: Vor einer Stärkung Mitte/Rechts im Züricher Kantonsparlament

Die Umfrage des Tagesanzeigers zu den Kantonsratswahlen 2023 zeigt – wie die vorangegangene Erhebung der NZZ – Gewinne für GLP, FDP und Mitte. Doch sind sie teils grösser. Das gilt auch für die Verluste von Grünen und SP.

Tabelle: Umfrage-Ergebnisse zu den Kantonsratswahlen im Kanton Zürich, verglichen mit dem Endergebnis 2019

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Die Ergebnisse einzeln
Mit einem Plus von 1.5 Prozentpunkten ist die GLP bereits jetzt Umfrage-Wahlsiegerin. Ein Plus im 1-Punkte-Bereich gibt es für FDP und Mitte. SP und Grüne verlieren je 1.5 Prozentpunkte, die SVP 0.5 Prozentpunkte.
Das jedenfalls berichtet der heutige Tagesanzeiger aufgrund einer Erhebung von sotomo im Januar 2023. Die Summe der Veränderungen als Mass für die Volatilität der Wahl liegt insgesamt bei 7 Prozentpunkten.
Allerdings gilt es bei allen Zahlen von Sotomo zu berücksichtigen, dass sie auf einen halben Prozentpunkt gerundet wurden. Das war bei der NZZ-Erhebung, Ende Dezember 2022 von gfs.bern durchgeführt wurde, noch anders. Denn die Umfrageergebnisse wurden ungerundet kommuniziert.

Der Vergleich mit 2019
Generell gilt es zu beachten, dass die Wahlen 2019 ausserordentlich waren. Die effektiven Veränderungen in den Parteistärken fielen mit der Klimawahl dreimal stärker aus, als sie sich jetzt ankünden. Die Volatilität hat sich demnach wieder normalisiert.
Bei den Grünen, der FDP und der Mitte sollte man zudem von JoJo-Effekten ausgehen. Die FDP und die Mitte legt zu, nachdem sie Verluste hatte. Und bei den Grünen ist es umgekehrt. Sie verliert, nachdem sie viel gewonnen hatte.
Anhaltende Trends gibt es nur bei den Polparteien SVP und SP. Sie bleiben zwar die stärkste resp. zweitstärkste Partei im Kanton Zürich. Doch büssen sie weiterhin Wählenden-Anteile ein. Bei der SVP ist der Trend immerhin verlangsamt.
Diese Einschätzung stimmt weitgehend mit der überein, die man aus der NZZ-Erhebung ableiten konnte.

Erst Umfrage, noch nicht die Wahl
Das Bild, das hier gezeichnet wird, ist Umfrage-basiert. Es muss nicht mit dem Endergebnis genau übereinstimmen. Denn die Wahl ist erst am 12. Februar 2023. Da liegt noch der Hauptwahlkampf dazwischen.

Claude Longchamp

#Frischgebloggt: Der Bisherigen-Bonus spielt weitgehend

Nun liegt die zweite Umfrage zu den Zürcher Regierungsratswahlen vor. Sie bestätigt die Ergebnisse der ersten Umfrage, wonach die Bisherigen Wiederwahlchancen haben. Sie zeigt aber im Kampf um den siebten und entscheidenden Platz ein knappes Rennen.


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Erstellt wurde die neue Umfrage von sotomo für den Tagesanzeiger, während die erste von gfs.bern stammte und in der NZZ erschien. Diese ist im Dezember 2022 gemacht worden, jene stammt aus dem Januar 2023. Beide Erhebungen sind nach einem offenen online-Mitmach-Verfahren gemacht, dessen Ergebnisse nachträglich gewichtet wurden.

Gemeinsames und Unterschiedliches
Zunächst überwiegen die Gemeinsamkeiten in beiden Erhebungen. Die Reihenfolge ist vergleichbar. Klar vorne sind zweimal Mario Fehr (parteilos), Natalie Rickli (SVP) und Ernst Stocker (SVP). Es folgen Martin Neukom (Grüne), Jacqueline Fehr (SP) und Carmen Walker Späh (FDP), alle einiges über dem ominösen Strich für den siebten Platz.
Nahe daran sind Silvia Steiner und Priska Seiler Graf. Bei der gfs.Bern-Umfrage lag Steiner noch vorne, bei der Tamedia-Erhebung sind sie punktgenau ex aequo.
Die anderen Regierungsratskandidaten liegen übereinstimmend zurück. Das gilt in beiden Umfragen sowohl für Peter Grünenfelder als auch Benno Scherrer. Im Normalfall reicht das nicht, um massgeblich ins Geschehen eingreifen zu können.

Trends im Wahlkampf?
Man könnte auch versucht sein, die beiden Umfragen als Trend-Instrumente zu lesen. Dies obwohl sie von verschiedenen Instituten gemacht wurden.
Etwas verbessert hätten sich demnach Rickli, Seiler Graf und Scherrer. Bei Seiler Graf könnte das entscheidend werden. Verschlechtert hätte sich einzig Neukom, ohne dass es Auswirkungen auf die Wahl zeigt.
Bei allen anderen wären die ausgewiesenen Veränderungen im Unsicherheitsbereich und sollten nicht überbewertet werden.
Aber eben: Es sind zwei verschiedene Umfragen! Streng genommen, ist das überinterpretiert.

Regel bei Majorwahlen
Generell bestätigt sich, dass Bisherige gute Wiederwahlchancen haben. Das gilt selbst für den ex-SP-Regierungsrat Mario Fehr, der erstmals als Parteiloser antritt. Entscheidend ist, dass Bisherige in keinen Skandal verwickelt sind.
Umstritten ist im Wahlkampf namentlich der Umgang der Justizdirektion und alten Daten. Man kann das als Grund sehen, dass J. Fehr diesmal weniger weit vorne liegt als noch 2019. Ihre Wiederwahl scheint aber nicht gefährdet. Zudem versucht die Massnahmen-Gegnerschaft in Sachen Pandemie das Verhalten von Rickli und Steiner bei der Bewältigung der Corona-Krise zu skandalisieren. Im ersten Fall ist es offensichtlich wirkungslos, im zweiten könnte es massgeblich werden.
Entscheidender erscheint mir aber, dass Silvia Steiner mit der Mitte an sich eine recht kleine Hausmacht hat. Zudem sind Themenprofile im Zentrum erschwert. Ihre Wiederwahl dürfte in hohem Masse vom Verhalten der bürgerlich Wählenden abhängen.

Neue haben es ohne Rücktritte schwer
Die Regel zu den Bisherigen besagt auch, dass es Neue schwer haben, gewählt zu werden, wenn kein Rücktritt vorliegt. Dies ist in Zürich diesmal so. Allenfalls schaffte es Nationalrätin Priska Seiler Graf, die neue Kandidatin der SP. Sie kann auf eine grossen Sockel an Bekanntheit setzen, während das insbesondere bei Benno Scherrer nicht der Fall ist. So dürfte die GLP trotz Platz 4 unter den Parteien weiterhin ausserhalb der Regierung bleiben. An Bekanntheit als Politiker fehlt es auch Peter Grünenfelder. Zudem schwankt sein Profil vom EU-Freund bis zu SVP-nahe.

Zweiter Wahlgang möglich
Erinnert sei zudem, dass die Wahl des Regierungsrats im Kanton Zürich in einer Majorzwahl stattfindet. Gewählt sind die sieben Kandidierenden, die die meisten Stimmen erhalten haben, sofern sie im ersten Wahlgang das absolute Mehr erreichen. Beide Umfragen äussern sich nicht direkt dazu, wie hoch dieses liegt.

Vor spannenden Ständeratswahlen im Kanton Bern: Wer kann Hans Stöckli ersetzen?

Die Ständeratswahlen 2023 im Kanton Bern versprechen Spannung. Hans Stöckli, SP-Vertreter in der kleinen Kammer, tritt nicht mehr an. Das gibt Spielraum, selbst wenn mit Werner Salzmann von der SVP als Bisheriger der zweite Sitze gesetzt ist.

Das Feld der Interessierten ist illuster:
. Flavia Wasserfallen von der SP,
. Bernhard Pulver von den Grünen,
. Jürg Grossen von der GLP,
. Lorenz Hess von der Mitte und
. Sandra Hess von der FDP haben ihr Interesse bekundet.
Bereits nominiert sind Wasserfallen und die beiden Hess. Pulver und Grossen dürften in Monatsfrist bestätigt werden.
Denkbar ist auch noch eine Kandidatur aus den Reihen der EVP.


Lesebeispiel: Auf der Horizontalen variieren die Kandidat:innen politisch von links nach rechts, auf der vertikalen von Land zu Stadt (Ort des Politisierens). Der Bisherige Salzmann ist ein typischer Land-Vertreter und der SVP Ständerat steht politisch rechts.
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Wie Ständeratswahlen funktionieren
Ständerat oder Ständerätin wird normalerweise, wer ein kantonales Regierungsamt inne hatte oder eine erfolgreiche Nationalratslaufbahn hinter sich weiss.
Vorentschieden werden Ständeratswahlen im Kanton Bern meist durch die Position im weltanschaulichen Spektrum und regionale Aspekte, vor allem im Stadt/Land-Unterschied. Seit zwanzig Jahren gewinnt jeweils ein Mix aus SVP und SP aber auch Stadt und übrigem Kantonsgebiet. Davor waren bürgerliche Doppel die Regel.
Ferner kommen Geschlecht und Alter sowie berufliche Erfahrungen und Netzwerke lagerspezifisch hinzu.
Neue müssen meist in einen zweiten Wahlgang. Antreten können im Kanton Bern alle mit 3 Prozent der Stimmen im ersten. Faktisch findet aber eine Selektion aufgrund der Stimmenstärke im ersten Wahlgang statt. Nur aussichtsreiche Kandidatur werden weiter gezogen.
Das schmälert vor allem die Chancen der Nidauer Stadtpräsidentin und Grossrätin Sandra Hess als typische Vertreterin ihrer Herkunftsregion. Offener ist der Ausgang bei den vier anderen

Die Konstellation
Aehnlich sind die Voraussetzungen aus Weltanschauung und räumlicher Herkunft bei Pulver und Wasserfallen, vergleichbar bei Grossen und Lorenz Hess. Das erste Duo ist rot-grün und urban bestimmt, das zweite kommt aus dem politischen Zentrum und agglomeriert-dörflichen Verhältnissen.
Flavia Wasserfallen kann namentlich ihr Geschlecht und ihr Alter herausstreichen. Wohl nur sie kann eine Frau in der Berner Ständeratsvertretung sichern. Die einzige aktive Mutter ist auch die einzige KandidatInnen, die Mutter einen Generationenwechsel realisieren könnte.
Ihr Hauptkonkurrent, alt Regierungsrat Pulver – ein Mann – ist älter, aber auch etablierter. Er kann eine anerkannte Tätigkeit im Regierungsrat und als VR-Präsident des Uni-Spitals vorweisen.
Jürg Grossen ist gelernte Elektroplaner ist ein erfolgreicher Unternehmer im Energiebereich. Von den beiden zentrumsnahen Kandidaten ist er der jüngere und aufstrebende. Lorenz Hess hat eine steile Berufskarriere als Kommunikator vorzuweisen, die ihn in verschiedene Spitzenpositionen der Versicherungs- und Getränkewirtschaft gebracht hat. Er ist allerdings mit 62 auch der älteste aller Kandidat:innen.


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Individuelle Profile
Ausser Pulver sind alle hier besprochenen Personen im Nationalrat. Bei den letzten Wahlen erzielte Wasserfallen obwohl Amtsjüngste der Konkurrent:innen am meisten Panaschierstimmen. Sie lag knapp vor Grossen, der wiederum einiges besser als Hess abschnitt. Das spricht für eine gewisse Ueberparteilichkeit vor allem von Wasserfallen, aber auch von Grossen.
Pulver erzielte bei seiner letzten Wahl in den Regierungsrat das drittbeste Resultat, allerdings vor allen drei SP-Kandidat:innen. Auch das lässt auf eine ausgedehnte Akzeptanz schliessen.
Das Netzwerk von Wasserfallen ist namentlich in der sozial- und gesundheitspolitischen Verbandsszene ausgeprägt. Gesundheits- und bildungspolitisch ist Bernhard Pulver bestens verankert. Er kann zudem auf eine (stille) Unterstützung der LGTB-Szene zählen. Jürg Grossen profitiert sicher von seiner Bekanntheit als nationaler Präsident der GLP. Zudem steht auch wichtigen Swisssolar als Präsident vor. Lorenz Hess ist im traditionsverbundenen Jägerverband gut verankert.

Chancen im ersten und zweiten Wahlgang
Die Ausgangslage der beiden Kandidat:innen im rotgrünen Lager dürfte trotz unterschiedlichem individuellem Profil ziemliche ebenbürtig sein. Im politischen Zentrum ist Grossen leicht zu favorisieren.
Wasserfallen und Pulver resp. SP und Grüne müssen noch entscheiden, ob sie gemeinsam oder einzeln in die Ständeratswahlen steigen. Selbst bei separaten Kandidaturen braucht es wohl eine Abmachung für den zweiten Wahlgang. Keine Frau wäre wohl eine Knacknuss für Rotgrün. Aber zwei Rotgrüne könnten sich gegenseitig konkurrenzieren und zu einer Niederlage führen.
Die Chancen von Grossen dürften etwas geringer sein. Zwar ist er ambitionierte Präsident seiner Partei, die er in den Bundesrat führen will. Doch ist seine Hausmacht ist ohne Allianzpartner deutlich kleiner und im Zentrum nicht ohne Konkurrenz. 2019 scheiterte ein vergleichbares Unterfangen vom Kathrin Bertschy noch klar.
Schwieriger vorwegzunehmen sind die Chancen im zweiten Wahlgang. Denn da spielen die Allianzen, namentlich solche mit der SVP. Sind sie rein taktischer Natur, dürften sie kaum große Auswirkungen haben. Anders ist es, wenn sie strategisch sind und auch inhaltlich Sinn machen.

Zwischenbilanz 10 Monate vor der Wahl
Das Feld der Kandidat:innen für die Ständeratswahlen 2023 ist hochkarätig. Die Chancen der Bewerbungen hängen sowohl von der Konstellation wie auch den personellen Profil ab. Ohne taktischen Fehler ist Rotgrün zu favorisieren. Entschieden ist 10 Monate vor der Wahl noch nichts, da auch der Wahlkampf zählt. Und erst der zweite Wahlgang entscheidet.

Claude Longchamp

Frischgebloggt: Die Klimawahl von 2019 setzt sich zwar nicht weiter fort, bleibt aber modifiziert wirksam.

Das Tagesanzeiger-Online veröffentlichte gestern Abend eine Uebersicht über den Formstand der Parteien im Kanton Zürich. Ich habe es nachgeprüft, verdeutlicht und meinerseits eingeordnet.

Tabelle: Kriterien der Tagesanzeiger-Prognose leicht modifiert

dunkle Farbe: Pluspunkte
helle Farbe: Minuspunkte
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«GLP top, SP flop», lautete die Headline des Tagesanzeigers. Es folgen ausführliche Porträts der 9 Parlamentsparteien. Was ist davon zu halten?

Die Indikatoren einzeln
Meines Erachtens sagen die verwendeten Ziele der Parteien am wenigsten aus. Denn sie sind naturgemäss alle im Plus. Wer nimmt sich schon vor, bei einer Wahl zu verlieren.
Nicht einfach ist die Ummünzung der Abstimmungserfolge und –misserfolge in Wahlergebnisse. Die Parteien nahe dem Zentrum werden bevorzugt. Das Gegenteil muss aber nicht stimmen. So haben die Grünen die eindeutig schlechteste Abstimmungsbilanz. Einiges weniger dramatisch fällt das namentlich bei der SP aus. Ich habe entsprechend der Anzahl Uebereinstimmungen mit der Mehrheit Punkte verteilt.
Aussagekräftiger sind meines Erachtens die Trends bei den letzten Gemeindewahlen. Sie haben die gleiche Logik wie die Kantonsratswahlen. Allerdings sind sie urban geprägt. Denn in den kleineren Gemeinden gibt es keine kommunalen Parlamente. Pluspunkte gab es hier für die GLP, Mitte, GPS, knapp auch für die FDP. Ein Minus resultierte bei der SVP, SP und EVP, knapp auch bei der EDU und AL.
Explizit aufgeführt habe ich zudem die Umfrage der NZZ zu den Kantonsratswahlen. Der Tagesanzeiger zog sie nur als Trend beigezogen. Sie hatte die GLP recht klar auf der Gewinn-Seite, die Mitte, die FDP und die AL knapp im Plus. Ein recht eindeutiges Minus resultierte bei der SP, knapp war es bei der SVP, EDU, GPS und EVP.
Weglassen kann man meines Erachtens dafür die nationalen Umfragen. Im Kanton Zürich entstehen Trends, sie spiegeln sich weniger.

Die Prognose
Bilanziert man all diese Kriterien, kann man die positiven Prognosen des Tagesanzeigers bei GLP, Mitte und FDP nachvollziehen. Das gilt auch für die negativen Vorhersagen für die SP, die Grünen, die EDU und die EVP. Nicht zwingend erscheint nur jedoch, dass sich die SVP halten kann und die AL verlieren wird. Erstere könnte auch leicht verlieren, letztere leicht gewinnen.
Kritisch anmerken kann man, dass der Wahlkampf und die Mobilisierungsaktivitäten der Parteien beim Tagesanzeiger weg gelassen wurden. Das dürfte mit der erwarteten Umfrage des Medium in Kürze folgen.

Meine Einordnung
Meines Erachtens sollte man bei solchen Prognosen auch die effektiven Ergebnisse der letzten Wahlen. Denn sie waren gerade im Kanton Zürich 2019 ausserordentlich. Sie waren die ersten unter dem Eindruck des Klimawandels. Massiv zulegen konnten damals die GLP und GPS, knapp auch die AL. Ihre Sitze hielt die EVP. Ein leichtes Minus resultierte bei SP, Mitte (addiert aus den damaligen Parteien CVP und BDP), EDU und FDP. Klare Verluste gab es 2019 für SVP.
Sollte die Prognose des Tagesanzeigers eintreffen, gäbe es bei der GLP eine positive Trendfortsetzung. Die zentrumsnahe Partei könnte als einzige zweimal hintereinander gewinnen. Mitte und FDP würden nach den Verlusten 2019 eine leichte Trendwende schaffen, nicht aber die SVP. Sie würde sich im besten Fall stabilisieren. Konstant bliebe einmal mehr auch die EVP, während die SP erneut verlöre. Für Grüne und AL wäre die prognostizieren Ergebnisse eine Trendumkehr. Vor allem der Siegeszug der Grünen wäre gestoppt.

Grafik: Entwicklung der Sitzverteilung im Zürcher Kantonsparlament

Grafik anclicken, um sie zu vergrössern

Bisheriger und neuer Trend
2019 war das Fazit schnell gezogen. Gewinnerinnen waren die grünen Parteien im Zentrum und links davon. Vor allem die SVP führ eine Niederlage ein. Die Klimawahl wirkte sich massiv aus.
2023 könnte die Bilanz lauten: Zentrumsnahe Parteien werden gestärkt, ein Minus gibt es für die Linksparteien. Das wäre eine Gegenbewegung zur Klimawahl.
Bei aller Spekulation: Nicht übersehen sollte man, dass die prognostizierten Veränderungen deutlich geringer als vor vier Jahre ausfallen. Man wird von stabilisierten Verhältnissen mit Veränderungen im bisher bekannten Rahmen sprechen können.
Die Klimawahl von 2019 setzt sich zwar nicht weiter fort, bleibt aber modifiziert wirksam.