46% Ja zu 49% Nein – eine Leseweise

Aktuelle Zahlen sind das Eine. Trends das Zweite. Vergleiche mit früheren Abstimmungen das Dritte. Und die sprechen für ein zuverlässiges Abbild der Meinungsbildung in den Umfragen zur Durchsetzungsinitiative.

Nüchtern betrachtet, kann man aus der Momentaufnahme zu den Stimmabsichten bei der Durchsetzungsinitiative nicht entscheiden, ob sie angenommen oder abgelehnt wird. Die Differenz ist gering und die Messwerte sind unter Berücksichtigung des Stichprobenfehlers für sich genommen nicht eindeutig. Hilfreicher ist der Vergleich beider Momentaufnahmen zu den Stimmabsichten. Perspektivisch legt dieser nahe, dass sich das Nein aufbaut und sich das Ja verringert.

Das stimmt mit den theoretischen Erwartungen zum Meinungsbildungsprozess bei Volksinitiativen überein, wonach es in Abstimmungskämpfen einfacher ist, gegen etwas als für etwas zu werben.

Nun wissen wir aus Erfahrung, dass genau dieser Mechanismus bei linken Initiativen besser funktioniert als bei rechten. Bei der Masseneinwanderungsinitiative vermehrte sich der Zuspruch mit dem Abstimmungskampf, sodass sich das Ja aufbaute, schliesslich knapp obsiegte.

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Aus meiner Sicht der überzeugendste Beleg für die Richtigkeit der Umfrageergebnisse besteht darin, dass der Trend auffällig dem gleicht, den wir 2010 bei der Ausschaffungsinitiative  feststellten. Damals verringerte sich das Ja von 58 auf 54 in den SRG-Umfragen, und am Ende lag es bei 53 Prozent. Bingo!

Aktuell sind die Messwerte für die Zustimmungsbereitschaft 7 bis 8 Prozent tiefer. Vergleicht man zudem das Profil fällt auf, dass namentlich Teile der FDP- und CVP-Wählenden für die Ausschaffungsinitiativen waren, nun aber gegen die Durchsetzungsinitiative sind.

Eine speziell gestellte Rückerinnerungsfrage in der aktuellsten Befragung belegt dies eindrücklich. Nirgends gibt es so viele, die ihre Meinung seit 2010 geändert haben wie unter FDP Wählenden, gefolgt von der CVP-Basis resp. den Parteiungebundenen. Keine Umkehr ist beim Anhang der SVP resp. bei misstrauischen Bürger und Bürgerinnen nachweislich. Beschränkt der Fall ist dies bei Parteiungebundenen.

Was heisst das alles?

Erstens: Hinweise, dass Umfragen die Meinungsbildung der Bürger und Bürgerinnen nur selektiv abbilden würden, gibt es kaum. Erwartbar wäre das nur dann, wenn es sich um ein Tabu-Thema handeln würde. Das ist bei der Ausschaffung krimineller Ausländer wahrlich nicht mehr der Fall. Denn die Schweiz verhandelt dies seit den Wahlen 2007 prominent in aller Öffentlichkeit, und das Stimmvolk hat bereits in einer gut frequentierten Volksabstimmung darüber befunden.

Zweitens, wenn Unsicherheiten dennoch bestehen, dann wegen …

  • der Kampagnen- und Mobilisierungsfähigkeit der SVP, die gerade in der Schlussphase grösser ist als die aller Kontrahenten,
  • überraschenden Ereignissen, die als Beleg für die Richtigkeit der DSI und Falschheit des Behördenweges gelten könnten
  • der Lage in Europa und der Welt, die nichts mit der Abstimmung zu haben müssen, aber das Gefühl der Angst und den Wunsch nach Schutz in den eigenen nationalen Grenzen befeuern würde.

Das kann man mit Umfragen nicht hinreichend vorweg nehmen, notabene nicht mir solchen, die im Schnitt 19 Tage vor der Abstimmung gemacht wurden.

Claude Longchamp