Was entstehende Quartärmedien gerade der Gemeindekommunikation für Chancen eröffnen

Quartärmedien sind jene Medien, die beispielsweise politischen Akteuren die Produktionsmittel der Kommunikation wieder in ihre eigenen Hände geben. Sie bieten neue Chancen der politischen Kommunikation, die sich gerade Behörden von Städten und grösseren Gemeinde nicht entgehen lassen sollten.

Was ist eigentliche Gemeindekommunikation? – Meine generellste Antwort lautet: Gemeindekommunikation basiert gerade in der Schweiz stark auf dem Gedanken der Versammlungsdemokratie, die allgemein gültige Entscheidungen öffentlich verhandelt, die durch Regierung und Verwaltung vorbereitet und durch Parteien und Interessengruppen abgesichert werden und über die namentlich in Sekundärmedien zuhanden der Bürgerschaft berichtet wird. Das alles löst viele Aufgaben der Gemeindekommunikation, aber immer weniger all.

Uebersicht über Medientypen auf den Oeffentlichkeitsstufen

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Hinter meiner Definition stecken zwei kommunikationswissenschaftlichen Thesen: Die erste besagt, dass öffentlich das Gegenteil von geheim ist. Dabei wird Oeffentlichkeit auf drei Stufen hergestellt: Am einfachsten, aber schwächsten in der meist ungezwungenen Begegnung zwischen Menschen ausserhalb des Privaten, anspruchsvoller und wirkungsvoller in der frei zugänglichen Versammlung mit Rede (und Gegenrede) zur Erörterung eines Thema und Fassung von Beschlüsse, und in den Medien, die über das berichten, was ihre NutzerInnen zu allgemein verbindlichen Entscheidungen wissen müssen, um es selber (nachzu)verhandeln. Die zweite These verweist darauf, dass der Medienbegriff gerade differenziert werden muss: das primäre Medium ist der Mensch, denn seine Kommunikation ist am authentischsten. Das sekundäre ist das Gedruckte von der Zeitung bis zum Buch, die Verbindlichkeit in den Bericht bringen. Elektronische Medien wie Radio und TV werden auch Tertiärmedien bezeichnet, die es erlauben, die Reden mitzuerleben oder das Bewegte mitzuverfolgen, selbst wenn man nicht vor Ort war oder ist. Sie basieren allerdings auf der Trennung von Sender und Empfänger, denn die Produktion von Inhalten der elektronischen Medien beruht mehr noch als bei den gedruckten auf den technischen Fähigkeiten, welche in der Regel nur speziell ausgebildete JournalistInnen mit sich bringen.

Mit der gegenwärtigen digitalen Transformation entstehen neu und immer mehr sogenannten Quartärmedien, deren wichtigste Eigenschaft es ist, Verbreitung und Produktion von Inhalten wieder einfacher zu machen. Bezogen auf die Politik heisst das, dass die Trennung zwischen PolitikerInnen und JournalistInnen wieder abgebaut wird. Neue PolitikerInnen werden auch Berichterstatter, vielleicht werden neue JournalistInnen auch etwas mehr MitentscheiderInnen. Genau da liegt meines Erachtens der springende Punkte für die Gemeindekommunikation. Denn Quartärmedien erlauben es mehr als lokales Fernsehen oder lokales Radio, sich als Behörde direkt ans Publikum zu wenden. Eine einmal eingerichtete Website erfüllt die grundlegenden Voraussetzungen weitgehend. Ein facebook-Auftritt bringt die Information näher ans breite Publikum. Mit Twitter wird es möglich, sind an bestimmte Zielgruppen zu wenden. Und Gemeindeapps erlauben es Informationssuchenden, das Gewünschte direkt auf ihren eigenen elektronischen Geräten abrufen zu können.

In meinem Einleitungsreferat zum diesjährigen Thuner Politforum, das sich ausführlich mit der Gemeindekommunikation beschäftigte, habe ich versucht, genau diese Chancen der neuen Medien herauszuarbeiten. Vor allem für Gemeinden im urbanen Raum mit hoher Mobilität, wachsender Anonymität und differenziertem Publikum sehe ich hier grosse Chancen, sich beispielsweise an neue Generationen zu wenden, die wenig in die Gemeindekommunikaiton integriert sind. Zu den sinnvollen Möglichkeiten zähle ich neben der Informationsvermittlung auch, Identifikationsangebote zu schaffen, vor allem dann, EinwohnerInnen, aber auch Firmen oder TouristInnen wenig über ihren Standort kennen, Vieles aber wissen möchten. Angegangen werden können auf diesem Weg wiederkehrende Klagen darüber, dass Zeitungen immer weniger und immer selektiver über Lokales berichtet würden – und wenn dies der Fall sei, das skandalträchtige überwiegen würde. Quartärmedien machen es möglich, sich direkter und gezielter an richtige Publikum mit eigenen Inhalten zu wenden.

In kleineren Gemeinden mag das alles weniger wichtig sein. Denn da reichen normalerweise die Informationen, die auf direktem Weg mit Begegnungen vor Ort zirkulieren. Sie sind und bleiben eine Stärke der Gemeindekommunikation. Das gilt sogar für grosse Gemeinden, denn Konflikte werden in aller Regel nicht massenmedial gelöst, sondern Kraft des direkten Austausches in der zwischenmenschlichen Kommunikation, die am glaubwürdigsten ist, am meisten Vertrauen schafft und deshalb im Streitfall auch Positionsänderungen ermöglicht. Zugespitzte Kernbotschaft meines Referates in Thun war denn auch: SocialMedia hat viel Potenzial, das es zu nutzen gilt, ist aber nicht die Lösung von Problemen einer Gemeinde.

Claude Longchamp

PS: gfs.bern bietet auf dem Gebiet der Gemeindekommunikation verschiedenen Dienstleistungen an – von der Untersuchung einer abgelehnten Volksabstimmung, über Potenziale sozialer Medien bei Zielgruppen bis hin zu Focusgruppen, um die unterschiedlichen Sichtweisen von Gruppen mit divergierenden Standpunkte im konkreten Streitfalle kennen zu lernen. Gerne beraten wir Sie in diesen Fragen.

Claude Longchamp

Schweizer Wahlen sind integer – ausser bei der Kampagnenfinanzierung

Schweizer Wahlen sind integer – wenn auch mit Abstrichen. Denn bei der Transparenz der Kampagnenfinanzierung harzt es, wie ein internationaler Forschungsbericht darlegt.

Gestern erschien der Bericht “The year in elections 2015”. Verfasst hat ihn das Kernteam des “Electoral Integrity Project”. Die Leitung liegt bei der renommierten Harvard-Professorin Pippa Norris, das Management beim Schweizer Politologen Alessandro Nai. Seit 2012 hat das weltweite Netzwerk an LänderspezialistInnen 180 nationale Wahlen in 139 souveränen Staaten untersucht. Mit dem aktuellen Report wurden auch die Schweizer Parlamentswahlen erstmals geprüft.

Ziel des weltweiten Projektes ist es, “elektorale Integrität” zu messen. Was abstrakt tönt, ist handfest: 49 Indikatoren, aufgeteilt in 11 Dimensionen, haben die PolitikwissenschafterInnen der Harvard resp. Sydney University entwickelt, um nationale Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen beurteilen zu können. Im Experteninterview, das darauf aufbaut, kommt der ganze Wahlprozess zu Sprache – vom Festlegen des Wahlrechts bis zur Resultatepublikation alles. Jeweils 40 Fachleute beurteilen anonymisiert die Wahl je Land. Ihre Bewertungen fliessen in einen Index von 0 bis 100 ein. Wer im Schnitt keine 40 erreicht, bekommt die Note “misslungene Wahl”.

Uebersicht zu den Wahl-Bewertungen des Political Integrity Projects für das weltweite Mittel, den Benchmark Dänemark und die Schweiz
peiindex
Quelle: The year in elections 2015. Febr. 2016
(www.electoralintegrityproject.com)
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Misslungen sind die Schweizer Parlamentswahlen beileibe nicht. Denn die Note lautet über alles 79 (von 100). Die Schweizer Wahlen rangieren damit global gesprochen an 11. Stelle. Spitzenreiter ist neuerdings Dänemark mit 86 von 100 möglichen Punkten. Vor der Schweiz liegen mit Ausnahme von Costa Rica europäische Staaten, namentlich die nordischen.

Der Jahresbericht legt aber Schwächen der Schweizer Wahlen offen. Das gilt namentlich für die Regelung der Kampagnenfinanzen. Mit einem Wert von 41 schrammte die Schweiz nur knapp an einer handfesten Kritik vorbei. Zweitgrösstes Problem ist die Medienberichterstattung. Beschränkte Kritik gibt es wegen der Wahlkreisgestaltung und den Auswirkungen auf die Chancen der verschiedenen Parteien.

Der hauptsächliche Mangel bei Schweizer Wahlen überrascht nicht. Auch im Innern gibt es eine wachsende und kritischer werdende Diskussion unter Fachleuten und PolitikerInnen zu Themen wie Parteienfinanzierung oder Geld in Wahlkämpfen. Die Hauptforderung zielt auf Transparenz, weitergehende Massnahmen schlagen eine Oberlimite für Ausgaben vor.

Die empirische Evidenz zu den Folgen der weitgehend ungeregelten Kampagnenfinanzierung blieb bis jetzt recht dürftig. Am ehesten gibt es Hinweise, dass die Bekanntheit und das Image von KandidatInnen mit Geld beeinflussbar sind. Der Nachweis einer gekauften Wahl, beispielsweise im Ständerat, blieb bis jetzt aus. Praktisch in Luft aufgelöst haben sich Versuche, die Höhe der Parteistimmen als Funktion des Geldes aufzuzeigen.

2015 könnte sich hier einiges geändert haben. Zunächst haben SVP und FDP nicht nur am meisten Stimmen hinzu gewonnen. Sie haben auch am meisten geworben und hierzu investiert. Ob der Zusammenhang verallgemeinerungsfähig ist, bleibt vorerst offen. Die bisher erfolgreichste Spur verweist darauf, dass die Langfristigkeit von Werbung mit der Parteistärke korreliert. Denn die frühzeitige Aktivierung vorhandener, aber abgeschwächter Parteibindungen kann werberisch beeinflusst werden, was die Teilnahme und Zustimmung zugunsten einer spezifischen Partei verstärkt.

Das Electoral Integrity Project ist normativer ausgerichtet. Es fragt danach, ob reiche Leute Wahlen oder Sitze kaufen können, ob Kampagnenfinanzen transparent ausgewiesen werden, ob staatliche Ressource für Wahlkämpfe missbraucht werden können und ob Parteien und KandidatInnen gleichen Zugang zu öffentliche Vergünstigungen haben.

Noch sind die Details des Forschungsprojekts zur Schweiz nicht bekannt. Bekannt ist die Bewertungen insgesamt, und auch die Aufteilung der Noten nach Dimensionen kennt man. Sie lassen den Schluss zu, dass die Schweizer Wahlen als Ganzes integer sind, wenn auch mit einigen Abstrichen, insbesondere bei der Kampagnenfinanzierung. Die Schweiz täte gut daran, sich des Themas noch rechtzeitig anzunehmen!

Claude Longchamp