Trendumfragen zu Volksabstimmungen sind mehr als Momentaufnahmen, aber weniger als Prognosen

Dass Umfragen per se keine Prognosen sind, habe ich schon häufig genug betont. Immer klarer wird jedoch auch, dass sie nicht blosse Momentaufnahmen bleiben müssen. Mit der Zahl vergleichbar gemachter Umfragen steigen die Möglichkeiten präzisierter Einschätzungen.

Von Momentaufnahmen spricht man bei einer einmaligen Messung von Einstellungen, Entscheidungsabsichten und Verhaltensweisen. Das ist insbesondere dann sinnvoll, wenn, wie bei der öffentlichen Meinung, Konstanz über die Zeit nicht gesichert angenommen werden kann.

Von Trends sprechen wir, wenn mindestens zwei, besser drei identisch hergestellte Momentaufnahmen vorliegen. Denn das gibt den Zwischenstandsmeldungen eine Perspektive über die Momentaufnahme hinaus. Trends kann man sogar extrapolieren, womit man an sich zu Prognosen gelangt.

Wir haben Ende 2015 als Bilanz unserer Arbeiten für die SRG alle Abstimmungsfragen seit 2008 reanalysiert, neu extrapoliert und hinsichtlich der Trefferquoten bewertet. Mit Trefferquote meinen wir den Anteil zutreffender Mehrheiten.

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Stellt man einzig auf die erste Welle ab, die in der Regel 45 Tage vor der Volksabstimmung erhoben wird, bleibt die Trefferquote klar zurück. Bei Behördenvorlagen bleibt die Mehrheit bis zum Schluss in 56 Prozent der Fälle gleich, bei Volksinitiativen in 71.4 Prozent der Fälle. Die zweite Welle verbessert die Einschätzungen namentlich von Volksinitiativen erheblich. Die Trefferquote liegt jetzt bei 94.3 Prozent, während sie bei Behördenvorlagen nur auf 64 Prozent gesteigert werden kann.

Extrapoliert man die Entwicklungen im Ja- und Nein-Anteil aufgrund von Erfahrungen mit der Schweizer Politik, Abstimmungskämpfen und Trendumfragen auf den Abstimmungstag,  verändert sich das Bild nochmals. Volksinitiativen kennen  jetzt eine Trefferquote von 97.1 Prozent, Behördenvorlagen von 96 Prozent. Der Hauptgrund für die Steigerung bei Behördenvorlagen liegt darin, dass der Anteil Unentschiedener häufig recht gross ist, sodass Aussagen recht vage bleiben. Bei Volksinitiativen kann man mit einer Differenzierung zwischen linken und rechten Vorlagen ebenfalls noch einiges verbessern. So ist es möglich, mittels Extrapolation die Genauigkeit bei der Bestimmung der Mehrheit bei linken Initiativen auf 100 Prozent zu steigern, während sie bei rechten Initiativen einen Sicherheitsgrad von 94.1 Prozent erreicht.

Quantitative Prognosen bleiben schwieriger, insbesondere bei rechten Volksinitiativen. Punktgenaue Prognosen sind bis heute nicht möglich. Denn das Wechselspiel aus Effekten der Mobilisierung und Meinungsbildung bleibt letztlich ein Geheimnis. Hauptgrund hierfür ist, dass man in den letzten Tagen vor der Volksabstimmung in der Schweiz keine Umfragen mehr machen darf. Nur mit solchen käme man diesem Wechselspiel empirisch hinreichend genau auf die Spur.

Umfragen per se haben in der Tat eine nur beschränkte Prognosekraft. Trendumfragen können aber dazu verwendet werden, mittels Extrapolationen auf den Abstimmungstag die Sicherheit qualitativer Aussagen auf jenes Mass zu erhöhen, dass man sich in den Sozialwissenschaften wünscht.