Gekommen, um zu bleiben

Die Ansichten über die Zukunft der BDP gehen weit auseinander: Die einen halten sie für eine kurzfristige Erscheinung in der Schweizer Parteienlandschaft. Andere wiederum sehe sie zu schnell gewachsen, aber als anhaltendes Korrektiv zum Rechtspopulismus.

Eingeladen von der BDP des Kanton Bern habe ich mich seit längerem mit dem Thema auseinander gesetzt. Vorgestern präsentierte ich meine These und meine Argumente. Hier die herausgeschälten Klippen, welche die BDP meistern muss, und die Richtung der Lösungsansätze, wie ich sie der Partei empfohlen habe.

“Die grossen Herausforderung 2015 sehe ich bei den folgenden vier Punkten:
· die Positionierung als eigenständige Partei
· die Etablierung im bürgerlichen Zentrum
· die Schaffung der Voraussetzungen für die Wiederwahl Ihrer Bundesrätin
· die Profilierung als Themenpartei
Die Lösungsansätze hierzu sehe ich wie folgt:
· Sie haben sich entschieden, nicht mit der CVP die Mitte zu stärken. Das ist ein gefährliches Spiel, für das Sie sich entschieden haben. Jetzt müssen Sie aber die Vorteile aus dem Risiko nutzen. Sie müssen konsequent auf Ihre Eigenständigkeit setzten und diese bei jeder Gelegenheit leben.
· Sie müssen Ihr Verhältnis zu FDP.Die Liberalen, CVP und EVP justieren. Einmal sind Sie thematisch Verwandte, im anderen Fall sind sie konkurrierende Cousinen. Es muss klar sein, wo Sie mit wem zusammenarbeiten wollen, und welche Mittel Sie dafür einsetzen. Denn nur so, können sich denkbare Wechselwählende entscheiden, was Ihnen mehr zusagt.
· Es braucht eine klare Aussage zu Eveline Widmer-Schlumpf als Bundesrätin. Auch wenn es für die Schweiz wichtigere Fragen gibt als die personelle Zusammensetzung des Bundesrates: Für Sie ist entscheidend, ob Sie mit, allenfalls auch ohne Ihre Bundesrätin die Rechnung machen dürfen.
· Sie müssen Ihr Trendsetting als Themenpartei klarer sichtbar machen. Jeder und jede muss wissen, was Sie massgeblich waren, dass ein Entscheid zustand kam oder nicht. Jeder muss vor der Wahl einschätzen können, warum es die BDP in der Schweiz braucht.”

Das ganze Referat samt Unterlagen findet sich hier.

Claude Longchamp

Die fiktive Wählerzahl der Parteien

Wie viele WählerInnen haben die Schweizer Parteien? – Eine schwierige Frage.

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Typisches Beispiel für eine Fehlinformation auf Wikipedia: Stimmenanteil statt Wähleranteil

Diese Frage stellte ich meinen Studierenden in der ersten Veranstaltung zu meiner Wahlforschungsvorlesung. Hierzu legte ich ihnen die obige Grafik vor, mit den Parteistärken, wie man sie überall auf dem Internet findet.
Die Antwort aus dem Saal kam prompt, und sie ebenso prompt falsch!
Denn die 26,6 Prozent beispielsweise bei der SVP 2011 bedeuten nicht, dass die SVP von 26,6 Prozent der Wählenden unterstützt wurden. Vielmehr bekam sie 26,6 Prozent der Stimmen. Das ist keine Spitzfindigkeit, sondern ein wesentlicher Unterschied.

Nur in Einerwahlkreisen für den Nationalrat, wo jede und jeder Wählende genau eine Stimme hat, sind Stimmen und Wählende identisch. Was man gerne übersieht, ist die weitere Definition der Stimmen. Denn in jedem Wahlkreis haben die Wählenden so viele Stimmen, wie Sitze zu vergeben sind. Damit hat es in jedem dieser Wahlkreise mehr Stimmen als Wählende.
Wenn nun ein Wählender, eine Wählende Kandidierende verschiedener Parteien wählt, verteilt sie ihre Stimmen auf deren Parteien. Beispielsweise werden in einem Kanton mit 10 Sitzen 5 Stimmen für grünliberale Kantone abgegeben, 3 für solche der FDP und 2 für die GPS. In der Statistik des BfS erscheint sich diese Person auf die drei gewählten Parteien, entsprechend der Stimmen für deren Kandidierenden.
Mit anderen Worten: Jede Partei hat mehr Wählenden als die ausgewiesene Parteistärke vermuten lässt. Nur gehören sie nicht ihnen alleine!

Bis hierher hat das Ganze noch nichts mit Wahlforschung zu tun. Doch der Clou kommt erst noch! Denn das Bundesamt für Statistik weist nirgends aus, wie viele Personen mindestens eine Stimme für eine Partei abgegeben haben. Somit weiss man letztlich auch nicht, wie viele Wählende jede Partei hat.

Eigentlich ist das ein gutes Beispiel, warum es Wahlforschung braucht, selbst bei der elementarsten Informationsbeschaffung. Nur fehlt diese Auswertung meines Wissens bis heute. Denn der Datenschatz gehört den Kantonen einzeln, und die Werten nicht die Listen aus, sondern die Stimmen der Kandidatinnen.

So bleibt es bei der Fiktion, dass man die Wählerstärken der Parteien kennen würde. Das BfS weiss darum, es weist die Wählerzahl der Parteien als Divisor aus KandidatInnen-Stimmen für eine Partei durch KandidatInnen-Stimmen für alle Parteien aus.
Und nennt es die fiktive Wählerzahl! Das sollte man nicht vergessen. Denn es entspricht dem Stimmen- nicht aber dem Wähleranteil.

Claude Longchamp

Rassistische Einstellungen von heute – eine knappe Uebersicht

Die heute erschienene Studienreihe zum “Zusammenleben in der Schweiz” der Fachstelle für Rassismusfragen zeichnet ein neues Bild der aktuellen rassistischen Einstellungen in der Schweiz.

Rassistische Einstellungen bestehen in der überindividuellen Kategorisierung von Menschen, die im Denken einzelner Personen oder Gruppen systematisch vorkommen. Wenn es eine Rolle spielt, ob mein(e) NachbarIn AusländerIn ist oder nicht, ob er oder sie eine andere Sprache spricht, einer anderen Konfession angehört oder eine andere Hautfarbe hat, liegen Indizien für eine rassistische Einstellung vor. Kommt alles miteinander vor, verdichten sich diese zu einem Gesamtbild. Rassismus ist das noch nicht. Denn dafür braucht es (in der Oeffentlichkeit gemachte) Aeusserungen oder Handlungen, die diskrimierenden Charakter haben. Rassistische Einstellungen sind in aller Regel eine Vorstufe hierzu, die sich in Schriften von Gruppen oder im Denken Einzelner festmachen lassen.

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In der Untersuchungsreihe, die das Forschungsinstitut gfs.bern in den letzten 5 Jahren für die Fachstelle für Rassismusfragen entwickelt hat und die heute vom EDI der Oeffentlichkeit vorgetragen wurde, kam diese Definition rassistischer Einstellungen zur Anwendung. 2014 fiel jede siebte Person, die in der Schweiz lebt, darunter. Zwei Jahre zuvor war der Wert leicht tiefer, vor vier Jahren leicht höher. Man kann es auch so sagen: Ohne einen eindeutigen Trend aufzuweisen, variiert der Anteil rassistischer Einstellungen rund um die genannten 13 Prozent. Bei SchweizerInnen ist der Wert etwas höher als bei AusländerInnen. Er ist wahrscheinlicher, wenn es sich um Menschen handelt, die sich sehr stark mit ihrer Nation identifizieren, egal ob das die Schweiz oder ein anderes Land ist. Eine der früher nachweislichen Determinanten rassistischer Einstellungen ist weitgehend verschwunden: Denn die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession ist kein guter Hinweise mehr für rassistische Einstellungen. Vielmehr steigt der Anteil über das Mittel hinaus, wenn es sich um konfessionslose Menschen handelt. Damit geht einher, dass die parteipolitische Bestimmtheit rassistischer Einstellungen abgeflacht ist. Von SVP- bis SP-SymathisantInnen finden sich zwischenzeitlich ähnliche Werte für Menschen mit rassistischen Einstellungen.

Die Ursachenforschung verweist auf vier Gründe für die heute auffindbaren rassistischen Einstellungen:

. Zunächst die Ablehnung bestimmter Menschengruppen am Arbeitsplatz, insbesondere von Menschen mit asiatischer, arabischer oder afrikanischer Herkunft,
. dann systematisch negative Einstellungen zur Muslimen,
. ferner erlebte Diskriminierungs- oder Gewalterfahrungen und
. schliesslich ein ausgeprägt negatives Bild der behördlichen Ausländer- und Migrationspolitik.

Müsste man es mit einem Wort bezeichnen, was die heutigen Hintergründe rassistischer Einstellungen sind, würde man zuerst auf die Folgen der Globalisierung verweisen. Mit ihr haben Multikulturalität von Gesellschaften zugenommen, sei dies am Wohn- oder Arbeitsort, schreitet die Durchmischung von Konfessionen fort, mehren sich im Alltag Konflikte und ist die Ausländerpolitik zu einem der hauptsächlichen Kritikpunkte geworden. Es spiegeln sich objektive Gründe, die sich aus dem unmittelbaren Zusammenleben ergeben; es zeigen sich aber auch subjektive, die mit den Bildern von Menschen in unserer Gesellschaft zu tun haben. Das kontrastiert erheblich mit der klassischen Auffassung rassistischer Einstellungen, die sich aus der nationalsozialistischen Ideologie Mitte des 20. Jahrhunderts ergeben hat, für die Gewalttätigkeit gegenüber Juden, als Folge von autoritären Denkstrukturen typische war.

Die Studienreihe “Zusammenleben in der Schweiz” zeigt denn auch deutlich, dass zwischen antisemitischen und rassistischen Einstellungen ein nur sehr beschränkter Zusammenhang besteht. Antisemitisch eingestellt sind zwar auch rund 10 Prozent der Schweizer EinwohnerInnen. Auch hier ist kein eindeutiger Trend nachweisbar. Dennoch sind es nicht die gleichen Menschen. Typisch hierfür ist, dass Antisemitismus ein Phänomen von rechts und religiösen Ueberzeugungen ist, das bei Männern häufiger vorkommt als bei Frauen. Antisemitismus hat historischer Wurzeln, ganz anders als die Muslimfeindlichkeit in der Schweiz, die ihren Ursprung in der Gegenwart hat.

Muslimfeindliche Einstellungen kommen heute doppelt so häufig vor wie judenfeindliche. Der Sockel von einem Viertel ist hinsichtlich der Meinungen zu Menschen muslimischer Konfession recht konstant. Muslimfeindlichkeit ist allerdings sehr viel variabler. Denn sie hängt in erster Linie vom öffentlichen Diskurs über MuslimInnen ab, namentlich auch vom Mass der Stereotypisierung entsprechender Menschengruppen. Sie war im Umfeld der Volksentscheidung über die Minarett-Initiative viel höher als jetzt, entsprechend viel auch die Muslimfeindlichkeit in der Schweizer Gesellschaft aus. Gut denkbar ist, dass auch die jüngsten Ereignisse die Muslimfeindlichkeit in der Schweiz wieder haben anschwellen lassen – ohne das eine Gewähr besteht, dass sich der Anteil über 20 Prozent dauerhaft hält.

Klar wird aufgrund der ersten umfassenden Studie zur Situation in der Schweiz, dass rassistische, fremden-, muslim- und judenfeindliche Einstellungen zwar verwandte Eigenschaften, aber nicht deckungsgleiche sind. Der engste Zusammenhang zu den rassistischen Einstellungen der Gegenwart ergibt sich aus der Muslimfeindlichkeit, allenfalls der Fremdenfeindlichkeit.

Claude Longchamp

Drei Szenarien für die Nationalratswahlen 2015

Nach den Wahlen im Kanton Basellandschaft gilt es, Zwischenbilanz zu ziehen, wohin sich die Schweizer Parteienlandschaft entwickelt. Ein Ordnungsversuch aus übergeordneter Warte.

Nach den Baselbieter Wahlen wurde verschiedentlich darüber spekuliert, was sie für die Nationalratswahlen bedeuten. Überwiegend zeigt sich raschen Schlussfolgerungen Skepsis gegenüber, denn in jeder kantonalen Wahl hat es nationale und lokale Elemente. Um gesamtschweizerische Trends ermitteln zu können, empfiehlt es sich eher, alle kantonalen Wahlen zu berücksichtigen. Doch kann auch das täuschen. So kannte die SVP zwischen 2008 und 2011 kantonal eine positive Bilanz, verlor dann aber national. Hauptgrund hierfür ist, dass der Wahlkampf vor Nationalratswahlen intensiver, thematischer und polarisierender ist als in den meisten kantonalen Entscheidungen. Das führt zu einer ganz anderen Mobilisierung, deren Zusammensetzung gerade politisch schwer vorweg genommen werden kann.

Anstatt auf Wähleranteile zu schauen, kann man auch die Muster in den Veränderungen betrachten. Genau das sei hier versucht. Im Überblick kennt man drei vorherrschende Muster: die Stärkung der neuen Mitte, die Polarisierung, der Rechtsrutsch. Anbei ihre Phänomenologie, die Indikatoren hierfür und eine Einschätzung meinerseits der momentanen Wahrscheinlichkeiten.

1. Neue Mitte weiter gestärkt
Gemeint ist damit, dass GLP und BDP zulegen.
Hauptgrund hierfür wäre, dass sich der Trend aus den letzten Nationalratswahlen fortsetzt. Zweifel kommen vor allem bei der BDP auf. Zwar konnte die BDP ihre Rolle als Beschafferin von Mehrheiten beim Bankgeheimnis und bei der Energiewende aufzeigen: Doch scheitert das zentrale Projekt . Denn die Union mit der CVP zur Stärkung der Mitte scheiterte am Widerstand der BDP-Kantonalparteien. Dieser Punkt spricht auch nicht unbedingt für die GLP, denn auch sie zog es nach 2011 vor, sich selber zu profilieren, als an einem starken Mitte-Block zu zimmern.
Elektoral steht die GLP gut da. Bei den kantonalen Wahlen legte sie in der Regel zu, in Wahlbefragungen weist sie konstant ein Plus auf. Anders sieht es bei der BDP aus. In Bern stürzte sie gar in einem Gründerkanton ab, immerhin, in Graubünden und Glarus behauptete sie sich weitgehend. Baselland zeigte nun, dass die Partei ausserhalb der Gründerkantone organisatorisch und personell alles andere als gefestigt ist.
Mit anderen Worten: Die neuen, kleinen Parteien mit Tendenz zur Mitte waren die Hoffnungsträger von 2011. Das hat sich teilweise geändert. Die GLP könnte aus dem Ständerat eliminiert werden und im Nationalrat selbst bei gleichbleibender Stimmenstärke Sitze verlieren. Die BDP wird es schwer haben, sich vor allem im Nationalrat zu behaupten.
Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Szenario im Oktober eintritt, halte ich für recht gering, maximal bei 25 Prozent.

2. Polarisierung zwischen rechts und links

Gemeint ist in diesem Fall, dass vor allem SVP und SP zulegen.
Hauptgrund hierfür ist, dass es das Hauptmuster der Wahlen zwischen 1995 und 2003. Ursache hierfür sind polarisierende Themen. Meist sind es Fragen der Migrationen, allenfalls auch der Umwelt, der Wirtschaft oder der Sozialpolitik. 2015 ist ersteres eindeutig gegeben. Migrationsfragen stehen im Sorgenbarometer meist ganz oben. Zudem verharrt die zentrale Frage der Schweizer Politik – die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative – im politischen Patt. Weder die SVP konnte hier überzeugen, noch haben ihre Widersacher eine umsetzbare Lösung. Vielmehr riskiert die Schweiz hier europa- wie innenpolitisch noch im Wahljahr in eine Krise zu geraten. Kommt hinzu, dass sich die Fragen nach der Aufhebung der Euro-Untergrenze durch die Nationalbank verschärft stellt: Die SVP fordert Deregulierungen für Unternehmungen und politischen Alleingang, die Linke setzt auf Massnahmen, welche die Situation wirtschaftlich abfedert und politisch im Sinne der Annäherung an die EU regelt.
Elektoral spricht einiges für dieses Szenario. Zwar stagnieren SVP und SP im letzten Herbst noch. Bei kantonalen Wahlen weisen sie aber beide ein knappes Plus auf. Die SP profitierte eher in der ersten Hälfte der Legislatur, die SVP in der zweiten. Gleiches findet sich bei Abstimmungen. Bis und mit der Minder-Initiative überwogen die Erfolge von links, namentlich mit der Masseneinwanderungsinitiative wurde die Polarisierung von rechts gestärkt. Massgeblich dürfte hier sein, wie sich die Wirtschaftslage bis Mitte Jahr verschärft und, ob das Thema von einer Seite oder von beiden Polen zur Eigenprofilierung besetzt werden kann.
Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Szenario den Wahlherbst bestimmt, halte ich gegenwärtig für die höchste, wohl bei 45 Prozent.

3. Allgemeiner Rechtsrutsch

Gemeint ist hier, dass das rechte Lager von SVP bis CVP zulegt.
Dieses Muster wäre 2015 nicht ganz neu, denn es kam in Ansätze auch 2007 zum Tragen. Die SVP gewann die Wahl, doch auch die CVP konnte leicht zulegen. Nur bei der FDP.Die Liberalen fehlte ein entsprechender Trend.
Hauptgrund für dieses Szenario ist die Aussicht auf die Bundesratswahlen. Denn bei einer solchen Entwicklung ist damit zu rechnen, dass die BDP aus der Regierung ausscheidet und mindestens Teile der CVP der SVP zum zweiten Bundesratssitz verhelfen. Die gescheiterte Union der Mitte könnte hier die Wende gebracht haben. In den Kantonen wird hier kräftig vorgespurt. Der Trend geht hier Richtung kleiner Konkordanz, neu aber nicht mehr ohne SVP, sondern ohne SP. Baselland war ein deutliches Beispiel, das sich im Kanton Luzern wiederholen könnte. Auch in Zürich ist es denkbar, dass die CVP dank bürgerlicher Allianz wieder eine Regierungspartei wird.
Elektoral sind die Zeichen gemischt. Die SVP ist vor allem in den Kantonen in Fahrt gekommen; bei der FDP.Die Liberalen sind Licht und Schatten gemischt. Negativ bleibt die Bilanz bei der CVP, allerdings vor allem wegen einer herben Niederlage im Wallis. Verbessert hat sich die Befindlichkeit der Parteien. Bei der SVP ist Optimismus nichts Neues, bei FDP.Die Liberalen und CVP schon. Ihre Fortschritte haben sie in einigen kantonalen Wahlen demonstrativ zur Schau gestellt, aber auch in nationalen Abstimmungskämpfen treten sie selbstbewusster auf als auch schon . In Umfragen kommt dies namentlich bei der FDP.Die Liberalen etwas zum Tragen, namentlich deshalb, weil sie die innere Mobilisierung verbessert hat.
Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Szenario im Wahlherbst eintritt, schätze ich auf 30 Prozent.

Theoretisch wäre auch ein allgemeiner Linksrutsch denkbar. Die Wahrscheinlichkeit scheint aber sehr gering. Weder die kantonalen Wahlen noch die Wahlumfragen legen das nahe. Zudem gibt es in verschiedenen Kantonen lähmenden Streit zwischen beiden Parteien . Schliesslich drängt sich wenigstens momentan auch kein rotes oder grünes Thema auf, das die Öffentlichkeit beherrschen würde und die Wahlen bestimmen könnte.

Claude Longchamp

Baselbieter Regierung rückt nach rechts

Die Baselbieter Regierung ist nach rechts gerückt – gefordert sind die SP und das Politsystem, die lernen müssen, mit der kleinen Konkordanz umzugehen.

Nun weiss man es: Die neue Baselbieter Regierung besteht aus Anton Lauber, Thomas Weber, Sabine Pegoraro, Isaac Reber und Monica Gschwind. Gewonnen hat die FDP, die neu die beiden Frauen in der Exekutive stellt, während SVP, CVP und Grüne je einen Mann in der Regierung haben.
Verliererin der Wahl ist die SP, die nach 90 Jahren nicht mehr in der Exekutive des Kantons vertreten ist. Regula Nebiker erreichte zwar das absolute Mehr, schied aber als Ueberzählige aus; schlechter noch schnitt Daniel Münger ab, der auf Platz 7 aussichtslos der Entscheidung zusehen musste.

Die Wahlen in der Basler Landschaft bestätigen einiges von dem, was man über Majorzwahlen für Regierungen weiss:

Erstens, bis Bisherige abgewählt werden, braucht es ein erhebliches Problem. Das war, trotz aller Kritik an den Regierungsmitgliedern, im aktuellen Fall nicht gegeben. So folgte auch diese Wahl der gut bekannten Regel, dass mehr als 9 von 10 wiederkandidierende RegierungsrätInnen die Wahl schaffen.
Zweitens, bei neuen Bewerbungen entscheiden in erster Linie die Allianzen, die hinter ihnen stehen. Die “Bürgerliche Zusammenarbeit, hat es vorgemacht: SVP, FDP und CVP fanden sich unter einem übergeordneten Interesse, bestärkt durch die Handelskammer, zusammen; der FDP gelang es dabei, ihre Favoritin für den beanspruchten Regierungssitz erfolgversprechend einzubringen. Ganz anders das rotgrüne Lager, das sich nicht zu einer gemeinsamen Liste zusammen fand. Die Grünen hatten mit dem Bisherigen, der gemässigt ökologisch politisiert, die bessere Karte, die SP mit dem Rücktritt des bisher Amtierenden die schlechtere.
Drittens, die SP scheute sich, parteiintern auf eine eindeutige Nachfolge zu setzen. Damit riskierte sie viel – zu viel wie sie heute weiss. Denn 2 von 5 wäre entweder zu Lasten des Grünen gegangen oder aber es hätte zu einer rotgrünen Mehrheit geführt. Ersteres verhindert Allianzbildungen, zweiteres ist angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Kanton wenig angezeigt.

Vertiefte Analysen, die man bei Sieger und Verlierer sicher noch machen wird, werden Stärken und Schwäche der KandidatInnen ohne Erfolg in den Gemeinden und im Wahlkampf aufzeigen. Die umstrittene Bildungspolitik des abtretenden SP-Regierungsrats wird hier nicht fehlen dürfen. Nicht übersehen werden darf man aber, dass die letzte grosse Entscheidung im Kanton Baselland die Fusion mit Baselstadt war. Die progressiven Kräfte, die auf Zusammenschluss setzten, kassierte eine kräftige Niederlage. Denn im Baselbiet setzt von ganz hinten im Jura bis ganz vorne in die Agglomeration Basel auf die eigene Identität, die auf Abgrenzung zur Stadt ausgerichtet ist. Darin folgt der Kanton einem grossen Trend, nach dem die Entwicklung in den Kernstädten einerseits, den Agglomerationen und Landgemeinden anderseits unterschiedlich verlaufen.

Die SP befindet sich damit nach fast einem Jahrhundert meist pragmatischer Regierungsarbeit unerwartet in der Opposition. Im Baselbiet herrscht neu eine kleine Konkordanz, mit nur einer starken Polpartei in der Regierung. Das wird die Arbeit in der Regierung vereinfachen; ob sie damit auch in der Bevölkerung gut ankommt, ist nicht eindeutig. Denn die Opposition hat mit dem fakultativen Referendum eine schlagkräftige Waffe in der Hand. Genau das ist jetzt im Kanton, der heute gewählt hat, nicht auszuschliessen. Und genau das muss die SP, in viele kantonalen Regierungs sehr gut vertreten, nun wieder lernen.

Natürlich kann die SP statt sich dieser Herausforderung zu stellen, auch selbst bemitleiden. So ist auch die FDP mit zwei Vertreterinnen in der neuen Regierung über ihrem Proporzanteil vertreten. Doch anders als die SP hat sie das im Verbund mit anderen gesucht und verbunden. Lange bewunderte man die Rotgrünen dafür, dass sie in den kantonalen und städtischen Exekutiven nicht zuletzt wegen einer langfristig angelegten en Allianzpolitik über Sachfragen hinaus übervertreten seien. Nun haben die Bürgerlichen gezeigt, dass sie aus früheren Fehlern gelernt haben, und ihrerseits gewonnen.
Baschi Dürr, Regierungsrat der FDP in Baselstadt, twitterte es heute so: „Ob links oder rechts, Stadt oder Land: Das geschlossene Lager setzt sich immer durch.“ Dem ist nichts beizufügen.

Wahlforschung in Theorie und Praxis – im Wahljahr 2015

Die Vorlesung will Studierende der Politikwissenschaft (oder verwandter Disziplinen) in den Stand der Wahlforschung allgemein und der Wahlanalyse in der Schweiz einführen. So steht es im neuen Vorlesungsverzeichnis der Universität Zürich, und so ist auch mein Plan.

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Das Institut für Politikwissenschaft an der Universität Zürich

2015 ist Wahljahr. In Griechenland, in Grossbritannien – und in der Schweiz! Anlass genug, um über das grosse “www” der Wahlforschung nachzudenken: Wer wählt wen warum mit welcher Wirkung?

Wahlen auf EU-Ebene
Die Wirkungen von Wahlen haben uns die Wahlen in Griechenland gezeigt. Es war kein normaler Machtwechsel. Es war ein eigentlicher Politikwechsel in Sachen Austerität. Und es war ein Zeichen für mögliche Entwicklungen in Spanien oder Frankreich. Denn überall könnte eine neue Linkspartei entstehen, welche die Sozialdemokraten in oder ausserhalb der Regierung konkurrenzieren könnte. In Grossbritannien wiederum könnten die Wahlen im Mai der rechtspopulistischen Ukip zum parlamentarischen Durchbruch verhelfen. Sollten die ersten Wahlerfolge zu einem flächendeckenden Phänomen werden, hätte auch das Konsequenzen für Regierungsbildung und Europapolitik der Briten, wenn auch aus umgekehrter Richtung als die Folgen der griechischen Wahlen. Schliesslich fanden auf europäischer Ebene 2014 Gesamterneuerungswahlen für das Parlament statt. Die Mehrheitsverhältnisse blieben sich im Wesentlichen gleich. Die oppositionelle Rechte wurde aber markant gestärkt. Wenn sie bisher nur bedingt Wirkungen entfalten konnte, hat das auch mit ihrer inneren Gespaltenheit zu tun, bedingt durch nationale Interessen.

Wahlen in der Schweiz
Polarisierung der zentrierten Politik ist nicht nur in der EU, auch in der Schweiz das Leitmotiv der Wahlanalysen in den letzten Jahren gewesen. In den beiden letzten Dekaden hat die unsere Konsensdemokratie einige wesentliche Veränderungen erfahren. Das Parteiensystem ist polarisierter denn je, und es hat sich ausdifferenziert. SVP und SP sind zwar in der gleichen Regierung, bekämpfen sich aber meistens. Mit der GLP und BDP sind neue Parteien hinzugekommen, welche die Allianzbildung in Sachfragen flexibilisiert haben, ohne dass dabei ein neues dominantes Muster der Mehrheitsbildung entstanden wäre. Politologen denken darüber nach, die grosse Konkordanz durch eine kleine zu ersetzen. Das hat Spielräume für neue Volksinitiativen eröffnet, zuerst von ökologischer Seite, dann von rechts, und schliesslich auch in der Mitte, deren Schicksal nicht von Anfang an besiegelt ist. Schliesslich sind Wahlen in der ausgebildeten Mediendemokratie Schweiz von den vielfältigen Mutationen im System der Massen- und Individualmedien betroffen. Nicht nur das Mediensystem ist hybrid geworden, auch die Politik in Stadt und Land ist es.

Wahlforschung in Theorie und Praxis
Die Wahlforschung in der Schweiz hat in den letzten Jahren zahlreiche Fortschritte gemacht: Sie hat sich als Teil der akademischen Lehre und Forschung fest etabliert. Verschiedene Dissertationen und Fachartikel sind entstanden und haben Neues aufgezeigt. Sammelbände zu eidgenössischen Wahlen sind für 2015 angekündigt. An verschiedenen Instituten ist die kritische Masse gut ausgebildeter ForscherInnen entstanden, die sich wissenschaftlichen mit den Wahlen generell, aber auch im eigenen Land stark empirisch interessiert beschäftigt. Ganz offensichtlich sucht man den Anschluss an die internationale Forschungsgemeinschaft, aber auch an die Wahlrealitäten in der Schweiz.
Fortschritte macht die hiesige Wahlforschung aber nicht nur in der Theorie, auch in der Praxis ist das der Fall. Die entstandene Lust gerade junger Forscher und Forscherinnen, sich via Twitter in die öffentliche Debatte über Wahlsysteme der Kantone, Konfliktmuster im Parteiensystem und Medienpräsenzen der Kandidatinen und Kandidaten einzubringen, sind ein untrügerisches Zeichen für Aenderungen im Selbstverständnis der neuen Politologen-Generation. Das verspricht Spannung in einem spannungsreichen Umfeld.

Das Angebot für Bachelor-StudentInnen
Genau solche Ueberlegungen bilden den Rahmen meiner neu konzipierten Vorlesung zur Wahlforschung in Theorie und Praxis. Ausgerichtet ist sie unverändert auf Bachelor-Studendierenden in Zürich. Vorgestellt werden die hauptsächlichen Theorie-Angebote in der Wahlforschung in Politikwissenschaft, Soziologie, Oekonomie, Psychologie und Medienwissenschaft. Präsentiert werden auch die wichtigsten Ergebnisse aus Wahlforschungsprojekten zu Wählenden, Parteien und KandidatInnen. Dabei kommen National- und Ständeratswahlen vor. Schliesslich wird auch die Rolle der Politikwissenschaft im Wahlkampf, in Parteizentralen, im Journalismus und in sozialen Medien diskutiert kommen.
Dabei verfolge ich nachstehende Ziele: Wahlforschung lebendig zu vermitteln; den Stand der Kunst aufzuzeigen, und den Nutzen der Politikwissenschaft vorzuführen, die sich nicht scheut, sich einzubringen. Ich freue mich darauf, heute in 14 Tage mit der Lehrveranstaltung zu den Schweizer Wahlen 2015 starten zu können.

Claude Longchamp