Die Katalysatorfunktion von Volksinitiativen

Die aktuelle Diskussion über Volksinitiativen verengt den Blickwinkel auf das interessantes Volksrecht der Schweiz. Zur Sprache kommt nur die Mobilisierungsfunktion für Parteien bei Wahlen. Gänzlich ausgeblendet wird dabei die Katalysatorfunktion der Volksinitiative für die Politik als solcher.

Politologinnen wie Wolf Linder oder Adrian Vatter, die politische Systeme wie das der Schweiz analysier(t)en, haben dafür mindestens vier Funktionen von Volksinitiativen identifiziert:

. die Katalysatorfunktion, wonach sensible Gruppen der Gesellschaft ihre Forderung aufbringen und zur Diskussion stellen können, um die inskünftige politische Agena zu beeinflussen;
. die Ventilfunktion, wonach Oppositionskräfte Forderungen mittels Volksinitiativen auch ohne parlamentarische Unterstützung durchsetzen können, wenn nur der Problemdruck hoch genug ist,
. die Schwungradfunktion, wonach parlamentarische Kräfte ihre Forderungen mittels Volksinitiativen verstärken können, wenn sie in den Behörden unterliegen;
. die Mobilisierungsfunktion, wonach vor allem an Wahlen beteiligte Parteien und Komitees ihre Schlagkraft im Wahlkampf verstärken können.

Mich interessiert hier die erste am meisten. Voraussetzen muss man dabei, dass sich die politikwissenschaftliche Analyse von Entscheidungen gerne auf Konfliktlinien beruft. Damit meint man tiefgreifende Spaltungen der Gesellschaft, die über die Einzelentscheidung hinaus gemeinsame Merkmale aufweisen und von politischen Akteuren verschärft oder auch aufgearbeitet werden. So kann man die Entstehung neuer politischer Parteien untersuchen; es können aber auch Themenzyklen, die im Entstehen begriffen sind, analysiert werden.

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Ueberblickt man die Volksinitiativen der letzten 10 Jahre, die von Volk und Stände angenommen wurden, kann man sie in vier Themenbereiche einteilen:

. in ökologisch ausgerichtete Volksinitiatven, die den Schutz der Natur propagieren,
. in kulturell orientgierte Begehren, welche Entfremdung im eigenen Land bekämpfen wollen,
. in strafrechtlich relevante Volksinitiativen, die eine härtere Gangart der Justiz verlangen und
. in wirtschaftlich ausgerichtete Begehren, welche die nationalen Interessen und Regeln vor die internationalen stellen.

Darüber hinaus kann man argumentieren, die die meisten der angenommenen Volksbegehren eine gemeinsame Absicht verfolgten. Sie fordern Lösungen für Probleme, die mit der veränderten Stellung der Schweiz in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu tun haben, und zwar vor dem Hintergrund einer globalisierte(re)n Welt. Diese ist gekennzeichnet durch eine hohe Oeffnung der Grenzen in sozialer Hinsicht, durch eine weitrechende Verflechtung der nationalen mit der internationalen Wirtschaft, nicht aber durch eine hohe Interdependenz der schweizerischen Politik mit der globalen.

Genau hier setzt die Idee an, dass die gehäuft angenommenen Initiativen die Schweiz für die Veränderungen auf internationalen Parkett sensibilisieren, ob man das will oder nicht. Sie sprechen ein recht systematisches Politikdefizit an.

Den Reigen eröffnete die UNO-Beitrittsinitiative, 2002 von Volk und Stände angenommen. Mindestens in der Retrospektive muss man allerdings sagen, dass es sich dabei um eine atypische Perspektive gehandelt hatte, letztlich von den Behörden mitlanciert, um den Oeffnungsschritt zu legitimieren. Denn die neun weiteren Initiativen problematisierten das Verhältnis der Schweiz zum Ausland resp. zur Staatenwelt durchwegs in umgekehrter Richtung. Zum Ausdruck kamen von der Politik vernachlässigte Probleme, bei denen sich keine mehrheitsfähige Lösung auf dem parlamentarischen Weg abzeichnete.

Meines Erachtens sind die Gemeinsamkeiten zwischen den angenommenen Volksinitiativen gross genug, um von Symptomen auf einer Konfliktlinie zu sprechen, nämlich der Spaltung der Schweiz in ihrem Verhältnis zwischen Aussen- und Binnenorientierung. Es variieren allerdings die Schattierungen der ausgedrückten Präferenzen von national bis grün. Betroffen ist nicht einfach ein Bereich, sondern impliziert werden Teile der Wirtschaft, der Gesellschaft, der Kultur und des Rechst.

In meiner Analyse haben die Defizit der Politik auch zur konservativen Wende in der Schweiz Politik geführt, wie sie seit 10 Jahren mehrfach diagnostiziert worden ist. Denn die behördliche Politik bestimmt die Sensibilisierung der Oeffentlichkeit für kommende Probleme nicht selber, vielmehr überlässt sie diese Aufgabe der Themen-Opposition, der es zwischenzeitlich gelungen ist, damit das generelle politische Klima in der Schweiz Richtung Binnenorientierung, sprich Beschäftigung mit eigenen politischen Defiziten zu beeinflussen.

Oder konkreter ausgedrückt: Volksinitiativen katalysieren, um in der einleitend entwickelten Terminologie zu bleiben, problematische Themen, die von der Politik vernachlässigt werden. Aus der Systemsicht kann man folgern: Diese muss die vorgebrachten Positionen nicht teilen; es darf aber systematische Konfliktkonstellationen nicht negieren. Vielmehr muss es sich darauf einstellen, dass die Problematisierungen eher noch zunehmen werden, dass sie aber mit Antworten der Behörden besetzt werden müssten. Denn nur so kommen diese angesichts systematischer Veränderungen in der Politik aus der Defensive heraus, in die sie geraten sind.

Claude Longchamp

Kurzanalyse der Meinungsbildung zur Volksinitiative für eine öffentliche Krankenkasse

40 Prozent bestimmt oder eher dafür, 51 Prozent bestimmt oder eher dagegen. Das ist das Hauptergebnis der ersten SRG-Trend-Befragung zur Volksinitiative “Für eine öffentliche Krankenkasse”. Meine Kurzanalyse.

Was konnte man schon vor der aktuellen Umfrage zur Meinungsbildung wissen?

Wir waren uns nicht im Klaren, ob wir die Volksinitiative für eine öffentliche Krankenkasse als “potenzielle Mehrheitsinitiative” oder als “Minderheitsinitiative” klassieren sollte. Erster Grund war, dass von einer grundlegenden Veränderung im Kassenwesen eigentliche alle betroffen sind. Ebenso wichtig war der zweite Grund: Wird die Idee an sich positiv oder negativ gelesen?
In aller Regel stellen wir bei solchen Fragestellungen auf Vergleichsabstimmung ab. Die gaben eine klare Antwort: 2003 und 2007 haben wir über verwandte Volksinitiativen entschieden, und in beiden Fällen war das Abstimmungsergebnis eindeutig negativ. Im aktuellen Fall gibt es allerdings einen Unterschied. Anders als früher geht es nicht mehr um eine nationale Krankenkasse, sondern um kantonal vereinheitlichte. Das reduziert die Zentralisierung des stark föderalistischen Kassensystems.
Frühe Umfragen zur aktuellen Entscheidung, im Rahmen des Gesundheitsmonitors geführt, zeigten eine befürwortende Mehrheit. 65 Prozent waren im Frühsommer 2013 eher für einen Systemwechsel im vorgeschlagenen Sinne. Innert Jahresfrist verringerte sich der Vergleichswert allerdings auf 49 Prozent. Man kann das so sagen: Die Neuauflage der Einführung einer Einheitskasse mit der aktuellen Volksinitiative war eine potenziell mehrheitsfähiges Projekt. Diese Einschätzung beeinflusste auch die Stellungnahme selbst des Bundesrates, welcher der Initiative einen Gegenvorschlag gegenüberstellen wollte. Diesem Vorhaben widersprachen namentlich die Ständeräte. Sie plädierten für einen Verzicht auf einen Gegenvorschlag und einen bereinigten Tisch vor den Wahlen 2015. Damit hatten sie Erfolg, und sie haben so auch die Stimmungslage zur Vorlage beeinflusst. Denn das Anliegen ist eine Initiative aus der Sicht der Stimmberechtigten heute eine Minderheitsforderung.
Drei Sachen während der behördlichen Willensbildung resp. während der Vorkampagne waren entscheidend:
. Erstens, die klare Frontstellung im Bundesparlament zwischen rechten und linken Volks- und KantonsvertreterInnen hat das bürgerliche Lager geeinigt. Abweichende Stimmen sind seltener geworden, vor allem in der deutschsprachigen Schweiz.
. Zweitens, die klare Polarisierung im Parlament hat die Bedeutung der Entscheidung aus Parteiensicht erhöht. Das hat namentlich die Mobilisierungsbereitschaft auf der rechten Seite verstärkt.
. Drittens, die Kostenfrage wurde auf diesem Weg zur zentralen Arena gemacht, in der sich die Kontrahenten streiten.

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Links das wahrscheinlichere Szenario, rechts das unwahrscheinlichere, aber nicht ganz unmögliche bei der Meinungsbildung zur Volksinitiative “Für eine öffentliche Krankenkasse”
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Was nun wissen wir aufgrund der ersten von zwei SRG-Befragungswellen vor den Volksabstimmungen vom 28. September?
Zunächst zeigt Auswertung der gut 1200 repräsentativ ausgewählten Befragten, dass die Ablehnungsbereitschaft rund 6 Wochen vor dem Abstimmungstag jene der Zustimmung überwiegt. Die aktuellen Zahlen lauten 51 Prozent bestimmt oder eher dagegen, 40 Prozent bestimmt oder eher dafür. Im Vergleich zur letzten Volksabstimmung, der Entscheidung über die Einheitskasse, ist das eine Verbesserung beider Seiten in der Ausgangslage. Der Nein-Anteil ist fünf Prozentpunkte höher als zum gleichen Zeitpunkt vor der Abstimmung 2007, und der Ja-Prozentsatz übertrifft den damaligen um vier Prozentpunkte. Man kann das so lesen: In prinzipieller Hinsicht polarisiert die Neuauflage des SP-Anliegens nicht weniger, eher mehr. Die frühe Meinungsbildung im Abstimmungskampf ist weiter fortgeschritten als beim letzten Mal.
Sodann belegt unsere Auswertung, dass die sprachregionalen Unterschiede weitgehend geblieben sind. In der französisch- und italienischsprachigen Schweiz sind 55 resp. 53 Prozent der Teilnahmewilligen bestimmt oder eher dafür. Im deutschsprachigen Landesteil sind es jedoch nur 35 Prozent. Das dürfte, wie in früheren Fällen, die weitere Behandlung des Themas beeinflussen: Die Gegnerschaft kann ihre Positionen diesseits der Saane und des Gotthards offensiver platzieren, während die Ja-Seite gerade hier aus der Defensive wirken muss.
Schliesslich verweist die Befragung auf eine erhebliche parteipolitische Polarisierung. Das bürgerliche Lager tendiert, mit Ausnahme der CVP-Basis, zu einem recht klaren Nein. Die Linke wird mehrheitlich zustimmen. In der sich abzeichnenden Auseinanderbewegung entlang der Parteibindungen können die Initiantinnen maximal bei den parteiungebundenen Bürger und Bürgerinnen punkten. Die Auswertung ihrer Antworten zeigt allerdings, dass sie durch den Mainstream in den jeweiligen Sprachregionen beeinflusst sind.

Was ist bei einer solchen Ausgangslage von der weiteren Entwicklung des Abstimmungskampfes zu erwarten?
Die Kostenfrage steht im Zentrum der Aufmerksamkeit, aber sie hat noch keinen eindeutigen Sieger hervorgebracht. 35 Prozent der Teilnahmewilligen sind überzeugt, dass die Kosten bei ein Ja steigen, 33 hoffen auf eine Senkung. Man kann das auch so sagen: Der thematische Fokus ist durch Vorkampagnen und bisherige Hauptkampagne gesetzt worden: die kommende Dynamik der Meinungsbildung dürfte aber anders woher kommen.
Die Initiantinnen haben mindestens zwei Möglichkeiten: Die Vorteile einer einheitlichen und lebenslangen Betreuung durch eine öffentliche Kasse aufzeigen und vorhandene Schwächen des jetzigen Systems beklagen, so beim Risikoausgleich oder bei Maklerprämien. Ihre Widersacher können auf die Vorteile des Wettbewerbs für die Qualitätssicherung abstellen, und auf die insgesamt hohe Zufriedenheit mit dem jetzigen Split zwischen Grund- und Zusatzversicherung ansprechen. Gut denkbar, dass beide Seiten damit punkten, sprachregional allerdings ganz verschieden.

Claude Longchamp

Die Wahlen 2015 haben sich früh und durchschlagend angekündigt.

2015 wählt die Schweiz ihr neues Parlament und das wiederum bestimmt unsere neue Regierung. 15 Monate davor merkt man das zusehends. Der Vorwahlkampf ist früh voll entbrannt. Meine Auslegordnung der Symptome, und wofür sie mit Blick auf den Herbst 2015 stehen.

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Im Herbst 2015 wählt die Schweiz ein neues Parlament. Der Vorwahlkampf startete dieser Tage unüblich früh.

Ankündigungen von Volksinitiativen
Debatten über Volksinitiativen, die noch gar nicht lanciert sind, zeugen nicht vom medialen “Sommerloch”. Sie sind ein untrügerisches Zeichen des Vorwahlkampfes. Innert drei Wochen änderte sich das Klima in der Schweiz geradezu schlagartig hin zur Polarisierung. Durch eine angekündigte Asylinitiative. Durch eine angekündigte Initiative gegen Entwicklungshilfe. Und durch eine Initiative, die nationales Recht über internationales stellen will. Nun wäre es falsch, einzig die SVP in die Pflicht nehmen zu wollen. Auch die SP, CVP und GPS denken über Wahlkampf-Initiativen nach oder haben sie schon lanciert: Die SP zur Kindergutschrift. Die JUSO zur Verhinderung der Spekulation mit Rohstoffen. Die GPS zu Fair-Food. Nur die CVP zögert noch, ob sie die Bilaterale oder die Krankenversicherung für Kinder ins Zentrum rücken will. Nicht im Initiativ-Geschäft sind BDP, GLP und FDP. Sie haben entweder keine Erfahrung mit dem Instrument, nur schlechte Erinnerungen oder eine vollgestopfte Pipeline. Die Initiativflut zu bemühen ist bisweilen nicht redlich, und es wäre klarer offenzulegen, dass auch die Kritik ein Teil des Wahlkampfes ist. Allerdings sind verbindliche Positionen nur von Vorteil, wenn Parteien in den Wahlkampf ziehen, denn nichts irritiert mehr als die Ankündigung, die dann fallen gelassen wird, sobald die Wahlspannung vorbei ist. Seit 2010/11 wissen wir, dass dem durchaus so sein kann: Eine Rekordzahl an Volksinitiativen wurde angemeldet, aber nicht jede Anmeldung führte zu einer Volksabstimmung. Und nicht jeder Entscheid der BürgerInnen brachte den Initiantinnen den erhofften Durchbruch. Problematisch sind insbesondere jene Projekte, die verhandelt werden, als seien sie bereits gültiges Verfassungsrecht, aber dann einfachste Hürden wie die nötige Unterschriftenzahl nicht schaffen. Diese befeuern lediglich das politische Schattenboxen. Weniger kritisch beurteile ich zustande gekommene Initiativen, denn sie schärfen das Themenprofil der Parteien, was der Wahl wiederum dient. Und werden Initiativen gar angenommen, entsprechen sie dem Volkswillen; dagegen kann man in einer Demokratie nichts einwenden. Sicher, Volksinitiativen sind aus einer Perspektive nicht unproblematisch: Unsere Politsystem ist auf Konkordanz und damit auf Mässigung angelegt. Volksinitiativen sind das Gegenteil davon. Häufig wählen sie das Extreme, um mindestens eine Kontroverse zu provozieren. Gelegentlich werden sie auch mit kompromisslosem Geist vorgetragen und durchgesetzt. Beides erschwert das Regieren in einer Mehrparteienexekutive. Genau das vorzubereiten ist das Ziel von Wahlen. Oppositionsparteien mögen sich einen Deut darum kümmern – Regierungsparteien darf man aus Systemsicht die Frage stellen.

Lancierung neuer Parteien
Ein zweites Zeichen der Vorphase zu den Parlamentswahlen 2015 ist das Auftreten neuer Parteien. Die Ursachen sind an sich mehrschichtig. Beispielsweise, weil Aussenseiter in gestandenen Parteien keine Chance haben, auf eine Liste zu kommen und es Aussen herum versuchen. Beispielsweise, weil es in kleinen Wahlkreise gar keine richtige Auswahl gibt und das zu kurz gekommene Bevölkerungsteile motiviert, Gegensteuer zu geben. Beispielsweise auch, weil Minderheiten in Parteien mit dem Kurs ihrer Partei nicht mehr zu frieden sind und mit ihr brechen. Lange war das ganz an den Rändern des politischen Spektrums der Fall und ein offensichtliches Zeichen der Polarisierung. 2007 änderte sich die Lage, indem sich die GLP von der GPS trennte und vor den Wahlen in die Mitte strebte, um neue Allianzen zu schmieden. Mit Blick auf 2015 ist nun die up!schweiz entstanden. Die Unabhängigkeitspartei der Schweiz. Hervorgegangen ist sie aus dem Jungfreisinn. Deren vormalige Präsidentin, Brenda Mäder, ist das Aushängeschild der neuen Partei. Positionen, die bezogen und eingenommen werden, legen ein libertäres Weltbild offen, wie man es vor allem aus den USA im Umfeld der Republikaner und neuerdings auch aus Deutschland mit der AfD kennt. Mehr Eigenverantwortung, weniger Staat und klare Abgrenzung gegenüber Links kennzeichnen das bisherige Profil. Vieles davon kennt man aus FDP- und SVP-Kreisen. Die FDP ist aber hausbackener und mehr mit der Alltagspolitik beschäftigt – die SVP ist konservativer und mehr darauf bemüht, eben diese Alltagspolitik in eine andere Richtung zu bewegen. Da besteht Platz für IdealistInnen. Man kann sich fragen, wie gross der Anhang der neuen Partei ist. Spürbar ist er in den Sozialen Medien, etwa auf Twitter. Weniger klar ist, wie viele Mitglieder die Partei heute schon hat. Und in Umfragen ist die Partei bisher nie ausgewiesen worden. Fragen kann man sich auch, wie unabhängig die neue Partei ist. Ihr Wahlkampfleiter kandidierte 2011 erfolglos für die FDP Bern, war beruflich im Stab von Bundesrat Blocher tätig, bevor er sich dann als Lobbyist des Gewerbverbandes betätigte. Und bis heute hat er dank Christoph Mörgeli einen Badge, der ihm Zugang zum Parlament erlaubt. Egal, was das alles heisst, klar ist, dass die Grenzlinie zwischen FDP und SVP neu gezogen werden soll. Die SVP ist unverändert der stärkere Part, gewinnt aber nicht mehr auf sicher dazu. Die FDP hat gelegentlich genau in diesem Segment zugelegt wenn die SVP schwach war. Und neuerdings könnte es sein, dass beide Parteien eine von ihnen mitbeförderte Wahlkonkurrenz bekommen haben, vor allem in der Ansprache jüngerer WählerInnen.

Strategische Allianzen
Das dritte zuverlässige Zeichen des Vorwahlkampfes sind kontroverse Diskussionen über Allianzen zwischen Parteien. Koalitionsaussagen, wie man sie im Konkurrenzsystem kennt sind im Konkordanzsystem unüblich. Denn die Stärke einer Partei, allenfalls kombiniert mit Übereinstimmungen, die sie mit anderen Parteien haben, bestimmen die Positionen im System. Üblich geworden sind aber Kooperationen unter Parteien mit gemeinsamen Interessen. Die SP hat sich über eine Wahl hinaus mit der GP arrangiert. Die SVP arbeitet daran, die FDP ins Boot zu ziehen. Klärungen hat es auch in der neuen Mitte gegeben, nach den Wahlen 2007 in Ansätzen entstanden und am Wahlabend 2011 beschworen. CVP und BDP wollen zwar nicht fusionieren, dafür sind ihre Wurzeln in den Kantonen zu verschieden. Gemäss Aussagen beider Fraktionspräsidenten wollen sie nach den Wahlen 2015 eine gemeinsame Gruppe unter der Bundeskuppel bilden. Sie könnte die Nummer 2 werden, sicher jedoch die Nummer 3 sein. Vorleistungen hierzu sind Listenverbindungen oder Absicherungen der Restmandatverteilung. Was eigentlich der Versicherungsmathematik verwandt ist, ist in schweizerischen Wahlkämpfen von höchster politischer Brisanz. Denn dabei werden meist auch die Stimmen bei den nachfolgenden Bundesratswahlen verhandelt. Die SVP verspricht, keinen FDP-Bundesrat mehr anzugreifen, wenn die FDP flächendeckend mit der SVP verbundene Listen anstrebt. Die CVP wiederum stellt in Aussicht, eine Wiederkandidatur von Eveline Widmer-Schlumpf zu unterstützen, wenn die BDP flächendeckend mit ihr in die Wahlen zieht. Filippo Lombardi, der Fraktionspräsident der CVP geht gar noch weiter: Er will auf diesem Weg das politische Gewicht der Mitte stärken, zu der er auch die FDP zählt, wenn sie nur mitmachen würden. Bis dann spekuliert er keck damit, einer gemässigten SVP einen zweiten Bundesratssitz zuzugestehen, wohl zu Lasten einer widerspenstigen FDP. Isoliert wirkt in dieser Debatte die GLP. Angefangen hat alles im Kanton St. Gallen, wo die Mitte nun aus CVP, BDP und EVP besteht, die GLP jedoch Aussen vor bleibt. Wenn das auch in anderen Kantonen Schule machen würde, könnte es die GLP schmerzlich treffen. Denn sie hat die Hälfte ihrer Sitze im Nationalrat nicht alleine aus eigener Stimmenkraft geschafft; vielmehr war sie 2011 eine grosse Profiteurin geschickt eruierter und unideologisch beschlossener Listenverbindungen. Möglicherweise gefährdet ist die traditionelle Verbindung zwischen SP und GP. Im Kanton Zürich droht, dass beide Parteien bei den Regierungsratswahlen um die gleichen Mandate und Wählenden kämpfen, mit dem Effekt, dass die GP in Bedrängnis geraten könnte. Das wiederum dürfte die Diskussionen über Listenverbindungen unter bisherigen Partnern mitbeeinflussen. Denn generell gilt: Listenverbindungen lohnen sich vor allem dann, wenn man so ein Restmandat ergattert. In allen anderen Fällen ist es eine Versicherung, die eher dem grösseren Partner nützt. Das wissen FDP und GPS, was sie mindestens in einzelnen Kantonen zögern lässt, während die BDP die Verteidigung des eigenen Bundesratssitzes wichtiger ist als der Gewinn bei den Nationalratswahlen.

Erste Zwischenbilanz

Oder anders gesagt: Ankündigungen von Volksinitiativen, Lancierung neuer Parteien im volatilen Wählerumfeld und Diskussionen über strategische Allianzen künden die nächste Wahl an. Das ist heuer nicht anders als bei früheren Vorwahlen. Verändert haben sich aber die Symptome und der Zeitpunkt hat sich vorverlagert. Bisher wartete man den Jahrestag vor der Wahl ab, um mit den Wahlvorbereitungen in der Öffentlichkeit zu beginnen. Wahlen sind immer und deshalb ist der Wahlkampf zur permanenten Aufgabe geworden. Das lehrt uns das Studium von Wahlen in Mediendemokratien – und die Schweiz ist spätestens seit 2014 keine Ausnahme mehr.

Claude Longchamp

Forschung besser kommunizieren

Mein Seminar im Herbstsemester 2014 an der Uni Zürich steht definitiv. Im MasterTrack “Politischer Datenjournalismus” des Instituts für Politikwissenschaft biete ich den Kurs “Mediale Relevanz angewandter sozialwissenschaftlicher Forschung (fördern)” an.

Die Teilnehmenden sollen lernen, was die Anforderungen sind, dass Forschung medialisiert werden kann resp. es auch wird. Dabei verzichte ich bewusst auf den ganzen Bereich der (reinen) Grundlagenforschung, der sich meist an ein nur kleines Fachpublikum wendet. Vielmehr konzentriere ich mich auf die angewandte Sozialforschung. Dafür ist der Medienfächer breit aufgestellt: vom Print- und Online-Journalismus über das bewegte Bild als Medium bis hin zum populärwissenschaftlichen Buch – alles soll behandelt werden.

Gegenstände des Seminars sind Wahlen und Abstimmung, vornehmlich auf nationaler, allenfalls auch auf kantonaler Ebene der Schweiz. Anschauungsmaterial bieten die folgenden Projekte: Selects, Wahlbarometer, SmartVote, Vox-Analysen, SRG-Trendbefragungen, Swissvotes. Je nach Zahl Teilnehmender kommen weitere Datensätze hinzu. Gefragt wird einerseits, wie die Forschungsergebnisse bisher vermittelt wurden, anderseits wie sie inskünftig kommuniziert werden müssten. Hierzu bearbeiten die Studierenden, ausgehend von einem der genannten Projekte, den Ist- und Soll-Zustand für jede der erwähnten Medienformen. Daraus soll eine Seminararbeit entstehen, welche Vorschläge unterbreitet, wie die Kommunikation Forschungsprojekte verbessert werden könnten. Das Hauptaugenmerk richtet sich dabei auf die Wahlen 2015 einerseits, ausgewählte Volksabstimmungen der nahen Zukunft anderseits. Die Schlussbeurteilung erfolgt auf zwei Arten: durch mich aus wissenschaftlicher Sicht, durch versierte Medienschaffende aus der Perspektive denkbarer NutzerInnen.

Das Seminar stellt die zentralen theoretischen Zugänge zum Thema aus der internationalen Literatur sicher, lebt aber von der Praxis. Zahlreiche VertreterInnen, die Forschungskommunikation an der Universitäten, in Medien oder aus der Forschung selber werden ihren spezifischen Beitrag zum Seminar leisten. Zugesagt namentlich Martin Grandjean, Sylke Gruhnwald, Daniel Schwarz, Christian Bolliger, Adrienne Fichter, Petar Marjanovic und Konrad Weber.

Gerichtet ist die Lehrveranstaltung an Masterstudierende, die einen Bachelor in Politikwissenschaft (oder verwandtem Fach) haben, und sich mit der Kommunikation von Forschung über Fachkreise hinaus vertraut machen wollen. Je nach Zahl Teilnehmender werden Gruppen oder Einzelarbeiten erwartet. InteressentInnen, welche diese Bedingungen erfüllen, können sich bei cloe.jans@gfsbern.ch melden, oder sich demnächst auf Olat eintragen.

Claude Longchamp

Meine Herbst-Agenda 2014

Im Herbst 2014 wartet ein gerütteltes Programm an Referaten und Kursen auf mich. Hier die Uebersicht der Aussenauftritte (ausserhalb der Universitätsveranstaltungen).

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29.8.2014 Hochschule Luzern
Referat und Diskussion zu “Führungsarbeit an der Schnittstelle zu Politik, Verwaltung und Oeffentlichkeit”

5.9.2014 Wirtschaftsforum Südostschweiz, Chur
Einleitungsreferat zu “Elite/Basis-Konflikte in Wirtschaft und Politik: Was ist Sache, und was sind die Gründe dafür?”

6.9.2014 Alumni Harvard Business School, Davos
Referat und Diskussion zu “Gelebte und bedrohte Werte der Schweiz”

9.9.2014 Burgergemeinde Bern
Moderation der Podiumsdiskussion im Rahmen der Buchvernissage zu “Dunkle Macht?”, der neuen Monografie über die Berner Burgergemeinde

11.9.2014 KPM Universität Bern
Kursmnodul “Politische Kampagnen und ihre Wirkungen”

12.9.2014 ZHAW Winterthur
Kursmodul im CAS Politische Kommunikation “Bürger/Bürgerin und Demoskopie”

16.10.2014 Furrer, Hug & Partner Bern
Referat und Diskussion: “1 Jahr vor den eidg. Wahlen”.

15.10.2014 Verbandsmanagement-Institut, Universität Freiburg, Saanenmöser
Kursmodul zu “Lobbyismus in Theorie und Praxis”

17.10.2014 BWD Bern
Kursmodul zu “Demokratietheorie für GemeindepolitikerInnen”

23.10.2014 Wirtschaftsforum Oberaargau
Eröffnungsreferat zu “Vertrauensschwund in Eliten? Was ist Sache, und was kann man verbessern?”

30.10.2014 Vindonissa Museum, Windisch
Eröffnungsreferat zur Ausstellung “Röschtigraben heute”

Die Liste wurde bis Ende Oktober geführt. Weitere Veranstaltungen können hinzu kommen.

Claude Longchamp