Halbzeitbilanz bei den kantonalen Wahlen

44 Prozent der SchweizerInnen konnten seit den letzte eidg. Parlamentswahlen 2011 in ihrem Kanton die Volksvertretung neu bestellen. Klarer Sieger dieser Serie ist die GLP, gefolgt von BDP und SP. Sie alle haben mehr gewonnen als verloren. Weitgehend stabil erwies sich die Rechte, genauer gesagt die SVP und die EDU haben eine ausgeglichene Bilanz. Markanteste Verliererin der kantonalen Wahlen war die CVP, gefolgt von der FDP; zu dieser Gruppe gehört auch die GPS. Für Lega und MCR gab es noch keine Testwahl.

Ueberblickt man Gewinne und Verluste, kann man festhalten: Die Polarisierung im Parteiensystem ist beendet. Vorbei sind die Zeiten, als die Konfrontation von SVP und SP/GPS diesen Parteien half. Das prägte zwar das schweizerische Wahlgeschehen zwischen 1995 und 2003 ungebrochen; danach fand sich eher ein Trend zu rechtskonservativen Parteien. Auch das lief 2011 aus. Insofern bestätigen die kantonalen Wahlen den damaligen Hauptbefund.

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Fortgesetzt hat sich auch die Baisse der CVP und FDP, ebenso der Siegeszug von GLP und BDP; denn auch das zählte zu den Lehren 2011. Der Umbau der traditionellen Mittel schreitet damit voran: Die FDP hat sich thematisch weiter nach rechts bewegt, was im Zentrum Platz gibt. Und das Aufbäumen der CVP nach der Abwahl von Ruth Metzler aus dem Bundesrat war definitiv nur von kurzer Dauer. Die BDP hat seit 2011 eine makellose Bilanz; in keiner Wahl, zu der sie antrat, verlor sie Wählende. Mit Ausnahme von Baselstadt gilt dies auch für die GLP. Bei FDP ist die Zwischenbilanz nach Kantonen gemischt. Besonders ins Gewicht fällt die Niederlage der CVP im Kanton Wallis; doch kommen 9 weitere Kantonen hinzu, in denen die Partei Verluste an Wählendenanteile kannte.

Rotgrün hat sich insgesamt gehalten, mit leicht unterschiedlichen Akzepten zwischen den Parteien. Die SP legte in den kantonalen Wahlen minimal zu, die GPS verloren ebenso wenig. In Kantonen wie Uri, Thurgau, Waadt und Baselstadt mag das eine Folge des direkten Stimmentausches gewesen sein. In den anderen Kantonen sind die Ursachen sehr wahrscheinlich komplexer.

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In der Schweiz verfügt man, anders als etwas in Oesterreich, nicht über regelmässig erstellte Analysen der Wählendenströme. Deshalb müssen entsprechende Schätzungen theoretisch vorgenommen und anhand verfügbarer Informationen überprüft werden. Ein solches Modell habe ich hier entwickelt:

. Es geht davon aus, dass die Mobilisierung stabil ist; negative Teilnahmebilanzen dürften die Polparteien haben, alle anderen könnten sich halten oder minimal verbessern.
. Die GLP zieht Wählende über die Lagergrenzen hinweg an, während die BDP weitgehend ein Phänomen der Rechtspositionierung von SVP und FDP.
. CVP und FDP befinden sich in der ungemütlichen Lage, sowohl nach rechts wie in die Mitte Wählende zu verlieren. Die SVP wiederum profitiert davon, hab aber als Polpartei ein Mobilisierungsproblem.
. SP und GPS kennen einen beschränkten Stimmentausch, haben aber mit der GLP Konkurrenz erhalten.

Direkte Schlüsse von den kantonalen auf die nationalen Wahl 2015 zu ziehen, halte ich für verfrüht und punktuell für irreführend. Denn namentlich die SVP kennt auf den beiden Ebenen unterschiedliche Parteistärken wie auch verschiedenartige Trends. Das hängt mit ihrer Fähigkeit zusammen, auf nationaler Ebene die Medienaufmerksamkeit für sich zu gewinnen, sodass sie personell wie thematisch bei eidg. Wahlen dominanter ist als bei kantonalen. Wie weit sie ihre bisherige Stärke 2015 ausspielen kann, ist aber offener als auch schon.

Claude Longchamp

Neue Mandatsverteilung der Kantone im Nationalrat: Vorteile für SVP und CVP, Nachteile für GPS und FDP

Hätte die Sitzverteilung im Nationalrat, die 2015 zur Anwendung kommt, schon 2011 gegolten, hätten die SVP und CVP je eine Vertretung mehr in der grossen Kammer gehabt, und es wären FDP und GPS entsprechend geschwächt worden.

Der Bundesrat hat die Sitzzahl der Kantone im Nationalrat der Bevölkerungszahl der Gliedstaaten angepasst. Da die einzelnen Kantone ungleich stark wachsen, kann das zu Verschiebungen der Gewichte unter Kantonen führen, mit Folgen für die Parteien.

Eine Simulation der Sitzverteilung für 2011 nach den Regeln für 2015 lässt erahnen, was in zwei Jahren geschieht:

. In Zürich hätte die SVP einen Sitz gewonnen, im Aargau und im Wallis wäre je ein Mandat an die CVP gegangen.
. In Bern hätte dafür die GPS einen Sitz verloren, das gleiche wäre der CVP in Solothurn passiert und der FDP in Neuenburg.

Bilanziert man die Auswirkungen de neuen Mandatsverteilung unter den Kantonen wären zwei eher konservative Parteien etwas gestärkt worden, und es wären zwei eher progressive Parteien ein wenig schwächer in der grossen Kammer vertreten gewesen.

Personell hätte es 2011 bei den Grünen die Bernerin Regula Rytz getroffen, die heutige Parteipräsidentin, bei der CVP den Solothurner Stefan Müller-Altermatt, und bei der FDP wäre der Neuenburger Alain Ribeau nicht nach Bern gereist.

Natürlich haftet der Aussage auch etwas Spekulatives an: Denn die Simulation unterstellt, dass alle gleich gewählt hätten. Das muss nicht sein, denn in kleineren Kantonen hängt die Wahl einer Partei auch von der Wahrscheinlichkeit ab, dass sie einen Sitz macht. Und das ist davon abhängig, wie viele Sitze verteilt werden können. So ist denkbar, dass kleine Parteien in Neuenburg und Solothurn geschwächt worden wären, zum Vorteil grösserer.

Immerhin, die vorgenommene Simulation ist die beste Möglichkeit, um zu sehen, was passiert wäre. Und das hilft zu verstehen, was dereinst passieren könnte. Sie ist auf jeden Fall besser als der Verweis auf die Restmandate 2011. Denn deren Bestimmung hängt ebenfalls von der Sitzzahl eines Kantons ab, sodass deren Aenderungen auch zu einer Verschiebung der Restmandatverteilung führen kann.

Deshalb gilt: Die neue Mandatsverteilung des Nationalratssitze auf die Kantone stellt die Schweizer Politik nicht auf den Kopf; sie modifiziert aber die Gewichte von moderneren zu konservativeren Parteien.

Claude Longchamp

Lassen sich Schweizer Wahlen prognostizieren?

Mit Blick auf die Schweizer Wahlen 2015 wage ich ein für die Schweiz neuartiges Experiment in der Wahlforchung.

Umfragen zu den Wahlabsichten vor Schweizer Nationalratswahlen sind heute weitgehend eingeführt und sie werden medial und politisch vielfach verwendet. Insgesamt haben sie sich bewährt, und einen im internationalen Vergleich brauchbaren Stand erreicht. Es bleiben aber zwei Probleme: Befragungen kurz vor einer Entscheidung vermitteln einen leicht “zittrigen” Eindruck, denn die Schwankungen der Messergebnisse im Zufallsbereich bleiben bei allen methodischen Verbesserungen bestehen. anderseits sind Umfragen weit vor einer Wahl eher Momentaufnahmen denn Vorhersagen, denn es fehlt ihnen die Berücksichtigung der Meinungsbildung, die erst noch kommt.

Die internationale Wahlforschung der letzten 15 Jahre ist genau deshalb neue Wege gegangen. Sie prüft alternative Instrumente wie Wahlbörsen oder ExpertInnenbefragungen, und sie hat Modellrechnungen entwickelt, um beispielsweise mit ökonomischen Indikatoren oder medialen Themenanalysen Wahlprognosen erstellen zu können. Andere VertreterInnen der neuen Wahlforschung verfolgen den Pfad, Umfrageergebnisse zu qualifizieren, indem sie mit anderen Messgrössen kontrolliert, spricht justiert werden.

Genau diesen neuen Möglichkeiten der Wahlprognose nimmt sich mein neu gestaltetes Forschungsseminar an der Universität Bern an. Ziel ist es, ein Instrumentarium zu entwickeln, das mit oder ohne Umfragen zu Wahlabsichten 2015 eingesetzt werden könnte, um den Ausgang von National- und Ständeratswahlen vorherzusehen. Auf diesem Weg gibt es in der Schweiz bisher nur wenig; erwähnt seien Extrapolationen kantonaler Wahlen – mit der Einschränkung, dass die Trends aber nicht gleich verlaufen. Zu Ständeratswahlen gibt es noch weniger – mit Ausnahme erster Forschungsarbeiten, die ich 2011 an der Uni Bern angeregt habe.

Diese Lücke will das Seminar füllen. Es richtet sich an Studierende auf der Masterstufe. Vorausgesetzt werden gute Kenntnisse der Schweizer Wahlen und ein grundlegendes Wissen zu den Theorien und Methoden der Wahlforschung. Die Lehrveranstaltung selber besteht aus mehreren Teile: einer Einführung mit den Erarbeitung der Zielsetzung: eine Bearbeitung der relevanten Literatur aus den USA und aus Deutschland; der Bildung von Projektgruppen, die je ein Instrument entwickeln müssen und der Diskussion erster Ergebnisse aus der neuen Forschung. Als externen Referanten habe ich zudem Andreas Graefe von der Uni München eingeladen, der ein vergleichbares Projekte zu den Bundestagswahlen 2013 realisiert.

An die studentischen Projekte stelle ich eine Anforderung: Die Intuition, die hier sehr wohl eingesetzt werden kann, soll durch ein systematisches und methodisch kontrolliertes Vorgehen ersetzt werden. Die Arbeiten aus dem Seminar müssen bis Ende Januar 2014 abgeben werden, mit konkreten Vorschlägen, wie neue Instrument der Wahlprognoseforschung jenseits der eingeführten aussehen und wie sie mit Blick auf die Wahlen 2015 realisiert werden könnten. Interessierte der Uni Bern erfahren übere Ilias mehr dazu.

Ich hoffe, hier nicht nur Neuland zu beschreiten, sondern auch festeren Boden unter den Füssen zu bekommen!

Claude Longchamp

Tankstellenshops: Ungebundene und konservative WählerInnen geben den Ausschlag

Arbeitsgesetzrevisionen gehören zu den regelmässigen Abstimmungsgegenständen in der Schweiz. Der Mechanismus der Meinungsbildung ist oft vergleichbar: Das Parlament beschliesst, die Gewerkschaften ergreifen das Referendum, und das Volk entscheidet – je nach dem!

Die grosse Arbeitsgesetzrevision von 1996 polarisierte und mobilisierte stark. Die Mehrheit hinter sich hatten schliesslich die Opponenten. Bei der zweiten Revision, zwei Jahre später, arbeitet man auf einen Kompromiss hin; das Aufsehen war deutlich geringer, und die Vorlage ging glatt durch. Die dritte Revision, aus dem Jahre 2005 zu den Ladenöffnungszeiten in Zentren des öffentlichen Verkehrs, mobilisierte wieder mehr, was die Gegnerschaft wieder anschwellen liess. Die Vorlage wurde mit 50,6 Prozent Ja- Stimmen knapp angenommen.

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Weder FDP- noch SP-Wählende waren bei diesen Volksabstimmungen gute Trendgruppen. Die Parteien waren immer dafür resp. immer dagegen. Die WählerInnen der FDP waren viel zu unkritisch eingestellt, jene der SP viel zu negativ. Recht schwierig ist es auch, die CVP und SVP systematisch zu verorten, denn sie die Parolen waren im zustimmenden Sinne, doch die Wählenden wurden über die Zeit eher konservativer als der Bevölkerungsschnitt. Die einzige, die stets mit dem Bevölkerungsschnitt stimmten waren die Parteiungebundenen.

Mit anderen Worten: Der Ausgang von Volksabstimmungen zu Arbeitsgesetzrevisionen hängt stark von der Politisierung einer Vorlage ab. Je stärker diese ist, desto eher kann mobilisiert werden, Die Opposition rekrutiert sich dann nicht nur aus dem gewerkschaftlich-linken Lager; vielmehr erfasst sie auch Teile der ungebundenen und konservativen WählerInnen.

Wo stehen wir bei der neuerlichen Arbeitsgesetzrevision? Diesmal geht es um die Freigabe des Warenangebots in der Nacht. Ob die Arbeitsbedingungen beeinflusst werden, spaltet die Geister im Abstimmungskampf. Die Kampagnen haben eben eingesetzt. Die Befürworter verweisen auf absurde Situation beim Einkauf in der Nacht. Die GegnerInnen sehen die 24-Stunden-Arbeitsgesellschaft aufkommen.

Die erste von zwei SRG-Befragung hierzu, die heute veröffentlicht wurde, legt ein Patt in der bisherigen Meinungsbildung nahe: 46 Prozent folgen der Ja- ,47 Prozent der Nein-Seite. Damit hat keines der beiden Lager eine absolute Mehrheit hinter sich. Der parteipolitischen Konflikt ist vergleichbar, zudem was wir oben gesagt haben: FDP- und SP-Wählende bilden die Pole dafür und dagegen. Die SVP ist eher dafür, aber gespaltener als die FDP. Und die CVP? Unsere Erhebung spricht auch hier von einem Patt: 47:47. Eher im Nein sind die Parteiungebundenen. Sie und die CVP sind nahe dem Schnitt.

2005, bei der letzten Abstimmung, kippte die Meinungsbildung, je länger es ging, Richtung Nein. 57 Prozent Zustimmung hatten die BefürworterInnen zu Beginn, 54 Prozent bei der zweiten Befragung, und am Abstimmungstag waren es die besagten 51 Prozent. Demgegenüber nahm das Nein von 33 über 41 bis auf 49 Prozent zu.

Oder anders gesagt: Die Opposition startet heute besser als damals. Hauptgrund ist: Das ungebundene Lager neigt ihr heute wieder vermehrt zu. Gelingt es ihr, das zu halten und auch die konservativen Bürgerlichen anzusprechen, hat sie gute Aussichten auf eine Mehrheit am Abstimmungstag. Ohne das dürfte es kaum reichen.

Der Abstimmungskampf dürften sich auf zwei Zielgruppen konzentrieren: Die konservative CVP-Wählerschaft einerseits, die parteiungebundenen BürgerInnen anderseits. Denn sie geben bei einem knappen Entscheid den Ausschlag.

Claude Longchamp

The closed window of opportunity

Die heute erscheinende VOX-Analyse zu den Volksabstimmungen vom 9. Juni 2013 legt nahe, dass bei der Entscheidung über die „Volkswahl des Bundesrates“ die Grundhaltung gegenüber der Regierung den Abstimmungsentscheid systematisch beeinflusst hat. In einem Artikel für die Festschrift von Fritz Plasser, Dekan der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck, bin ich diesem mutmasslichen Wirkungszusammenhang vertieft nachgegangen.

Die VOX-Analysen eidgenössischer Volksabstimmungen haben eindeutige Stärken: Sie zeigen auf, wer wie gestimmt hat, und sie machen deutlich, welche Einstellungen für den Stimmentscheid von Belang waren. Zu den diesbezüglichen Erklärungsgrössen gehört unter anderem das Behördenvertrauen. Was naheliegend schien, bestätigt die jüngste VOX-Analyse: das Regierungsvertrauen beeinflusste die Entscheidung zur Volkswahl des Bundesrats. Wer dem Bundesrat vertraute, war vermehrt gegen die Direktwahl. Wer Misstrauen in die Landesregierung bekundigte, sprach sich eher für die Initiative aus. Der statistische Zusammenhang kann nicht nur bivariat nachgewiesen werden; er besteht auch multivariat.  Das heisst, das Regierungsvertrauen ist auch dann noch mitentscheidend für den Stimmentscheid, wenn weitere Erklärungsgrössen im Modell berücksichtigt wurden.

Bei den VOX-Analysen handelt es sich um Fallstudien. Woran es ihnen häufig mangelt ist einerseits eine vergleichende Perspektive und andererseits die Einbettung in langfristige Trends. Letzterem habe ich mich – parallel zur Ausarbeitung der VOX-Studie durch ein Team von Politologen der Uni Genf – im besagten Artikel angenommen. Die Hauptergebnisse sind:

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Erstens: Das Regierungsvertrauen ist bei weitem nicht konstant. Seit 1989 haben wir zwei grosse Zyklen der Erosion und des Wiederaufbaus des Regierungsvertrauens erlebt. Die erste Erosion begann mit dem Ende des Kalten Krieges und der Entscheidung über den EWR. Nach zwischenzeitlicher Erholung gegen Ende des 20. Jahrhunderts beobachtete man einen neuerlichen Rückgang des Regierungsvertrauens, der durch die Volksabstimmung zum UNO-Beitritt 2002 ausgelöst wurde. Nachdem man 2004 den absoluten Tiefpunkt beobachten konnte, normalisierte sich die Lage bis ins Jahr 2008 jedoch erneut.

Zweitens: Die zentrale Ursache für die jeweilige Erosion des Vertrauens war die Öffnung der Schweiz gegenüber Europa resp. der Welt, welche zweimal markant vom Bundesrat (mit)betrieben wurde. Die Folgen für das Parteiensystem sind bekannt: Der erste Zyklus polarisierte vor allem zwischen der  SVP und der SP; der zweite brachte eine konservative Wende mit sich, die insbesondere der SVP nützte.

Drittens: Die Veränderungen im Parteiensystem haben die Zauberformel für die Wahl des Bundesrates ausser Kraft gesetzt. 2003 verflog mit der Abwahl von Ruth Metzler (CVP) zugunsten von Christoph Blocher (SVP) der Zauber und spätestens 2007/8 war das Ende der Formel dann definitiv besiegelt. Die SVP ging vorübergehend in die Opposition, einen ihrer beiden Sitze hat sie 2009 zurückerhalten. Was mit dem anderen Teil geschieht, bleibt indes offen.

Viertens: Die Rochade von 2003 hat das Vertrauen der SVP-Anhänger in die Regierung nicht wirklich erstarken lassen, allerdings dasjenige der anderen Parteianhängerschaften wesentlich geschmälert. Anders als in parlamentarischen Systemen üblich hat die Regierungsumbildung in der Schweiz nicht das Vertrauen in die Behörden gestärkt, sondern eher das Misstrauen ansteigen lassen.

Fünftens: Wenn sich die Lage seit 2008 dennoch veränderte, so hatte das weniger mit den politischen Ereignissen zu tun, als mit der wirtschaftlichen Lage. Spätestens seit 2010 zeigen die Wirtschaftsindikatoren nach oben und die vorteilhafte Lage der Schweiz wurde namentlich im Vergleich zum Ausland augenfällig. Das hat das Behördenvertrauen wieder ansteigen lassen.

 

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Die SVP-Volksinitiative für eine Volkswahl des Bundesrates entstand als Folge der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat. Entsprechend aufgezogen war die Kampagne: Den Machenschaften in der Vereinigten Bundesversammlung kurz vor Bundesratswahlen sollte durch den Systemwechsel ein Riegel vorgeschoben werden. Hätte sich das politökonomische Umfeld in den letzten Jahren nicht derart verändert, wäre die Argumentation im Abstimmungskampf wohl besser zum Tragen gekommen. Die guten Wirtschaftszahlen der vergangenen Jahre haben das Klima gegenüber Bundesbern in der Schweiz allerdings grundlegend verändert, sodass weder die Problemdiagnose der SVP, noch die mitgelieferten Verbesserungsvorschläge folgerichtig erschienen.

Man kann sich darüber hinaus auch die grundsätzliche Frage stellen, ob das window of opportunity für politische Kampagnen,  die auf institutionellem Versagen des schweizerischen Politsystems aufbauen, nicht schon wieder geschlossen ist. Geöffnet wurde es offensichtlich in den 90er Jahren, parallel zur Kritik an der Migrationspolitik. Die Wirkungen auf die Schweizer Politik waren erheblich. Seit 2008 befinden wir uns aber in einer anderen Lage: Die Schweiz wird durch die Veränderungen im Ausland herausgefordert. Erwartet wird, dass man dabei im Innern der Schweiz verstärkt über Parteigrenzen hinaus zusammenarbeitet. Das Ende der Polarisierung bei den Nationalratswahlen 2011 kann als klares Zeichen dafür gewertet werden, dass sich die Schweizerinnen und Schweizer gegenwärtig eher wieder mehr Systemstabilität wünschen. Institutionenkritik, wie sie mit der Volksinitiative zur Volkswahl des Bundesrats vorgetragen wurde, ist dabei nicht mehr besonders zugkräftig. Das Wettern über das Ausland dagegen schon.

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Genau das wurde der SVP-Initiative zum Verhängnis. Schon die erste SRG-Vorbefragung legte nahe, dass gerade noch ein Viertel der Stimmwilligen für die verlangte Änderung ansprechbar war. Am Abstimmungstag war aus diesem Potenzial fast punktgenau das Ja-Lager zur Volkswahl des Bundesrats geworden.

Claude Longchamp