Neues Lehrbuch zur Wahlforschung, das ich verwenden werde

Auf ein solches Buch hat man schon länger gewartet: Mit dem eben erschienen Band schliessen die HerausgerberInnen Oscar W. Gabriel und Bettina Westle die Lücke in Sachen Lehrbuch zur Wahlforschung.

Gelegentlich wird die Wahlforschung zur Königsdisziplin der Politikwissenschaft stilisiert. Nicht zu unrecht, denn die öffentliche Präsenz der PolitologInnen ist hier so hoch wie sonst selten.

Wer jedoch in die bestehenden Ausbildungsunterlagen schaut, wird vielfach ernüchtert. Der Wälzer von Falter/Schön ist mehr ein Nachschlagewerk als ein Lehrbuch. Der Band von Pappi richtet sich mehr an Forschende denn an Studierende. Und das Büchlein von Roth reflektiert mehr die Vergangenheit als die Gegenwart der Wahlforschung.

Mit dem Erscheinen des neuen Lehrbuches “Wählerverhalten in der Demokratie” holt die Wahlforschung als etabliertes Pflichtfach in der Bachelor-Ausbildung für künftige PolitikwissenschafterInnen stark auf.

Zu den Vorteilen des neuen Buchs zählt, dass es in übersichtlicher Weise nicht nur Methoden und Theorie der Wahlforschung behandelt. Vielmehr kommt die Leistungen der Wahlforschung auf nationaler und lokaler Ebene ausführlich vor.

Besonders hervorheben möchte ich zwei Kapitel. Das zum Geschlecht. Bettina Westle hat eine Menge nützlicher Daten übersichtlich aufgearbeitet, die es erlauben, der Frage nach zugehen, was das Geschlechtsspezifische an den bekannten Konfliktlinien in der Gesellschaft ist, aber auch, welche KandidatInnen und Wahlkampfthemen von Männern und Frauen unterschiedlich bewertet werden. Wer glaubt, mit den Frauen werde alles anderes, wird von den Ausführungen eher enttäuscht sein; denn die Autorin kommt zum Schluss, dass mit der Kandidatur von Angela Merkel eine Normalisierung bei Wahlen Einzug gehalten habe, die sich in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterschiedlich schnell eingestelle. Angeglichen hat sich die Partizipation der Geschlechter, und mit dem Rückgang der Kirchenbindung ist der Konservatismus unter Frauen zurückgegangen. Um das Neue besser bestimmen zu können, schlägt Westle vor, mehr zu Orientierungen an Geschlechterrollen gerade in Wahlkämpfen zu forschen.

Aufschlussreich ist das Lehrbuch auch, weil es sich neuen Ansätzen in der Wahlforschung annimmt, die namentlich aus der Psychologie stammen. Kristina Faden-Kuhne führt gekonnt in die Welt nach der klassischen rational-choice Theorie ein. Sie bespricht Formen und Funktionen von Heuristiken, die es erlauben, jenseits ausführlicher Informationsverarbeitung vernünftige Entscheidungen zu fällen. Und sie erörtert die Bedeutung von Emotionen, wie sie etwa in der Theorie der affektiven Intelligenz gesehen wird. Soweit möglich bespricht die Autorin auch, wie weit solche innovative Ansätze die Praxis der Wahlforschung bereits beeinflusst haben, etwa anhand der Frage, was wirtschaftlichen bedingte Angst als verbreitetes Gefühl in Kampagnen in Wahlentscheidungen ausmacht.

Ein Kapitel vermisst man im Lehrbuch allerdings: Ausführungen zur Wahlbeteiligung als Teil der Partizipationsforschung. Sinkende Teilnahmewerte in verschiedenen Ländern, aber auch bisher unbekannte Partizipationsformen via neue soziale Medien hätten den Rahmen abgegeben, den man gerne abgesteckt bekommen hätte – nicht zuletzt, weil gerade die realen Veränderungen in diesem Bereich meist normativ überhöht als Ende der Parteienherrschaft oder Geburt einer neuen Demokratie öffentlich verhandelt werden.

Die 11 Kapitel des Buches sind gut lesbar, gelegentlich etwas stark durch Fachbegriffe geprägt. Sie eigenen sich dennoch als Lehrmittel, denn sie sind handlich, werden mit einer Bilanz abgeschlossen und haben im Anhang Kontrollfragen und Vorschläge für die weitere Lektüre. Vielleicht, könnte man sich für eine Neuauflage wünschen, wären etwas mehr Illustrationen, sei es aus der konkreten Welt der Wahlkämpfe, sei es aus der abstrakten der Modellbauer hierzu, gewünscht. Den auch gilt, dass Wahlforschung zur Versachlichung des teils aufgeregten Diskurses über Ursachen und Folgen von Wahlentscheidungen beitragen sollte.

Auf jeden Fall ist mir rasch nach der Lektüre klar geworden: Meinen Kurs zur Wahlforschung im Frühlingssemester 2013 werde ich auf diesem Buch aufbauen, und ich wünschte mir eigentlich nur, dass es ein solches nicht mit deutschem, sondern schweizerischem Anschauungsmaterial geben würde.

Claude Longchamp

Identify. Empower. Ask.

Sein Auftritt war perfekt. Souverän bewegte er sich auf der Bühne. Die Sildeshow im Hintergrund gefiel. Der Inhalt verdient ein ähnliches Prädikat. Dennoch, am Schluss staunte nicht das Publikum, sondern der Redner John Della Volpe!

John Della Volpe hat italienisch-irische Wurzeln. Doch ist er durch und durch Amerikaner. Als Polling Director am Institut of Politics der renommierten Harvard University amtet er.

Am eben zu Ende gegangenen SwissMediaForum 2012 zu den neuen sozialen Medien hat er gestern über amerikanische Wahlkämpfe im 21. Jahrhundert berichtet.

Zum Beispiel über die geschichtsträgtige email von John McCain, die im Jahr 2000 die politische Kommunikationsrevolution auslöste.
Oder über die zielgruppenspezifischen Botschaften von Karl Rove, der 2004 die Wiederwahl von Goerge W. Bush sicherten.
Und über Barack Obama, der 2008 den entscheidenden Moment der Ausmarchung innerhalb der Demokraten Hillary Clinton mit den Stimmen der Junge via Facebook für sich gewann.

Della Volpes These zu den neuen soziale Medien leitete sich aus deren Entwicklung in den letzten 20 Jahren ab: Sie lautet, amerikanisch einfach wie auch amerikanisch einprägsam:

Identify, Empower. Ask.
Schaffe Identifikation, lass Selbstbestimmung zu, und frage nach.

Nicht ganz so griffig war der Ausblick auf das Wahljahr 2012. Twitter hätten sich sich die Republikaner Nach der Wahlniederlage von 2008 erschlossen, bekam man zu hören. Zum Beispiel Kandidat Newt Gingrich, der 1,4 Millionen Follower habe. Indes, der Schein trüge: Zwei Drittel der Accounts seien ein Fake. Obama habe rasch viel Boden gut gemacht, wenn es um Twitter gehe. Er habe sensationalle Tageszuwachsraten. Und dennoch, John Della Volpe wollte ihn keineswegs zum Sieger für die Wahl im November 2012 erklären. Denn, so die professorale Kritik, seine Kampagne sei auffällig uninspirierend – ganz anders als 2008.

Das Publikum im Saal staunte. Da wurde es vom Harvard Pollster nach den eigenen Wahlabsichten befragt. Gegen 90% für Obama, gut 10% für Romney, war das Ergebnis der Umfrage bei der politmedialen Crème der Schweiz.

Und nun staunte der Bühnenstar John Della Volpe.
Twitterte aber bald schon das Resultat.

Claude Longchamp