Lobbying in der Schweiz: Was ist und was wird?

Regelmässig halte ich meinen Kurs zum Lobbying am Verbandsmanagement Institut der Universität Freiburg. So auch diese Woche. Das ist jedesmal auch Gelegenheit, über die Trends im Lobbying nachzudenken, und den Puls zu fühlen, wo wir in der Schweiz hierzu stehen. Hier meine aktuellste Bilanz!

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Typisch für das neue Lobbying auch in der Schweiz: beeinflusst von allgemeinen Trends, insbesondere angelsächsischen, die über internationale Firmen und die EU in die Schweiz kommen.

Die aktuelle Ausgabe der Schweizerischen Zeitschrift für Politikwissenschaft bilanziert: „Während Lobbying im angelsächsischen Raum weitgehend akzeptiert ist, haftet ihm im kontinentaleuropäischen Kontext ein anrüchiger Geschmack an. Empirisch zeigt sich jedoch, dass immer mehr Ressourcen in Public Affairs und politische Kommunikation investiert werden.“

Aus meiner Sicht lassen sich seit Längerem fünf Trends, die auch das Lobbying in der Schweizer erfassen können, ableiten:

Erstens, Lobbying differenziert sich immer mehr als eigenständige politische Aktivität.
Zweitens, Lobbying entwickelt hierzu Standards, was geht und was nicht geht,
Drittens, Lobbying professionalisiert sich aus sich selber heraus.
Viertens, Lobbying wird zum Bestandteil der politischen Oeffentlichkeitsarbeit.
Fünftens, Lobbying initiiert vor allem im globalen Kontext neue Politiken.

Ein Trend trifft in der Schweiz unbestritten zu: Das Lobbying, vor allem der nationalen Verbände, wird zusehends zum Bestandteil ihrer Oeffentlichkeitsarbeit. Teilweise trifft das auch für Firmen und andere Organisationen zu. Die direkte Ansprache von Parlamenten, Regierungen und Verwaltung wird dabei durch die indirekte erweitert. Die Medienarbeit wird zum zentralen Bestandteil des Lobbyings, denn man weiss zwischenzeitlich nur zu gut, dass sich nicht nur die BürgerInnen, sondern auch PolitikerInnen und BeamtInnen in einem erheblichen Masse über Massen- und Fachmedien zu politischen Fragen informieren.
Lobbying ändert damit den eigenen Charakter. Es verlässt das Schummerlicht der verdeckten Einflussnahme auf politische Entscheidungen mindestens teilweise. Es wird transparenter. Es erhofft sich dadurch nicht nur mehr Wirkung, es rechnet auch mit einem Glaubwürdigkeitsgewinn.

In der Schweiz bleibt dagegen die Initiativfunktion für neue Politiken weitgehend Aufgabe von Regierungen und Parlamenten – oder der Wissenschaft. Die Behörden steuern über politische Weltanschauungen, Regierungsprogramme und Expertisen, die von der Politik in Auftag gegeben oder genommen werden, die Agenda. Das Lobbying in diesem Bereich bleibt zurück, nicht zuletzt, weil Denkfabriken hierzulande eine untergeordnete Rolle spielen. Einzig im Abstimmungsbereich haben entsprechende Institutionen eine gewisse Vordenkerfunktion.

Beschränkte Veränderungen kann man bei den drei anderen Trends festhalten. Lobbying differenziert sich teilweise von politischen Aemtern. Lobbying entwickelt beschränkt Standards für eigene Verhaltensnormen. Und Lobbying professionalisiert sich nur schrittweise. Ueberall hinkt die Schweiz im internationalen Vergleich indessen hinten nach.

Hinderlich erweisen sich das Milizsystem auf Parlamentsebene, das die Verquickung öffentlicher und privater politischer Funktionen fördert. Wenig förderlich ist auch, dass sich Lobbying unverändert hinter anderen Tätigkeiten wie Public Affairs, Oeffentlichkeitsarbeit oder politischer Beratung versteckt. Das führt nicht dazu, dass man ein eigenes Selbstverständnis des Guten und Schlechten entwickelt.

Schliesslich, anders als in zahlreichen anderen Ländern gibt es eine genuine Ausbildung zum Lobbyisten oder zur Lobbyistin in der Schweiz kaum. Das ist schade, den nebst dem Handwerklichen, das man irgendwo erwerben kann, braucht das Lobbying auch herausragende Fachkenntnisse des politischen Systems, der politischen Prozesse und der politischen Kulturen.

Eigentlich wäre das alles eine geniale Herausforderung für die Politikwissenschaft mit einem Flair für Praxis.

Claude Longchamp

Bedrohliche Bedrohung

Meine Kollegen vom gfs-Zürich erheben seit Jahren zahlreiche Indikatoren zur empfundenen Bedrohungslage. Einmal pro Jahr wird daraus das “Angstbarometer” erstellt. Nun hat das Kriminologische Institut der Uni Zürich einen Indikator herausgepickt und einen Vertiefungsbericht zur subjektiven Bedrohung durch Kriminalität in der Schweiz gemacht.

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Ergebnis Nr. 1: Die Bedrohung durch das Thema “Kriminalität” ist mittelstark. 2009 erreichte sie einen vorläufigen Höhepunkt; 2010 hat das bereits wieder etwas abgenommen.
Ergebnis Nr. 2: Am bedrohtesten fühlen sich tiefe Bildungsschichten. Da ist der Trend ungebrochen. Es nehmen die spezifischen Aengste in dieser Gruppe unverändert zu.
Ergebnis Nr. 3: Zur Erklärung der Bedrohungslage kann man verschiedene Ansätze beiziehen. Am meisten ableiten kann man aus der politischen Position (rechts mehr als links), der Sprachregion (welsch mehr als deutsch), der Bildung (tief mehr als hoch) und dem Geschlecht (Frauen mehr als Männer).

In der medialen Vermittlung ist einiges davon verkürzt herausgekommen, und so bin ich fast reingefallen. Das Referierte ist weder das vertiefte Ergebnis zum Angstbarometer. Noch sind es neue Daten. Vielmehr handelt es sich um den Indikator zum Bedrohungsempfinden einzig durch Kriminalität im Mittel der Jahre 2008 und 2010, der in der Uebersicht ausgewertet worden ist.

Nach der Lektüre des Berichtes der Kriminologin Simone Walser sind mir drei Sachen hängen geblieben:

Erstens, wie das Bedrohungsempfinden der unteren Bildungsschichten entwickelte sich auch das der politischen Mitte entgegen dem allgemeinen Trend auch im Jahre 2010 weiter in den roten Bereich.
Zweitens, Bedrohungsempfinden und Bedrohungslagen sind nicht zwingend identisch. Vermittelnd wirkt die Vulnerabilität, das heisst die Selbstwahrnehmung verletzbar zu sein. Dies hat tatsächlich mit dem Selbstbewusstsein zu tun, das gesellschaftlich unterschiedlich verbreitet vorkommt.
Drittens, anders als vor allem in den USA fühlen sich die StädterInnen in der Schweiz nicht mehr bedroht als die Landleute. Bei diesen schwingt in der Schweiz wohl auch das fleissig gepflegte Bild des Ausländers mit, den man in ganz bedrohlichem Masse als bedrohlich sieht.

Claude Longchamp

Ständeratswahlen 2011: eine erste Auslegeordnung

Gegen 100 Bewerbungen für die 45 Ständeratssitze, die am 23. Oktober 2011 zu vergeben sind, zeichnen sich bereits jetzt ab. Eine erste Auslegeordnung, über die Ausgangslagen in den Kantonen.

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Ivo Bischofberger, Innerrhödler Standesherr, ist der erste wiedergewählte Kantonsvertreter der CVP für die Legislatur 2011-2015

Am einfachsten ist alles in Appenzell-Innerrhoden. Das bestimmte die heutige Landsgemeinde den bisherigen Ständerat Ivo Bischofberger von der CVP zu seinem eigenen Nachfolger. Die SVP war zwar gegen ihn gewesen, hatte aber keinen eigenen Gegenkandidaten stellen können, sodass die parteipolitisch motivierte Aktion praktisch ohne Stimme verpuffte.

Alle anderen Kantone wählen ihre Standesvertretung im Herbst in einer Urnenwahl, die meisten nach dem Mehrheitswahlrecht, zwei nach den Proporzverfahren. In den Kantonen Jura und Neuenburg rechnet man deshalb mit viel mehr Bewerbungen als andernorts. Es sind auch Personalwechsel ohne Parteiaustausch denkbar.

Kantone mit zwei Rücktritten
Am offensten sind deshalb die Ständeratswahlen in Graubünden und Thurgau. Denn da treten je beide Bisherige zurück.

Die Bündner FDP und CVP haben vorgespurt und rechnen hier mit einem Doppelerfolg, welcher der SVP einen Sitz kosten dürfte. Denn mit Martin Schmid und Stephan Engler treten zwei (Ex-)Regierungsräte an, die in Majorzwahlen schon erfolgreich waren. Im Thurgau zeichnet sich mit Roland Eberle, dem ehemaligen SVP-Regierungsrat, ein vergleichbarer Vorgang ab, während um bisherigen CVP-Sitz mit Brigitte Häberli von der CVP und Edith Graf von der SP zwei Nationalrätinnen ihr Glück versuchen. Allenfalls gibt es hier auch eine FDP-Kandidatur.

Kantone mit einem Rücktritt
Je einen Rücktritt zu verzeichnen haben die Kantonen Uri, Solothurn, Schaffhausen, St. Gallen, Tessin, während im Aargau die SVP nicht mehr mit dem Bisherigen, sondern mit einem Neuen ins Rennen steigt.
Gefordert ist da vor allem die FDP, die gleich fünf Sitze mit neuen KandidatInnen zu verteidigen hat. In Luzern gibt es noch wenig Opposition gegen die liberale Nchfolgeregelung mit Nationalrat Georges Theiler, während in den übrigen Kantonen teilweise Grossaufgebote in die Lücke springen möchten,
In St. Gallen bewirbt sich Karin Keller von der FDP, muss sich aber gegen SVP-Parteipräsident Toni Brunner und SGB-Gewerkschaftchef Paul Rechsteiner durchsetzen; da ist nicht einmal die Wiederwahl der Bisherigen Eugen David von der CVP sicher.
In Solothurn startet Roberto Zanetti mit dem Bisherigen-Bonus, obwohl er erst vor kurzem die Nachfolge des verstorbenen Parteikollegen Ernst Leuenberger antrat; er sieht sich aber den Nationalräten Kurt Fluri (FDP), Pirmin Bischof (CVP) und Walter Wobmann (SVP) gegenüber.
In Schaffhausen kämpfen mindestens die FDP, SP und die kantonale Oekoliberale Partei mit je einem Kandidaten für die Nachfolge von Peter Briner, derweil der bisherige SVP, Hannes Germann ungefährdet erscheint.
Wenig strukturiert sind die Nachfolgediskussionen im Tessin, wo Dick Marty (FDP) zu ersetzen ist, resp. in Uri, wo es um die Nachfolge von CVP-Ständerat Hansheiri Inderkum geht.
Die Nicht-Nomination von Ständerat Maximilian Reimann durch seine SVP hat im Aargau einen eigentlichen Run auf beide Sitze ausgelöst. Es stellen sich die bisherige Christine Egerszegi von der FDP, neu die NationalrätInnen Pascale Bruderer (SP) und Geri Müller (GPS), sowie der kantonale Präsident der Gewerbeverbandes, Kurt Schmid von der CVP. Zudem stehen Bewerbungen von GLP und EVP an.

Kantone mit umstrittenen Wahlen auch ohne Rücktritt
Grossaufgebote zeichnen sich auch in Zürich, Bern und der Waadt ab, obwohl es hier keine Rücktritte gibt. Felix Gutzwiller (FDP) und Verena Diener (GLP) werden in Zürich von alt Bundesrat Christoph Blocher (SVP) und wohl auch von einem SP-Schwergewicht gefordert werden. Eher als Parteikandidaturen sind die Nominationen von (Blogger) Balthasar Glättli (GPS) und Urs Hany (CVP) zu beurteilen.
Berns Bisherige sind Werner Luginbühl (BDP) und Adrian Amstutz, obwohl der erste von beiden für eine andere Partei gewählt wurde, und der zweite sein Amt noch gar nicht angetreten hat. Das macht alles etwas unsicher. Gefordert werden sie aller Voraussicht nach von SP, FDP, GPS, EVP und EDU. Im Gespräch sind die NationalrätInnen Evi Alemann (SP), Hans Stöckli (SP), Christian Wasserfallen (FDP) und Alec von Grafenried (GPS), letzter gilt als Herausforderer gesetzt.
In der Waadt dürfte es zu einem Angriff von rechts auf die rotgrüne Standesvertretung kommen. Géraldine Savary (SP) und Luc Recordon (GPS) treten mit dem Vorsprung der Bisherigen an, während Nationalrätin Isabelle Moret (FDP), die Nationalräte Guy Parmelin und Jean-Claude Mermoud (beide SVP) und ex-Postchef Claude Béglé (CVP) die Neuen sind.

Kantone ohne Rücktritt, mit beschränkt umstrittenen Wahlen
Beschränkt kontrovers sind, mindestens bis jetzt, die übrigen Ständeratswahlen im Wallis und Freiburg. Im Wallis bewerben sich die beiden Bisherigen CVP-Ständeräte, René Imoberdorf und Jean-René Fournier, erneut, müssen sich aber gegen Nationalratspräsident Jean-René Germanier (FDP) und Nationalrat Stéphane Rossini (SP) bewähren. Spekuliert wird hier auch, dass auch SVP-Nationalrat Oskar Freysinger ins Rennen steigt. Im Kanton Freiburg schliesslich fordert SVP-Nationalrat Jean-François Rime die bisherigen Urs Schwaller (CVP) und Alain Berset (SP) heraus.
Nicht ohne Ueberraschungspotenzial präsentiert sich die Ausgangslage in Basellandschaft. Claude Janiak (SP) ist der Favorit, muss aber SVP -Fraktionschef Caspar Baader erst noch schlagen. Möglich ist hier eine Kandidatur der früheren CVP-Regierungsrätin Elisabeth Schneider.
Bereits verpatzt haben die bürgerlichen Parteien den Kampagnestart, um die Sozialdemokratin Anita Fetz zu bezwingen. Nationalrat Stephan Frehner von der SVP, als Einheitskandidat präsentiert, sieht sich durch Daniel Stolz von der FDP herausgefordert und es mangelt ihm an Support aus den CVP-Reihen.
Noch kaum ein Thema waren die Ständeratswahlen insbesondere in Genf, das durch einen rotgrüne Deputation in Bern vertreten ist.

Zwischenbilanz
Bisher bekannt sind rund 70 valable Kandidaturen, ergänzt durch zirka 30 von eindeutigen AussenseiterInnen. Erwartet wird, dass die Zahl bis Ende der Meldezeit, die kantonal unterschiedlich ist, nochmals aussteigt. 2007 bewarben sich 130 Personen für einen Ständeratssitz – dem bisherigen Rekord.
Viel die Rede war in den Vorbereitungen der Ständeratswahlen von der SVP. Effektiv bleibt die Zahl Bewerbungen aber bisher zurück. Am meisten KandidatInnen stellt gegenwärtig die CVP mit 19, gefolgt von der FDP mit 16 PolitikerInnen. Sie haben auch am meisten zu verteidigen. Vor allem bei der CVP hat man den Eindruck, man versuche die lokalen Wahlkämpfe mit Bewerbungen darüber hinaus anzukurbeln.
Ueberschätzt wird damit die Bedeutung des SVP-Angriffs auf den Ständerat. Nebst dem Powertrio mit Brunner, Blocher und Baader nimmt sich die Phalanx der Herausforderer bisher recht dünn aus. Wichtiger als diese Entwicklung scheint mir der Trend zu sein, statt auf Regierungsmitglieder auf bewährte NationalrätInnen zu setzen. Auch das politisiert die Ständeratswahlen, und zwar ziemlich parteiübergreifend.
Nach den Berner Ersatzwahlen im Frühjahr 2011 erwartet man die Ständeratswahlen mit erhöhter Spannung. Die Ausmarchung zwischen SP, SVP und FDP zeigt, dass nur die besten Bewerbungen gut genug waren, das mediale Interesse überdurchschnittlich, die Kontroverse beträchtlich und die Mobilisierung überdurchschnittlich war. Schliesslich resultierte auch ein knappes Resultat.
Für Spannung ist gesorgt.

Claude Longchamp