Coopetition als Strategie der SRG SSR

Auf den ersten Blick, ist der Begriff eine Widerspruch ins sich, auf den zweiten beschreibt er die Medienstrategie des neuen SRG-Generaldirektors Roger de Weck. Im Grossen und im Kleinen.

untitled
Roger de Weck, neuer Generaldirektor der SRG, erklärt seine Strategie-Vorstellung für den Medienplatz Schweiz

“Wir debattieren über Strategien für den Finanzplatz, für den Werkplatz, den Hochschulplatz – aber wir führen keine Diskussion über die Zukunft des Medienplatzes Schweiz in der Globalisierung”, diktierte Roger de Weck Francesco Benini ins Notzbuch, als der NZZamSonntag-Redaktor den neuen SRG Generaldirektor zu seinen Plänen interviewte. De Weck kritisierte diese Absenz eine nationalen Medienstrategie, der zentrale Logik sei, was die SRG gewinne würde, gehe zu lasten der privaten Medienhäuser in der Schweiz – und umgekehrt. Denn die vorherrschende Analyse sei falsch, übersehe, dass im globalen Massstab allesamt Liliputaner seien. Demnach liege es im Interesse aller Medienhäuser in der Schweiz, einander zu stärken, statt zu schwächen.

Das Rezept der SRG-Obersten heisst deshalb “Coopetition” – ein ökonomisch inspiriertes Kunstwort aus “cooperation” und “competition”, das genau eine solche Mischung von Strategien will. Bei de Weck heisst das: Koopetationen im beiderseitigen Vorteil, etwa bei der Werbung, anderseits Konkurrenz beim Angebot.

Zu dieser Ueberlegung gekommen ist de Weck aus der Analyse der Medienverhältnisse in Deutschland, wo Google einen 60prozentige Marktanteil im Internet hat, und mit Facebook ein neuer Akteur hochschnellt, bei dem man noch zielgerichteter werben kann. Da haben sie vier Anbieter aus der deutschen Verlags- und Medienbranchen zusammengetan, um mit einer gemeinsamen Vermarktungsfirma für Internet-Werbung die kritische Masse gegen die Riesen entgegensetzen zu können.

Darüber hinaus propagiert der neue Generaldirektor im Interview mit der NZZ am Sonntag zwei seiner Grundsätze: mit Sport und Unterhaltung am nationalen Zusammenhalt der Schweiz zu arbeiten, und mit einer Politik der Unabhängigkeit, des Ausgleichs und Minderheitenschutzes der Vorherrschaft einzelner politischer Strömungen und Sprachregionen entgegenzutreten.

Ein wenig kam mir die Lektüre vor wie die Verhandlungen für das Wahlbarometer 2011. Denn nebst den Redaktionen der SRG SSR, die wir primär beliefern können, gibt es eine Kooperation mit 5 grösseren Regionalzeitungen aus verschiedenen Verlagshäusern: Le Temps, Neue Luzerner Zeitung, Mittelland-Zeitung, St.Galler Tagblatt und Südostschweiz. Und gegenüber den Parteien ist das Projekt unabhängig konzipiert.
Claude Longchamp

Was ist los mit der SP?

Zugegeben, das Wahlbarometer ist “nur” eine Umfrage, “keine” Wahl. Doch schnitt die SP in keiner Umfragen so schlecht ab wie im jüngsten Wahlbarometer.

trend
Entwicklung der Wahlabsichten seit 2007 gemäss neuestem Wahlbarometer

18 Prozent Wähleranteil ist für die SP ein ausgesprochen schlechter Wert. Und das bei sinkendem Anteil von rotgrün insgesamt!

Die neueste Bilanz der WechselwählerInnen, wie sie aus dem 2. SRG SSR Wahlbarometer hervorgeht, zeigt zweierlei: Positiv ist, dass die SP mehr Neuwählende mobilisiert, als sie an die Nicht-WählerInnen verliert. Negativ fällt ins Gewicht, dass sie Wählende an die politische Mitte verliert: vor allem an die GLP, aber auch an die CVP und sogar an die BDP!

Die SP hat mit ihren Massnahmen nach den Wahlniederlagen der letzten Jahre noch nicht zum Erfolgspfad zurück gefunden. Der neuen Mobilisierungsstärke im rotgrünen mainstream steht eine ausgesprochene Bindungsschwäche bei sozial-liberalen und sozial-konservativen WählerInnen gegenüber.

Verbessert hat sich die SP nach 2007 in ihrem Themenauftritt. Die Partei ist im Parlament aktiver geworden, innovativer und frischer. Das empfiehlt sie als Regierungspartei. Gemäss Wahlbarometer kann sich die SP in Fragen der Sozial-, Gesundheits- und Arbeitsmarkpolitik sehr wohl auch über die jetzige Parteiwählerschaft hinaus empfehlen. In der Umweltpolitik stehen ihr indessen die verschiedenen grünen Parteien vor der Sonne. Keine zählbaren Ergebnisse lassen sich schliesslich aus der bisherigen Europa- und Migrationspolitik ableiten.

An der neuen Parteispitze liegt es nicht. Christian Levrat ist gemäss Wahlbarometer innerhalb und aushalb der Partei ähnlich gut verankert, wie die Präsidenten von Parteien, die zulegen. Levrat gelingt es jedoch nicht, den schweren Schleier über der Partei mit ausgesprochenem Links-Drall abzulegen. Der Programmparteitag von 2010 hat das für Medien und BürgerInnen in drastischer Weise sichtbar gemacht.

Die Erfolge im Jura und die Misserfolge im Berner Seeland zeigen, wie nahe die verschiedenen Politkulturen geografisch sind, wie unterschiedlich sie aber auf die Neupositionierung der Partei reagieren. Etwas vereinfacht kann man sagen: In der Romandie funktioniert der neue Kurs der Partei, vor allem in den ländlichen und kleinstädtischen Teilen der deutschsprachigen Schweiz wirkt er verheerend.

Von der vorherrschenden national(istisch)en Grundstimmung kann sich die SP keine Stimmen erhoffen. Mit dem Kopf durch die Wand gehen zu wollen, bringt aber auch nichts. In der gegenwärtigen Finanzsituation kann man einen Beitritt zur EU auch als SP nicht fordern, ohne die wahrscheinlichsten Zwischenschritte hierzu zu formulieren. Angesichts neuer Bedrohungslagen kann man auf die Armee nur verzichten, wenn alternative Sicherheitsangebote präsentiert. Und bei der laufenden Debatte über die Folgen der Migration unter den Bedingungen der Personenfreizügigkeit muss die Partei aktiv für Integrationskonzept einstehen.

Um es noch deutlicher zu sagen: Das prioritäre Thema der Schweizer BürgerInnen, aber auch der SP-WählerInnen ist die Ausländerfrage in all ihren Facetten. Da kann man nicht einfach schweigen.

Es ist der SP zu raten, ganz schnell und ganz massiv aufzuzeigen, wo sie als Regierungspartei auch nach den Wahlen 2011 aktiv sein will, wo sie pragmatisch zu handeln gedenkt, und wo sie Fehlentwicklungen aus linker Sicht blockieren will. Je klarer und deutlicher das erfolgt, umso grösser sind die Chancen noch, die erheblichen Wechselwählerverluste stoppen und damit die drohenden Wahlniederlagen 2011 abwenden zu können.

Die SP kann meines Erachtens auf ihrer neuen Themenstärke aufbauen. Sie kann ihre Mobilisierungskraft so noch verbessern. Das politische Vakuum mitte-links, das sie selber geschaffen hat, darf sie jedoch noch vergrössern, will sie elektoral nicht bestraft werden. Für die SP als Regierungspartei wäre das fatal!

Claude Longchamp

Start zum Wahlbarometer 2011

2011 stehen nationale Wahlen an. Unser Institut realisiert wie 1999, 2003 und 2007 das Wahlbarometer für die SRG SSR Medien – mit einigen Neuerungen.

Sechs grosse Umfragen sind für das Wahljahr 2011 vorgesehen. Je drei werden in der Vorwahlkampf- und in der Hauptwahlkampfphase erscheinen. Gestartet wird die Berichterstattung morgen um 17 Uhr, beendet wird sie am 12. Oktober, dem letztmöglichen Publikationstag von Umfragen vor den eidgenössischen Wahlen.

grafik
Erklärungsmodell im Wahlbarometer, mehr dazu ab 28. Januar 2011, 17 Uhr, hier.

Die Befragungen selber werden einen grösseren, konstanten und einen kleineren, variablen Teil haben. Immer gleich befragt werden die Absichten zur Wahlteilnahme und zum Parteienentscheid. Geklärt wird zudem, welche Themen(bereiche) am meisten interessieren und wie Parteien in diesen beurteilt werden. Erfragt wird schliesslich auch das Image der Parteipräsidenten und der parteispezifischen Wahkampagnen.

Die Bewertungen dieser Angebote erfolgen aufgrund der längerfristigen Nachfragen aus der wahlberechtigten Bevölkerung: der Position auf der Links/Rechts-Achse und der Bedeutung zentraler Werte wie die Oeffnung/Abkapselung der Schweiz gegenüber dem Ausland. Zudem kontrollieren wir die Bedeutung des Regierungsvertrauens/-misstrauens. Variabel werden wir je ein Schwerpunktsthema befragen, wie es sich aus den Wahlkampfaktivitäten ergibt.

Die Interviews werden telefonisch geführt. Befragen wird der gfs-Befragungsdienst je 2000 nach einem systematischen Zufallsverfahren ausgewählte Wahlberechtigte mit Wohnsitz in der Schweiz. Interviewt werden immer wieder andere Personen. Erhoben werden die Daten in jeweils 10 Arbeitstagen. Unmittelbar nach der Entscheidung wird auch eine Wahltagbefragung durchgeführt werden.

Nicht (mehr) befragen können wir die AuslandschweizerInnen, da es aus Datenschutzgründen keinen Zugang (mehr) zum zentralen Verzeichnis der registrierten Wahlberechtigten im Ausland gibt.

Die Ergebnisse werden immer am Freitag nach der Befragungswoche ab 17 Uhr in den SRG/SSR-Medien veröffentlicht werden, und gleichzeitig auf Internet erscheinen. Sechs grössere Regionalzeitungen aus der ganze Schweiz erhalten berichten jeweils am Samstag nach der Erstveröffentlichung ausführlich und hintergründig über die Resultate. Selber publizieren werden wir einen Bericht und eine Grafikdatenbank mit allen relevanten Informationen. Letzteres machen wir zum ersten Mal.

Im Schweizer Fernsehen wird es zudem nach jeder Publikation eine Spezialsendung “Wahlbarometer” geben, die am Tag der Veröffentlichung nach der Sendung “10vor10” ausführlich über die Resultate berichtet. Neu werden auch 5 grössere Regionalzeitungen am Folgetag der Veröffentlichung über die Hintergründe der Ergebnisse informieren.

Im Wahlbarometer werden wir keine kantonalen Aussagen machen. Damit wird es nicht möglich sein, WählerInnen-Stimmen direkt auf Sitze umzurechnen. Entsprechend werden die Ständeratswahlen im Wahlbarometer auch nicht erfasst sein.

2007 kam das Wahlbarometer den effektiven Wahlergebnisse sehr nahe. Die Abweichung bei den grösseren Parteien lag im Schnitt bei einem Prozent, bei der Wahlbeteiligung bei 1,5 Prozentpunkten. Bei allen Parteien wurde richtig erkannt, ob sie gewinnen oder verlieren werden, und auch bei der Wahlbeteiligung stimmt der Zuwachs mit der Erwartung überein. Das Wahlbarometer war damals das genauest Messinstrument zu den Nationalratswahlen überhaupt.

Claude Longchamp

Balsiger weiss Rat: neues Wahlkampf-Buch für die Schweiz

Wahlkampf – aber richtig“: Unter diesem Titel richtet sich der Berner Politik- und Medienwissenschafter, seit 20 Jahren als Journalist und PR-Berater im Politikumfeld tätig, an die erwarteten 2500 KandidatInnen bei den Nationalratswahlen 2011. Ein Handbuch sei es, preist er sein Werk an. Daran zweifle ich ein wenig, denn es ist anschaulich, aber unvollständig.

buch_neu_wahlkampf_500_cover

Sieben Trends diagnostiziert PR-Mann Mark Balsiger in der Einleitung zum Buch, während der er den Umbruch der politischen Kommunikation hierzulande skizziert. Wahlkämpfe werden nationalisiert, sie finden permanent statt, Personalisierung und Emotionalisierung kennzeichnen sie, gleichzeitig werden sie inhaltsleerer, massenmedial inszeniert und entwickeln sich nur noch im Internet wirklich weiter. Was das heisst wie in angelsächsischer Tradition anhahnd sechs Fallstudien erfolgreicher Kampagnen präsentiert, um Legislativ- und Exekutivwahlkämpfe einzeln zu analysieren, Bestätigungs- von Neuwahlen zu unterscheiden und Wahlkampagnen von Männern und Frauen zu beschreiben. Mehrheitlich sind es Kampagnen, die Balsiger von aussen her untersucht, eine Minderheit hat er selber geführt.

Originell ist Blasigers Buchauftritt, wo der Politik- und Medienwissenschafter Theorie und Praxis zusammenführt, jedoch nicht einfach geschwätzig aus der Schule plaudert, wie das zahlreiche seiner Kollegen tun, sondern Synthesen wagt. Zum Beispiel die zum politmedialen Wandel in der Schweiz seit 2005: Er bilanziert, dass hergebrachte Milieuparteien mit Parteipresse definitiv zu Randerscheinungen verurteilt, aber auch traditionelle Volksparteien mit Forumszeitungen stark bedroht sind. Die Zukunft, propagiert er, gehöre der komplexen Wählerorganisation mit Parteien und nahestehenden Bewegungen, die ihre Botschaften in einem differenzierten System von Medien senden können und damit auch in Zukunft die gewünschten Zielgruppen erreichen wird. Genau darum führt Balsiger auch die vorläufigen wahlkampf-Erfahrungen mit neuen Medien auf, die sich zwischen Massenmedien und fragmentierte Teilöffentlichkeiten schieben.

Der wissenschaftlichen Kampagnenliteratur in der Schweiz voraus ist Blogger-Balsiger (www.wahlkampfblog.ch) auch mit seinen 26 Erfolgsfaktoren und Benchmark-Kampagnen. Ersteres ist zwar eine Rekapitulation seiner quantitativen Analyse von 2003. Zweiteres verdeutlicht, was mit Anker-, Engagement- und Verpackungsfaktoren gemeint ist, geben doch so unterschiedliche Politiker wie Lukas Reimann, Barbara Schmid-Federer, Nadine Masshardt, Christoph Stalder und Martin Wehrli konkret Auskunft, was sie unter neuer politischen Kommunikation verstehen resp. was sie machen, um in den Nationalrat zu gelangen, GrossrätInnen zu werden, oder in einer Stadtexekutive zu bleiben.

So lesenswert die Kampagnenporträts sind, so unvollständig ist ihre Auswahl. Autor Balsiger begründet die Präferenz damit, dass ihm die Wahlkämpfe besonders aufgefallen seien. Das ist zu subjektiv, um zu generalisierenden Schlüssen zu gelangen. Objektiverweise muss man dem entgegnen, dass ein Handbuch ohne Ständeratswahlkampf nicht geht, eine Uebersicht mit lokalen Bezügen ohne ein Romandie-Beispiel unvollständig ist, und Kampagnbeschreibungen ohne jene der grünen Basistrommler regierungslastig wirken. Und: So vorbildlich die Texte der Fallstudien strukturiert sind, so zufällig wirken die Illustrationen mit Tabellen da und Protokollauszügen dort. Versöhnlich stimmt einen der Anhang, der mit der vorbildlichen Systematik zu den Kantonen als wichtigste Wahlkreise in der Schweiz sauber dokumentiert wird – hinsichtlich der so unterschiedlich verbliebenen Parteienprofile, aber auch weiterer nützlicher Eckdaten.

Meinen Studierenden werde ich Balsigers Buch empfehlen. Weil es über alles gesehen ausgesprochen informativ ist. Weil es sich von A bis Z gut und schnell lesen lässt. Weil es solid geprüftes Praxiswissen aufbereitet. Und weil es, was selten genug ist, auf der Höhe der Schweizerzeit im unpolemischen Sinne ist.

Claude Longchamp

Wie stumpf sind Gegenentwürfe zu Volksinitiativen?

Gegenentwürfe gehören, ganz anders als Initiativen, zu den am wenigsten gut untersuchten Volksrechten der Schweiz. Eine kritische Analyse der Interdependenz zwischen beiden Instrumenten ist nötig. Denn die Wirkungen im Parlament und in der Bevölkerung sind ungleich.

E98CB4609D538C2CE4D791E2E12DC
Typisch für Initiativen mit Gegenentwürfen: Die Behörden gegen den Rest, obwohl der Rest unter sich so uneins ist, wie sonst niemand

Dass man Ende der 90er Jahre das Abstimmungsverfahren bei Initiative und Gegenvorschlag geändert hat, ist von Vorteil. Denn bis dahin galt, dass man eine Initiative mit einem Gegenvorschlag fast sicher versenken konnte. Ob das neue Verfahren aber viel besser ist, kann bezweifelt werden.

Seit 2000 kommt das heute geltende, neue Verfahren zum Zug. Demnach kann man zuerst für die Initiative und den Gegenvorschlag stimmen; sollte dann eine doppelte Ja-Mehrheit im Volksentscheid resultieren, wird die Stichfrage angewendet.

Nun zeigen die drei Beispiele, bei denen dieses Recht Gültigkeit hatte, dass in keinem Fall der Gegenvorschlag reüssierte. Bei der SVP-Initiative zur Ausschaffung krimineller AusländerInnen setzte sich sogar das härter formulierte Volksbegehren durch. Analoge Feststellungen konnte man in den Kantonen schon früher machen. Das stellt die Frage, wie griffig oder stumpf Gegenentwürfe zur Volksinitiativen sind.

Im Parlament ist man sich einig: Gegenvorschläge lassen sich materiell differenziert formulieren, politisch entsprechend positionieren, und sie verringern die Chancen, dass das Parlament einer Initiative zustimmt.

Das ist in der Volksabstimmung jedoch nicht eindeutig der Fall. Dass zwischenzeitlich sogar Initiativen die grösseren Annahmechancen haben, angenommen zu werden, als das beim Gegenentwurf der Fall ist, hat zuerst Gründe, die mit dem Themenbereich “Ausländer” zu tun haben. Nirgendswo sonst reicht die Unterstützung der rechtskonservativen SVP soweit wie in dieser Frage.

Es hat aber auch mit den Kommunikationsmöglichkeiten zu tun, wie die verschiedenen Nachanalysen zeigen, die heute der Oeffentlichkeit vorgestellt wurden: Initiativen bekämpft man, indem man entweder ihre Legitimation bestreitet, oder aber den Lösungsvorschlag bekämpft. In der Praxis ist es immer ein Mix aus beidem.

Nun werden beide Varianten der Nein-Kommunikation durch die Existenz eines Gegenvorschlages erschwert. Erstens, das Problem der Initiative wird durch den Behördenvorschlag aufgewertet, womit es sich nur noch bedingt bekämpfen lässt. Das zeigte sich bei der Ausschaffungsfrage unter anderem daran, dass die Linke für ein zweifaches Nein warb, die SP aber Mühe hatte, diese Parole durchzusetzen. Zweitens, die übliche Nein-Argumentation zu einer Initiative, die sich auf die schwächste Stelle an der Initiative konzentrieren kann, funktioniert bei einem Gegenentwurf nicht. Denn man ist gefordert, im Vergleich der beiden Vorlagen die Stärken des eigenen Projektes zu begründen, kann sich nicht auf die Schwäche des gegnerischen konzentrieren. Das wurde namentlich bei der FDP zum Probleme, deren wähler mehrheitlich Ja zum Gegenentwurf, aber auch zur Initiative stimmten.

Meine Lehre daraus ist: Im Parlament, speziell im Ständerat, mag das Konzept des Gegenemntwurfs gut funktionieren. Im Abstimmungskampf ist es ein stumpfes Instrument. Die klar polarisierenden Aussagen dominieren hier das Geschehen. Das ist umso eher der Fall, als die Grundsatzfrage entscheidet und nicht die Lösungsvarianten interessieren. Wenn das der Fall ist, kann es sehr gut sein, dass sich die Initiative gegen den Gegenentwurf durchsetzt.

Claude Longchamp

Eine Kaskade von kantonalen Testwahlen

Vom Februar bis April 2011 wird in 4 Kantonen gewählt: eine gute Gelegenheit, Trends im Parteiensystem der Schweiz systematisch und vergleichend zu beobachten.

SwissMapKantone

Der Politikwissenschafter Giovanni Sartori hat eine Systematik entwickelt, um die Entwicklung von Parteiensystemen vergleichend zu beschreiben. Von diesen interessiert die Polarisierung der Parteienlandschaft in der Schweiz am meisten. Die Ein- und Zwei-Parteiensysteme, die durch ein Mehrheitswahlrecht stabilisiert werden, sind fast überall verschwunden. Vorherrschend ist die gemässigte Pluralismus mit einer Mehrzahl an Parteien ohne eigentliche Dominanz, der bisweilen in einen polarisierten Pluralismus mit starken Parteien an den Polen der Parteienlandschaft umschlägt.

Die Wahlen in Appenzell Ausserrhoden (13. Februar 2011) sind vor diesem Hintergrund wenig verallgemeinerungsfähig. Sie erfolgen nach dem Majorzsystem, kennen mit der FDP eine dominante Partei, während alle anderen einen schweren Stand haben, zu bestehen. Erfolgreich waren in jüngster Zeit am ehesten noch parteiunabhängige Gruppierungen, bisweilen auch die SVP. Auch diesmal reduziert sich das Interesse darauf, ob jemand der FDP ernsthaft Konkurrenz machen kann. Doch selbst wenn dies der Fall sein sollte, bekommt Appenzell Ausserrhoden erst ein Zweiparteiensystem.

Ganz anders strukturiert ist das Parteiensystem im urbansten Kanton, der 2011 wählt. In Zürich ist der Uebergang vom gemässigten zum polarisierten Poluralismus am weitest fortgeschritten. Die Zahl der Parteien ist hoch, die ideologische Distanz unter ihnen ebenfalls. 2007 wurden die Sitze erstmals nach dem neuen Verteilungssystem, dem doppelten Pukelsheimer, berechnet, was tendenziell die kleineren Parteien noch aufwertete. Gewinnerinnen waren seit 1991 die SVP und seit 1999 die Grünen, derweil namentlich die SP 2007 den neuen Gegentrend kräftig zu spüren bekam. Die Polarisierung scheint mindestens links an Grenzen gestossen zu sein, was sich im erfolgreichen Auftreten der Grünliberalen als neue Partei mit Mitte-Tendenz zeigte, insgesamt auch durch eine Erstarken der Zentrums-Parteien zum Ausdruck kam. 2011 fragt man sich, ob die BDP punkten kann und damit das Feld erfolgreicher Wahlen über die Ursprungskantone Bern, Graubünden und Glarus erweitern kann. Von Interesse ist zudem, ob die SVP wählermässig nochmals zulegen, und damit die Polarisierung des Parteiensystems nochmals voranschieben kann oder nicht. Schliesslich wird man genau hinschauen, ob es der FDP gelingt, Gegensteuer zu zahlreichen Wahlniederlagen zu geben, und ob die SP die Zürcher Niederlage von 2007 verdaut werden konnte. Selbstredend interessieren die Regierungsratswahlen im bevölkerungsstärksten Kanton der Schweiz. Die Entscheidung dürfte zwischen SP, Grünen, CVP, allenfalls auch FDP fallen.

In Baselland, wo am 27. März 2011 gewählt wird, ist die Polarisierung weniger weit fortgeschritten als im Kanton Zürich, letztlich aber auch der wichtigste Trend. Profitiert hat in erster Linie die SVP, welche die SD geschluckt hat und die FDP konkurrenziert; beschränkten Nutzen konnte auch Rotgrün aus dieser Entwicklung ziehen, legten doch SP und Grüne meist etwas zu. Mit Interesse wird man hier auf die CVP schauen, die eigene Wege zu gehen gedenkt und bemüht ist, in der Mitte einen dritten Pol zu schaffen. Aufmerksam verfolgen wir man auch die Regierungswahlen, denn die FDP, die Staatsgründer-Partei im Kanton, ist im Parlament nur noch die dritte Kraft, in der Regierung mit zwei Vertretern die erste. Schliesslich gilt ein Augenmerk auch der BaslerZeitung, die erstmals seit der neuen Leitung in einem Wahlkampf mitmischt.

Im Tessin, wo die kantonalen Wahlen am 10. April stattfinden, ist der gemässigte Pluralismus mit FDP, CVP und SP durch die Lega schon in den 90er Jahren aufgebrochen worden. Kantonal hat sie sich etabliert, national ist sie nach ein starken Start auf dem absteigenden Ast. Die kantonale Parteienentwicklung determiniert die Lega aber dennoch, weil sie den allgegenwärtigen Aufstieg der SVP bisher weitgehend verhindert hat. Gegen die Polarisierungstendenz spricht hier auch, dass die SP ihren Höhepunkt 2003 hatte, seither aber an Parteistärke verliert, ohne das sich die Grünen namhaft profitieren konnten.

Bleibt der Kanton Luzern, der ebenfalls am 10. April wählt. Hier wird man vor allem das Verhältnis von SVP und CVP studieren können, denn die relevante Verlagerung der letzten Jahre fand im konservativen Lager statt, wo der Rückgang konfessioneller Bindungen an Parteien zur Schwächung der CVP und zur Stärkung der SVP geführt hat. Eine wirkliche Polarisierung findet aber nicht statt, den SP und Grüne sind blieben weitgehend stabil und die FDP verlor hier kaum.

Mit anderen Worten: Die Zürcher Wahlen zeigen die Uebergang der Parteiensystems zum polarisierten Pluralismus am deutlichesten. In Basel-Landschaft und Tessin sind weitere Polarisierungen denkbar, in Luzern ist eher von einer weiteren Umgruppierung der konservativen Wählerschaft auf dem Land auszugehen.

Aus gesamtschweizerischer Sicht ist an der Kaskade verschiedenartig gelagerter kantonaler Wahlen von Belang, ob sich das Parteiensystem weiter weg vom gemässigten hin zum polarisierten Pluralismus entwickelt, ob eine generelle Verlagerung hin zu rechten Parteien gibt resp. ob mit einer parteipolitisch repräsentierten Mitte ein dritten Pol entstehen. Das wird Zeichen setzen, was man national erwarten kann.

Claude Longchamp

Demokratien vermessen – zu ihrer Kontrolle und zu ihrem Schutz

Zum fünften Mal in Serie hält die Demokratie-Stiftung “Freedom House” einen Rückgang der Zahl existierender Demokratien fest. Verringert hat sich auch der Anteil Staaten, deren Regime als frei gelten kann. Die Schweiz erscheint erstmals mit Kritikpunkten. Ein Verteidigung des Vermessens von Demokratien.

FIW2011Coverfinal(1)
Jahresbericht zur globalen Entwicklung der Demokratie

Vordergründung hat die Schweiz kein Problem: Die Forscher von “Freedom House” zweifeln nicht daran, dass unser politisches System frei und demokratisch ist. Im Zeitvergleich 2007-2011 halten sie aber einen Rückgang der Demokratiequalität fest. Entscheidend sind für die Autoren neue Trends bei Volksabstimmungen. So waren mit der Minaretts-Initiative die Grundrecht für Muslime tangiert, und die Forderung nach dem Bauverbot für Minarett steht heute in der Verfassung. Zudem, schreibt der Bericht, ist die Schweiz mit der SVP die Heimat der weltweit erfolgreichsten Anti-Immigrations-Partei.

Trotz dieser schwachen Kritik stellt die Schweiz, wie die meisten westeuropäischen Staaten, kein Schwerpunktsland der Berichterstattung der amerikanischen Demorkatie-Stiftung dar. Wichtiger sind die Entwicklung in zerfallenden Demokratien. So ist die Zahl der Demokratien in den letzten 15 Jahren von 123 auf 115 zurückgangen. 87 Staaten stufen die Forscher heute als frei ein. 60 Staaten seien “teilweise frei”, 47 “unfrei”. Auch hier ist der Trend seit einigen Jahren negativ.

Um den Freiheitsgrad zu messen, verwendet “Freedom House” ein Set an Indikatoren. Die Kriterienliste umfasst die Fairness von Wahlprozessen, den politischen Pluralismus, den Grad von Regierungskorruption, die Rede-, Glaubens-, Versammlungs- und Organisationsfreiheit sowie die Unabhängigkeit der Justiz. Diese Muster lehnt sich stärker an die amerikanischen Demorkatievorstellungen an, als dies in anderen Indices der Fall ist. Das führt im Einzelfall zu anders lautenden Bewertungen, insgesamt aber zu einem vergleichbaren Schluss.

Als generellen Trend bezeichnen die Forscher von “Freedom House” zurecht das Ansteigen autoritärer Tendenzen in der Politik. Diese entwickelten sich immer ungehinderter von der internationalen Meinung und würden in den betroffenen Staaten immer aggressivere Tendenzen annehmen. Man soll gerade mit Hilfe solcher Instrumente Augenmass behalten, was sich ändert, aber auch aufmerksam sein, für das, was sich im Grossen und Kleinen verbessert oder verschlechtert.

Anders als die WOZ es diese Woche tat, halte ich das Vermessen von Demorkatie gerade nicht für vermessen. Abgeschafft wird sie nicht durch Monitore wie demjenigen von Freedom House, sondern durch antidemokratische politischer Kräfte, die man unerkannt gewähren lässt.

Claude Longchamp

Kurzanalyse zum Stand der Meinungsbildung bei der Waffen-Initaitive

Am 13. Februar 2011 wird gesamtschweizerisch einzig über die Volksinitiative “Für den Schutz gegen Waffengewalt” abgestimmt. Hier wird der Stand der Meinungsbildung aufgrund der ersten von zwei SRG SSR Befragungen analysiert.

Tagesschau vom 14.01.2011

Die InitiantInnen werten ihren Vorstoss als Beleg, dass die politische Linke die veränderten Sicherheitsbedürfnisse der BürgerInnen aufnehmen. Ihre bürgerlichen Widersacher sehen darin nicht mehr als die Fortsetzung linker Politik zur Entwaffnung der Schweiz. Entsprechend klar ist der Abstimmungskampf gestartet, wobei sich starke Plakate zu Schussopfern im familiären Umfeld einerseits, Verrat an Schweizer Traditionen anderseits gegenüberstehen. Umstritten sind wie heute fast schon üblich, welches die Fakten sind. Das Bundesamt für Statistik nennt rückläufige Zahlung für Selbsttötungen mit der .Armeewaffe, während die Ärzte von einem Europarekord an Selbstmorden in der Schweiz sprechen.

Unsere erste von zwei Umfragen legt für die Anfangsphase des Abstimmungskampfes nahe, dass die Ja- gegenüber der Nein-Seite führt. Die momentanen Stimmabsichten lauten 52 zu 39 zugunsten der BefürworterInnen. Zudem zeigt die Erhebung, dass die Meinungsbildung trotz des frühen Zeitpunktes der Datenerhebung schon fortgeschritten ist. Sie ist allerdings noch nicht abgeschlossen. Dafür stehen 9 Prozent ohne Stimmabsichten und weitere 22 Prozent der teilnahmewilligen BürgerInnen, die sich erst tendenziell festgelegt haben. Zudem steigt mit dem Abstimmungskampf die Beteiligung erfahrungsgemäss um 5 bis 10 Prozentpunkte, sodass Effekte der Mobilisierung auf das Endergebnis nicht ausgeschlossen werden können.

Nimmt man die Erfahrungen mit Vorbefragungen bei Volksinitiativen zu Rate, kann man die denkbaren Szenarien auf ein übliches und ein unübliches reduzieren: auf den Meinungswandel vom Ja ins Nein und auf den konstanten Ja-Anteil. Im ersten Fall ist mit einer mehr oder weniger knappen Ablehnung zur rechnen, im zweiten Fall eine knappe Zustimmung möglich.

Vom Konfliktmuster, das sich in der Repräsentativ-Befragung abzeichnet, kann man mit einem recht klaren Links/Rechts-Gegensatz rechnen. Aktuell bilden die Grünen auf der Ja-, die SVP auf der Nein-Seite die Pole. Das zustimmende Lager wird durch die WählerInnen der SP, mehrheitlich auch durch jene ohne Parteibindung verstärkt, derweil relative Mehrheiten von FDP und CVP die anlehnende Seite ergänzen. Für den weiteren Verlauf der Meinungsbildung entscheidend wird sein, in welche Richtung sich die BürgerInnen ohne eindeutige Parteibindung entwickeln, beschränkt auch, wie geschlossen die bürgerlichen Parteien auf der Nein-Seite stehen werden.

Anders als bei Links/Rechts-Polarisierung wegen materiellen Interessen prallen diesmal eher wertemässige Weltbilder aufeinander. Entsprechend ist sind die sonst üblichen Differenzierungen zwischen der Romandie und dem Rest respektive den Städten und dem Land diesmal wenigstens in der Ausgangslage nicht erheblich. Dafür gibt es zwei andere Phänomene: Belegt ist ein grosser Gegensatz in den vorläufigen Stimmabsichten nach Geschlechtern. Noch unbekannter ist der Sachverhalt, dass die Behörden, welche die Vorlage bekämpfen, durch die BürgerInnen mit ausgesprochenem Regierungsmisstrauen verstärkt werden.

Sowohl die Ja- wie auch die Nein-Seite haben je eine populäre Botschaft und einige mehrheitsfähige oder zielgruppenspezifische Argumente, die sie (noch) vorbringen können. Je zwei Drittel der befragten StimmbürgerInnen finden, dass ein Gewehr im Kleiderschrank eine Gefahr für Familien und Gesellschaft sei respektive auch ein Ja zur Initiative missbräuchliche Verwendungen von Waffen nicht ausschliessen würde. Mehrheiten sind der Auffassung, das Bedrohungsbild der Schweiz habe sich längst soweit verändert, dass keine Gewehr mehr zu Hause Schutz bietet, während auf der anderen Seite ebenso verbreitet begründet werden kann, dass das Gefährlichste an jeder Waffe, die Munition, nicht mehr zu Hause aufbewahrt werde. Etwas umstrittener ist, wie unsere Umfrage zeigt, ob mit einem Ja zur Initiative traditionelle Schweizer Werte aufgegeben würden respektive ob man damit die Selbstmordrate in der Schweiz verringern könnte.

Wenn sich die Zustimmung wie im zweiten Szenario zurückentwickeln sollte, ist mit einem Schwenker der Parteiungebundenen und der bürgerlichen Frauen, namentlich bei der CVP, zu rechnen. Unsere Abklärungen hierzu zeigen, dass es kein optimales Argument gibt, die Summe der Einwände aber entscheidend sein könnte, um Zweifel an einer Zustimmungsneigung zu nähren. Für unausgeschöpft halten wir das meinungsbildende Potenzial der Botschaft, dass es nebst der Ordonanzwaffe zahlreiche andere Waffen gibt, von denen im Alltag eine Bedrohung ausgeht. Die Nein-Seite versucht ganz bewusst mit einem der beiden Plakate darauf anzuspielen, indem wie bei der letzten Volksabstimmung auf Ängste gegenüber ausländisch wirkenden Mitmenschen angespielt wird.

Wie einleitend festgehalten: In der Ausgangslage hat die Ja-Seite einen Vorsprung auf das Nein-Lager. Es ist aber nicht auszuschliessen, dass es zu einem Meinungsumschwung kommt, wie er bei linken Initiativen eigentlich immer beobachtet werden kann, bei dem nicht nur der Nein-Anteil mit dem Abstimmungskampf steigt, sondern auch der Ja-Prozentsatz sinkt. So gesehen ist der Ausgang der Volksabstimmung vom 13. Februar 2011 offen.

Claude Longchamp

Keine weitere Volksabstimmung 2011

Der Bundesrat entschied gestern, 2011 keine weitere Volksabstimmung durchzuführen. Eine Analyse der Ursachen und der Folgen für das Wahljahr.

tabelle

Die meisten dürften die Notiz gar nicht wahrgenommen haben, wonach die eidgenössische Volksabstimmung vom 15. Mai 2011 nicht stattfindet. Ich habe sie sehr wohl bemerkt, denn 4 Monate vor einem Datum für eine gesamtschweizerische Volksabstimmung schaue ich genau hin.

Der Grund für die Frist von 16 Wochen ist ziemlich profan. Das ist die mininale Dauer für die Herstellung des Bundesbüchleins, das rechtzeitig vor eidgenössische Volksabstimmung verschickt sein muss. Kürzer geht nicht. Also muss der verbindliche Entscheid des Bundesrates jeweils 4 Monate vor einem Blanko-Termin für Volksentscheidungen vorliegen.

Diesmal ist der bundesrätliche Beschluss von besonderer Bedeutung. Unsere Regierung verzichtet damit, dass in der Vowahlzeit medial umfassend referierte und bevölkerungsseitig breit diskutierte politische Entscheidungen getroffen werden.

2003 verfolgte man noch ein umgekehrtes Konzept. Damals stimmten für im Frühsommer über eine Rekordzahl von Vorlagen. 2 Referenden und sieben Volksinitiativen wurden zur Entscheidung vorgelegt. 9 mal kam es zu einer maximalen Polarisierung zwischen Rechten und Linken, Siegern und Verlieren. Die Mobilisierung durch die Vielzahl an Anknüpfungspunkte war maximal.

Damals präsentierten viele Medien am Abstimmungsmontag eine “solid bürgerliche Schweiz” – und hoffte auf eine gleiche Aussage am Wahltag. Davon traf nichts ein, legten doch SVP, aber auch SP und Grüne zu, derweil FDP und CVP, aus deren Kreise die Idee mit der Super-Abstimmung stammte, verloren.

2011 kommt es nun zum gegenteiligen Szenario. Die Ursachensuche muss im Bundesrat beginnen. Wenn kein Magistrat eines seiner Themen zur Abstimmung bringen will, geht erfahrungsgemäss gar nicht. Die zahlreichen Wechsel an der Spitze der Departement dürfte die Chancen hierfür nicht erhöht haben. Zudem war die Polarisierung seit 2009 ausgesprochen hoch, man erinnere sich nur die Volksentscheidungen zur Personenfreizügigkeit, über die Minaretts- und die Ausschaffungsinitiative.

Aber auch die politischen Parteien dürften ihre Vertreter in der Bundesregierung ermuntert haben, im Wahljahr keine weiteren als eigennützige Kampagnen fahren zu müssen. Denn die Parteifinanzen befinden sich (fast) überall in einer angespannten Lage. Und für die Wahlen hat man weitherum aufgestockte Kriegskassen angekündigt. Auch hier kann man weitere Gründe vermuten: So wurde alles unternommen, gewisse Themen im Wahljahr nicht auf der Traktandenliste zu haben. Gegenvorschläge zur Minder- oder Offreader-Initiatve sprechen dafür.

So sind die Volksabstimmung vom kommenden 13. Februar 2011 die voraussichtlich letzten in dieser Legislaturperiode. Theoretisch möglich wäre ein gesamtschweizerischer Urnengang noch Ende November dieses Jahres. Doch das ist noch unwahrscheinlicher, denn dann werden alle wohl nur noch über die anstehenden Gesamterneuerungswahlen in den Bundesrat reden wollen.

Das Wahljahr bleibt somit fast ganz den Wahlen gewidmet. Das ist zunächst nur gut! Es erhöht aber auch die Anforderungen der Parteien, ihre Themen zu setzen. Und es gibt den Medien mehr Spielraum, die Aufmerksamkeit für solche zu verstärken – oder auch abzuschwächen. Im Frühjahr werden die kantonalen und kommunalen Wahlen die Szenarie beherrschen. Spätestens im April wird man die Bilanz hierzu ziehen, und nach Themen Ausschau halten, welche das Wahlgeschehen aktivieren könnten. Wir alles sind gespannt, wer vom offen stehenden Fenster profitieren wird.

Ach ja: Auch diesmal hat alles einen weiteren Grund, warum ich mich gerade im Wahljahr in Sachen Volksabstimmungen genau umschaue. Denn mit Wahlberichtserstattung und Analysen zu Volksabstimmung ist die Agenda unseres Instituts ziemlich voll, sodass wir kaum Ferien machen können. Das ist jetzt etwas anders.

Claude Longchamp

Mühleberg-Entscheidung im Kanton Bern von nationaler Bedeutung

Eigentlich ist es nur eine kantonale Konsultativ-Abstimmung. Dennoch wird der “Mühleberg”-Entscheid im Kanton Bern bei den Volksabstimmungen vom 13. Fenruar 2011 nationale Beachtung finden.

320px-KernkraftwerkMuehleberg
Kernkraftwerk Mühleberg – über dessen Fortsetzung bald schon ein viel beachteter Vorentscheid gefällt wird

Am 13. Februar 2011 stimmen die Berner StimmbürgerInnen ab. Es geht um die Stellungnahme des Kantons zum Rahmenbewilligungsgesuch für den Ersatz des Kernkraftwerks Mühleberg. Der Entscheid hat konsultativen, nicht bindenden Charakter.

Darob entbrannte schon früh eine Kontroverse, weil das mehrheitlich bürgerlichen Kantonsparlament die mehrheitlich linke Regierung verpflichtete, von ihrem AKW-kritische auf einen Kernenergie-freundlichen Kurs umzuschwenken.

Zum nationalen Thema avancierte die kantonale Abstimmung spätestens mit dem Beschluss der Energiebranche, sich für zwei neue Kernkraftwerk stark machen zu wollen, eines in Beznau und eines in Mühleberg – falls die bernische Abstimmung positiv ausgeht. Im anderen Fall will man Mühleberg durch Gösgen ersetzen.

Die entscheidende Weichenstellung ist das nicht. Denn die national gültige Weichenstellung dürfte erst 2013 gefällt werden, wenn in einer gesamtschweizerischen Volksabstimmung über die Fortsetzung des Kernenergieprogramms in der Schweiz entschieden wird. Dann wird klar sei, wieviele der drei auslaufenden Kernkraftwerke auf Schweizer Boden ersetzt werden sollen.

Dennoch wird der bernische Entscheid vom 13. Februar 2011 aber auch ausserhalb der Kantonsgrenzen seine Aufmerksamkeit finden: Denn erstmals entscheidet ein Standortkanton via Volksabstimmung über die Zukunft der Kernenergie.

Zudem ist Bern in solchen Fragen durchaus ein Stellvertreterkanton. In den letzten sechs Volksabstimmung in Sachen Kernenergie war die Mobilisierung zwar durchwegs etwas unter dem nationalen Mittel; das kantonale Ergebnis wich trotzdem nur in durchwegs engen Grenzen vom nationalen Resultat ab.

Dabei ist Bern eher ein Durchschnittskanton als eine Mini-Schweiz. Dafür fehlt schon der Einfluss der italienischen Sprache. Hinzu kommt das weitgehende Fehlen der CVP, die in Bern keine Funktion als Mehrheitsbeschafferin kennt. Das war insbesondere bei der Moratoriumsentscheidung auf nationaler Ebene von Bedeutung, denn da führte die positive Stellungnahme der CVP-WählerInnen zum Durchbruch für die Denkpause in Sachen Kernenerige. Im Kanton Bern kommt am ehesten der BDP eine entsprechende Rolle zu; diese ist zwar für ökologische Stromproduktionen, steht aber mit ihrer Einbindung ins BKW-Netz aber eindeutig für die Weiterführung des Kernenergieprogramms.

Man wird am 13. Februar 2011 zurecht auf die bernischen Entscheidung schauen. Man wird aber gut daran tun, sie differenziert zu interpretieren, was die Schlussfolgerungen für die nationalen Kernenergiepolitik betrifft.

Claude Longchamp