Die Aussichten der Allianz der Mitte nach den Wahlen 2011

Zu den neuen Phänomenen der schweizerischen Parteienlandschaft des Jahres 2010 gehört die “Allianz der Mitte”. Die Koordinierung des politischen Zentrums hat der thematischen Polarisierung einen dritten Machtblock gegenüber gestellt. Was könnte das für eine Neuausrichtung der Regierungszusammensetzung nach 2011 heissen? – Eine Auslegeordnung.

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Im Bundesrat ist es recht einfach: Die Allianz der Mitte, bestehend aus der FDP.Die Liberalen, der CVP und der BDP, stellt gegenwärtig vier der sieben BundesrätInnen – die Mehrheit. Gleiches gilt für den Ständerat, wo man, gemeinsam stimmend, auf 28 der 46 Stimmen kommt. Im Nationalrat ist jedoch alles anders, denn die neue Allianz kommt hier auf 71 der 200 Sitze. Zusammen ergibt das 99 der 246 Stimmen in der Bundesversammlung – oder genau 25 zu wenig, um die Wahlen beispielsweise in den Bundesrat alleine bestimmen zu können.

Was müsste geschehen, damit das neue Zentrum nach 2011 den Bundesrat nach eigenem Gusto bilden könnte? Nötig wären mehr als 45 Prozent der Stimmen oder gut 90 Sitze. Im Ständerat wären rund 30 denkbar. Mit anderen Worten: FDP, CVP, BDP, GLP und EVP müssten um rund 10 Prozentpunkte zulegen.

Gewinne bei der GLP und BDP sind durchaus denkbar – nicht aber in der genannten Grössenordnungen. Oder anders gesagt: Auch FDP und CVP müssten je 3 Prozent stärker werden, und das nicht zu lasten der anderen Zentrumsparteien, damit die neue Allianz im nächsten Parlament, insbesondere in der Bundesversammlung, eine Mehrheit hätte.

Das ist, unter den gegenwärtigen Bedigungen nicht wahrscheinlich. Das heisst auch, dass die Allianz der Mitte die Bundesratswahlen nicht alleine bestimmen kann. So wird sie wohl auch nach 2011 zu machtpolitischen Zugeständnissen an die S-Parteien, wie SVP und SP genannt werden, gezwungen sein. Generell gibt es 3 Stossrichtungen:

1. Eine Koalition mit der SVP oder der SP. Rechnerisch würde das die Mehrheit im Parlament ergeben. Im ersten Fall besteht die Gefahr, dass relevante Bestandteile der Romandie wegkippen, und ihre Interessen in Europa- oder Sozialpolitik von der rotgrünen Opposition mobilisiert werden können. Im zweiten Fall wäre die SVP in der Opposition, und sie könnte namentlich in der deutschsprachigen Schweiz zur wirksamen Opposition werden, die mit dem Referendum zahlreiche Projekte blockieren können. Für beides ist das politischen System der Schweiz, sind aber auch wichtige Bestandteile der politischen Kultur unseres Landes nicht geschaffen.

2. Eine Allianz mit beiden S-Parteien, jedoch unter Wahrung der Vorherrschaft der Mitte. Das könnte beispielsweise so aussehen, dass FDP und CVP je zwei Bundesratssitze hätten, die BDP ihren behalten könnte, und die Rechte wie die Linke mit je einem Sitz beginnen – mit der Aussicht, die Nachfolge von Eveline Widmer-Schlumpf antreten zu können, wenn sie sich konform verhalten. Politisch würde das die SP kaum mitmachen, was zu einer Rotation der linken Vertretung hin zu den Grünen führen könnte. Stimmenmässig könnte das nach 2011 die nötigen 10 Prozent bringen, die einer Mitte-Allianz fehlen, um den Takt bei Bundesratswahlen vorgeben zu können. Die SVP kann sich davon nichts versprechen, was sie nicht schon hat; sie dürfte deshalb ein eigenes Projekt verfolgen.

3. Die Allianz der Mitte könnte wie bisher 4 Sitze beanspruchen, und die parteipolitische Verteilung belassen. Jene S-Partei, die sich im Wahlkampf zentrierter gibt, und die gewillt ist, mehr programmatischen Gemeinsamkeiten mit der Mitte zu tragen, könnte einen zweiten Sitz bekommen. Wäre das die SVP, würde sich die Mehrheitsfrage im Parlament nicht stellen, und auch wenn die SP bei ihrer jetzten Vertretung bleiben könnte, wären Mehrheiten denkbar. Der Preis wäre, dass die SP die BDP wieder mittragen müsste, und die SVP wohl auf Dauer in der Junior-Rolle bliebe.

Jede andere Ueberlegung führt weg von einer denkbaren Mehrheit der Mitte im Bundesrat, womit sich auch die Frage der Mehrheitsverhältnisse in den beiden Parlamentskammer nicht mehr gleich stellen würde. Mit numerischer Arithmetik lässt sich eine dauerhafte Stärkung der Mitte im Bundesrat nicht mehr begründen.

So oder so: Eine Mehrheitspolitik der Mitte via Regierung bedingt entweder, dass das Zentrum numerisch klar gestärkt wird, oder weitere Partner links oder rechts an Bord geholt werden muss.

Claude Longchamp

Zukunft der Biodiversität: Vorschläge für das Handeln in der Schweiz

Nach der Weltkonferenz in Nagoja, die sich der Biodiversität angenommen und zu einem Durchbruch unter den Vertragsstaaten für mehr Handeln geführt hat, versammelten sich heute die Interessierten aus der Schweiz im freiburgischen Villars-sur-Glane, um über die “Zukunft der Biodiversität” nachzudenken und weitere Ideen zu diskutieren.

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«Entstanden ist ein gut lesbares Buch, das einen umfassenden Überblick bietet, wie sich die Schweizer Biodiversität sei 1900 entwickelt hat und wie die Prognosen für die Zukunft aussehen.» (Quelle: Ornis)

Im Workshop zum Thema “Handeln für die Biodiversität” trug ich meine Thesen zum Bereich Oeffentlichkeit vor. Die zentralen Aussagen waren:

1. Biodiversität ist in den letzten 5 Jahren zum öffentlichen Thema geworden. Die Natur- und Umweltorganisationen sind als Basisbewegung aktiv geworden. Sie haben in ihrem Umfeld mobilisiert, und so zur Problematisierung der Bewusstseins analog zu den Trend, welche Wissenschaften zur Biodiversität aufgedeckt haben, beigetragen. Der Begriff hat sich medial-politisch eingebürgert. Er sollte nicht mehr geändert werden.

2. Biodiversität wird heute bevölkerungsseitig als Folge von Landschafts-, Wasser- und Luftverschmutzung gesehen. Biodiversität leidet wegen dem Landschaftsverbrauch. Sie verringert sich wegen dem Klimawandel, und wegen der Uebernutzung der Natur. Ein Zusammenhang zwischen Biodiversität und Wirtschaft wird kaum gesehen; vielmehr sieht man es als moralischen Pflicht des Menschen an, zu den schädlichen Eingriffen in die Natur Gegensteuer zu geben. In der Schweiz kommt hinzu, dass man an die künftigen Generationen denken solle, insbesondere was die Weitergabe der Schönheiten der Natur betrifft. Das ist gleichzeitig Problem und Chance zu gleich: Problem, weil der Zustand der Natur insgesamt positiv beurteilt wird, Chancen, weil man das gerne erhalten möchte.

3. Die zukunftige Themenarbeit sollte effektiver geführt werden, vor allem gegenüber der Politik. Da bleiben meines Erachtens die grössten Defizite. Campaigning ist hier der richtige Ansatz: Die NGOs brauchen, aufbauend auf den Verpflichtungen aus Nagoja, eine klare Vision der Biodiversitätspolitik, die Ziele vorgibt, welche innert 10 Jahren erfüllt werden können. Campaigning bedeutet, Steuerung der Prozesse durch Kommunikation, wobei die Ziele eindeutig sein müssen, auch wenn die Arenen der Handlung immer wieder ändern werden. Campaigning beinhaltet zunächst Lobbyarbeit auf allen Ebene. Es umfasst Oeffentlichkeitsarbeit, die auf die Medienbedürfnisse abgestimmt sind. Und dazu gehört die Fortsetzung der Basisaktivitäten, welche das UNO-Jahr der Biodiversität erfolgreich werden liessen.

Ich habe heute vorgeschlagen eine “Plattform Biodiversität” einzurichten. Dies sollte Wissenschaft, NGOs, Politik und Medien dauerhaft vernetzen, um einen raschen Informationsfluss zwischen allen Beteiligten zu gewährleisten. In so seine Plattform integriert gehört ein wissenschaftlich betriebenes Observatorium für Biodiversität, aber auch eine Agentur, welche das Thema in der Mediengesellschaft angemessen zu kommunizieren weiss.

Zum Vorteil aller, welche die Lebensgrundlagen auf für die Zukunft erhalten möchten.

Claude Longchamp

Wohin sich politische Blogs in der Schweiz entwickeln könnten

Die Bloggerszene der Schweiz ist nicht gross. Die politische ist noch kleiner. Dabei dominiert der Typ des kommunikativen Lokalpolitikers, der attackiert, kommentiert oder kontempliert (wie diesen). Darüber hinaus gibt es einige politische Fachblogs (wie diesen). Bisher selten sind aber spezialisierte Reports, die gezielt die politische Berichterstattung bedienen, um auf sie Einfluss zu nehmen (wie ansatzweise diesen).

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Differenzierung hin zu spezifischen Dienstleistungen statt Sammelsurrium zu allem und jedem ist der Trend in den US-amerikanischen Politblogs

Die US-amerikanischen Wahlen 2010 machten es deutlich. Hochspezialisierte politische Reports, die wöchentlich oder täglich aktualisiert werden, sind – nebst Parteien, KandidatInnen und Medien – zu eigenständigen Treibern der Wahlberichterstattung geworden.

Betrieben werden sie von politischen Analysten, die nicht warten, bis Medien sie anfragen, sondern ihre eigene Agenda verfolgen. Sie verarbeiten meist eigene und fremde Datenquellen, beschreiben Zustände, analysieren Trends, und sie erstellen Prognosen, was man alles als Newsletter auch abonnieren kann. Parteien stellen auf sie ab, aber auch Massenmedien konsultieren sie, und in der politischen Blogosphäre sind sie eigentliche Gurus.

Charles E. Cook gehört zu ihnen. Er gehört seit 12 Jahren zum Netzwerk “National Journal Group”, berät NBC News, hat verschiedene Kolumnen und ist Zuträger zu Think Tanks. Die New York Times kennzeichnet seine Dienste als “…a newsletter that both parties regard as authoritative”, während die Washington Post Cook “perhaps the best non-partisan tracker of Congressional races”.

Weitere Grössen im Geschäft sind beispielsweise die Politikwissenschafter Larry J. Sabato, Stuart Rothenberg. Dazu zählen auch der Demoskopie-Kenner Nate Silver, der für die New York Times analysiert, und der anonyme Votemaster, der die Seite electoral vote betreibt, die sich darauf spezialisiert hat, alle Umfragen in den einzelnen Bundesstaaten der USA zu dokumentieren und zu bewerten. Seine Dienste werden während amerikanischen Wahlkämpfen bis zu einer Million mal täglich abgerufen. Sie dienten beispielsweise auch der Schweizer Presse als wichtigste Referenz bei der Präsidentschaftswahl 2008.

Sie alle zeichnet aus, dass sie nicht in erster Linie nach dem Motto bloggen, “ich bin ein politisch denkender Menschen, und so bringe ich mich hier ein”. Sie sind professionelle Dienstleistungen von absoluten Spezialisten, die das Medium Blog verwenden, um aktuell, rasch und einflussreich politisch Interessierte zu bedienen.

Man kann gespannt sein, ob die Schweizer Wahlen in einem Jahr einen solchen Typ von Blog und Bloggern auch bei uns hervorbringen wird.

Claude Longchamp

Der Wahlsieg der GOP von historischem Ausmass

Sieg ist Sieg, werden sich die Republikaner heute gesagt haben. Selbst wenn die Demokraten im Senat vorne bleiben, im Repräsentantenhaus stellen die Herausforderer die Mehrheit.

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Gemäss den letzten Hochrechnungen von CNN gewinnen die Republikaner im Repräsentantenhaus 61 Sitze. Sie kommen damit auf 239 Mandate. Im Senat konnten sie voraussichtlich 6 Sitze gut machen, was zu 47 Mandaten führen würde. Ersteres genügt für das absolute Mehr von 218 komfortabel, zweites wird nicht ausreichen, selbst wenn die zwei noch nicht vergebenen Sitze an die GOP gehen sollten.

Der Erdrutschsieg der Republikaner im Repräsentantenhaus sucht in der amerikanischen Nachkriegsgeschichte seinesgleichen. Der bisher grösste Einschnitt stammt aus dem Jahre 1946, als die Republikaner 56 Sitze zulegen konnten.

Der Wert liegt auch etwas höher als von den Wahlprognostikern bei PollyVote erwartet. Sie rechneten in der finalen Projektion mit 53 Sitzverschiebungen in der grossen und 8 Veränderungen in der kleinen Kammer.

Das mag an der Neuartigkeit der Instrumente liegen. Ihnen ist eigen, dass sie die aktuellen Vorhersagen auf bisherigen Erfahrungen machen. Das hat eine Tücke: Neuentwicklungen sind nur schwer erkennbar, können aber angesichts der finanziell aufwendigsten midterm-Wahlen in den USA erwartet werden.

Dafür spricht auch, dass erst in den letzten vier Wochen vor den Wahlen wirklich Bewegung in die Wahlvorhersagen kamen. Bis dann sah es nach einem Patt zwischen den beiden Parteien aus, was sich dann je nach Tool mehr oder weniger schnell und deutlich zu ändern begann.

Von dieser Bewegung profitierte auch die populistische Tea Party, die von der Enttäuschung gegenüber beiden grossen Parteien gerade in Wirtschaftsfragen leben, nun in beide Kammern einziehen wird, wo sie die Grand Old Party verstärken intern aber auch bedrängen wird.

Eine Frage stellt sich mir am Tag nach der Wahl: Wie nur ist es möglich, dass aus dem phänomenalen Sieg von Präsident Barack Obama vor 2 Jahren eine solche Niederlage möglich wurden? Spekulationen hierzu sind durchaus erwünscht.

Claude Longchamp

PS:
Am genausten waren diesmal die Wahlbörsen, wie jene von Intrade, die kurz vor der Wahl auf 62 Sitzverschiebungen gewettet hatten. Am schlechtesten schnitten die Modellierungen ab. Genau war da nur Alan I. Abramovitz. Aufgrund modifizierter Gallup-Umfragen kam er auf 62 Veränderungen als wahrscheinlichste Variante. Von den politischen Reports schnitt der von Rothenburg Political Report, ein parteiunabhängiger elektronischer Newsdienst, am besten ab. Er hatte 60 Sitzverschiebungen vorausgesagt.

NZZ kontert Tamedia

Zuerst war Kurt Imhof mit seiner Diagnose zur niedergehenden Qualität der Schweizer Medien. Dann reagiert Pietro Supino, einer der Kritisierten, im Namen des VRs der Tamedia und verteidigte Gratis- und Online-Medien. Und jetzt kontert die NZZ die Konkurrenz von der Zürcher Werdstrasse, um die Sorgen der Qualitätspresse aufzuzeigen.

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NZZ-Redaktor Rainer Stadler ist Träger des Zürcher Journalistenpreises. In der heutigen NZZ geht er der Entwicklung der Hintergrundsinformationen nach. Denn was mit der digitalen Revolution wachse, sei nur die Unterhaltung. Insofern herrsche Scheinvielfalt. Zitiert werden hierfür der Arbeiten Medienforschers René Grossenbacher: Es werde oft nur nachgeplappert, was Fachleute aus den PR-Abteilungen vorgekaut hätten. Das führe zur Reproduktion des Immergleichen, der Ausformung einer «Mainstream-Themenagenda».

In das Hohelied der wachsende Recherchemöglichkeiten mag Stadler gar nicht einstimmen. Denn der Zeitdruck verhinderte oftmals schon das elementare Nachfragen. Genau so gewinne der PR-Journalismus Ueberhand. Die PR-Abteilungen von Unternehmen und Staat müssten ausgebaut werden, um in der Öffentlichkeit ein Minimum an Informationssicherheit zu gewährleisten, weil die Ressourcen der einzelnen Medientitel auf schon geringem Niveau immer noch schrumpfen würden.

Deshalb bezweifelt die Stimme auf der Medienarbeit, dass Bildung durch Medien vermittelt werde, mit selten geäusserter Deutlichkeit. “Diese Verdienste muss man vielmehr unserem Bildungssystem zuschreiben.” Ein Strukturwandel, wie ihn die Medienbranche derzeit durchlebe, erzeugt unweigerlich Schocks, Irritationen und Frustrationen. Die Aufgabe von Verlegern sei es, die Medienhäuser wieder auf eine langfristig tragfähige Basis bringen – ein unbestritten anspruchsvoller Job.

Stadler sieht es ähnlich wie Kurt Imhof. Im Kern geht es um die Ressoucenfrage. Diese sind gerade in der Medienbranchen aus verschiedenen Gründen knapp geworden. Das drückt auf verschiedene Arten auf die Qualität der Medieninhalte, denn sie seien gezwungen, Fremdleistungen, die nicht nach journalistischen Kriterien produziert worden sind, zu übernehmen. Eigenleistungen wieder basieren immer weniger auf eigener Recherche, Kombination und Darstellung, immer mehr auf Âbdrucken des Immergleichen. Damit nimmt die Introversion der Medien als System zu. Dies anstatt die ihnen gebührende Vermittlungsleistungen im pluralistischen Verbund zu gewährleisten, wie es die meisten Demokratietheorien für nötig erachten.

Claude Longchamp

Womit die amerikanischen Wahlprognostiker bei den Wahlen ins Repräsentantenhaus rechnen

Gut 50 Sitzverluste sagt die auf Wahlprognosen spezialisierte Website “Pollyvote” den amerikanischen Demokraten voraus. Damit würden sie die Herrschaft über das Repräsentantenhaus verlieren.

Jede Prognosemethode hat Vor- und Nachteile. Das gehört zu den Ueberzeugungen von Pollyvote. Deshalb stellt die auf Wahlprognosen spezialisierte amerikanisch-deutsche Arbeitsgruppe auf mehrere Methoden ab, und innerhalb jeder Methode auf mehrere Quellen: “Polly’s method is to average within and across several forecasting methods. This yields the Pollyvote, an average of averages.”

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Bei den morgigen Halbzeit-Wahlen ins amerikanische Repräsentantenhaus sind die demoskopischen Projektionen von Sitzen, Wahlbörsen und ökonometrische Modelle.

Die Wirtschaftsmodelle werden in der Regel einmal erstellt. Im Mittel rechnen sie mit 41 Sitzverlusten. Typisch hierfür ist die Prognose des Schweden Douglas Hibbs. Anders ist die Vorhersage der Börsianer von Intrade, die auf die Parteien wetten. Sie ist dynamisch und geht im Schnitt mit 55 Sitzverlusten aus. Projektionen aufgrund von Wahlbefragungen oder vergleichbaren Informationen bewegen sich in der Mitte. Aktuell rechnen sie mit gut 50 Sitzverlusten, Trend auch hier steigend. Vorbildlich in dieser Gruppe ist Larry Sabato.

Der Mittelwert alles Analysen lag bei Beginn der Prognoseserie vor knapp 6 Monaten bei 33 Sitzverlusten für dei Demokraten. Die letzte Aufdatierung der Vorhersage kam zu minus 53 Sitze.

Damit ist wahrscheinlich, dass die demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus kippt. Die Wahlanalytiker überrascht das wenig: “Normally, the party of the president loses seats at midterm. The average loss since 1870 is 35 seats.” Für einen Mehrheitswechsel braucht es diesmal 39 Sitzverluste für die Demokraten.

Bei den Senatswahlen geht man bei Pollyvote nicht von einem Wechsel der Mehrheit aus. Vielmehr liegt hier aufgrund der Projektionen ein hauchdünner Vorsprung der Demokraten in der Luft. Erwartet werden 8 Sitzverschiebungen zugunsten der GOP.

Zwar ist es das erste Mal, dass sich die Spezialisten von Pollyvote an die Zwischenwahlen heranwagen; das lässt Vorsicht ratsam erscheinen. Doch hat sich das Vorgehen dieses Forschungsteams bei den Hauptwahlen 2008 als das Beste insgesamt erwiesen – was für Zuversicht zu den gemachten Aussagen spricht.

Claude Longchamp

Mutmassungen zur SP mit ihrem neuem Parteiprogramm

Langfristig hat sich die SP entschieden, den Führungsanspruch zu haben, wo es um Grundwerte der Links-Wählenden geht. Kurzfristig hat sie vergessen, ein Teil der pragmatischen Regierungspolitik zu sein.

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Quelle: Silvan Wegmann

Parteiprogramme sind nicht für morgen gemacht, sondern für übermorgen. Das jetzige hielt 28 Jahre – eine ganze PolitikerInnen-Generation lang. Extrapoliert heisst das, die SP machte sich gestern Gedanken über die Schweiz bis ins Jahre 2038, wenn die heute 20jährigen die politische Gangart bestimmen werden.

Ob die SP mit ihrer Analyse recht hat oder nicht, weiss letztlich niemand. Wird die Schweiz schon längst Mitglied der EU sein, oder wird es die EU gar nicht mehr geben? Wird sich die Schweiz eine eigene Armee nicht mehr leisten können, oder wird sie zur Igelstellung wie im Zweiten Weltkrieg genötig sein? Das waren ganz sicher die umstrittensten Fragestellungen, auf die die SP ihre eigene Antwort gegeben hat.

Ohne Zweifel, die SP hat gestern an ihrem Parteitag Flagge gezeigt. Sie hat Weichen gestellt. Sie hat sich unmissverständlich klar links positioniert. Sie hat damit allen eine Antwort gegeben, die nach der Wahlniederlage 2007 den veralteten Auftritt kritisiert, das von Grünen nicht mehr unterscheidbare Programm bemängelt und die Hoffnungslosigkeit des linken Pragmatismus angesichts der globalen Wirtschaftskrise als Ursache für den Niedergang gesehen haben.

Klar ist: Die SP hat gestern entschieden, programmatisch nicht in die Mitte zu gehen. Das ist riskant. Den Verlusten an WählerInnen an die GLP will sie nichts gegenüberstellen, nicht zuletzt weil sie nicht an die Rückkehr dieser WählerInnen glaubt. Klar ist auch, dass die SP im rotgrünen Lager wieder unbestrittener Leader sein will – um die Abwanderung von Stimmen an die GPS zu stoppen, was die Ursache vieler Wahlniederlagen war. Die Rechnung der SP lautet: Mehr im linken Lager zulegen als an dessen Rand zur Mitte verlieren!

Unklar ist allerdings, ob die SP auch gewillt ist, nebst dem Hoch auf den demokratischen Sozialismus auch ihr WählerInnen-Potenzial besser auszuschöpfen. Denn dafür braucht es nicht eine langfristige Ausrichtung mit Programmen, sondern auch eine kurzfristige Politik mit Aktionen. Sie muss darauf ausgerichtet sein, Erfolg im Hier&Jetzt zu haben, nicht erst im sozialdemokratischen Paradies.

Da wäre zu wünschen, dass die SP sensibler wird, wie sie mit sich selber, mit ihren VertreterInnen und mit ihrer denkbaren Wählerschaft umgeht. Denn den Siegen bei der BVG-Abstimmung und bei den Bundesratswahlen stehen Niederlagen bei der AVIG-Revision und der Departementsverteilung im Bundesrat gegenüber. Ueberheblichkeit, die auch auf dem Parteitag durchschimmerte, wird in der Schweiz meist mit dem Fall bei Wahlen bestraft.

Gerade mit ihrer Parole zum Gegenvorschlag hat sich die SP keinen Dienst erwiesen. Abgrenzung gegenüber der Politik der rechten Opposition ist bei einer linken Partei nachvollziehbar. Parlamentarische Kompromissvorlagen, an denen man selber mitgearbeitet hat, fallen zu lassen, gehört nicht zu Zuverlässigkeit in der Politik. Die Integrationspolitik gehört genauso zu den linken Forderungen wie die Ueberwindung des Kapitalismus. Mehr noch: Sie zählt zu den Schwerpunkten der Arbeit von Simonetta Sommaruga im EJPD. Es wäre ihr und der SP gegönnt gewesen, sie wäre dafür vom Parteitag mit einer Ja-Parole zum Gegenvorschlag zur Ausschaffungsinitiative voll unterstützt worden. So bleibt der Zwist in Erinnerung, zur Freude der Medien, die damit nicht über die Steuerinitiative berichten mussten.

Was das alles für die Wahlen heisst, bleibt vorerst offen: Sicher, die Mitte ist parteipolitisch zunehmend umkämpft und besetzt; die Kampfansage an die Adresse der Grünen ist erfolgt, doch die zentrale Herausforderung 2011 heisst auch für die SP: mobilisieren, mobilisieren, mobilisieren! Von Vorteil für die Linkspartei wäre, sie würde das mit der gleichen Verve beherzigen wie die Revision des eigenen Parteiprogramms – noch vor den nächsten Parlamentswahlen.

Claude Longchamp