Börsianer wetten auf ein Nein zur Minarett-Initiative.

“56 Prozent Nein, 44 Prozent Ja” lautet die gegenwärtige Wette der Börsianer zur Minarett-Initiative auf der Plattform “Wahlfieber”.

Nebst Umfragen zum Stand der Meinungsbildung haben sich Börsen als Instrumente der Abstimmungsforschung in der Schweiz etabliert. Wahlfieber, eine in Oesterreich betriebene Plattform mit schweizerischen Themen, gehört dazu.

Verlauf und aktueller Stand der Erwartungen an der Börse “Wahlfieber” zur Minarett-Abstimmung

Demnach rechneten die Börsianer zu jedem Zeitpunkt mit einem Nein zur “Minarett-Initiative“. Der aktuelle Wert der gegnerischen Aktie liegt bei rund 56, jeder der BefürworterInnen bei ungefähr 44. Das kann man auch als Prozentwerte der momentanen Prognose nehmen.

Wahlbörsen haben gegenüber Umfragen Nachteile: Sie erlauben es nicht, die Frage zu beantworten, wer warum so stimmen will. Denn sie geben keine Auskünfte über individuelle Entscheidungen. Sie eignen sich nur, um kollektive Entscheidungen vorweg nehmen zu können.

Ihr Vorteil ist es, der Logik zu folgen, die aus der “Weisheit der Vielen” entsteht. Namentlich Politökonomen halten das für die rationalste Form der Informationsverarbeitung. Einzelne, so ihre Kritik, bleiben in ihren Einschätzungen zum Ausgang einer Entscheidung immer unsicher und subjektiv, sodass nur ein Markt diese Annahmen systematisieren und damit objektivieren kann.

Der Verlauf der Einschätzung durch den Markt zur Minarett-Initiative zeigt die typischen Schwankungen, die aus dem Tagesgeschehen hergeleitet werden können. Börsen sind dann unbrauchbar, wenn sich zu wenige Händler beteiligen.

Genaueres weiss man am Abstimmungssonntag!

Claude Longchamp

Minarett-Initiative: Mehrheiten der gewählten und kandidierenden PolitikerInnen dagegen.

Gemäss smartvote sprachen sich 2007 71 Prozent der NationalratskandidatInnen für ein Minarett-Verbot aus, 29 dagegen. In der Schlussabstimmung unter den Gewählten NationalrätInnen lehnten 132 das Begehren ab, und es waren 51 dafür. Das entspricht einem Nein-Anteil von 72 Prozent.


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Zwischen den Parteien gab es in der KandidatInnen-Umfrage klare Gegensätze. 99 Prozent der SP-KandidatInnen und 97 Prozent der Grünen waren dagegen. Doch auch in der bürgerlichen Mitte überwog die Ablehnung. 83 Prozent der FDP-KandidatInnen und 82 Prozent jener der CVP gaben an, gegen die Vorlage zu sein; bei der EVP waren es 78 Prozent. Auf der rechten Seite des Parteienspektrums zeichnete sich dagegen eine deutliche Zustimmung zum Minarettverbot ab. Die SVP-Kandidaten stimmten der Initiative mit 89 Prozent zu. Mit 96 Prozent Zustimmung klar für die Minarett-Initiative waren auch die KandidatInnen der Mitinitiantin EDU. Von den übrigen Kleinparteien waren die BewerberInnen der Grünliberalen mehrheitlich dagegen, jene der SD und Lega mehrheitlich dafür.

Unter den weiblichen Kandidierenden lehnten 79 Prozent die Minarett-Initiative ab, während der Anteil bei den Männern geringere 69 Prozent betrug. Kandiderende im Rentenalter waren am deutlichsten dagegen, JungpolitikerInnen unter 35 Jahren am wenigsten deutlich auf der Nein-Seite. Die KandidatInnen aus der französischsprachigen Schweiz lehnten die Initiative mit 75 Prozent ab, jene aus der deutschsprachigen Schweiz zu 70 Prozent. In der italienischsprachigen Schweiz waren 67 Prozent gegen die Minarettverbots-Initiative.

Damit war unter den PolitikerInnen die Parteizugehörigkeit das entscheidende Mermal unter den PolitikerInnen. Das zeigte sich auch im Parlament, wo die Vorlage die Ratsrechte von der Mehrheit separierte: 51 NationalrätInnen waren dafür, 132 dagegen. Das entspricht einem Nein-Anteil von 72 Prozent. Im Ständerat war es übrigens nicht anders: 39 KantonsvertreterInnen votierten gegen ein Minarett-Verbot, 3 dafür. Das entpricht eine Ablehnung von 93 Prozent.

Claude Longchamp

Gewalt ängstigt die Schweizer mehr und mehr.

Oekokatastrophen, Krankheiten und Rezession ängstigen die SchweizerInnen nicht mehr so stark wie vor Jahresfrist. Doch fürchten sie sich vermehrt vor Entfremdung im eigenen Land, dessen kultureller Wandel sie nicht mehr verstehen. Das sagt das Angst-Barometers 2009 und hält einen insgesamt stabilen Angst-Pegel fest.


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Der Angst-Barometer von gfs-zürich wird seit 33 Jahren einmal jährlich erhoben. Er ist damit einer der umfangreichsten Datensätze zu Bedrohungsgefühlen in der Schweiz. Wie in den Vorjahren auch basiert die Ausgabe 2009 auf 30 Indikatoren, die zu sechs Dimension verdichtet werden. Alles zusammen ergibt sich der Index der Angst in der Schweiz.

2006 befand sich das Angst-Klima in der Schweiz auf seinem bisherigen Höhepunkt. Die Zuversicht der BewohnerInnen in unserem Land war verschwunden. Seither entspannt es sich wieder etwas. Wenn sich das 2009 nicht fortsetzt, hat es eine Grund: “Stark zugenommen haben die Angst vor Kriminalität, Ueberfremdung und einem Sittenzerfall”, hält Studienleiter Andreas Schaub fest. In Meldungen über das Verprügeln von Unschuldigen, Ausschreitungen an Sportanlässen und stark diskutierte Waffendelikte sieht er den hauptsächlichen Grund, das die Entfremdung im eigenen Land zunehmen und die kulturellen Entwicklungen zunehmend bedrohlich wirken.

Bildung und Einkommen sind aufgrund seiner Untersuchungen die besten Prädiktoren von Angst. Je geringer die sozio-ökonomischen Ressourcen einer Personen sind, desto ausgeprägter wird die Bedrohungslage wahrgenommen, resümiert Schaub seine Studie. Er widerspricht damit vor allem jenen polarisierten Interpretationen zur Finanz- und Wirtschafskrise, die stark zwischen Dramatisierung und Banalisierung schwanken.

Nicht zu verwechseln sind der Angst- und der Sorgenbarometer. Diese beschäftigt sich mit den Erwartungen der BürgerInnen in der Schweiz an die Politik. Er erscheint in der ersten Dezember-Hälfte 2009.

Claude Longchamp

Sekundärzitierungen von Umfragen sind so eine Sache …

Wer kennt das nicht: 10, 50 oder 100 Menschen stehen in einer Reihe. Der Erste sagt dem Zweiten etwas, sodass es die anderen nicht hören. Dann ist der Zweite gegenüber dem Dritten dran und so fort. Der Letzte berichtet dann dem Ersten, was er über ihn gehört habe. Zum Staunen aller verändert sich die Botschaft durch ihre Weitergabe bis ins Unkenntliche.

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Kommunikationsprobleme sind auch in der Vermittlung von Studienergebnissen häufig, wenn man mehr aus den Resultaten machen will, als möglich ist.

“24 Heures” publizierte letzte Woche eine Umfrage von MIS zum Verhältnis von SchweizerInnen zu Muslimen. Auf einen Nenner gebracht, lautete das Ergebnis: Ein Muslim kann ein guter Schweizer sein. Dem Islam als Ganzes stehen die BewohnerInnen des Landes aber distanziert gegenüber.

“32 – 38 – 24”, so lauten die Zahlen für ein positives, neutrales oder negatives Verhältnis zu Angehörigen des Islams gemäss MIS Befragung. Entsprechend sind die BewohnerInnen der Schweiz in vielen Frage, die den Islam betreffen, gespalten. In der Minarett-Frage sind 46 Prozent dagegen.

Fachmännisch gesprochen sind das alles Einstellungselemente: Bewertungen von Sachfragen, welche den aktuellen Informationsstand und die momentane Gefühlslage reflektieren. Da Entscheidungen auch Informationen und Stimmungen einer Kampagne reflektieren, können Prädispositionen und Entscheidungen identisch sein, müssen aber nicht.

Journalistisch ist das der Knackpunkt. Nicht selten wird alles mit allem gleichgesetzt! Denn besteht ein Zwang in den Medien, aus allen Umfragen vor Abstimmungen eine Prognose zu machen. Egal, ob auf gesicherter oder ungesicherter Basis.

Das konnte man Ende letzter Woche wieder einmal schön feststellen. Die Meinung zu Minaretten, wie sie “24 Heures” richtig wiedergab, wurde in “20 Minuten” zur unvermittelten Stimmabsicht über die anstehende Initiative. Eine Minderheit sei für Minarette, eine relative Mehrheit für die Initiative. “Rund zwei Wochen vor der Abstimmung seien noch 15 Prozent unentschieden”, lautete die Zusammenfassung der Studie.

In der österreichischen “Kleinen Zeitung” kams dann noch dreister: “Die Anti-Minarett-Initiative in der Schweiz hat gute Erfolgsaussichten”, wird der Artikel eingeleitet; übertitelt ist er mit: “Mehrheit für Anti-Minarett-Initiative”!

Quod erat demonstrandum: Mit jeder Weitergabe ändert sich die ursprüngliche Botschaft!

Claude Longchamp

Schweizer Multikulti-Truppe ist U17-Fussballweltmeister.

Sie waren die Debütanten und schlugen der Reihe nach Brasilien, Italien und Deutschland. Im WM-Finale der U17 Fussballer siegte die Schweizer Mannschaft nun auch gegen Titelverteidiger und Gastgeber Nigeria mit 1:0. Die Schweizer Jugend-Nationalmannschaft ist damit nicht nur Fussball-Weltmeister, sondern auch bester Botschafter der Patchwork-Jugend von heute.

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Der Siegestreffer U17 Schweiz: Siegrist; Martignoni (68. Gonçalves), Chappuis, Veseli (78. Hajrovic), Rodriguez; Xhaka (90. Nimeley), Buff, Kasami, Kamber; Seferovic, Ben Khalifa.

Torschütze war der Grasshopper Haris Seferovic. Mit Köpfchen traf der knapp 17jährige unhaltbar in die Ecke des nigerianischen Tors. Das Schweizer Team überzeugte vor allem durch eine stabile Verteidigung, gegen die Nigeria kein Durchkommen fand. In der zweiten Hälfte boten sich den Schweizern zwei bis dreii gute Kontergelegenheiten, von denen sie eine zum entscheidenden Treffer nutzte.

Der Mann des Abends ist schweizerisch-bosnisch-herzogwinischer Doppelbürger. Damit ist er bei weitem nicht alleine im Weltmeisterteam. Denn nur ein Drittel der Jugend-Nationalmannschaft ist schweizerischer Herkunft. 13 der 20 Spieler im Kader sind Eingebürgerte. Je zwei kommen aus Bosnien-Herzegowina und Albanien. Je ein Teammitglied ist aus Serbien, Kroatien, dem Kosovo, Tunesien, Ghana, Kongo, Chile, Portugal und Nachbar Italien.

Das wird der Schweiz gut tun, erstmals einen FIFA-Weltmeistertitel errungen zu haben. Gerade jetzt, wo die Schweiz ausserhalb des Fussballs und Sports vielorts in Rücklage geraten ist und sich nur noch mit mässigem Erfolg verteidigt. Es wird aber auch sinnvoll sein in Erinnerung zu behalten, dass Sportarten wie Fussball nur dank einer Multikulti-Truppe auf höchsten Niveau betrieben werden können.

Das weiss auch Pierre Gilliéron, Präsident des Schweizerischen Fussballverbandes: «Es wäre gut, wenn die Einbürgerungen für junge Ausländer erleichtert würden», lässt er via “Sonntag” ausrichten. Die staatspolitische Kommission des Nationalrats hat den Ball bereits aufgenommen und will Ausländer der dritten Generation einfacher eingebürgern. «Entscheidend ist, dass es ein Antragssystem gibt, das Missbrauch verhindert», kommentieren Politiker, um eine Ablehnung wie 2004 in einer neuerlichen Volksabstimmung zu verhindern. Der SFV will auch aktive Integrationspolitik gegenüber den Talenten.die Doppelbürger sind, betreiben: «Ottmar Hitzfeld wird persönlich Gespräche mit den Junioren führen», kommentiert Gilléron, vormals FDP-Politiker in der Waadt.

Es ist das gemeinsame Projekt, das vereint, – und der Schweiz Erfolge bringt. Die Goldene Generation des Schweizer Fussball ist ein Versprechen für den kommenden Sport und die künftige Gesellschaft der Schweiz!

Claude Longchamp
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EVP möchte “christliche Leitkultur” am liebsten in der Bundesverfassung verankern

Nach der KVP kommt nun auch die EVP unter Druck ihrer Mitglieder, weil sie die Minarett-Initiative ablehnt. Zur Beruhigung der inneren Spannung erwägt sie, einen Vorstoss zugunsten einer christlichen Leitkultur in der Schweizer Bundesverfassung zu unternehmen.

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Znbeirrt mittendrin, so sieht sich die EVP in der heutigen Gesellschaft; zwischenzeitlich rumort es wegen der Nein-Parole zur Minarett-Initiative, mittendrin in der eigenen Partei.

Die EVP, eine Kleinpartei in der Zentrumsfraktion, lanciert eine Diskussion für einen neuen Religionsartikel in der Bundesverfassung. Erwogen wird ein parlamentarisches Vorgehen oder eine Volksinitiative zu starten.

Der EVP geht es darum, das Christentum als Leitkultur im Zusammenleben der Religionsgemeinschaften zu festigen. Erwogen wird auch eine staatliche Qualitätskontrolle bei der Ausbildung der Imame. Diskutiert würden obligatorischen Sprach- und Staatskundekurse an einer schweizerischen Universität. Begründet wird es, dass man eine Barriere gegen die Scharia aufbauen müsse.

Dass religiös fundierte Parteien wie die EVP die christliche Tradition als Leitkultur verankern möchten, überrascht nicht. Vorstösse hierzu hatten bisher wenig Erfolg, da der Laizismus gut verankert, der konfessionelle Pluralismus breit akzeptiert und die Mitgliederzahlen in de reformierten wie der katholischen Kirche rückläufig sind.

Mit der Ausbildung der Imame nimmt die EVP etwas hastig auch eine aktuelle Diskussion in ihren Forderungskatalog auf, wie die nur vage formulierten Vorschläge zeigen. Joel Blunier, Generalsekretär bestätigt denn auch gegenüber der Sonntagspresse, dass die Parteileitung wegen (angedrohten) Austritten in Folge der Nein-Parole zur Minarett-Initiative unter Druck geraten sei. Es wird also noch dauern, bis über ein spruchreifes Vorhaben entschieden wird.

Claude Longchamp

Warum Julia Onken für die Minarett-Initiative ist.

Für Muslime sind Minarette Wegweiser. Für das Egerkinger-Komitee sind sie politische Machtsymbole. Und für die Psychologin Julia Onken stehen sie, dem Phallus gleich, schlicht und einfach für das Patriachat.

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Julia Onken, feministische Psychologin, stellt sich mit den Initianten gegen Minarette.

«Es ist beängstigend, dass kritische Frauen in diesem Lande nicht bereit sind, sich ernsthaft mit diesem Thema auseinanderzusetzen.» Der Koran schreibe frauenfeindliche und frauenverachtende Regeln vor und lasse Muslime auch so handeln: «Moscheen sind Männerhäuser. Minarette sind männliche Machtsymbole.»

Julia Onken, Thurgauer Psychotherapeutin mit hoher Medienressonanz, Vorkämpferin für die Gleichstellung der Frauen, verschickte diese Botschaft 4000 Empfängerinnen. Damit wehrt sie sich gegen falsch verstandene Toleranz, denn es könne politisch bewussten Frauen nicht gleichgültig sein, was mit Frauen und Mädchen aus anderen Kulturen geschehe, die in der Schweiz lebten.

Onken zeigte sich überzeugt, damit einen nötigen Tabubruch unter Feministinnen zu begehen. Kritisch reagieren in der heutigen Tagespresse muslimische Frauen und linke PolitikerInnen. «Wer Verbote sät, wird Extremismus ernten», kontert Briefempfängerin Jacqueline Fehr, SP-Nationalrätin ihre sonstige Weggefährtin.

Claude Longchamp

Ware Schönheit.

Wahlforschung live: Das ist beispielsweise, sich mit der Frage herumschlagen, ob Schönheit Wahlerfolge bringe. Hier meine Einleitung zur neunten Züricher Vorlesung Wahlforschung in Theorie und Praxis, die eine Antwort sucht.

Entscheidet Schönheit Wahlen? – “Ja”, sagt Georg Lutz, Projektleiter der Schweizer Wahlstudie “Selects”. Gewählt werde Attraktivität, insbesondere des Gesichts eines Menschen, wie es sich auf Plakaten und Prospekten präsentiere.

10vor10 vom 10.11.2009

Das Ergebnis ist für Wahlen in der Mediengesellschaft typisch. Die wichtigste These, die wir hierzu kennen gelernt haben, lautet: Die Logik des Politischen wird durch die Logik des Medialen überlagert.

Das hier angeschnittene Thema wird spätestens seit dem Wahlsieg von John F. Kennedy im Jahre 1960 erörtert. 112’000 gaben damals den Ausschlag. 2 Millionen sollen sich durch die TV-Duelle umentschieden habe. Seither schiessen Spekulationen aller Art über Medieneinflüsse auf Wahlen ins Kraut.

Die Attraktivitätsforschung zeigt regelmässig Zusammenhänge zu Wahlentscheidungen auf, ohne jedoch konstante Befunde auszuweisen. Zwei Themen sind erwähnenswert: Einmal die Aussage, welches Geschlecht von der Attraktivität profitiere; in den 70er Jahren waren es Männer, die dank Aussehen kompetenter wirkten, während seit den 90er Jahren eher gutaussehende Frauen bevorteilt ersheinen. Sodann die Aussage zum Alter: Die Reife im Gesicht ist ebenso ein Thema der Forschung, während heute, glauben wir der Schweizer Studie, Jugendlichkeit mehr zählt.

Das Ganze erinnert zwischenzeitlich ein wenig an Beauty-Contests. Für Politik bei Wahlen scheint sich die Forschung nicht mehr zu interessieren. Mehr zählt, wie die Vermittlung verläuft. Dabei sind Pferderennen, die Spannung erzeugt, nicht mehr zeitgemäss. Es macht den Anschein, dass Miss- und Misterwahlen stilbildend wirken. Wichtiger, so die Message bis in die Forschung, ist der Körper die Botschafter. Einen Vorgeschmack hierzu hatten wir ja 2007 schon mit der Unterwäschewerbung der Migros, für die Nationalratskandidaten posierten. Und neuer Tiefpunkt in dieser Entwicklung ist der geplante Auftritt zweier FDP-Frauen bei den Grossratswahlen unter dem Slogan: “4 Brüste für ein Halleluja”.

Doch was hat das mit Wahlprognosen zu tun? – Interessanterweise wollte auch ich die heutige Veranstaltung mit einer thematisch ähnlich gelagerten Studie beginnen, um ihnen das Potenzial von Persönlichkeitsmerkmalen bei der Prognose von Wahlergebnissen zu zeigen. Allerdings kommen die Prognose-Cracks, die ich zitieren will, zu ziemlich anderen Schlüssen als Experimentierer Lutz.

Seit 2004 läuft via Internet ein Forschungsprojekt zu neuartigen Prognoseverfahren, die bei der Wahl zwischen Obama und McCain unter dem Namen “PollyVote” für Furore sorgten. Die bisher letzte Weiterentwicklung davon heisst “PollyBio“, womit gezeigt wird, welche der biografischen Eigenschaften von KandidatInnen deren Wahlchance absolut und im Vergleich zum Herausforderer bestimmen.

Die Attraktivität des Gesichts kommt auch bei PollyBio vor – allerdings nur als einMerkmal von 49 denkbaren Möglichkeiten der Wahlerklärung. Und jetzt kommt der entscheidende Satz: Nach Scott Armstrong, dem Projektleiter, macht jegliche Konzentration auf einen der 49 Faktoren prognostisch keinen Sinn; vielmehr schlägt er vor: Man nehme jede halbwegs begründete Erklärung als Teilprognose und gewichte jede Teilprognose genau gleich. Je mehr Teilprognose man habe, desto sicherer werde die Gesamtprognose. In der Tat: In den Präsidentschaftswahlen seit 1900 ergibt dieses Verfahren in 25 von 28 US-Präsidentschaftswahlen die richtige Nachhersage. Die Trefferquote ist damit nahezu 90 Prozent. Und auf die Zukunft angewendet: 11 Begründungen sprechen für Palin, 20 für Obama. Das ist für Prognostiker Armstrong ein klarer Vorsprung für den jetzigen Präsidenten.

Gute Wahlprognosen bei ausgesprochenen Personenwahlen berücksichtigen demnach

erstens, ein Bündel politischer Karrieremerkmale,
zweitens, ein Bündel Eigenschaften zur schulischen und militärischen Karriere
drittens, ein Bündel Merkmale der familiären Verhältnisse,
viertens, ein Bündel biografische Angaben und
fünftens, ein Bündel diverses Eigenschaften.

Zu diesen zählt äusserliche Attraktivität als ein Punkt unter “ferner wirken”. Zu vergleichbaren Schlüssen kam 2007 eine Schweizer Studie aus der Sicht von Wahlkämpfen von Mark Balsiger. Gemäss ihm hänget der Wahlerfolg von Ankerfaktoren eines/einer BewerberIn in der Partei ab, während die Verpackung erst an vierter Stelle rangiert.

Karl Popper sagt: Was wir erklären können, können wir auch prognostizieren. Und was wir prognostizieren, haben wir nachweislich erklärt. Das entwickeltste Prognoseverfahren für Personenwahlen rät beim hier behandelten Thema indessen zu Vorsicht. Denn wahre Schönheit hat mit Einzigartigkeit zu tun, die wir aus der Liebe kennen. Ware Schönheit hingegen ist eines der gängigen Themen von Wahlen in der Mediengesellschaft.

So, und nun zum eigentlichen Vorlesungsstoff!

Claude Longchamp

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf …

Nur ein bestelltes Gutachten eines ehemaligen VBS-Beamten habe die Publikation des Werkes in einem renommierten Verlag verhindert, behauptet die Judith Barben zu Beginn ihrer Buches “Spin doctors im Bundeshaus”. Manipulation durch Funktionäre, Propaganda aus dem Regeirungsviertel und Gefährdung der direkten Demokratie sind die Themen der Mitstreiterin bei der Initiative für “Volkssouveränität und gegen Behördenpropaganda”.

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Zugegeben, ich bin befangen. Denn ich komme im Buch mindestens drei Mal vor: Zum Beispiel werde ich wegen meiner Büroadresse, die gleich lautet wie die der (früheren) PR-Agentur Trimedia, zwei Stöcke über mir. Womit schon klar ist, dass auch ich meine Umtriebe in den Dienst der Manipulation stelle.

Das ist typisch für das Niveau der Buchrecherche. In weiten Teilen basiert sie auf einem Zeitungs- und Zeitschriftenarchiv, täuscht mit dem Inhaltsverzeichnis und Fussnoten aber vor, Ergebnis einer wissenschaftlich fundierten Arbeit zu sein. Geprüft, was geschrieben wird, wurde wohl nur selten, denn entscheidend war, dass die Belege ins vorfabrizierte Bild passten.

Gleich zu Beginn erfährt man, wie der Bundesrat in den letzten 20 Jahren gestärkt wurde, wie er zwischenzeitlich unter der Bundeskuppel alles bestimmt, was kommuniziert wird, wie Bund und Kanton Abstimmungsfreiheiten verletzen, und wie selbst der Bundesratssprecher Manipulation zugeben würde.

Die These dahinter lautet, dass Manipulation in der Politik Methode habe. Damit man daran nicht zweifelt, bekommt man gleich im Titel zu Kapitel 1 die Uebersetzung von spin doctors (“Meinungsmacher”) mit: “Wahrheitsverdreher”.

Belegt wird das mit amerikanischen Beispielen. Denn die PR ist die heimliche Regierung. Ihre Vorläufer sind Machiavelli, der Schurke, die Stasi, die üble, und die amerikanischen Politologen. Sie sind die schlimmsten, weil sie als soft power ganze Batallione in psychologischer Kriegsführung gegen die Menschheit ausbilden. Und damit ist die Autorin bei ihrem Lieblingsthema, der Manipulation durch Psychotechniken aller Art, die einmal eingeführt dank dem Filz von PR und Journalismus unser öffentliches und individuelles Bewusstsein bestimmen. Auch der Kleinstaat Schweiz ist davor nicht gefeit, beim Bergier-Bericht beispielsweise, oder bei der Totalrevison der Bundesverfassung oder beim Verkauf des Vaterlandes an die NATO sei manipuliert worden!

Gegen all das gibt es aus der Warte Barbens nur eins: das “personale Menschenbild”, das der Jugend vermittelt werden müsse, damit eine solide staatsbürgerliche Bildung darauf aufbauen könne und die Erkenntnisse der Manipulationsmechanismen verstanden werden. Damit das am schnellst möglichen geschieht, wurden in der Bibliografie an den entscheidenden Orten die Telefonnummern für Bestellungen der eigenen Pamphlete eingefügt.

Die Biografie der Autorin ist dem Buch schon mal ausführlich beibelegt. Sie weist sie als Lehrerin und Psychologin aus. Eine einfache Kontrolle via google zeigt, dass ihre x-fach belegten Verbindungen zur frühren Psychosekte VPM indessen systematisch ausgeklammert wurden.

Um es klar und deutlich zu sagen: All das, was Barben aufgreift, gehört beobachtet, untersucht und diskutiert. Denn es ist für das Funktionieren der Demokratie erheblich, und dieses ist in der Mediengesellschaft nicht zweifelsfrei gewährleiste. Doch anders als es die Autorin mit ihrer Verschwörungstheorie glaubhaft machen will, wird es das auch: Die Grundlagenstudie von Ulrike Röttger und anderen ForscherInnen der Universität Zürich über die PR in der Schweiz lässt Barben gleich integral mal aussen vor.

Das ist es, was die Buchlektüre so uninspirierend macht: Das Gute und das Böse sind von Anfang an klar verteilt. Das eine sieht man bei sich selber, das andere bei allen anderen. Würde das Gute die Welt regieren, wäre die eigene Initiative für “Volkssouveränität und gegen Behördenpropaganda” 2006 angenommen worden. Weil sie aber abgelehnt wurde, ist das der Beweis des Bösen. Den Dreh hat die Autorin bestens drauf.

Claude Longchamp

Judith Barben: Spin doctors im Bundeshaus. Gefährungen der direkten Demokratie durch Manipulation und Propaganda, Baden 2009
Ulrike Röttger: Public Relations in der Schweiz. Eine empirische Studie zum Berufsfeld Oeffentlichkeitsarbeit, 2003

“Islamophobie” ist keine taugliche politische Kennzeichnung.

Sie hoffe, die “Islamophobie” werde nach der Abstimmung vom 29. November 2009 wieder abnehmen, sagte Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf heute vor der internationalen Presse. Ich hoffe das auch und, dass die Bundesrätin das Wort “Islamophobie” nicht mehr gebraucht.

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Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf heute in Genf an der Medienkonferenz

Phobien in Medizin und Politik
In der Medizin macht der psychologische Begriff der Phobie Sinn. Er beschreibt krankhafte Zustände von Menschen, die Angst haben, auch wenn sie nicht bedroht sind.

Die Kombination von Kulturen und Phobien ist problematisch. Denn sie besagt, dass man als Träger einer Kultur zu Unrecht Angst hat.

Noch problematischer ist die Psychologisierung des politischen Widersachers. Das gehört eher zu den Untugenden autoritärer Ideologen.

Ich schlage vor, auf den Begriff der “Islamophobie” ganz zu verzichten. Genauso wie man “Xenophobie” kaum mehr zitiert, um Fremdenfeindlichkeit zu bezeichnen, und die “Homophobie” sich als Kennzeichnung von Menschenfeindlichkeit gar nicht erst durchsetzen konnte. Selbst im englischen Sprachraum, von wo der Begriff kommt, ist er zwischenzeitlich umstritten.

Islamfeindlichkeit ist angemessene Kennzeichnung

Wenn ich für Sorgfalt im Umgang mit Benennungen plädiere, heisst das nicht, dass ich das Bezeichnete damit ausschliesse. Nein, ich möchte dieses umso genauer bezeichnen.

Ich bin der Meinung, dass der Begriff der Islamfeindlichkeit in politischen Analysen nötig ist, aber genügt, um das festzuhalten, worüber man sich Gedanken machen muss.

Denn es gibt ohne Zweifel islamfeindliche Ideologien, Werthaltungen und Einstellungen. Sie finden sich in religiös-konservativen Kreisen, welche die Reinheit des Glaubens predigen. Es gibt sie unter fremdenfeindlich eingestellten Exponenten, die in ihrem Hass auf das Andere nicht unterscheiden, denn ihr Geschäft ist es, Gruppen zu erniedrigen, um ihre Angehörigen diskriminieren zu können. Und das alles gibt es zwischenzeitlich reichlich undifferenziert in Massenmeiden und im Internet. Das alles ist nicht ohne, wenn es aggressives Verhalten gegenüber Musliminen in Wort und Tat rechtfertigt.

Meinungsbildung der BürgerInnen nicht diskreditieren
Die Annahme, dass Menschen, die sich an politischen Meinungsbildungsprozessen beteiligen, phobisch reagierten, sollte man indessen generell unterlassen. Denn sie machen sich ihre Meinungen auch aufgrund ihrer Erfahrungen im Alltag. Und diese müssen als solche immer Ernst genommen werden. Sonst machen demokratische Entscheidungen keinen Sinn mehr.

So hoffe ich, dass unsere Justizministerin wachsam bleibt gegenüber unbegründet feindseligen Ablehnung der Minderheiten von Muslimen in der Schweiz. Und dass sie im öffentlichen Diskurs auf untaugliche Etiketten wie “Islamophobie” inskünftig verzichtet. Es reicht, wenn sie eine Höhepunkt der Islamfeindlichkeit feststellt.

Claude Longchamp