Über Normal- und Spezialfälle der Meinungsbildung bei Behördenvorlagen

Die Ausgangslagen

74 Ja zu 21 Nein bei der erleichterten Einbürgerung, 60 zu 32 beim Strassenfonds und 50 zu 35 bei der Unternehmenssteuerreform. So lauten die nackten Zahlen für bestimmt und eher dafür resp. bestimmt und eher dagegen, wie sie die SRG-Umfrage des Forschungsinstituts in der ersten Befragungswelle zu den Volksabstimmungen vom 12. Februar 2017 ermittelt hat.

Punktgenaue Prognosen sind das alles mit gutem Grund nicht: Die Unentschiedenen verschwinden bis zum Abstimmungstag. Denkbar ist sogar, dass BefürworterInnen, die eher dafür sind, schliesslich dagegen stimmen, und umgekehrt. Schliesslich kann auch eine asymmetrische Mobilisierung das Ergebnis entscheidend beeinflussen.

Deshalb sind diese Zahlen genauso wichtig: Nur 35 Prozent haben bei der Unternehmenssteuerreform eine eindeutige Stimmabsicht. Beim Strassen-Fonds sind es 48 Prozent und bei der erleichterten Einbürgerung liegt der Wert bei 60 Prozent. Die Resultate basieren auf den Antworten jener 42 Prozent, die sich bestimmt an der Abstimmung beteiligen wollen.

Was bis zum 12. Februar 2017 geschieht, weiss niemand. Man kann es zwar nicht eindeutig, aber als Szenario abschätzen.

Der Normalfall der Meinungsbildung bei Behördenvorlagen

Alle drei Abstimmungsgegenstände vom 12. Februar entsprechen zum jetzigen Zeitpunkt dem Normalfall von Meinungsbildung bei einer Behördenvorlage: Unentschiedene verteilen sich in einem variablen Verhältnis auf beide Seiten. Das bedeutet, sowohl der Ja- wie auch der Nein-Anteil nehmen zu.

normalfall

Bezogen auf die aktuellen Messwerte liegen am 12. Februar 2017 drei Annahmen in der Luft. Bundesrat und Parlament setzen sich in diesem Szenario flächendeckend durch, wie sie das notabene auch bei allen 13 Volksabstimmungen seit den letzten Parlamentswahlen getan haben. Die genauen Ergebnisse für den 12. Februar kennt man zwar noch nicht, letztlich zählt aber, wer sich durchsetzt. Dafür spricht auch, dass FDP und BDP welche 2016 eine lückenlose Gefolgschaft der Stimmenden für ihre Parolen fanden, alle drei Vorlage zur Annahme empfehlen.

Der Spezialfall – und wie man ihn erkennt

Doch gibt es auch Spezialfälle der Meinungsbildung. Das heisst bei Behördenvorlagen, dass die Zustimmungsbereitschaft nach den ersten Umfragen abnimmt. Dies muss nicht einmal die Folge eines individuellen Meinungswandels sein, etwa, dass aus anfänglichen BefürworterInnen schliesslich GegnerInnen werden. Es kann auch eine Folge veränderter Beteiligungsstrukturen sein.

spezialfall

Dies ist durchaus wahrscheinlich, wenn die Mobilisierung durch den Abstimmungskampf ungleich ausfällt. Zum Beispiel dann, wenn die Zusatzbeteiligung misstrauischer Menschen schneller zunimmt als vertrauender. Dann sinken grundsätzlich die Annahmechancen von Behördenvorlagen.

Im Moment sind beide relevanten Gruppen, vertrauende und misstrauische BürgerInnen, mit je 43 Prozent gleich stark beteiligungsbereit. Sollte es aber zu einer ausserordentlichen Zusatzmobilisierung von über 5 Prozentpunkten kommen, ist nicht gesichert, dass sich das auf beide Gruppen gleich stark auswirkt. Relevant wird die Entwicklung dann, wenn die Beteiligung der vertrauenden BürgerInnen konstant bliebe oder nur wenig zu zunähme. Und wenn sich die misstrauischen BürgerInnen um 10 oder 15 Prozentpunkte verstärken würden.

Erkennen kann man das am besten an Skandalen, welche die Behörden oder ihre Information negativ betreffen. Denn das demotiviert Menschen mit Vertrauen in den Bundesrat, sich an Abstimmungen zu äussern, es motiviert aber auch solche mit Misstrauen in die Bundesregierung. Aber auch eine Kampagne, die sich aus einer Proteststimmung heraus aufbaut kann das bewirken. Etwa durch die SVP, die erst in der Schlussphase, dann aber massiv gegen die erleichterte Einbürgerung mobilisiert und dabei über die eigene Wählerschaft hinaus all jene anspricht, die erneut gegen die Ausländerpolitik ein Zeichen setzen wollen.

Denkbare Folgen von Spezialfällen für den Abstimmungsausgang

Wir schätzen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Spezialfalls beim Strassen-Fonds am geringsten ist. Die Stimmabsichten sind viel zu stark auf der Dimension Nutzen/Schaden angelegt. Der Normalfall der Meinungsbildung ist hier am wahrscheinlichsten.

Selbstredend ist der Spezialfall bei der Einbürgerungsvorlage am wahrscheinlichsten, wenn die SVP dagegen ansetzt. Zu erwarten ist, dass dann die Zustimmungsbereitschaft sinkt. Ob es für einen Mehrheitswechsel ausreicht, hängt von den Reaktionen der CVP- und FDP-WählerInnen ab. Da noch viel geschehen müsste, um einen solchen zu bewirken, gehen wir derzeit nicht von einem Mehrheitswechsel aus.

Schliesslich die Unternehmenssteuerreform. Hier können sich sowohl eine neuartige Meinungsbildung als auch eine unübliche Mobilisierung sofort auf die Mehrheitsverhältnisse auswirken. Ersteres wäre dann der Fall, wenn der Rekurs auf die gerügte Informationspraxis der Behörden bei der Unternehmenssteuerreform zum grossen Thema würde, oder aber wenn die rechtspopulistische Mobilisierung via Einbürgerungsvorlage massiv werden sollte.

Was vor dem 25. September 2016 noch alles geschehen kann.

Erstmals veröffentlichen wir nicht nur Messwerte zu den aktuellen Stimmabsichten, sondern leisten wir auch Trendextrapolationen bis zum Abstimmungstag.

Das gehört zu unserem Standardangebot: Bei der ersten Welle publizieren wir den aktuellen Stand bei den Stimmabsichten. Mit der zweiten Welle kommen Trends hinzu. Das Ganze rahmen wir mit den Entwicklungen der Meinungsbildung, die wir aus der Erfahrung kennen. Im besten Fall gibt sich daraus ein eindeutiges Szenario, sonst halt deren zwei.

Nun haben wir all unsere Befragungen für die SRG seit 2008 einer systematischen Nachanalyse unterzogen. Zielsetzung war es, aus den Trends qualitative und quantitative Schlüsse zum Endergebnis ziehen zu können. Damit soll deutlich gemacht werden, dass Momentaufnahmen, Trends und Prognosen dreierlei sind und man nicht das eine für das andere verwenden kann.

Unsere Bilanz der Re-Analyse lautete:

  • In qualitativen Hinsicht verbessern sich die Aussagen. In mindestens 95 Prozent der Fälle erkennt man mit der Extrapolation die richtige Mehrheit. Mit anderen Worten: Bei 20 Abstimmungen verschätzt man sich einmal, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
  • In quantitativer Hinsicht gibt es etwas mehr Probleme. Die Abweichungen zum Endergebnis verringern sich zwar im Vergleich zu Differenzberechnungen basierend auf der zweiten Welle. Sie bleiben aber. Sachlich gesehen hat dass damit zu tun, dass niemand genau weiss, was in den letzten 2 Wochen vor dem Abstimmungstag mit der Mobilisierung beider Lager und last minute-Entscheidungen geschieht.

blog_cal

Technischer gesprochen kommt es auch darauf an, welchen Trend man extrapoliert: nur auf die Entwicklung im Ja, nur auf jene im Nein, oder auf einen Mix. Letzteres ist der Schlüssel zur Optimierung. Die bisher genaueste Extrapolation entsteht, wenn man die Nein-Trends doppelt gewichtet. Ein zweites Problem ergibt sich, wenn mehr als ein Szenario möglich ist. Das gibt es nicht nur eine optimierte Extrapolation, sondern mindestens zwei, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können.

Bei der aktuellen Befragung bedeutet dies: Die Momentaufnahme bei der Grünen Wirtschaft steht bei 51 Prozent bestimmt und eher dafür, 38 Prozent bestimmt und eher dagegen. Die Gegnerschaft holt aber rasant auf, +14 Prozent im Nein und -10 Prozent im Ja seit der ersten Befragung. Extrapoliert man Stand und Trend auf den Abstimmungstag, ist ein eine Nein-Mehrheit wahrscheinlicher als das Gegenteil. Trotz dem aktuellen Stand mit einem Ja-Vorteil.

Die gleichen Überlegungen führen für bei der AHV-Initiative zu einem sicheren Nein.

Am schwierigsten ist die Hochrechnung beim Nachrichtendienstgesetz. Hauptgrund ist hier, dass es keinen eindeutigen und auch bekannten Trend gibt. Im Normalfall resultiert ein Ja. Allerdings ist der Schwankungsbereich hier grösser als bei den anderen Vorlagen. Im wenig wahrscheinlichen, aber nicht ausschliessbaren Fall würde gar die Zustimmungsmehrheit knapp kippen.

Keine Aussagen lassen sich auf dieser Basis zum Ständemehr machen. Das wäre bei den beiden Volksinitiativen nötig, für den Fall, dass es zu einem Volksmehrs kommen würde.

 

Trendextrapolationen bringen mehr als reine Messungen – Die SRG-Trendumfragen statistisch verlängert

Dem Bewerbungsschreiben für die Durchführung der SRG-Trendbefragungen zu den eidgenössischen Volksabstimmungen 2016-2019 musste man einen Schätzer beilegen, der aufzeigte, wie oft man in der Vergangenheit mittels Umfrageserien die richtige Mehrheit ermittelt hatte. Hier unsere Darstellung in Kurzform, mit einem Ausblick auf den 5. Juni 2016.

Stellt man alleine auf die zweite von zwei SRG-Umfragen ab, kamen wir für die beiden letzten Legislaturen bei linken Volksinitiativen auf 100 Prozent Richtige. Bei rechten Volksinitiativen betrug der Wert 89 Prozent. Geringer war er bei Behördenvorlagen, bei denen 64 Prozent korrekt vermessen wurden. Das Problem lag da weniger bei falschen Mehrheiten. Vielmehr machte uns recht häufig zu schaffen, dass keine Seite eine ausgewiesene Mehrheit hatte.
blog_cal
Genau das brachte uns auf den Plan! Mit einer Extrapolation der Ergebnisse aus der ersten zur zweiten Befragung kann man eine dritte erdachte Umfrage simulieren. Projiziert auf den Abstimmungstag, sollte diese dem Endergebnis entsprechen.

Knifflig war hier die Wahl des richtigen Projektionsmodells. Denn es sind verschiedene möglich, alleine aufgrund der Ja- oder der Nein-Anteile, Kombinationen davon oder Differenzierungen nach Vorlagen. Schliesslich entschieden wir uns für fünf Varianten, die wir gleichwertig nebeneinander stellten. Entscheiden soll der mainstream der Extrapolationen.

Die so erzielten Verbesserungen waren erheblich. Bei linken Initiativen stimmte die Mehrheit unverändert zu 100 Prozent. Bei rechten steigerten wir den Wert auf 94 Prozent. Der Schnitt der Initiativen wird zu 97 Prozent korrekt eingeschätzt. Bei Behördenvorlagen wurde die Mehrheit in 96 Prozent der Fälle richtig vorhergesehen.

Damit liegt man innerhalb des Sicherheitsintervalls, das in den Sozialwissenschaften üblicherweise angewandt wird.

Überträgt man dieses Verfahren auf die aktuellen Vorlagen, kann man von einem Ja bei der Asylgesetzrevision ausgehen. (Erinnert sei, dass wir das Fortpflanzungsmedizingesetz nicht untersuchten, da man nach dem klaren Ja vor Jahresfrist zum Verfassungsartikel von einem ähnlichen Ergebnisse beim Gesetz ausging.) Derweil macht es Sinn, mit einer Ablehnung der drei Volksinitiativen zu rechnen.

Die sicherste der vier Aussagen ist die zum bedingungslosen Grundeinkommen. Die unsicherste bleibt die zur Service-Public-Initiative.

Greift man alleine auf die zweite Umfrage zurück, könnte man gerade bei der Service-Public-Initiative auch von einem denkbaren Ja sprechen. Berücksichtigt man den nachgewiesenen Trend, ist das jedoch wenig plausibel. Dank des neuen Verfahrens kann man das noch etwas genauer haben – wenn auch immer noch nicht ganz sicher!

Claude Longchamp

46% Ja zu 49% Nein – eine Leseweise

Aktuelle Zahlen sind das Eine. Trends das Zweite. Vergleiche mit früheren Abstimmungen das Dritte. Und die sprechen für ein zuverlässiges Abbild der Meinungsbildung in den Umfragen zur Durchsetzungsinitiative.

Nüchtern betrachtet, kann man aus der Momentaufnahme zu den Stimmabsichten bei der Durchsetzungsinitiative nicht entscheiden, ob sie angenommen oder abgelehnt wird. Die Differenz ist gering und die Messwerte sind unter Berücksichtigung des Stichprobenfehlers für sich genommen nicht eindeutig. Hilfreicher ist der Vergleich beider Momentaufnahmen zu den Stimmabsichten. Perspektivisch legt dieser nahe, dass sich das Nein aufbaut und sich das Ja verringert.

Das stimmt mit den theoretischen Erwartungen zum Meinungsbildungsprozess bei Volksinitiativen überein, wonach es in Abstimmungskämpfen einfacher ist, gegen etwas als für etwas zu werben.

Nun wissen wir aus Erfahrung, dass genau dieser Mechanismus bei linken Initiativen besser funktioniert als bei rechten. Bei der Masseneinwanderungsinitiative vermehrte sich der Zuspruch mit dem Abstimmungskampf, sodass sich das Ja aufbaute, schliesslich knapp obsiegte.

blog_cal

Aus meiner Sicht der überzeugendste Beleg für die Richtigkeit der Umfrageergebnisse besteht darin, dass der Trend auffällig dem gleicht, den wir 2010 bei der Ausschaffungsinitiative  feststellten. Damals verringerte sich das Ja von 58 auf 54 in den SRG-Umfragen, und am Ende lag es bei 53 Prozent. Bingo!

Aktuell sind die Messwerte für die Zustimmungsbereitschaft 7 bis 8 Prozent tiefer. Vergleicht man zudem das Profil fällt auf, dass namentlich Teile der FDP- und CVP-Wählenden für die Ausschaffungsinitiativen waren, nun aber gegen die Durchsetzungsinitiative sind.

Eine speziell gestellte Rückerinnerungsfrage in der aktuellsten Befragung belegt dies eindrücklich. Nirgends gibt es so viele, die ihre Meinung seit 2010 geändert haben wie unter FDP Wählenden, gefolgt von der CVP-Basis resp. den Parteiungebundenen. Keine Umkehr ist beim Anhang der SVP resp. bei misstrauischen Bürger und Bürgerinnen nachweislich. Beschränkt der Fall ist dies bei Parteiungebundenen.

Was heisst das alles?

Erstens: Hinweise, dass Umfragen die Meinungsbildung der Bürger und Bürgerinnen nur selektiv abbilden würden, gibt es kaum. Erwartbar wäre das nur dann, wenn es sich um ein Tabu-Thema handeln würde. Das ist bei der Ausschaffung krimineller Ausländer wahrlich nicht mehr der Fall. Denn die Schweiz verhandelt dies seit den Wahlen 2007 prominent in aller Öffentlichkeit, und das Stimmvolk hat bereits in einer gut frequentierten Volksabstimmung darüber befunden.

Zweitens, wenn Unsicherheiten dennoch bestehen, dann wegen …

  • der Kampagnen- und Mobilisierungsfähigkeit der SVP, die gerade in der Schlussphase grösser ist als die aller Kontrahenten,
  • überraschenden Ereignissen, die als Beleg für die Richtigkeit der DSI und Falschheit des Behördenweges gelten könnten
  • der Lage in Europa und der Welt, die nichts mit der Abstimmung zu haben müssen, aber das Gefühl der Angst und den Wunsch nach Schutz in den eigenen nationalen Grenzen befeuern würde.

Das kann man mit Umfragen nicht hinreichend vorweg nehmen, notabene nicht mir solchen, die im Schnitt 19 Tage vor der Abstimmung gemacht wurden.

Claude Longchamp

Trendumfragen zu Volksabstimmungen sind mehr als Momentaufnahmen, aber weniger als Prognosen

Dass Umfragen per se keine Prognosen sind, habe ich schon häufig genug betont. Immer klarer wird jedoch auch, dass sie nicht blosse Momentaufnahmen bleiben müssen. Mit der Zahl vergleichbar gemachter Umfragen steigen die Möglichkeiten präzisierter Einschätzungen.

Von Momentaufnahmen spricht man bei einer einmaligen Messung von Einstellungen, Entscheidungsabsichten und Verhaltensweisen. Das ist insbesondere dann sinnvoll, wenn, wie bei der öffentlichen Meinung, Konstanz über die Zeit nicht gesichert angenommen werden kann.

Von Trends sprechen wir, wenn mindestens zwei, besser drei identisch hergestellte Momentaufnahmen vorliegen. Denn das gibt den Zwischenstandsmeldungen eine Perspektive über die Momentaufnahme hinaus. Trends kann man sogar extrapolieren, womit man an sich zu Prognosen gelangt.

Wir haben Ende 2015 als Bilanz unserer Arbeiten für die SRG alle Abstimmungsfragen seit 2008 reanalysiert, neu extrapoliert und hinsichtlich der Trefferquoten bewertet. Mit Trefferquote meinen wir den Anteil zutreffender Mehrheiten.

bild_blog_Cal

Stellt man einzig auf die erste Welle ab, die in der Regel 45 Tage vor der Volksabstimmung erhoben wird, bleibt die Trefferquote klar zurück. Bei Behördenvorlagen bleibt die Mehrheit bis zum Schluss in 56 Prozent der Fälle gleich, bei Volksinitiativen in 71.4 Prozent der Fälle. Die zweite Welle verbessert die Einschätzungen namentlich von Volksinitiativen erheblich. Die Trefferquote liegt jetzt bei 94.3 Prozent, während sie bei Behördenvorlagen nur auf 64 Prozent gesteigert werden kann.

Extrapoliert man die Entwicklungen im Ja- und Nein-Anteil aufgrund von Erfahrungen mit der Schweizer Politik, Abstimmungskämpfen und Trendumfragen auf den Abstimmungstag,  verändert sich das Bild nochmals. Volksinitiativen kennen  jetzt eine Trefferquote von 97.1 Prozent, Behördenvorlagen von 96 Prozent. Der Hauptgrund für die Steigerung bei Behördenvorlagen liegt darin, dass der Anteil Unentschiedener häufig recht gross ist, sodass Aussagen recht vage bleiben. Bei Volksinitiativen kann man mit einer Differenzierung zwischen linken und rechten Vorlagen ebenfalls noch einiges verbessern. So ist es möglich, mittels Extrapolation die Genauigkeit bei der Bestimmung der Mehrheit bei linken Initiativen auf 100 Prozent zu steigern, während sie bei rechten Initiativen einen Sicherheitsgrad von 94.1 Prozent erreicht.

Quantitative Prognosen bleiben schwieriger, insbesondere bei rechten Volksinitiativen. Punktgenaue Prognosen sind bis heute nicht möglich. Denn das Wechselspiel aus Effekten der Mobilisierung und Meinungsbildung bleibt letztlich ein Geheimnis. Hauptgrund hierfür ist, dass man in den letzten Tagen vor der Volksabstimmung in der Schweiz keine Umfragen mehr machen darf. Nur mit solchen käme man diesem Wechselspiel empirisch hinreichend genau auf die Spur.

Umfragen per se haben in der Tat eine nur beschränkte Prognosekraft. Trendumfragen können aber dazu verwendet werden, mittels Extrapolationen auf den Abstimmungstag die Sicherheit qualitativer Aussagen auf jenes Mass zu erhöhen, dass man sich in den Sozialwissenschaften wünscht.

SVP löst CVP in den Unterschichten ab

Seit 1995 führt unser Institut Wahlanalysen vor und nach Wahlen durch. Grund genug, nach 20 Jahren eine Bilanz zu ziehen, was sich verändert hat.

1995 kam die SVP auf einen Wählendenanteil von 14.9 Prozent. 2007 lag sie mit 28.9 Prozent auf dem bisher höchsten Wert. Im aktuellen Wahlbarometer liegt sie bei 27.9 Prozent. Das ist ein satter Gewinn von 13 Prozentpunkten.
Das macht der SVP keine andere Partei nach, die GPS hat im besagten Zeitraum ein Plus von 2 Prozentpunkten, die CVP ein Minus von 5, die FDP von 4 und die SP von 3 Prozentpunkten.

Untersucht man die Veränderungen nach Merkmalsgruppen, bei denen die Parteistärken mehr variieren, stösst man unweigerlich auf die Schicht und da insbesondere auf die Schulbildung. Ganz generell gilt: Je höher die Schicht ist, desto stabiler blieben die Wählendenanteile respektive je tiefer sie ist, umso eher veränderten sie sich. Nutzniesserin war überwiegend die SVP, verloren hat aber vor allem die CVP.

Betrachtet man die SchulabgängerInnen, die als letztes die obligatorische Schule besucht haben, legte die SVP in diesem Wählerumfeld um satte 28 Prozentpunkte zu. Das ist mehr als doppelt so viel wie im Durchschnitt. Grosse Verliererin ist aber nicht die SP, wie man häufig annimmt, sondern die CVP. Ihr Anteil in dieser Gruppe reduzierte sich von 30 auf 9 Prozent, was einer Differenz von 21 Prozentpunkten entspricht.

Folie13

Die zweitgrössten Unterschiede finden sich übrigens bei der Konfession. Auch bei den Katholiken gewinnt die SVP vor allem zulasten der CVP. 2015 könnten die ersten Wahlen sein, bei denen die SVP selbst unter den römisch-katholischen Wahlberechtigten die stärkste Partei ist.

Die Wahlforschung interpretiert solche Phänomene als typische Umbrüche angesichts neuer Konfliktlinien. Grob gesagt handelt es sich um den Globalisierungskonflikt. Bei dem geht es hauptsächlich darum, wer sich im Verhältnis zwischen einheimischer und zugewanderten Bevölkerungsteilen wie positioniert. Die SVP setzt da am klarsten auf die Privilegierung der SchweizerInnen. Damit hat sie gerade bei tieferen Bildungsschichten den grössten Erfolg.
Getroffen hat es in der Schweiz die CVP, weil sie am ehesten noch ein traditionell-konservatives Potenzial hatte. Dieses hat sie zusehends verloren. Abgebaute konfessionelle Grenzen zwischen Katholiken und Reformierten waren hier die Voraussetzung.
Die Öffnung der Schweiz nach aussen beschleunigte die Entfremdung seit dem europäischen Binnenmarktprogramm. Die andauernden Kontroversen rund um Migrationsfragen taten das ihre. Aus der christlich-konservativen Wählerschaft wurde in den vergangenen 20 Jahren eine nationalkonservative.

Gemässigter oder polarisierter Pluralismus? Die Schweiz am Scheideweg

Bis jetzt sind mir drei Szenarien zum Ausgang der Nationalratswahlen begegnet:

  • die Fortsetzung des Trends von 2011 mit einer gestärkten Mitte;
  • die erneute Polarisierung mit Siegern rechts und links und
  • ein allgemeiner Rechtsrutsch.

Angesichts der neuesten Ergebnisse aus dem Wahlbarometer halte ich ersteres für das unwahrscheinlichste. Es müssten BDP und GLP gewinnen und alle grösseren Parteien, vor allem an den Polen, müssten verlieren. Zweiteres ist denkbar. Vieles hängt gemäss Wahlbarometer davon ab, wie die linke Wählerschaft ihre Präferenzen zwischen SP und GPS resp. ihren KandidatInnen verteilt. Je nachdem stagnieren beide oder eine kann zulegen. Das dritte Szenario steht heute im Vordergrund. Auf dem Stand Ende August werden Gewinne für die FDP.Die Liberalen und SVP im Bereich von 1,5 bis 2 Prozentpunkten möglich, begleitet von Verlusten bei BDP, CVP, GPS und GLP von jeweils rund 1 Prozentpunkt.

Das Wahlbarometer zeigt zudem, dass die Polarisierung der Wählerschaft wohl noch einmal zunehmen wird. Der Trend ist sei 1995 fast ungebrochen. Die Distanz des mittleren SVP-Wählers zu demjenigen der SP oder GPS ist angewachsen. Diese Distanz ist grösser denn je, wenn man SVP und GPS miteinander vergleicht.

lire_ab1999

Die Politikwissenschaft nimmt solche Spaltungen seit längerem zum Anlass, um über die Möglichkeiten der Regierungsbildung resp. die Stabilität von Regierungen nachzudenken. Typologisch unterschieden wird dabei zwischen einem gemässigten Pluralismus und einem polarisierten. Pluralistisch werden grundsätzlich alle Mehrparteiensysteme genannt. Gemässigt sind sie, wenn die weltanschaulichen Differenzen der Parteiwählerschaften eher gering sind, derweil man den Pluralismus als polarisiert betrachtet, wenn drei Bedingungen erfüllt sind:

Erstens, die relevanten Parteien sind sich in Kernfragen der Politik nicht einig, und sie finden auch keine Einigkeit in Verhandlungen.
Zweitens, unter den relevanten Parteien gibt es eine Fundamentalopposition, minimal in der Kommunikation, maximal auch in der Programmatik.
Drittens, die Fundamentalopposition ist in der Lage, die Regierungsbildung mit einer regierungsfähigen Mitte zu sabotieren und so ein neues Regierungssystem zu erzwingen.

Ohne Zweifel, der erste Punkt ist gegeben. Gerade in der Migrationsfrage liegen die Positionen seit der Masseneinwanderungsinitiative weit und unversöhnlich auseinander. Das gilt nicht nur bezogen auf die linken Parteien in ihrem Verhältnis zur SVP; es trifft auch im Vergleich der CVP mit der FDP.Die Liberalen weitgehend zu. Ob der zweite Punkt einer Fundamentalopposition gegeben ist, bleibt selbst unter ExpertInnen umstritten. Einig ist man sich, dass die SVP mit ihrer Art politische Kommunikation zu betreiben, neue Wege gegangen ist und die vorherrschende politische Kultur der Mässigung verlassen und dabei verschiedene Nachahmerinnen gefunden hat.

Nicht gegeben erscheint mir der dritte Punkt. Die SVP hat nach dem Debakel bei der Volkswahl des Bundesrats von Systemänderungen Abschied genommen. Sie bekennt sich zur Parlamentswahl und sie steht zur Konkordanz, mindestens in der numerischen Form. Auch in den Kantonen gibt es nur eine Tendenz: So schnell wie möglich in die Regierung, und, wo man schon drin ist, wo immer möglich sich auszubreiten. Auch bei der anstehenden Bundesratswahl gilt die Losung: Lieber 2 als 1, keinesfalls 0 statt einem Bundesrat.

Unsere Übersicht über die Eckwerte im Vergleich zu 2011 legt nahe: Mitte/Links könnte ihre kleine Mehrheit in der Wählerstärke 2015 verlieren. Doch auch SVP und FDP.Die Liberalen werden nach der Parlamentswahl keine Mehrheit hinter sich wissen. Mehrheitsfähig bleibt aber der bürgerliche Schulterschluss von SVP bis CVP, allenfalls wird es auch eine Allianz aus SVP, FDP.Die Liberalen und GLP.

Das lässt verschiedene Schlüsse zu, denn Eveline Widmer Schlumpf wird eine erneute Kandidatur für den Bundesrat von einer Wahrscheinlichkeit einer Mehrheit abhängig machen. Besteht diese nicht mehr, dürfte sie sich selber aus dem Rennen nehmen. Hierfür gibt es drei Szenarien:

Szenario 1: Von linker Seite wird der CVP ein zweiter Bundesratssitz offeriert, als Übergang zu einem System mit einem rotierenden Sitz. Voraussetzung hierfür ist, dass sich die CVP unter der Bundeskuppel sitzmässig hält oder verbessert. Eine Untervariante hiervon sieht die GLP in der Nachfolge von Bundesrätin Widmer-Schlumpf.

Szenario 2: Die SVP erhebt einen Anspruch auf einen zweiten Bundesratssitz, der von der FDP.Die Liberalen und CVP nicht bestritten, aber an personelle Bedingungen geknüpft wird, beispielsweise bei den Bilateralen, der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative und im Umgang mit Volksinitiativen. Voraussetzung hierfür ist, dass die SVP zulegt und mindestens die FDP.Die Liberalen aus der Position der Stärke eines Wahlsiegers die Regeln bestimmen kann.

Szenario 3: Last but not least schliesse ich eine dritte Variante nicht aus. Demnach kommt es zu knappen Mehrheitsverhältnissen und den Fraktionspräsidien gelingt es, nicht ihre Stallorder durchzusetzen. Die Bundesratswahlen würden wohl unübersichtlich mit Ausgängen wie oben beschrieben, oder einer Überraschung mit einer weiteren Variante.

Szenario 1 würde auf eine Mässigung des Pluralismus im Parteiensystem hindeuten.
Szenario 2 wäre wohl das Gegenteil, allerdings mit einer angezogenen Handbremse, die ihresgleichen auch auf linker Seite kennt.
Sollte die Bundesratswahl ganz von der Stange fallen, hätte der polarisierte Pluralismus sein Werk vollbracht.

Claude Longchamp

Vom Vertrauen und Misstrauen in Institutionen und Stimmabsichten für den 14. Juni 2015

Die Ergebnisse der ersten SRG-Befragung sind seit kurzem bekannt. Hier interessieren nicht die konkreten Zahlen, sondern ihre Begründungen, wie sie aus einer Umfrage abgeleitet werden können. Diesmal ist der Faktor “Vertrauen/Misstrauen in Institutionen” von besonderer Bedeutung.

Unsere Erhebung legt nahe, dass 58 Prozent der Stimmberechtigten dem Bundesrat vertrauen, 30 Prozent nicht. Die Misstrauischen sind aber deutlich besser motiviert, an der kommenden Volksabstimmung teilzunehmen. Aktuell würden sich 52 Prozent von ihnen beteiligen, derweil das nur bei 38 Prozent der Vertrauenden der Fall wäre. Das führt dazu, dass sich die Verhältnisse unter den Teilnahmewilligen angleichen. Klar unterschiedlich sind die Stimmabsichten beider Gruppen: Die misstrauischen Bürger und Bürgerinnen würden die Erbschaftssteuerinitiative heute klar ablehnen, aber auch eindeutig Nein zum Radio- und Fernsehgesetz respektive zur Präimplantationsdiagnostik sagen. Gespalten wären sie bei der “Stipendieninitiative”. Ziemlich anders sind die Positionen der Personen mit Institutionenvertrauen. Beim Radio- und Fernsehgesetz wären sie mehrheitlich dafür, ebenso bei der Stipendieninitiative. Relative Mehrheiten im Ja ergäben sich auch bei den beiden anderen Vorlagen, bei der Erbschaftssteuer allerdings nur knapp.

Blog_cal

Analysiert man den Einflussfaktor “Vertrauen/Misstrauen” auf die Stimmabsichten, bleibt er bei der “Stipendieninitiative” gering. Erheblich ist er aber bei den drei anderen Vorlagen. Am deutlichsten wird er bei der Beurteilung des neuen RTVG. Hier fällt vor allem auf, dass diese Grösse die Stimmabsichten miterklärt, selbst wenn man die getesteten Argumente mitberücksichtig. Mit anderen Worten: Unabhängig davon, wie man die Botschaften der Ja- und Nein-Seite bewertet, es bleibt, dass das Vertrauen resp. Misstrauen in die Arbeit des Bundesrates die Vorentscheidungen beeinflusst.

Zwei Szenarien drängen sich auf: Das erste geht davon aus, dass sich die Beteiligungswerte der zwei Gruppen, die hier interessierten, angleichen. Das würde die Annahmechancen der beiden Behördenvorlagen erhöhen. Das zweite nimmt an, dass es zu einer weiteren spezifischen Mobilisierung der misstrauischen BürgerInnen kommt. Die Buchpreisbindung und die Autobahnvignette, die beide ein ähnliches Konfliktmuster zeigten, sind hier die Referenzen. Oder anders ausgedrückt: Die Chance, dass alle vier Vorlagen scheitern, steigt in diesem Fall.
Für das erste Szenario spricht, dass der Abstimmungskampf bisher von der Erbschaftssteuervorlage dominiert war, und bei den beiden Behördenvorlagen die Gegnerschaft aktiv wurde. Das hat die Mobilisierung von rechts, aus Kreisen der TraditionalistInnen und Anti-EtatistInnen befördert. Hierzu könnte es in der zweiten Kampagnenphase ein Gegengewicht beim Kern der normalen Bürgerschaft, die abstimmen geht. Zugunsten des zweiten Szenarios kann vorgebracht werden, dass die mediale Stimmungslage auf bewusste Skandalisierung von Sachverhalten, verbunden mit der Personalisierung von Verantwortlichkeiten und Emotionalisierung des politischen Klima ausgerichtet ist. Das mobilisiert in der Regel die politischen Skeptiker, vor allem in der Schussphase eines Abstimmungskampfes, denn sie wollen ihr Protestvotum gezielt abgeben. Eine verbindliche Einschätzung gerade der beiden Behördenvorlagen halten wir deshalb für verfrüht. Vielmehr interessiert in den kommenden fünf Wochen, wie sich die Kampagnen entwickeln, wie die sozialen Medien darauf reagieren und wie das Ganze die massenmediale Berichterstattung beeinflusst.

Claude Longchamp

Weshalb wer wen wählen will?

Wahlumfragen macht man nicht nur, um Parteistärken zu kennen. Wertvoller sind sie, wenn die Wahlgründe herausfinden. Hier mein Vorschlag.

Im SRG-Wahlbarometer beschreiben wir nicht nur die Parteistärken aufgrund einer Repräsentativ-Befragung. Wir klären auch die Gründe für aktuellen die Wahlabsichten. Dabei stützen wir uns auf das Trichtermodell der Wahlforschung. Wahlentscheidungen sind eine Folge des Meinungsklimas, des Personen- und Themenprofils der Parteien einerseits, der aktivierten Werthaltungen anderseits.

regress
Grafik anclicken, um sie zu vergrössern

Analysiert man das Partei für Partei kommt man zu folgender Einschätzung:

SVP-Wahl: Wer die SVP wählt, macht das am wahrscheinlichsten wegen ihrem Programm. Dabei geht es nicht mehr nur im Migrationsfragen, vielmehr bilden auch Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik die nachweislichen Ansatzpunkte innerhalb der eigenen Wählerschaft. Insbesondere die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Bevorzugung von Schweizer und Schweizerinnen auf dem Arbeitsmarkt und eine harte Politik gegenüber Arbeitslosen einerseits, Missbräuche im Sozialwesen wirken bei den Themenwählenden der SVP. Die Europa-Frage als explizites Thema taucht in unserer Analyse nicht (mehr) auf. SVP wählt man darüber hinaus auch, weil man es schätzt, wie sie den Wahlkampf führt. Nur mittelstark wirkt sich die Identifikation mit dem Parteipräsidenten aus. Etwa gleich wichtig sind Prädispositionen: der rechte Standpunkt, das Misstrauen in die Behörden und die Politik der Unabhängigkeit.

SP-Wahl: Auch bei der SP entscheidet das Programm – Steuergerechtigkeit und gesellschaftspolitische Fragen ziehen bei den Themenwählenden der SP am meisten. Allerdings, sie werden von Europa- und Migrationsfragen ergänzt. Da liegt für die SP, die sich hier heraushalten möchte, einiges drin. Auch bei der stärksten Linkspartei schafft die Art der Wahlkampfführung eine Identifikationsmöglichkeit. Mobilisierungskampagnen und selbstbewusste Position im rotgrünen Lager werden geschätzt. Personenorientiert ist die SP dagegen kaum – der Parteipräsident ist kein besonders starker Grund, die Partei zu wählen. Klar ist, dass man das macht, weil man links steht.

FDP.Die Liberalen-Wahl: Bei der FDP.Die Liberalen schafft der bisherige Wahlkampf die wirksamste Identifikation. Der zurückgekehrte Erfolg bei kantonalen Wahlen beflügelt die Partei. Programmatisch kann sie sich bei Wählern und Wählerinnen empfehlen, denen die Wirtschaftsentwicklung besonders wichtig ist, verbunden mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der Sicherung der Europa- und der Finanzpolitik. Migrationspolitik kommt ebenfalls vor, allerdings nur noch schwach. Die Personenorientierung fällt recht gering auf, gleich auf mit dem Selbstverständnis, aus einer eher rechten Position die Partei zu wählen.

CVP-Wahl: Die Themen-Identifikation funktioniert neuerdings auch bei der CVP. Estimiert wird von den Themenwählenden der CVP der Einsatz für Arbeitsplätze, für Umwelt und Europa. All dies liegt noch vor der Familienpolitik. Geschätzt wird auch der bisherige CVP-Wahlkampf. Danach folgen die Identifikation mit dem Parteipräsidenten und eine offene Werthaltung gegenüber dem Ausland.

GPS-Wahl: Die GPS wird gewählt, weil sie eine konsequente Migrations-, Umwelt- und Energiepolitik betreibt. Positiv wirkt sich auch der Wahlkampf aus. Geschätzt wird die Partei bei linken und ökologischen Präferenzen. Die Parteipräsidenten und Parteipräsidentinnen sind dagegen unbedeutend für die Wahl der Partei.

GLP-Wahl: Die GLP empfiehlt sich bei ihren Themenwählenden wegen ihrer Umwelt- und Energiepolitik, beschränkt auch ihrer Position in der Europa-Frage und bei der sozialen Sicherheit gewählt. Ihr Wahlkampf wirkt sich ebenfalls positiv aus, wenn auch schwächer als bei den anderen Parteien. Positiv wirkt sich das Vertrauen der GLP-Wählende in die Behördenarbeit aus.

BDP-Wahl: Einfach ist das Muster, weshalb man nachweislich die BDP wählt. Die Ausländerpolitik, der eigenen Wahlkampf und das Vertrauen in die Behördenarbeit sind die drei nachweislichen Ansatzpunkte.

Mit anderen Worten: Die programmatischen Positionen der Parteien sind eindeutig am wichtigsten. Das ist nicht mehr nur ein Privileg der Polparteien, die sich wie die SVP oder die GPS hier langfristig profiliert haben. Vielmehr braucht es im Wahlkampf 2015 einen ganz bewusst gesetzten Themenmix, um Erfolg zu haben. Parteien, die sich hier verbessern, bekommen einen neue Chance. Bei der FDP sieht man das gegenwärtig am besten.

Die Referenzabstimmungen sind eine Referenz für unsere Umfragen.

Zugegeben, bei der Minarett-Abstimmung gibt es Zweifel an der Vorbefragungen zu Volksabstimmungen unseres Instituts für die SRG. Aus dem Einzelfall eine Regel zu konstruieren, ist allerdings unzulässig. Der sog. Minarett-Effekt wiederholte sich seither nie mehr.

Nimmt man alle Umfragen zu den denkbaren Referenzabstimmungen bei der Volksinitiative ‘Gegen Masseneinwanderung’, erweisen sie der Demoskopie durchaus eine Referenz.

Beispiel 1: Bei der ’18-Prozent-Initiative’, die im Jahre 2000 eine obere Begrenzung des Ausländeranteils forderte, zeigte die letzte Umfrage vor der Abstimmung 48 Prozent Gegnerschaft und 40 Prozent Zustimmung. 12 Prozent waren unentschieden. Der Trend verwies ins Nein. Endergebnis: 36 Prozent dafür. Treffer-

Beispiel 2: Bei der ‘Ausschaffungsinitiative’, die 2010 verlangte, dass kriminelle AusländerInnen die Schweiz verlassen müssen, zeigte die letzte Umfrage vor der Abstimmung 54 Prozent Ja-Stimmende an und 43 Prozent Nein-SagerInnen. Trend: leicht Richtung Nein. Die Vorlage wurde mit 52 Prozent angenommen. Erneut Treffer.

Beispiel 3: Provisorische Einführung der Personenfreizügigkeit 2005, bei der die letzte Umfrage ein Ja-Nein-Verhältnis von 50:39 nahelegte, mit wachsenden Trends auf beiden Seiten: Resultat: 55 Prozent dafür. Nochmals Treffer.

Beispiel 4: Die definitive Einführung der Personenfreizügigkeit 2009, als die jüngste Vorumfrage vor der Abstimmung 50:43 ergab, ohne einen Trend aufzuzeigen. Das Ergebnis: 60 Prozent Zustimmung. Treffer, mit Abstrichen. Allerdings nicht zugunsten der Vorlage, sondern der Opponenten der Personenfreizügigkeit.

Fazit: In allen Fällen wurde die richtige Mehrheit erkannt. Wo es Trends gab, stimmten sie und halfen, abzuschätzen was zwischen der zweiten Umfrage und dem Abstimmungssonntag geschehen kann. Bei Behördenvorlagen heisst dies im Regelfall, dass das Ja zunimmt, bei Initiative, dass das Nein wächst.

In der Tat ist die Lage bei der Volksinitiative ‘Gegen Masseneinwanderung’ “tricky”. Denn die Mehrheit ist im Nein, der Trend aber geht Richtung Ja. Diese Kombination ist für eine Volksinitiative untypisch und kommt in keiner der Referenzen vor. Hauptgrund: Die Mobilisierung, die durch den Abstimmungskampf ausgelöst worden ist und auf die Beteiligung von Proteststimmenden setzt. Der Ausgang ist diesmal etwas schwieriger einzuschätzen, vor allem wenn die Beteiligung nochmals steigen sollte.

Claude Longchamp