Das Hoffen auf den entscheidenden Schlag

Angesichts der amerikanischen Finanzkrise waren die Erwartungen an die TV-Debatte zwischen Barack Obama und John McCain, die sich diese Nacht abspielte, hoch. Man erwartete, das mit diesem ersten Höhepunkt im amerikanischen Wahlkampf auch eine erste Vorentscheidung gefällt werde. Zwischenzeitlich ist die Stimmung gedämpfter: Unentschieden lautet das fast schon enttäuschende Verdikt der Auguren. Also waren wir Politikkonsumenten auf den entscheidenden Schlag in der nächsten Runde!

TV-Duelle und public viewing: Politische Entscheidung als sportlichere Wettkampf
TV-Duelle und public viewing: Politische Entscheidung als sportlichere Wettkampf


Position 1: Medien ohne Einfluss

Paul Lazarsfeld prägte mit seiner soziologisch inspirierten Wahlstudie “The people’s choice”, die 1944 erschien, den ersten Klassiker, der der bis heute gängigen Pole in der wissenschaftlichen Deutungen von Medien und Wahlen bestimmte. Typisch für seine Antwort ist die sog. Verstärker-These. Demnach üben die Massenmedien keinen genuin verändernden Einfluss auf die Wahlentscheidung aus, denn ihre Botschaften prallen an bestehenden Einstellung ab, wenn sie diese nicht bestätigen. Von meinungsbildender Wirkung bleibt da nicht viel übrig. Entsprechend ist nicht zu erwarten, dass sich diese Nacht etwas Wesentliches im amerikanischen Wahl verändert hätte. Vielmehr gilt: Demokraten bewerten Obama besser, und für Republikaner ist McCain der geeignetere Kandidat.

Position 2: Medienbild bestimmt Politikbild

1980 erschien unter dem Titel “The mass media election” die Studie von Thomas E. Patterson, die bis heute den klassischen Gegenpol zu Lazarsfeld und seinen Mitstreitern bildet. Anhand einer Untersuchung der Präsidentschaftswahlen von 1976 kam er zu folgenden Befunden und Schlüssen:

Erstens, die Bedeutung der Massenmedien liegt darin, dass sie mit ihrer Auswahl die für die WählerInnen relevante Wahrnehmung der Politik prägen.
Und zweitens, die Wahlentscheidungen fallen unterschiedlich aus, je nachdem wie die massenmediale Informationsauswahl ausfällt.

Das wichtigste Argument, das für einen Medieneinfluss spricht, ist die medienbestimmten Fokussierung auf kontroverse Themen mit klarer Pro- und Kontra-Struktur: Wer polarisiert, hat einen Vorteil. Wer indessen integriert, verliert bereits hier an Terrain. Denn Massenmedien neigen nach Patterson dazu, aus Spannungsgründen Politik als Spiel zu inszenieren, als Wettkampf bei dem es Helden und Versager, Gute und Böse, Gewinner und Verlierer gibt.

Kommentar

Nur schon die allgemeine Einschätzung von Patterson zu Medien und Politik erhellt unsere Erwartungshaltung an die amerikanischen TV-Duelle, die zwischenzeitlich weltweit die Medienberichterstattung bei Wahlen bestimmen. Es geht bei öffentlichen politischen Debatte nicht mehr darum, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Egal um was es geht, eine Politik der Verständigung ist massenmedial gar nicht mehr gefragt. Vielmehr sucht man wie fixiert nach den berühmten 10 Unterschieden. Bei Wahlen, die stets auch Auswahlen sind, kann man damit auch leben. Das Problem aber besteht darin, dass nicht mehr die politischen Inhalte bestimmend sind, sondern meist nur noch die medial inszenierte Persönlichkeiten der KandidatInnen.

Nach Patterson machte es einen Unterschied aus, ob man sich ausschliesslich über das Fernsehen oder im Mix von TV und Printmedien informiert. Das Fernsehen reicht weiter in die Wählerschaft, und es ist bei WählerInnen mit geringerem politischem Interesse die einzige zentrale Informationsquelle. Demgegenüber sind Printmedien bei die interessierteren WählerInnen wichtiger, und die Zeitungen können auch informativer sein.

Wenn man sich die heutigem Realtionen auf die gestrige TV-Debatte ansieht, kann man auch Zweifel an dieser Einschätzung haben. Die hohen Erwartungen an das Duell seien nicht eingelöst worden hört man da. Beide Kandidaten seien bezüglich der Finanzkrise vorsichtig aufgetreten. Und keinem sei es gelungen, sich wirklich vom anderen zu unterscheiden. So bleibt der sichtbarste Gegensatz bestehen: Obama und McCain vertreten je eine andere Generation.

Unentschieden war denn auch das Urteil der meisten Kommentatoren. Das wohl auf den entscheidenden Schlag bei einer der beiden kommenden Sendungen, den wir PolitikkonsumentInnen dannzumal hoffentlich alle gesehen haben werden.

Claude Longchamp

Quelle:
Paul Lazarsfeld, Bernard Berelson, Hazel Gaudet: The people’s choice. How the voter makes up his mind in a presidential campaign. New York 1944.
Thomas E. Patterson: The mass media election. How Americans choose their president. New York 1980.

“Samuel Schmid im Tief” oder “Keine Volkswahl des Bundesrates”

Am Samstag berichtete der “Blick” auf zwei Seiten über eine Umfrage von Isopublic zur Unterstützung der BundesrätInnen, insbesondere zum support von Bundesrat Samuel Schmid. Zusammengefasst wird das Ganze unter dem Titel: “Schmid verliert die Gunst des Volks”. Ich halte mal dagegen, denn der Titel zur Studie hätte heissen müssen: “Keine Volkswahl des Bundesrates”.

Die Brisanz ist klar. Bundesrat Schmid hat bei der Ernennung der Person des Armeechefs einen Fehler gemacht. Er hat das im Bundesrat und in der Oeffentlichkeit selber bestätigt. Der Bundesrat stützt ihn unverändert. In den Worten von Bundespräsident Couchepin ist das Ganze eine virtuelle Krise, – von den Medien entfacht. In der Bevölkerung werde Schmid genauso wie im Bundesrat getragen, so die präsidialen Worte.

Nüchtern betrachtet, legt die Umfrage von Isopublic drei Schlüsse nahe:

. Eine knappe Mehrheit will, dass der Bundesrat im Parlament gewählt wird.
. Eine knappe Mehrheit will, dass Schmid im Amt bleibt.
. Eine knappe Mehrheit misstraut dem VBS-Chef nach dem gemachten Fehler.

Selber gefragt, würde die Bevölkerung zwei Bundesräte nicht wiederewählen: Couchepin (FDP) und Schmid (BDP).

Diese Befunde gelten übrigens weitgehend auch für die einzelnen Parteien. Selbst bei der SVP findet die Aussage, Schmid solle im Amt bleiben, eine Zustimmung von über 50 Prozent.

Die mediale Verarbeitung der Umfrage erfolgte ganz anders. Der “Blick” drehte an der Schmid-Rücktritts-Schraube munter weiter. Ganz nach dem Motto: “Wer angeschlagen ist, darf man weiter schlagen!”

Eine saubere Analyse der Umfrageergebnisse hätte eigentlich einen anderen Schluss nahe gelegt: Die Volkswahl des Bundesrates hat in der Schweiz kaum Tradition. Für das Gros der Menschen in der Schweiz gilt: Die Wahl und Abwahl von BundesrätInnen ist Sache des Parlamentes. Denn gegenüber diesem Gremium muss sich ein Bundesrat in Sachfragen bewähren und die spezifische Unterstützung finden. In der Bevölkerung geht ist die Stimmung mal besser, mal schlechter. Die diffuse Unterstützung, die sich daraus ergibt, ist kein hinreichendes Kriterium die Aufstellung oder Abbestellung eines Bundesrates.

Unvoreingenommen hätte die Geschichte statt “Samuel Schmid im Tief” eigentlich “Keine Volkswahl des Bundesrates!” lauten müssen. Und das Interview hierzu hätte man mit Micheline Calmy-Rey führen sollen.

Claude Longchamp

Politische Gene statt politische Sozialisation?

Gibt es Gene, die politische Partizipation steuern? Mit dieser provokativen Frage versuchen gegenwärtig junge Forscher der Universität San Diego die Politikwissenschaft neu aufzumischen. Fragezeichen sind erlaubt, wenn man nicht nur auf Formeln und Grafiken schaut, sondern das Umfeld der Untersuchungen miteinbezieht.

Genetic Variation in Political Participation“, lautet der ungewöhnliche Titel eines Aufsatzes, der jüngst in der American Political Science Review” (2/102) erschienen ist. Das lässt aufhorchen: Prestigeträchtiges Journal und die renommierte Universität von San Diego sprechen schon mal für einflussreiches Umfeld. Eine Kritik des Zeitgeistes lässt aber auch verschiedene Zweifel aufkommen an der ersten Wirkung des Artikels aufkommen.

Kein neuer Befund
Alles andere als neu ist, dass sich eine hohe Uebereinstimmung in der politischen Partizipation zwischen der Eltern- und der Kindergeneration finden lässt. Gerade in den Vereinigten Staaten sind seit 50 Jahren unzählige Studien vorgelegt worden, wonach Jugendliche aus unpolitischen Haushalten vermehrt dazu neigen, selber unpolitisch zu werden und umgekehrt.

Die bisher zentrale Erklärung dafür griff auf sozialwissenschaftliche Konzepte der 70er Jahre zurück: die Sozialisation. Wenn man so will: auf die Vergesellschaftung des Menschen, die durch Vorbilder in Medien, Kulturen von Schulen, Nachahmung von Eltern und Vergleiche mit Peers entsteht. Umfeld-Faktoren haben seither ihren festen Stellenwert in der soziologisch ausgerichteten Erklärung politischen Verhaltens, die sich von einer Generation auf die andere überträgt.

James H. Frowler, Laura A. Baker und Christopher T. Dawes deuten das Neue anders: “Our results show participation ist heritable”. Da geht es nicht mehr über soziale Ueberträgung, da spricht man schlicht und einfach vom Vererbung.

Ihr Hauptargument beziehen die Politikwissenschafter auf Experimente in Los Angeles mit ein- und zweieiigen Zwillingen, die man um politische Fragestellungen erweitert hat. Demnach kann man einen signifikanten Anteil des politischen Verhaltens (nicht der politischen Entscheidungen) bei Wahlen auf bestimmte Genvariationen zurückführen. Kausal ist das zwar nicht belegt, statistisch aber schon. Vermutet wird nicht ein einzelnes “Politik”-Gen, jedoch eine Reihe von Genen, die das Verhalten mitbestimmen.

Wäre das alles mehr als statistische Evidenz, wäre es Aufsehen erregend: Der freie Wille, der politischem Verhalten zugrunde liegt, wäre nicht nur relativiert, wie das Studien zu institutionellen Rahmenbedingungen, kulturellen Faktoren, gesellschaftlichen Einflüssen und psychischen Dispositionen schon lange annehmen. Vielmehr würde er den genetischen Determinismus ersetzt. Das würde die abendländische Philosophie zutiefst erschüttern, denn Politik wäre nicht mehr wie seit Aristoteles ein Produkt des sozialen Wesens. Sie wäre nach den San-Diego-Boys und -Girls nur noch eine bstimmbare Folge vererbter biologischer Funktionen.

Eine distanzierte Analyse
Ich will das alles gar nicht richtig ernst nehmen! Nicht nur, weil ich eine andere Forschungsrichtung vertrete. Ich bin vielmehr überzeugt, dass man auch in Zukunft aus Speichelproben weniger über Wahlbeteiligungen herauslesen wird als aus Umfrageergebnissen bei Inidividuen und Vergleichen zwischen Wahlsystemen. Ich sehe in den Schlagzeilen aus der amerikanischen Forschung vor allem ein forschungsimmanentes Problem: Wichtige Geldgeber aus der nationalen Wissenschaftsförderung sponsoren immer wieder ausgefallene Ideen. Das belebt die Grundlagenforschung zurecht resp. prägt die wissenschaftlichen Journals. Das kann zu neuen Erkenntnissen jenseits einspielter Denkmuster führen, muss es aber nicht! Es können auch wissenschaftliche Moden sein, die weniger aus der Empirie als aus dem Zeitgeist abgeleitet sind. Und genau dahin zielt meine Kritik.

Ich will die Testergebnisse per se gar nicht bestreiten. Ueber ihre Relevanz kann man geteilter Meinung sein. Ich sehe vor allem eine Vermengung von theoretischen Ueberlegungen. In der Diskussion der emprischen Befunden ist man nämlich viel vorsichtiger als im Lead zum genannten Artikel. Da heisst es dann typischerweise: “The results presented here suggest that there is some (possibly large) set of genes whose expression – in combination with environmental factors – regulates political participation.” Weicher kann man es gar nicht mehr sagen!

Politik: ein soziales oder als biologisches Phänomen?
Denn damit sind wir trotz aufwendiger Datenbeschaffungen mit neuen Experimenten wieder bei den bekannten Umfeldeinflüssen. Sie haben die Modernisierung der politischen System seit den bürgerlichen Revolutionen als Voraussetzungen der politischen Breitenbeteiligung gesehen. Sie haben gezeigt, dass diese mit einer Vielzahl sozio-kultureller und sozio-ökonomischer Faktoren entsteht. Und sie haben uns ausgeführt, dass es in diesem Uebergang bestimmte Einstellungs- und Verhaltens-Inidikatoren gibt, die ihrerseits schicht-, generations- und geschlechtsspezifisch verteilt sind.

Wenn man nun den ganzen Vorspann weglässt, um ihn undiskutiert mit der generellen Evolution des Menschen zu ersetzen, wenn man gleichzeitig das Politische im Menschen negiert, und das auf die Genstrukturen reduzieren will, dann spiegelt das meines Erachtens mehr den Zeitgeist als die Daten. Den Menschen auf seine Gene beschränken zu wollen, ist eine in die Naturwissenschaften durchaus vorherrschende Sichtweise, die sich bei der Untersuchung physischer Prozesse bewährt hat. Ob sie aber auch die Psyche erklärt, ist, mit Verlauf, mehr als umstritten.

Gerade in den Sozialwissenschaften, die versuchen, sich methodisch an die Naturwissenschaft anzulehnen ohne deren Philosophie zu übernehmen, muss man hier Einspruch erheben. Und man muss einmal mehr Emil Durkheim erinnern. Demnach sind soziale Erklärungen des Sozialen immer vorzuziehen, um nicht erneut in die Fehler der frühen Sozialwissenschaften zu verfallen, die sich im Gefolge der Positivisten des 19. Jahrhunderts verbreitet hatten.

Claude Longchamp

Die SVP unter der Lupe des Analytikers

Die SVP in der Krise. Das beschäftigt uns zwischenzeitlich fast täglich, seit Ultimaten die Runde machen, Säuberungen angesagt sind, Abspaltungen sich mehren, weil sich die Partei zwischen Opposition und Integration neu positioniert.

mazzo.JPG
Doch was eigentlich ist diese SVP? – Dieser interessanten und relevanten Frage geht der Tessiner Historiker und Politikwissenschafter Oscar Mazzoleni in seinem bemerkenswert schlank und elegant formulierten Buch “Nationalisme et populisme en Suisse. La radicalisation de la “nouvelle” UDC” nach. Es lohnt sich seinen material- und kenntnisreichen, aber distanziert gehaltenen Einschätzungen aufzunehmen, um die gegenwärtigen Entwicklungen zu verstehen.

Die Umstände des Aufstiegs
Zunächst spricht in diesem Buch des Zeitgeschichtler zu seinen Lesern. Er hält einleitend fest, dass der Aufstieg der SVP in den letzten 20 Jahren in der Wahlgeschichte der Schweiz einmalig ist. Ohne in eine platte Zustimmung zur besprochenen Partei zu verfallen, bilanziert Mazzoleni, der Wandel vom Junior-Partner in der Regierung zur wählerstärksten Partei sei eine Erfolgsgeschichte ohne Vorbild. Dabei werden die Etappen des Aufstiegs analysiert. Grob gesagt werden drei unterschieden: die Entstehung zahlreicher neuer rechter Oppositionsparteien in den 70er Jahren bis zur ersten Uno-Volksabstimmung, die Sammlung in sprachregional typische Bewegungen bis zur EWR-Entscheidung und die Bildung einer neuartigen Partei aus der alten SVP und eben dieser neuen rechtspopulitischen Formationen unter Führung der neuen SVP nach Züricher Vorbild.

Dann kehrt der Autor den Sozialwissenschafter in ihm heraus. Er analysiert einerseits die sozio-ökonomischen Voraussetzungen, anderseits die politisch-kulturellen Rahmenbedingungen deer Erfolgsgeschichte. Behandelt werden die Krise der Wohlstandsgesellschaft und die Antworten, welche Neoliberale resp. Neokonservative entwickelt haben. Während erstere auf eine funktionale Betrachtungsweise der Politik setz(t)en, beton(t)en die anderen ganz bewusst, die identitätsstiftende Bedeutung der Politik. Ein sei man sich nur in der Diagnose des Vetrauensverlustes bürgerlicher Regierungspolitik und der daraus folgenden Personalisierung des öffentlichen Geschehens.

Die Bedingungen des Aufstiegs
Nach Mazzoleni reicht das aber nicht, um den Aufstieg der SVP zu verstehen. Diese könne nur aus ihrer programmatisch ausgeklügelten Abwehr der Oeffnungspolitik in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, politischer und kultureller Hinsicht verstanden werden. Dabei stützt er sich ausgiebig auf das Konzept der “Gewinnerformel”, das der amerikanische Populismusforschers Herbert Kitschelt entwickelt hat.

Demnach, so Mazzoleni, kann man den konkreten Populismus nur historisch und national aufgrund seiner spezifischen Rhetorik analysieren. Denn anders als der militante Rechtsextremismus setze dieser nur auf Botschaften, die in den Medien und der Bevölkerung ankommen: Konsitutierend seien der Appell an das Volk, die Diskreditierung der falschen Eliten, die Betonung des schweizerischen Sonderfalls, die Stilisierung des Alleingang, die Mobilisierung von Ueberfremdungsängsten, verbunden mit der Attakte auf den Missbrauch schweizerischer Institutionen.

Die daraus resultierende konservativen Moral sei bewusst nationalistisch ausgerichtet, schreibt Mazzoleni, und sie unterscheide sich damit von liberal ausgerichteten Konzepte in der Weltanschauung diametral. Am besten zeige sich das bei der Debatte über die Zukunft des Sozialstaates, der nicht generell zurückgefahren werden, aber den Schweizern vorbehalten bleiben solle.

Der Autor vergisst dabei nicht, dass die Gewinnerformel nicht nur mit kommunikativer Kompetenz zum Erfolgsrezept werde, sondern auch einen organisatorischen Unterbau braucht. Entscheidend sei hier der Faktor “Blocher”: Parteistrukturen seien unter ihm modernisiert und durch thematische Sammelbecken wie die AUNS entlastet worden. Die Medienarbeit sei professionalisiert so weit professionalisiert worden, dass selbst schlechte Presse parteiintern zum Mobilisierungsfaktor geworden sei. Ohne Charisma, das vom Parteineugründer Christoph Blocher ausging, wäre das alles nicht möglich gewesen.

Die Kerntruppen und Supporter

Angesprochen werden von der SVP, so der Wahlforscher Mazzoleni, drei recht unterschiedliche Kerngruppen: vor allem Anti-Europäer, dann Konservative und schliesslich auch Neoliberale. Für den elektoralen Erfolg sei dieses recht bunte Gemisch indessen nicht entscheidend.

Massgeblich zusammengehalten werden es durch die nicht primär ideologisch bestimmte Mobilisierung von Frustrationen mit den bisherigen Parteien, durch generell misstrauisch gestimmte BürgerInnen und durch die gezielte Ansprache von bisherigen Nicht-Wählern.

Die Zwischenbilanz
Der Politikwissenschaft Oscar Mazzoleni, Lehrbeuaftragter an den Universitäten Genf und Lausanne, weiss in seiner Bilanz, dass das alles, will es von dauerhaftem Erfolg bleiben, institutionalisiert werden muss. Hier sieht er Grenzen im politischen System der Schweiz. Genauso wie es mit seinen direktdemokratischen Möglichkeiten den Einsteig neuer Parteien erleichtert, erschwere es mit seinen Instiutitionen die Stabilisierung des Extremen.

Namentlich nennt der Autor die relative Autonomie der Kantonsregierungen, aber auch der Exekutive auf kantonalere Ebene. Er diskutiert auch den Stellenwert von Kantonalparteien im förderalistisch strukturierten Parteiwesen, das die bürgerlich ausgericheteten politischen Kräfte hierzulande kennzeichnet. Und er weist darauf, dass Leadership an der Spitze von Parteien in der Schweiz innerhalb von Organisationen ambivalente Wirkungen zeigt. Deshalb kommt er zum Schluss, die SVP befindet sich in einem instabilen Gleichgewicht der Kräfte.

Im Vergleich zu anderen Analysen begegnet Mazzoleni generellen Charkateristierung der Partei wie etwa die nationalkonservative Revolte. Er widerspricht auch Analytikern, die in der SVP eine rechtsradikale Partei sehen. Vielmehr bleibt der der Einschätzung von Kitschelt verbunden, die SVP sei eine Kombination aus Nationalismus und Populismus, die sich im rechten politischen Spektrum erfolgreich radikalisiert habe.

Das Nachwort
Kurz, aus heutiger Sicht wohl etwas zu zu kurz, fällt das 2008 verfasste Nachwort zum Buchmanuskript aus, das im Wesentlichen die Entwicklungen und Diskussionen bis 2003 reflektiert. Dennoch lesen sich die Passagen wie eine Hinführung zur Gegenwart. Zur vorherrschenden Ausrichtung der Partei, gäbe es einen Minderheitsflügel, sachpolitisch gemässigt und loyal zur Konkordanzkultur. Sie sei aus Frucht vor dem Bruch im Herzen der SVP verblieben, ohne die Ausrichtung der Partei zu teilen, was das politisches System der Schweiz erlauben würde. Genau das habe aus der SVP aber einen europäischen Sonderfall gemacht, der sich durch Kohabitation von spektakulärer Radikalisierung einerseits, durch Regierungsbeteiligung anderseits auszeichne.

“Auszeichnete” wird man immer deutlicher das ansonsten ausgezeichnete Buch verbessern müssen.

Claude Longchamp

Oscar Mazzoleni: Nationalisme et Populisme en Suisse. La radicalisation de la “nouvelle” UDC. Collection “Le savoir suisse“, Lausanne 2008 (2ième édition)

Politische Kultur – die Definition von Micheline Calmy-Rey

(zoon politicon) Ich war an den 3. Berner Politgesprächen zum Thema “Reden mit Europa – Reden über Europa”. Der Auftakt war nach Mass, der Rest blieb etwas hinter den Erwartungen zurück.
Prägant fand ich die Rede von Micheline Calmy-Rey, der Schweizer Bundesrätin für Aussenpolitik, die weiss, wovon sie spricht. Am Ende ihrer Rede wagte sie sogar eine eigenständige Definition, was politische Kultur ist. Das ist schon schwierig genug in der Politikwissenschaft hinreichend zu bestimmen. Und deshalb ist es umso bemerkenswerter, wenn sich auch eine Politikerin ernsthafte Gedanken dazu macht. Hier ihre Worte:

head-contentpar-0001-imagecontentpartextimage01gif.jpg

“Stichwort politische Kultur: Salopp gesagt ist das in der Regel ganz einfach das, was dem politischen Gegner fehlt. Erlauben Sie mir aber einen etwas präzisieren Definitionsversuch: Wenn das Gegenteil von Kultur die Natur ist, so wäre das Gegenteil von “politsicher Kultur” wahrscheinlich eine Art Polit-Darwinismus: das heisst ein Dschungelkampf der Partikular- und Staatsinteressen.
Politische Kultur steht aber offensichtlich für einen etwas zivilisierteren Umgang. Was nicht heissen soll, dass dabei alle der gleichen Meinung sind und die gleichen Ziele verfolgen. Innen- wie auch Aussenpolitik soll zwar kein Dschungel sein. Sie ist aber mit Sicherheit auch kein Streichelzoo.
Politische Kultur bedeutet vielmehr, dass mit den Unterschieden, mit der Konfrontation und zuweilen auch der Kollision der Interessen umgegangen werden kann. Es ist die Fähigkeit, divergierende oder sogar widersprüchliche Interessen zu bündeln und pragmatisch zu einer breit abgestützten Lösung zu integrieren. Es ist – auf eine Formel gebracht – die Kunst des produktiven Streitens im öffentlichen Bereich bzw. auf internationalem Parkett.
Ich denke, die Schweiz und die Union haben dieses gemeinsame kulturelle Fundament, auf dessen Basis der nicht immer einfache und konfliktfreie gemeinsame bilaterale Weg stattfinden kann: die gegenseitige Akzeptanz und Bereitschaft zur Lösungssuche. Kooperation und Ausgleich, anstatt konfrontative Machtpolitik. Verhandlungslösungen und Anreize, anstatt Sanktionspolitik. Das heisst: Reden mit den Sozialpartnern, mit den Bürgern und Bürgerinnen. Das heisst Reden mit den zuständigen Behörden. Aber auch, Reden mit den Nachbarländern und mit Brüssel. Das heisst, Reden über Europa und Reden mit Europa.”

Claude Longchamp

Bedeutungswandel von Volksinitiativen

Letzte Woche habe mich Bruno Hofer getroffen. Ich kenne ihn seit langem. Er war früher Journalist, später persönlicher Mitarbeiter eines Bundesrates und Kommunikationsverantwortlicher einer Grossunternehmung. Heute ist Bruno Hofer selbständiger Kommunikationsberater sowie Dozent für Web 2.0 am MAZ.

Und Buchautor dazu. “Bedeutungswandel Schweizerischer Volksinitiativen” heisst das Werk, das er Mitte 2007 auf aktuellstem Stand herausgegeben hat. Der Hauptteil des Buches ist eine ausgesprochen materialreiche Sammlung zu allen Volksinitiativen in der Schweizer Geschichte auf Bundesebene bis zum Ende der abgelaufenen Legislatur. Das alleine macht das Buch als Nachschlagewerk nützlich.

Knapp gehalten ist die zusätzliche Auswertung des Erfolges von Initiativen. Der direkte ist bekanntlich gering, der indirekte jedoch kaum untersucht. Und genau dieser Lücke hat sich Bruno Hofer als Erster angenommen. Er hat abgestimmte und zurückgezogenen Volksbegehren aufgrund ihres Lebenszyklus’ untersucht und sich die Frage gestellt, wo überall sich Interventionsmöglichkeiten ergeben. Dabei kommt er zum Schluss, das Instrument sei wichtig, werde aber überschätzt, und war von den Befürwortern wie auch von den Gegnern.

Hier seine 12 Thesen:

. Sämtliche Initiativen haben eine Wirkung.

. Initiativen dienen der Strukturierung neuer politischer Bewegungen.

. Sorgenbarometer und Initiativ-Themen sind nicht korreliert. Dies hängt nicht nur mit der Zeitverschiebung zwischen Lancierung und Abstimmung zusammen. Es gibt auch Themen, die nie zu einer Volksinitiative führen.

. Es gibt kein ganz wichtiges Thema mehr ohne die Initiativen-Begleitmusik.

. Oppositionelle Kräfte sind die grössten Anhänger von Volksinitiativen. Zahlreich sind jedoch auch Einzelpersonen oder -firmen, die das Instrument rege benutzen.

. Initiativen spiegeln den Zeitgeist und fördern das Bewusstsein zum Wandel hin zu einer sozialverträglicheren Gesellschaft. Tendenziell bewirken Initiativen eher die Durchsetzung von Ideen des linken Parteispektrums und sind somit Förderinstrumente eines gewissen Egalitarismus

. Gescheiterte Initiativen haben oft einen thematischen Bereinigungseffekt.

. Volksinitiativen nehmen im Zeitverlauf in ihrer Bedeutung ab.

. Initiativen haben keinen negativen Einfluss auf den Staatszweck.

. Initiativen bewegen absolut gesehen immer weniger aus sich selber heraus. Sie müssen als eines von mehreren Elementen eines Propagandafeldzuges geführt werden.

. Der Missbrauch zu Propagadazwecken nimmt zu. Viele im Sammelstadium gescheiterte Begehren waren Werbeaktionen von Verbänden aller Art.

. Die Behörden entdecken mehr und mehr den Wert des Instruments. Die Initiative “von oben” kommt auf indirektem Weg als neues Instrument hinzu.

Soviel also zum Bedeutungswandel von Volksinitiativen im historischen Ueberblick.

Claude Longchamp

Titel:
Bruno Hofer: Bedeutungswandel Schweizerischer Volksinitiativen, Fahrweid 2007
Uebersicht zu Volksinitiativen in Wikipedia
Uebersicht bei der Bundeskanzlei

Oswald Siggs Lesung

(zoon politicon) Oswald Sigg ist ein zurückhaltender Mensch. Er ist von Beruf Bundesratssprecher. Deshalb ist er vor Volksabstimmungen jeweils auch zuständig für die offizielle Information der Behörden an die BürgerInnen. Und genau diese stand gestern in der “Arena” zur Debatte. Denn die Initiative “Volkssouveränität statt Behördenpropaganda” wurde am 11. August 2004 vom Verein “Bürger für Bürger” mit 106’344 gültigen Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht; über sie wird am 1. Juni 2008 in einer Volksabstimmung entschieden.

freie.gif
“Freie Meinung” – für die einen durch den Bundesrat, für die anderen durch die SVP bedroht (foto: stadtwanderer).

Was die Initiative verlangt und was in der Arena gesagt wurde
Würde die Initiative heute schon gelten, hätte der Bundesrat die Abstimmungsthemen spätestens am 1. Dezember 2007 festlegen müssen. In der Folge hätte er sich, genauso wie die obersten Kader des Bundesverwaltung, der Informations- und Propagandatätigkeit enthalten müssen. Das verlangt die Initiative. Zwei Ausnahmen wären noch erlaubt gewesen: eine kurze Information an die Medien und eine Broschüre an die Bevölkerung.

In der Tat verhält sich der Bundesrat in diesem Fall weitgehend nach dieser Vorgabe, nicht jedoch in allen anderen Fällen. Das macht klar: Die Landesregierung will weiterhin in Abstimmungskämpfen dauerhaft präsent sein können, das Mass des Engagements jedoch der Sache entsprechend dosieren.

Den einschränkenden Grundsatz zur Kommunikation de Regierung gibt die Broschüre eins-zu-eins wieder, die Oswald Sigg produziert hat. Dennoch hielten die Initianten, vertreten durch ihren Präsidenten, in der Arena fortwährend das Gegenteil fest. Mit Bezug auf die Ausnahmen meinten sie, es sei den Bundesbehörden weiterhin möglich zu informieren, ja, die Information der Bürger solle sogar ausgebaut werden. Nur die Behördenpropaganda müsse verschwinden.

Mehrfach wurde in der Sendung darauf hingewiesen, diese Darstellung sei täuschend, und die Arena-Runde wurde aufgerufen, im Bundesbüchlein nachzulesen. Oswald Sigg freute das; er habe sich schon immer gewünscht, dass es zu einer öffentlichen Lesung seines Oevres komme, meinte er lakonisch. Doch blieb es bei diesem Bonmot.

Wer in der gestrigen Sendung auf der Differenz zwischen Geschriebenen und Gesagtem beharrte, wurde aus der Reihe der vorgeschobenen Claquere zur Initiative regelmässig angepöbelt. Das traf selbst mich, was umso mehr irritierte, als der Präsident des Initiativkomitees mich mehrfach als Garanten für das Anliegen zitierte, das man aufgenommen habe.

Meine Position
Selber weiss ich, wie schwierig die Unterscheidung zwischen Information und Propaganda ist. Alle wissen, wo Information anfängt, aber nicht, wo sie in Propaganda übergeht. Das bleibt letztlich Ermessenssache. Der Bundesrat zieht einen ziemlich weiten Informationsbegriff vor, die Initianten einen ganz engen. Ich glaube nicht, dass man in diesem Abstimmungskampf diesbezüglich weiter kommen wird. Denn es mischen sich zu stark parteipolitische, sachpolitische und institutionelle Interessen die Positionsbezüge.

Wichtiger scheint mir, zwischen einem aktiven und einem passiven Kommunikationsverhalten zu unterscheiden. Die Initianten wollen zum passiven Konzept zurück. Selbst wenn ich einiges vom Unbehagen bei Stellungnahmen gegen Initiativen verstehe, das die Initianten äussern, befürworte ich seit längerem ein generell aktives Informationsverhalten des Bundesrates, insbesondere bei Referenden. Mein Argument: Das Parlament ist nicht in der Lage, dem Kommunikationszeitalter angemessene Kampagnen zu führen. Ohne das Engagement des Bundesrates würde, gerade bei Themen, die nicht die Mehrheit betreffen, in der Entscheidung vieles dem Zufall überlassen.

Das hat der Nationalrat erkannt; er hat versucht, die Oeffentlichkeitsarbeit des Bundesrates während Abstimmungskämpfen zuzulassen, aber zu reglementieren. Es soll an Kriterien wie Sachlichkeit, Transparenz und die Verhältnismassigkeit zu binden. Das ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung.

Das Gesagte und Nicht-Gesagte
Nach der Sendung, beim üblichen Stehbuffet für die Geladenen der “Arena”, kam eine ganz andere Diskussion auf. Die BefürworterInnen aus dem Publikum sprachen vor allem über das Verhalten von BundesrätInnen, das ihnen auf den geist geht. Pascal Couchepin und Micheline Calmy-Rey standen auf der Anklagebank, und Eveline Widmer-Schlumpf wird es bald auch sein, wenn sie in der Arena gegen SVP-Präsident Toni Brunner zur Einbürgerungsinitiative antritt. Aber auch die GegnerInnen aus den hinteren Reihen redeten nach der Sendung vor allem über ihre Aengste. Sie nähren sich aus den Kampagnen der SVP, die in Wahl- und Abstimmungskämpfen im gekauften Raum nach Belieben dominiert.

Und genau das erschwert die Beurteilung der Initiative. Die SVP ist die einzige grössere Partei, die sie unterstützt. Dabei bekommt man den Eindruck, sie tue das, um ihren Kampagnenvorteil zu mehren. Dies wird umso deutlicher, als die SVP auch eine Unterstützung der Parteien durch den Staat strikte ablehnt.

Ohne Regierung oder Parlament in die Pflicht zu nehmen, nach der behördlichen Willensbildung, für die Position, die erarbeitet wurde, in der Oeffentlichkeit einzustehen, funktionieren Abstimmungskämpfe nicht. Das jedenfalls ist die Lehre, die ich aus meinen Erfahrungen mit Abstimmungskämpfen ziehe.

Wenn Oswald Sigg gestern während der Sendung eher schweigsam war, interpretiere ich das so: Er liefert die Grundlagen, um Klarheit zu haben, wer was will. Die Debatte, was dabei besser und schlechter ist, überlässt er gerne den Akteure, die die Entscheidung der StimmbürgerInnen vorbereiten.

Claude Longchamp

Wie Blogger-Kollege Manfred Mesmer, der sich gestern auch als Kommunikationsexperte zur Initiative äusserte, die Sache beurteilt, lesen Sie hier.

Neue Wege der Kommunikation in Abstimmungskampagnen

(zoon politicon) Die SVP geht nach eigenen Angaben neue Wege in der Kommunikation während Abstimmungskampagnen. Sie setzt bei der Einbürgerungsinitiative in Zürich ein Megaplakat ein. Es hat eine Grundfläche von 160 Quadratmeter.

Innovative politische Kommunikation
Seit vielen Jahren ist die SVP dafür bekannt, mit plakativen Auftritten auffällige Abstimmungs- und Wahlkampagnen durchzuführen. Die jüngste selects-Studie belegt den Aufwand, den die SVP bei den Wahlen dafür betrieb, aber auch die Wirkung, welche die Partei so erzielt.

Zu den Innovationen der politischen Kommunikation zählt nach Angaben der SVP, welche in den letzten Jahren in der Schweiz eingeführt worden sind, zählt:

– die Abstimmungswerbung via Telefon
– die Präsenz auf elektronischen Werbewänden in Bahnhöfen
– die Website mit SMS-Dienst für News und offenem Diskussionsforum
– das Online-Game zu aktuellen politischen Themen wie “Zottel rettet die Schweiz” sowei
– kreative Werbemittel, etwa das Trojanische Pferd auf dem Bundesplatz oder der Flyer in
Form eines Schweizer Passes bei der letzten Einbürgerungsvorlage.

Nun setzt die SVP als Teil ihrer Kampagne zur Einbürgerungsinitiative ein neues Werbemittel ein: Heute wurde das grösste Plakat, das in der Schweiz jemals für politische Kommunikation eingesetzt wurde, präsentiert. Es befindet sich an der Aussenfassade eines Parkhauses an der Pfingstweidstrasse 1 in Zürich und misst 11,68 Meter mal 13,57 Meter!

Das neue Medium als Botschaft
Dabei verfolgt die SVP konsequent eine Linie: das Medium der Kommunikation wird zur Botschaft selber. Wir sind anders, wir sind besser, lautet das Motto. Und wenn der politische Gegner bei dieser Innovation nicht mithält, ist das seine Sache.

Dieses Kommunikationsmuster hat Vorteile. Die Medien berichten darüber, weil die Kampagneführung eventartig ist und schon auf der Metaebene einen news-Wert hat. Und sie transportieren so auch immer wieder die Botschaften der SVP-Kampagnen, die sonst schnell als bekannt oder auch parteiisch hinterfragt werden.

Fehlende wissenschaftliche Evaluierung
Leider, kann man sagen, fehlt eine systematische, wissenschaftliche Beschäftigung mit einer Neuerung in der Kampagnenkommunikation, welche die SVP seit einigen Jahren betreibt. Bei Wahlen wurde das jüngst ansatzweise nachgeholt; bei Abstimmungen steht es noch weitgehend aus. So bleibt die Hoffnung oder Befürchtung, dass das Ganze eine Wirkung im Sinne der Urheber hat, ohne dass das geprüft wurden und rational diskutierbar wäre.

Ich schreibe das bewusst nicht wegen der SVP, jedoch wegen der Sozialwissenschaft, die mit der Entwicklung auf dem Gebiet der Kampagnenkommunikation kaum mithalten kann. Für Studierende, die eine Abschlussarbeit in Politik- oder Medienwissenschaft schreiben wollen, eigentlich eine einladende Fundgrube, einen Beitrag zur Entwicklung der Wissenschaft und eine Beitrag zur demokratiepraktischen Debatte zu leisten.

Claude Longchamp

Mehr dazu hier.

Wahlen und Werbung

(zoon politicon) Die Wahlanalyse der Forschungsgruppe “selects”, der heute erschienen ist, wirft die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Wahlergebnis und Werbeaufwand erneut auf.

Schon die Wahlbeobachter, die sich 2007 in der Schweiz aufhielten, problematisierten den Zusammenhang, indem sie auf die Abhängigkeit der Massenmedien von Wahlwerbung verwiesen, und bei ungleichen Aufwendungen der Parteien eine Asymmetrie zwischen Parteien und Zeitungen festhielten.

Nun doppelt das universitäre Wahlforschungteam “selects” nach. Die Wahlwerbung der KandidatInnen seien ungleich verteilt gewesen:

. SVP-KandidatInnen Total: 6,1 Millionen Franken
. FDP-KandidatInnen Total: 5,9 Millionen Franken
. CVP-KandidatInnen Total: 4,9 Millionen Franken
. SP-KandidatInnen Total: 2,5 Millionen Frnaken
. Grüne-KandidatInnen Total: 1,2 Millionen Franken

wahlwerb.gif

Schon im November veröffentlichte die Werbebeobachtungsagentur Mediafocus ein ähnliches Rating. Demnach war sich der sichtbare Werbeaufwand der Parteien, nicht der KandidatInnen in den Medien in den nachstehenden Grössenordnungen:

. SVP: 12,2 Million Franken
. FDP: 6,1 Millionen Franken
. SP: 2,5 Millionen Franken
. CVP: 2,2 Millionen Franken
. Grüne: 0,7 Millionen Franken

Die Datailauswertung der Verteilung der Ausgaben, die wir selber vorgenommen haben, zeigt hier Zusätzliches.

Erstens, alle Parteien konzentrieren sich beim Mitteleinsatz auf die Schlussphase des Wahlkampfes. Die Intensität war im Oktober höher als im September, und sie war im September stärker als im August.
Zweitens, die Dauer der intensiveren Ausgaben hängt von der Gesamthöhe des Budgets ab. Bei Grünen, SP und CVP, welche die kleinsten Aufwendungen betrieben, setzte der werberische Auftakt im wesentlichen im September ein. Bei der FDP gilt ähnliches, allerdings in schon ganz anderen Dimensionen.
Drittens, die SVP-Kampagne hatte dagegen ihren take-off im August 2007. Sie Schäfchen-Kampagne war es denn auch, welche das Klima, indem der Wahlkampf stattfand, einsetzte.

Das wirft die Frage auf, wie Wahlwerbung wirkt: Ich werfe die nachstehende Hypothese in die Debatte: Wahlwerbung verspricht nicht einfach Wahlerfolge. Wahlerfolge ergeben sich dann, wenn man in der Werbung die Top-Position einnimmt. Das garantiert am intensivsten und am längsten zu werben. Und das kann das Klima prägen, indem der Wahlkampf stattfindet, was für den Wahlerfolg nicht unerheblich ist.

Ich nenne das climate-setting in der Wahlwerbungskommunikation. Notabene nicht erst seit 2007, sondern seit 1995, dem Zeitpunkt, seit dem ich den Zusammenhang von Wahlen und Werbung in der Schweiz beobachte. Mehr dazu finden Sie hier.

Claude Longchamp

Kurzer Rückblick auf heute (IV)

(zoon politicon) Wie angekündigt, heute ging’s in meiner St. Galler Vorlesung um politische Kultur. Mir war von Beginn weg klar, dass der Begriff nicht einfach zu erläutern sein würde. Deshalb nochmals ein Versuch im Rückblick.

img178643.jpg
Advico Young & Rubicam: lass es nicht soweit kommen! oder Der Auf an jeden, die Schweiz stets zu erneuern.

Wissenschaftliche Begriffsbestimmungen
Anders als im politischen Alltagsgebrauch, ist die sozialwissenschaftliche Begriffsverwendung meist zurückhaltender und politisch neutraler. In der Regel versteht man darunter einen Verbund von Werten und Normen gegenüber politischen Objekten. Es geht um grundlegende Einstellungen zum Staat, zu seinen Leistungen und seinen Beeinflussungsmöglichkeiten, nicht um Meinungen in Sachfragen. Und es geht ums Bild, das wir uns von uns als Kollektiv und als Individuen in der Politik machen.

Das ist, vereinfacht gesagt, das klassische Verständnis von politischer Kultur. Es ist auf Massenkulturen ausgericht. Es will politische Kultur an den Denkweisen der Einzelnen dingfest machen. Mengen von Daten sind so über Befragung ermittelt und auf verschiedene Arten und Weisen verdichtet, kombiniert und typisiert worden, ohne dass man sicher ist, ob man damit politische Kulturen versteht. Vor allem mangelt es auf dieser Basis bis heute an eigentlichen Erklärungsmodellen für den Wandel politische Kultur. Meist begnügt man sich damit, die wirtschaftliche Entwicklung als Ursache anzunehmen.

Das andere Verständnis von politischer Kultur ist nicht behavioristisch. Vielmehr rekonstruiert es politische Kultur aus der Geschichte, den zurückliegenden Konflikten, den vorbildhaften Lösungen, die hierzu gefunden worden sind und Staaten begründet haben. Das Handeln aller Akteure, die daran beteiligt waren, interessiert da viel mehr als das der einzelnen Individuen. Denn die Verändungen im Handeln der Akteure sind es, die den politkulturellen Wandel sichtbar machen.

Mein Ziel der heutigen Vorlesung
Die heutige Vorlesung wollte zeigen, dass es in der Erforschung politischer Kulturen kein allgemein anerkanntes Paradigma gibt. Es gibt maximal verschiedenartige Konzepte der Forschung, die leider meist wenig verbunden nebeneinander stehen.

Ihnen gemeinsam ist aber, dass man politische Kulturen wohl besser im Plural gebrauchen sollte, als Kennzeichnung von Eigenschaften, die einem erst im Vergleich beispielsweise von Staten bewusst werden. Politische Kulturen sind so definiert Charakteristiken von verschiedenartigen politischen Verbänden. Sie finden sich in Verfassungen von Staaten mit den Muster garantierten Werten. Sie lassen sich an Institutionen ableiten, wie sie ausgestaltet und zueinander in Verbindung stehen. Politische Kultur ergibt sich zunächst aus dem Typ der Herrschaft. Die Demokratie und Diktatur sind bis heute die wichtigsten Herrschaftsformen, die aus ganz anderen, gegensätzlichen Kulturen hervorgegangen sind resp. die begründen. Geschichte und Gegenwart sind dabei von Belang.

Politische Kulturen sind nicht statisch. Ihre allgemeine Dynamik wird durch wichtige Entscheidungen bestimmt. Die Akteure, die sich dabei äussern, verändern die politische Kultur eines politischen Verbandes wie jene eines Staates dann, wenn sie sich ganz bewusst von verherrschenden Einstellungen innerhalb des Verbandes abgrenzen und versucht sind, neue Einstellungen durchsetzen. Das gelingt ihnen heute am besten mittels dramatisch eskalierenden politischen Kämpfen, die massenmedial vermittelt werden. Es gelingt ihnen besonders dann, nachhaltig Einfluss zu nehmen, wenn sie eine neue Generationen mit neuen Einstellungen prägen können. Kommen diese Generationen innerhalb des Verband an die Macht, handeln sie bewusst oder und bewusst im Sinne ihrer eigenen Deutungskulturen.

Mein Deutung der politischen Kultur der Schweiz im Wandel
Die dominanten Deutungskulturen in der Schweiz sind aktuell in Bewegung; das ist offensichtlich. Insofern bewegt sich heute etwas: Sozialliberale Interpretatuonen der Schweiz, die im urban-intellektuellen Milieu im Schwang sind, werden durch neoliberale Interpretationen der Wirtschaftseliten einerseits, nationalkonservativen Deutung der Volkskultur anderseits konkurrenziert.

Ob dabei auch schon die Grundfesten der politischen Kultur der Schweiz in Bewegung geraten sind, kann man indessen bezweifeln. In der politischen Kultur der Schweiz tief geronnene Strukturen wie der Föderalismus, wie auch die direkte Demokratie verändern sich kaum. Sie begründen unverändert die Konkordanzkultur des politischen Systems der Schweiz, mit der sich die Vertreter aller konkurrierenden Deutungskulturen auseinandersetzen müssen. Sie können ihr Defekte zufügen, und sie können auch versucht sein, wie wieder zu perfektionieren.

Claude Longchamp