Amtszeitbeschränkung

Gestern war ich als Experte in der “Arena“, der bekanntesten Politsendung im Fernsehen der deutschsprachigen Schweiz. Diskutiert wurde das Thema “Gesucht: Bundesrat”. Mitten drin wurde abgestimmt, über Amtszeitbeschränkungen. Eine Reflexion hierzu.

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Judith Stamm, 1996/7 Nationalratspräsidentin, brachte die Idee in der Sendung auf. 8, allenfalls 12 Jahren seien in Vollämtern wie dem Bundesrat genug; danach sei man ausgebrannt und solle man neuen Kräften Platz machen, argumentierte die erfahrene Ex-Politikerin. Reto Brennwald, der Moderator, nahm den zugeworfenen Ball auf wollte von allen Teilnehmenden in der Sendung ihre Meinung hierzu wissen – und liess abstimmen.

Wohl drei Viertel der Personen in der gestrigen “Arena” sprachen sich für Amtszeitbeschränkungen aus. Prominenteste Opposition kam vom anwesenden alt Bundesrat Christoph Blocher, sekundiert von seinem damalige Generalsekretär in der SVP, Gregor Rutz. Beide outeten sich als Gegner von zeitlichen Beschränkungen für politische Aemter.

Ein wenig erstaunt war man da schon, forderte doch die SVP nach den Parlamentswahlen 2007 und mit Blick auf die anstehende Gesamterneuerungswahl der Bundesregierung (nicht ganz unberechtigt) lautstark den Rücktritt dreier “Sesselkleber” (die damaligen BR Schmid, BR Couchepin und den jetzigen BR Leuenberger), da der Bundesrat zu überaltern drohe.

Persönlich befürworte ich Amtszeitbeschränkungen für vollberufliche Exekutivstellen. Sie konzentrieren naturgemäss viel Macht, damit die Amtsinhaber politische Prozesse auch wirklich beeinflussen können. Ohne Amtszeitbeschränkungen riskiert man, dass die Verschmelzung von Amt und Person ungehindert fortschreitet, und die institutionelle Macht zu stark auf dem Amtsinhaber oder die Amtsinhaberin als Individuum übergeht.

Ich befinde mich damit in guter Tradition mit republikanisch gesinnten Denkern, die mit der Annuität der Aemter in Rom das Prinzip entwickelt haben, das mit der französischen Revolution wieder geboren wurde und heute in vielen Staaten verwirklicht ist. Gegner solcher Ueberlegung hängen entweder dem feudalen Verständnis an, wonach man von Gottes oder Kaisers Gnaden auf Lebzeiten zur Herrschaft berufen sei, oder aber sind sie politische Ueberzeugungstäter wie Hugo Chavez oder Fidel Castro, deren Mission oder Auftrag nie endet.

Claude Longchamp

Umfragen helfen bei dieser Bundesratswahl (vorerst) nicht viel weiter

Gleich zwei Umfragen von Isopublic erschienen am Sonntag zu den Bundesratswahlen vom 16. September 2009. Die Vielfalt der Ergebnisse macht die Auslegeordnung jedoch nicht einfacher.

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Wer tritt sein Nachfolge im Bundeshaus an? BürgerInnen-Befragung schon kurz nach dem Rücktritt von Pascal Couchepin lassen Vieles offen.

Aktuelle Parteistärken
Die Sonntagszeitung und Isopublic publizierten gestern ihr vierteljährlich erscheinendes “Politbarometer” mit jeweils 1200 repräsentativ ausgewählten Befragten. Demnach sind 23,1 Prozent für die SV, 21,2 Prozent für die SP. Die fusionierten FDP und Liberalen kommen gemeinsam auf 15,7 Prozent, und die CVP liegt bei 14,4 Prozent. Grösste Nicht-Regierungspartei sind die Grünen mit 9,7 Prozent, einiges vor der kleinsten Regierungspartei, der BDP, die es auf 4,5 Prozent bringt, und der GLP mit 3,3 Prozent.

Seit den Wahlen 2007 ist die BDP neu entstanden und es wären die GLP sowie die SP wachsend, während namentlich die SVP Anteile verloren hätte. Der wesentliche Austausch fände damit im bürgerlichen Lager statt, weil sich mit der BDP das Angebot erweitert hat. Die Reihenfolge der Parteistärken bleibt aber gegenüber 2007 unverändert. Die FDP ist vor der CVP.

Popularität der BundesrätInnen

Gut in der BürgerInnen-Gunst schneiden die drei Frauen im Bundesrat ab. Top gesetzt werden Doris Leuthard (72% positive Antworten), Eveline Widmer-Schlumpf (70%) und Micheline Calmy-Rey (63%). Es folgen Hans-Rudolf Merz (59%), Ueli Maurer (57%) und Moritz Leuenberger (56%) praktisch gleich auf. Eindeutig an letzter Stelle ist der zurückgetretene Pascal Couchepin (33%).

Die beiden FDP-Bundesräte sind die grossen Verlierer in der Bundesratsumfrage. Sie haben 19 Prozentpunkte (Merz) resp. 13 (Couchepin) eingebüsst. Die neue Politik des Bankgeheimnisses und ihre Kommunikation können hier als wichtigste Ursache vermutet werden. Die Exponenten der FDP hart’s jüngst hart getroffen. Aber auch die anderen Regierungsmitglieder verlieren 4-6 Prozentpunkte an Unterstützung, was eher mit der Wirtschaftslage in Verbindung gebracht werden kann. Einzige Ausnahme ist Ueli Maurer, der erst vor einem halben Jahr gewählt wurde, und noch im Aufstieg ist.

Profil des künftigen Mitglieds im Bundesrat

Eine zweite Umfrage, spezifisch zu den Bundesratswahlen, von Isopublic auf der Basis von 600 Befragten gemacht und von Le Matin veröffentlicht, lässt gewisse Schlüsse zum Profil der BundesratsbewerberInnen zu. Demnach wird die Sprachenfragen nicht so polarisiert betrachtet (46% nicht zwingend, 42% zwingend aus der Romandie), wie das unter französisch- oder italienischsprachigen PolitikerInnen erscheint. Dafür rangiert das Geschlechtskriterium in der Bevölkerung höhrer als in der Politik (42% eher eine Frau, 22% eher ein Mann). Parteipolitisch tendiert man leicht hin zum Statuo Quo mit einer Zweiervertretung der FDP (23%), während CVP, SVP und Grüne mit einigem Abstand dahinter folgen.

Meine vorläufige Bilanz

Parteistärken und Ersatzpräferenzen sprechen eher für die FDP. Sprachenfrage und Geschlecht werden als etwa gleich wichtig bewertet. Weder FDP noch CVP können damit viel anfangen, denn ihre Favoriten haben alle mindestens einen Makel.

So bleibt: Bundesratswahlen werden in der Bundesversammlung entschieden. Keine Partei verfügt da über eine gesicherte Mehrheit für einen gesicherten Favoriten, weshalb erst die Allianzbildung unter den Fraktionen Klarheit verschaffen wird. Und das kann noch eine Weile dauern.

Claude Longchamp

Bürgerliche verzichten auf gemeinsamen Griff nach der Mehrheit in der Berner Regierung

In der Berner Kantonsregierung stehen sich 4 Rotgrüne und 3 Bürgerliche gegenüber. Das ist die einzige linke Mehrheit in der Exekutive eines schweizerischen Flächenkantons. Die Aussichten, dass das so bleibt, ist diese Woche gestiegen.

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Kantonsberner Regierung bis 2010; nach den jüngsten Entscheidungen der SVP könnte mit gleichen Verhältnissen zwischen links und rechts weiter gehen.

Machtpolitisch besteht die Herausforderung der Bürgerlichen bei den kantonalen Wahlen 2010 darin, die Mehrheit in der Exekutive zu ändern. Denn im Parlament hat man sie recht sicher. Am einfachsten geht das im Kanton Bern mit einem Angriff auf den garantierten Jura-Sitz, der an den bestplatzierten Bewerber geht, auch wenn er das absolute Mehr verfehlt.

Die Ueberlegungen im Bernischen Handels- und Industrieverein gingen schon länger in Richtung “Kampf um Jura-Sitz“. Die FDP schloss sich ihnen weitgehend an und zeigte sich gewillt, mangels Alternativen entsprechende Nominationen selber vorzunehmen. Die BDP signalisierte, sich passend zu verhalten, wenn der Bisherige im Amt bleiben will..

Doch jetzt macht die SVP einer gemeinsamen bürgerlichen Strategie für eine Wende in der Kantonsregierung einen dicken Strich durch die Rechnung: Sie beansprucht als grösste bürgerliche Partei im Kanton zwei Sitze in der Berner Regierung für sich selber, verzichtet aber auf eine Kandidatur für den Berner Jura. Mit ihrer zweiten Kandidatur will sie das politische Vakuum im Oberland schliessen, das derzeit in der Berner Regierung besteht.

Mit der gestrigen Entscheidung der SVP ist ein gemeinsamer Griff des bürgerlichen Lagers in der Berner Kantonsregierung strategisch in die Ferne gerückt. Denn entweder sistiert die FDP ihre Absicht, im Berner Jura um die Mehrheit zu kämpfen, womit der Eindruck entstünde, die FDP kuscht vor der SVP. Zudem würde die zentrale Frage des Wahlkampfes weg vom kleinen Kantonsteil im Jura hin zum grossen im “übrigen” Kanton verlegt. Oder man tritt auf der rechten Seite mit fünf Kandidaten für vier Sitze an, und das verteilt auf drei verschiedenen Parteilisten.

Gemäss Parteileitung der SVP ist die Wende im Regierungsrat gar kein strategisches Ziel mehr. Denn es geht ihr in erster Linie um den Führungsanspruch im bürgerlichen Lager. Und sie will in den Gemeinden, in denen sie bei der Parteispaltung die ganze Sektion an die BDP verloren hat, einen Aufbauwahlkampf in eigener Sache führen. Denn darin ist man sich bei der SVP einig: Der BDP gibt man mittelfristig keine Ueberlebenschance, also stellt man sich jetzt schon auf die Zeit danach ein.

Vorsichtig gesagt heisst das auch: Wenn’s gut geht, kämpft man miteinander; wenn’s eng werden sollte, tritt man auch gegeneinander an!

Nur im besten Fall gibt das eine bürgerlichen Mehrheit in der Berner Kantonsregierung. Im schlechtern Fall für die Bürgerlichen endet das in den bisherigen drei Sitzen mit Wechseln auf der personellen oder parteipolitischen Ebene im eigenen Lager. Dabei kann es sein, dass der bestehend SVP-Regierungsrat gekippt wird oder eine andere Partei ganz aus der Regierung fällt.

Wie das Beispiel zeigt sind die Gemeinsamkeiten im bürgerlichen Lager des Kantons Bern gering geworden. Sachpolitisch mag das für Mehrheit im Parlament reichen, machtpolitisch steht man sich bei Wahl gegenseitig in der Quere. Rotgrün kann von den jüngsten Entwicklungen im bürgerlichen “Lager” nur profitieren!

Claude Longchamp

Bundesrat: Wohin des Weges?

Vor gut 30 Jahren formulierte Raimund Germann, erster Leiter des IDHEAP in Lausanne, ein ambitiöses Programm für einen zukunftstauglichen Bundesrat. Heute kann man sagen: Die Politik funktioniert weitgehend anders als damals vorgeschlagen; nicht so jedoch ihre Wissenschaft, die zahlreiche Modelle diskutiert und dabei eine gewissen Konsens entwickelt hat.

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Raimund E. Germann, Professor in Lausanne, formulierte 1975 das Programm für eine Regierungsreform, die heute in der Wissenschaft auf Zustimmung stösst, von der Politik aber negiert wird.

Nach den Nationalratswahlen 1975 trat der zwischenzeitlich verstorbene Raimund Germann prominent hervor. Die anstehende Verfassungsrevision wollte er mit drei Forderung zur Reform des Regierungssystems inspirieren:

Erstens, mit einem gestärkten Präsidium für den Bundesrat;
zweitens, mit einer erweiterten Zahl von Mitglieder in der Bundesregierung;
und drittens, mit einem Wahlverfahren, das sich an den Gegebenheiten des Parlamentarismus orientiert.

Man weiss es: Die Totalrevision der Bundesverfassung wurde zur Jahrtausendwende in Kraft gesetzt; die Staatsleitungsreform scheiterte dagegen kläglich.

Wenigstens in der Politik. Denn in der Politikwissenschaft ist seither eine breite Debatte entstanden, welche die NZZ jüngsten auf einer Sonderseite mit Beiträgen des Staatsrechtlers Daniel Thürer, des Politikwissenschafters Peter Knöpfel und des Demokratieforschers Daniel Kübler zusammengefasst hat.

Einig ist man sich unter den Experten, dass das Bundespräsidium gestärkt werden muss. Mehr Koordination ist das Thema von Knöpfel. Mehr Leadership im Sinne der Steuerung empfiehlt Thürer. Mehr strategische Führung verlangt Kübler.

Diskutiert werden ein rotierendes Präsidium mit 2 bis 3 Mitgliedern und ein auf zwei Jahre gewählter Bundespräsident ohne Fachministerium, aber mit Weisungsbefugnis. Thürer und Knöpfel verwerfen frühere Vorstellungen, den Bundesrat in zwei Ebenen mit weniger Bundesräten und mehr Staatssekretären aufzuteilen. Kübler gibt sich hier offen, denn die vertikale Erweiterung laufe bereits jetzt, derweil der horizontale Ausbau rechtliche Klippen kenne.

Ziemlich gross ist die Einigkeit der befragten Politikwissenschafter, wenn es um die Erweiterung der Bundesregierung geht. Kübler nennt zwar keine Zahl der Bundesrät, bejaht aber eine Vermehrung. Thürer optiert für 9 oder 11 Mitglieder. Knöpfel wiederum ist für 13.

Vor allem das UVEK, aber auch das EDI werden als Departemente mit zu vielen Aufgaben angesehen. Am wenigsten wichtig ist das Thürer, dem eine Staatsleitung à la IKRK mit einem breit austarierten Beraterstab vorschwebt. Knöpfel schlägt 12 FachministerInnen und ein Bundespräsident oder eine Bundespräsidentin vor. Da erhält er vor allem von Kübler Unterstützung, für den der Kanton Baselstadt mit seinem fest gewählten Regierungspräsidenten auf vier Jahre Vorbildfunktion hat.

Die beiden Politologen reflektieren, wie man das erstarkte Parlament mit den fragmentierten Parteienlandschaft in die Regierung einbinden soll. Am konkretesten ist dabei Peter Knöpfel. Als Begründung für seinen 13er Bundesrat bringt er vor, dass nur diese Zahl eine genügend feine Aufteilung der Sitze auf die Parteien erlaube. Aktuell hätten nach seiner Rechnung die SVP (inkl. BDP) 4, die SP 3, die FDP, die CVP und die Grünen je zwei Mitglieder im Bundesrat.

Am wenigstens klar sind die Vorstellungen der Experten bei der Wahl des Bundesrates. Thürer interessiert sich kaum dafür; Knöpfel und Kübler sind für eine Blockwahl auf Zeit. Bei Knöpfel schwingen konkordante Verteilungsregeln mit. Kübler favoriert das freie Ringen nach Mehrheiten, die sich anschliessend auf ein Programm festlegen.

Vergleicht man das mit dem Aufruf von Germann aus dem Jahre 1975 kann man sagen: Gewichtige Stimmen der Wissenschaft sind heute klar weiter als die Politik. Bei der Stärkung des Präsidiums herrscht weitgehend Einigkeit, bei der Erweiterung der Bundesratsmitlieder auch. Danach franzen die Vorstellungen aber aus.

Die Zustimmung zum Konkordanzsystem begründet Peter Knöpfel so: Bei der Problemlösungsfähigkeit kann die Schweiz mit Konkurrenzsystemen nicht kurz-, aber mittelfristig durchaus mithalten.

Das ist es denn auch, was die PolitikerInnen bei der Staatsleitungsreform zögern lässt. Aktuell ist Eveline Widmer-Schlumpf am ehesten dafür, doch reicht auch bei ihr der Reformwille nicht über die strategische Stärkung der Führung des Bundesrates hinaus.

Claude Longchamp

Die BDP bringt sich in Position

Die BDP entdeckt ihren Wert: Wenn FDP und SVP für die Nachfolge von Pascal Couchepin im Bundesrat einen Pakt eingeht, will die BDP für die zwei CVP-Vertreter im Bundesrat votieren. Um zu verhindern, das FDP und SVP 2011 wieder nach der Mehrheit im Bundesrat greifen.

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Auf dieser Grafik sind die Parteien/PolitikerInnen aufgrund ihres Stimmverhaltens im Parlament im zweidimensionalen Feld positioniert worden (Quelle: sotomo/NZZamSonntag)

Die BDP ist aus den Parteiwirren nach der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bunderat als konkordante, bürgerliche Kraft entstanden, von der man erwartete, dass sie vor allem in der Europafrage offener als die SVP und insgesamt gouvernementalrer als die Partei politisieren werde, aus der sie hervorgegangen ist.

Eine Auswertung des Stimmverhaltens im Nationalrat während der laufenden Legislatur, die Politgeograph Michael Hermann erstellt hat, lässt erstmals interessante Rückschlüsse zur Position der jüngsten Partei in der schweizerischen Politlandschaft zu:

Erstens, die BDP politisiert in einem klar anderen Segment als die SVP. Sie steht der CVP am nächsten, befindet sich aber in ähnlicher Distanz auch zur FDP. Sie ist etwas weniger reformorientiert als die beiden grösseren bürgerlichen Parteien, steht aber weniger klar rechts als die FDP und weniger deutlich in der Mitte als die CVP.

Zweitens, die 5 Fraktionsmitglieder im Nationalrat stimmen allesamt anders als die SVP. Das gilt selber für den Bündner Hansjörg Hassler, der ihr noch am unmittelbarsten geblieben ist, aber deutlich weniger konservativ votiert. Hans Grunder, der Fraktionspräsident der BDP, ist am klarsten im Magnet der FDP, gefolgt von seiner Berner Mitstreiterin Ursula Haller. Brigitta Gadient, die zweite Bündnerin, ist ihrersetis am deutlichsten im Gravitationszentrum der CVP, und auch Martin Landolt befindet sich dem sehr nahe.

Aufgrund der Affinitäten sind bei der Nachfolge für Bunderat Couchepin Stimmen aus den Reihen der BDP sowohl für die FDP wie auch für die CVP denkbar. Sollte es aber zur erwarteten Blockbildung zwischen FDP und SVP kommen, könnte das die BDP ganz ins Lager der CVP treiben. Denn eine solche Allianz auf der rechten Seite wird von der BDP-Parteispitze als Zeichen gedeutet, die FDP werde seitens der SVP jetzt bedient, um nach den nächsten Wahlen mit Hilfe der FDP mit zwei Sitzen im Bundesrat vertreten zu sein.

Das kann eigentlich nur zu Lasten der kleinen BDP resp. ihrer Vertreterin in der Bundesregierung, Eveline Widmer-Schlumpf, gehen. Womit sich die Zusammenarbeit in der Fraktion einer grösseren Partei mit ähnlicher soziologischer Voraussetzung und gemeinsamen politischen Position erst recht empfehlen würde. Zur Stärkung des politischen Zentrums in der Schweiz!

Claude Longchamp

Das Ende der Politik?

“90:60:90”, sei, spottete diese Woche der “Spiegel”, die einzige Frauenquote, die Silvio Berlusconi, Italiens Ministerpräsident, kenne. Damit spielte das deutsche Magazin auf die Nominierung für die Europawahlliste seiner Partei, bei welcher der Parteichef von “Volk und Freiheit” Frauen wie der “Big Brother”-Teilnehmerin Angela Sozio, der Soap-Opera-Darstellerin, Camilla Ferranti, der Schauspielerin Eleonora Gaggioli und Fernsehansagerin Barbara Matera vorschlug. Deren Gemeinsamkeit bestand nicht im politischen Programm, das sie erst in einem Crahs-Kurs kennen lernten, sondern ihrem medientauglichen Aussehen.

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Silvio Berlusconi, Italiens Ministerpräsident: In seiner Partei gäbe es gut kultivierte und kompetente Menschen, sagt er, die anders als bei den andern nicht schlechtgekleidet und übelriechend seien.

Der so angestrebte Coup misslang allerdings ziemlich gründlich. Veronica Lario, Berlusconis derzeitige Ehefrau, diskreditiert die Aktion als “Unverschämtheit und fehlende Zurückhaltung der Macht”, die “einzig und alleinder Unterhaltung des Imperators” diene. Der so bloss gestellte Berlusconi erklärte, seine Gattin sei Opfer einer linken Desinformationskampagne geworden. Seine Kandidatinnen seien “kultivierte und kompetente Personen” und anders als die Vertreter anderer Parteien keine “schlecht gekleideten und übelriechenden Meschen”.

Am EAPC-Kongress 2009 mehrfach aufgenommen

An der gestrigen Tagung der Europäischen Politischen BeraterInnen in Zürich wählte ich diese Episode aus dem italienischen Nationaldrama der Gegenwart als Einstieg in mein Referat, – und war damit im Workshop zu den Beiträgen der Schweiz und der EU füreinander nicht allein: Auch Hanspeter Kriesi, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Zürich, brauchte den Fall, um seine Thesen zur wachsenden Bedeutung von Medien einzuleiten.

In der Tat ging es auch mir um eine ähnliche Frage, jener nämlich, ob wir heute in einer Mediengesellschaft leben würden, wie das insbesondere verschiedenen Medienwissenschafter nahelegen. Ihr neuerdings bevorzugtes Phänom definieren sie als Vordringen der Massenmedien ins Herz der Gesellschaft, das dadurch neu konstituiert werde. Alle von den Medien erfassten Bereiche würden öffentlich und beobachtbar, gleichzeitig durch die Anpassung an die Logik der Medien in ihrer Substanz verändert.

Pro und Kontra zur These “typisch für die politische Kommunikation in der Mediengesellschaft”

Ohne Zweifel wirft das gewählte Beispiel die Frage auf, ob die Nominationen für die italienischen Europawahlen, der gegenwärtig bestmögliche Ausdruck für die Zerstörung der Politik durch die Medien sei. Dafür spricht, dass Silvio Berlusconi nicht einfach einer von vielen Politikern, sondern ein Medientycoon ist, der mit seinem privatem Kommunikationsimperium ein Vermögen von knapp 10 Milliarden Euro aufgebaut hat. Sicher ist auch, dass Berlusconi mit der Definitionsmacht seiner Medien regiert, Themen besetzt und verschwinden lässt, und Wahlkämpfe für seine Partei führt. “Forza Italia”, wie seine ursprüngliche Partei, entstanden insbesondere nach der Auflösung der Democrazia Cristiana, hiess, ist, seit der Fusion mit der “Alleanza nationale”, die einzig relevante Rechtspartei in Italien.

Für die These spricht auch die enorme Medialisierung von Wahlen und Wahlkämpfen, die dadurch immer mehr der Medienlogik unterworfen werden. Denn immer weniger geht es um die Legitimierung politischer Programm durch organisierte Akteure, die gesellschaftliche Interessen bündeln und nach gewonnen Wahlen vertreten wollen. Zum wichtigsten Kriterium der massenmedial vermittelten politischen Kommunikation wird, wer die höchste Medienaufmerksamkeit gewinnt, die Medienthemen strategisch setzen kann, welche die emotionale Grundierung legen, die Wahlentscheidungen bestimmen sollen. Der Kampf zwischen Programmen und Ideologien tritt dabei im Umfeld von Wahlen in den Hintergrund, während die Identifizierung mit Person, Lebensstilen und Geschichten massgeblich wird. Man ist geneigt zu sagen, das Ende der Politik in der Oeffentlichkeit sei gekommen.

Der Fall “Berlusconi” zeigt allerdings auch, wie anfällig die reine Kontrolle der Politik durch Medien selbst in Italien bleibt. Denn mit Berlusconis Gattin Veronica Lario, einer bekennenden Wählerin der linken Opposition, stolperte der Imperator nicht zum ersten Mal über ein Person, die vormals private, heute gänzlich öffentliche Angelegenheiten medial ebenso wirksam thematisieren, kann wie er das in gewohnter Manier überspielen möchte. Schon als ihr Ehemann dem früheren Topless-Modell Mara Carfagna, zwischenzeitlich Ministerin für Gleichstellungsfragen im vierten Kabinett Berlusconis, öffentlich einen spontanen Eheantrag machte, kam es zum Rosenkrieg, während dem sich Berlusconi bei seiner Frau entschuldigen musste. Nun hat eine bestrittene Liaison mit der minderjährigen Neapolitanerin Noemi Letizia die politische Macht des Ministerpräsidenten ins Wanken gebracht. Gleichzeitig mit der Einreichung der Scheidung durch seine Gattin, musste Berlusconi auf Druck seiner Partei die umstrittenen Kandidatinnen für die anstehenden Europawahlen zurückziehen.

Meine Bilanz: typisch für eine bestimmte politsiche Kommunikation der Mediendemokratie
Politik, könnte man daraus folgern, lässt sich selber in der perfektionierten italienischen Mediokratie nicht ganz auf Medienherrschaft reduzieren, sondern folgt, wenn auch erheblich transformiert, ihren eigenen Logik: der Eroberung der politischen Macht, die danach durch ein politisch eingebundenes und geschultes Personal auch gesichert werden muss. Die politische Kultur, welche diese Eroberung bestimmt, wird allerdings immer mehr durch eine politische Kommunikation, die den Gesetzmässigkeit der Mediengesellschaft folgt, beeinflusst. Das ist meine These.

Claude Longchamp

Mehr dazu:
Parteien in der Mediendemokratie, hgg. von U. von Allemann und Stefan Marschall, Verlag für Sozialwissenschaften 2002
Otfried Jarren, Patrick Donges: Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Eine Einführung, Verlag für Sozialwissenschaften, 2006 (2. Auflage)
Plasser, Gunda
Fritz Plasser, Gunda Plasser: Global Political Campaigning: A Worldwide Analysis of Campaign Professionals and Their Practices, Greenwood Pub Group Inc, 2002