Schuldenbremse, Volksabstimmungen und Parlamentsentscheidungen

Diese Woche war ich auf Einladung der Schweizerischen Generalkonsuls in Düsseldorf und hielt eine Rede vor der lokalen Deutsch – Schweizerischen Vereinigung. Das Thema war die Direkte Demokratie im aktuellen Umfeld. Hier ein kleiner Auszug daraus zum Schuldenmachen und zur Schuldenbremse in direkten und parlamentarischen Entscheidungen.

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“Richtig ist, dass es zwischen dem Steuernverständnis einerseits und Volksabstimmungen anderseits einen interessanten Zusammenhang gibt: Vereinfacht ausgedrückt gilt, dass direkte Demokratien zu tieferen Steuern führen als repräsentative. Denn die Stimmbürgerschaft ist, wenn sie über die eigenen Steuerleistungen befinden muss, zurückhaltender als Politiker und Politikerinnen.

Zwar gibt es zwischen rechten und linken Parteien Unterschiede in der Steuerpolitik. Doch die Gemeinsamkeiten sind nicht zu übersehen: Letztlich sind Parteien, die in Koalitionen regieren, daran interessiert, ihr jeweiliges Klientel zu begünstigen. Das kann in Form von staatlichen Umverteilungen geschehen; es kann aber auch als Steuerprivilegierung erfolgen. Letzteres ist vor allem in Wahlkämpfen eine populäre Forderung, verliert aber häufig nach der Wahl an Priorität. Denn dann regiert die staatliche Finanzierung von Projekten, die man realisieren will oder muss, und das kostet in der Regel.

Nun können wir auch in der Schweiz nicht über das Budget des Bundes oder der Kantone in Volksabstimmungen abstimmen. Das ist nur auf der lokalen Ebene möglich. Auf den übergeordneten Ebenen bleibt das die Aufgabe des Parlamentes. Die Instrumente der schweizerischen Volksrechte sind jedoch soweit offen, dass wir die Rahmenbedingungen von Budgets sehr wohl beeinflussen können. Die Schuldenbremse gehört eindeutig hierzu. Sie verlangt zwar nicht, dass jedes Budget ausgeglichen ist. Doch muss das im Verlauf eines Konjunkturzyklus der Fall sein. Eine solche Regelung lässt Spielräume offen, verhindert aber chronische Defizite, deren Begleichung man späteren Generationen überlässt.

In der stimmberechtigten Bevölkerung gibt es einen weit verbreiteten Konsens, wonach es sinnvoll ist, solche Schuldenbremsen einzuführen. Die gesamtschweizerische Volksabstimmung hierzu zeigte im Jahre 2001 eine Unterstützung von über 84 Prozent. Anders als die Vorläufer-Programme, nämlich Haushaltsziele, wie jede Regierung sie formuliert, führte die Schuldenbremse unmittelbar zu einem Rückgang der Neuverschuldung und zu einer Stabilisierung der Verschuldung der Schweiz.

In einem Gutachten über die modellhaften Auswirkungen der schweizerischen Schuldenbremse auf anderen Staatshaushalte kam die Konjunkturforschungsstelle der renommierten ETH Zürich zum Schluss, dass die fehlenden institutionellen Rahmenbedingungen der Hauptgrund ist, weshalb die Schuldenbremse nicht exportiert werden könne. Die Unabhängigkeit des Parlamentes von der Regierung, wie sie in parlamentarischen Systemen unüblich ist, und der Druck direktdemokratischer Entscheidungsverfahren wurden dabei explizit herausgestrichen.”

Das ganze Referat findet sich hier.

Piratenpartei kandidiert bei den Berner Wahlen erstmals für ein Kantonsparlament

“Der Wahlkampf im Kanton Bern ist eröffnet! Wir haben Listen in den Wahlkreisen Bern, Mittelland Nord und Süd, Biel-Seeland, Thun und Berner Jura. Wir suchen Piraten, welche im Kanton Bern wohnen, dort Wahlrecht haben und auf eine Liste möchten. Natürlich sind wir auch allgemein über jede Hilfe dankbar.”

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Kandidierendenrekord bei den Berner Grossratswahlen 2010: erstmals ist auch eine Liste der Piratenpartei dabei (Quelle: Der Bund)

Diesen Aufruf stellten die Berner Piraten jüngst ins Netz. Damit kommt es in der Schweiz in Bern erstmals zu einer kantonalen Parlamentswahl mit Beteiligung der Piratenpartei.

Entstanden ist die Piratenpartei 2006 in Schweden, als die Polizei den Server der Internettauschbörse «Pirate Bay» beschlagnahmte und gegen die Betreiber ein gerichtliches Verfahren einleitete. Die Wirkung war unerwartet: Statt eingeschüchtert zu reagieren, entstand eine Bewegung unter Internet-NutzerInnen. Zwischenzeitlich haben die Piraten Ableger in mindestens 15 meist europäischen Ländern.

Bei den Europawahlen im Sommer 2009 eroberte die Piratenpartei in Schweden 7 Prozent der Stimmen und ein Mandat in Strasbourg. In Deutschland kamen sie auf 2 Prozent, scheiterten aber an der 5 Prozent Hürde. Die Parteigründung in der Schweiz ist eine unmittelbare Auswirkung der deutschen Wahlen im Herbst 2009. Erster Parteipräsident ist der Berner Informatikstudent Denis Simonet.

Erste Analysen in Deutschland zeichneten schon mal ein Profil der denkbaren Wählerschaft: Ansgar Wohlsing, der das Phänomen für die Uni Mannheim untersuchte, sieht die jungen, männlichen Wähler, die sich vor allem und eifrig über das Internet über Politik informieren als Kern. In dieser Zielgruppe erreichten die deutschen Piraten 2 von 5 Personen. Schwer hat es die Partei dagegen bei Frauen und bei über 40-jährigen. Im deutschen Koordinatensystem ergaben sich thematische Nähen vor allem zu den Grünen, beschränkt auch die FDP und SPD, kaum aber zur CDU/CSU.

Nach eigenen Angaben hat die Piratenpartei Schweiz heute gut 600 vereinsrechtlich eingetragene Mitglieder. 6 mal mehr sind es in der entsprechenden Facebook-Gruppe. Das Programm ist erst im Entstehen begriffen. Es zirkelt um das Potenziel von Internet, das Freiheit und Demokratie beleben soll. Hoch im Kurs stehen Transparenz im Staat, Förderung von Open-Access-Software und Bildung ohne Einschränkungen. Im Links/Rechts-Spektrum will man sich nicht so genau verorten, um keine potenziellen AnhängerInnen, Mitglieder oder KandidatInnen zu verscheuchen.

Die NZZ von morgen nimmt das parteipolitisch schwer fassbare, individual-liberale Phänomen jedenfalls erst; unter dem Titel Angriff der Internetgeneration schreibt sie: “Noch fehlt es der politischen Botschaft an Intensität und der Bewegung an Kraft. Dass sich die Piraten bis anhin vor allem monothematisch profilieren, sollte indessen nicht zu voreiligen Schlüssen verführen: Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Einthemenpartei die politische Landschaft ins Rutschen bringt.”

Menschenrechte und Demokratie gehen auseinander hervor.

In die Kontroverse um Demokratie und Menschenrechte greift nun auch der Staats- und Völkerrechtler Walter Kälin ein: weder das eine noch das andere gelte absolut, ist seine These; Menschenrechte und Demokratie bedingen einander vielmehr und müssen gemeinsam weiterentwickelt werden, schreibt er in der heutigen “NZZ am Sonntag”.

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Walter Kälin, seit 1988 Professor für Staats- und Völkerrecht an der Universität Bern, weltweit anerkannter Experte für Menschenrechtspolitik

Man erinnert sich: Nach der Volksabstimmung über die Minarett-Initiative kritisierte namentlich der Club Hélvetique, der Entscheid sei menschenrechtswidrig und müsse rückgängig gemacht werden. Die SVP reagierte harsch und stellte eine Volksinitiative gegen jegliche Einschränkung von Volksrechten in Aussicht. Polarisierung pur!

Gelassener beurteilt Professor Walter Kälin, Schweizer Mitglied des UNO-Menschenrechtsausschuss, die Sache. Seine These: Menschenrechte und Demokratie bedingen einander: Demokratie ohne Menschenrechte bedeutet Diktatur der Mehrheit. Doch Menschenrechte stehen nicht an sich über der Demokratie, denn beides geht auseinander hervor.

Menschenrechte setzen Demokratien zunächst Grenzen. Denn auch Dmokratie bedeutet nicht ungebremste Herrschaft, wenn das Volk es legitimiert. Entsprechend müssen Minderheitsrechte auch vor demokratischen erzwungenen Einschränkungen geschützt werden.

Das gilt für den Kern von Menschenrechten, etwa dem Verbot unmenschlicher Behandlung, dem Diskriminierungsverbot, dem Anspruch auf eine faires Gerichtsverfahren und dem Schutz vor Zwang zu religiösen Handlungen.

Doch sind auch Menschenrechte gerade in Demokratien nicht sakrosankt. Dient ihre Beschränkung einem legitimen Zweck und geht sie dafür nicht weiter als notwendig, geht das für den Juristen in Ordnung. Denn Menschenrechte schreiben nicht vor, was eine Demokratie zu entscheiden habe, nur was sie unterlassen soll.

Im konkreten Fall des Minarettverbots in der Schweiz postuliert Walter Kälin: Sollten die hohen Gerichte in Lausanne oder Strassburg die Zulässigkeit bestreiten, dürften die Initianten weiter für ihr Anliegen kämpfen. Sie müssten aber Vorschläge unterbreiten, die nicht-diskriminierend seien.

Oder allgemein ausgedrückt: “Gefragt sind weder die Diktatur der Mehrheit, noch die Herrschaft der Richter, sondern die richtige Balance zwischen Demokratie und Menschenrechten. Sie zu realisieren, braucht Besonnenheit und Denken in grösseren Zusammenhängen”, sagt der Experte.

Was ist Volkssouveränität? – eine philosophische Antwort.

“Das Volk – was ist das?”, stellt sich in der heutigen NZZ am Sonntag der Zürcher Philosoph Georg Kohler als Frage, um die Antworten auf die Debatte über Volksentscheide nach der Minarett-Abstimmung zu finden. Volkssouveränität sei in erster Linie der Name für Verfahren, die dem Einzelnen zur grösstmöglichen Autonomie in einer liberalen Rechtsordnung verhelfen, folgert er.

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Georg Kohler, Professor für politische Philosophie an der Uni Zürich äussert sich zur laufenden Debatte über Demokratie und Recht, Volk und Souveränität

Für den politischen Philosophen ist die Volkssouveränität der grundlegendste Kriterium einer jeden Demokratie. Es beinhaltet zwei Vorstellungen: Entscheidungen dürfen keine andern Autorität zustehen, und sie müssen nach festen Regeln erfolgen. Denn Volkssouveränität verweist “einerseits auf die Geltung vorgeschriebener Prozeduren, anderseits auf ein durch die Zahl der Einzelentscheidungen erfasstes Stimmenverhältnis.”

Die generelle Gedanke muss gerade im Deutschen noch differenziert werden. Denn “das Volk” steht gleichzeitig für Demos, Ethnos und Natio. Die beiden letzteren Begriffe beinhalten nicht das Staatsvolk, sondern bezeichnen Kollektive mit gemeinsamer Abstammungsgeschichte. Ethnos ist der Stamm, und Demos sind die StimmbürgerInnen. Natio ist am komplexesten, denn die ursprüngliche Vorstellung ist dem Ethnos ähnlich, während heute reduziert Nationalität als Besitz des BürgerInnenrechts verstanden wird.

Da liegt nach Georg Kohler die Krux der Volksdefinitionen, die zwischen dem Stamm und dem Staatsvolk osziliere. Vorstellungen der Nation kippten rasch von Nationalität zu Nationalismus, die sich dann nicht mehr auf das Recht, sondern auf die Herkunft beziehen und den Bodensatz für Populismus liefern.

Demokratie, schliesst Kohler, beruhe auf der politischen Erkentnis, dass keine Entscheidung nicht mehr überbrückbare Spaltungen der Gesellschaft erzeugen solle. Im Rahmen der Verfassung sei darum jede demokratische Entscheidung revidierbar. Volkssouveränität “ist in erster Linie der Name für die Verfahren, die dem Einzelnen zur grösstmöglichen Autonomie in einer liberalen Rechtsordnung verhelfen.”

PS:
Der Artikel ist leider nicht auf dem Internet greifbar.

Zur Zukunft des Regierungssystems der Schweiz.

Der Aargauische Jugendparlament, Juvenat genannt, lud mich ein, eine Auslegeordnung über die Zukunft des Regierungssystems der Schweiz zu machen.

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Das Referat hatte drei Teile: Eine Herleitung der Konstanten im Regierungssystem der Schweiz, ein summarischer Ueberblick über die aktuelle Kritik, und eine Auslegordnung von Reformvorschlägen für den Bundesrat.

Bei den Vorbereitungen hierzu wurde mir wieder einmal klar, wie deutlich die Schweiz den Weg einer bürgerlichen geprägten Republik gegangen ist, dass diese früh und weitergehend als andere demokratisiert worden ist und dass das in hohem Masse zum heutigen Konkordanzsystem geführt hat.

Von Konsensdemokratie mag ich nicht mehr sprechen. Denn die Polarisierung der Schweizer Politik, namentlich unter dem Eindruck der europa- und aussenpolitischen Oeffnung verträgt sich nicht mehr mit dieser Kennzeichnung. Dennoch sprechen die plurikulturelle Zusammensetzung des Landes und der Referendumsdruck unverändert dafür, das Regierungssystem auch inskünftig nach den Spielregeln der Konkordanz auszugestalten.

Das sehe ich allerdings nur als äusseren Rahmen. Der innere Rahmen sollte durch die aktuellen Herausforderungen bestimmt sein. Und diese leitenden sich aus dem Handlungsbedarf der dauerhaften Interessenvertretung in einer interdependenten Welt ab.

Die aktuellen Reformvorschläge habe ich neutral vorgestellt, sie aber in diese Rahmungen gestellt; konkret habe ich behandelt:

. Veränderungen in der Führung des Bundesrates (gestärktes Präsidium, Einführung einer zweiten Ministerebene für Sachgeschäfte, Erhöhung des Zahl des Bundesrates)
. Veränderungen in der Wahl des Bundesrates (Listenwahl, Volkswahl)
. Veränderungen in der parteipolitischen Zusammensetzung des Bundesrates (Proportionalisierung, kleine Konkordanz).

Klar wurde mir dabei, dass die Focussierung der Reformvorschläge auf arithemtische Konkordanzregeln nicht genügen. Es braucht eine umfassendere Betrachtungsweise und den Einbezug von inhaltlichen Ueberlegungen, wie der Bundesrat strukturiert, konstituiert und bestückt wird.

Die Diskussion mit den VertreterInnen des Jugendrates war ganz anregend. Sie zeigte mit, dass die öffentliche Diskussion gerade bei den Interessierten der kommenden Generationen den Eindruck geweckt hat, dass etwas gehen muss. Bis eine konsolidierte Stossrichtung vorliegt, braucht es aber auch in diesem Bevölkerungsteil noch viele Diskussionen.

Claude Longchamp

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf …

Nur ein bestelltes Gutachten eines ehemaligen VBS-Beamten habe die Publikation des Werkes in einem renommierten Verlag verhindert, behauptet die Judith Barben zu Beginn ihrer Buches “Spin doctors im Bundeshaus”. Manipulation durch Funktionäre, Propaganda aus dem Regeirungsviertel und Gefährdung der direkten Demokratie sind die Themen der Mitstreiterin bei der Initiative für “Volkssouveränität und gegen Behördenpropaganda”.

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Zugegeben, ich bin befangen. Denn ich komme im Buch mindestens drei Mal vor: Zum Beispiel werde ich wegen meiner Büroadresse, die gleich lautet wie die der (früheren) PR-Agentur Trimedia, zwei Stöcke über mir. Womit schon klar ist, dass auch ich meine Umtriebe in den Dienst der Manipulation stelle.

Das ist typisch für das Niveau der Buchrecherche. In weiten Teilen basiert sie auf einem Zeitungs- und Zeitschriftenarchiv, täuscht mit dem Inhaltsverzeichnis und Fussnoten aber vor, Ergebnis einer wissenschaftlich fundierten Arbeit zu sein. Geprüft, was geschrieben wird, wurde wohl nur selten, denn entscheidend war, dass die Belege ins vorfabrizierte Bild passten.

Gleich zu Beginn erfährt man, wie der Bundesrat in den letzten 20 Jahren gestärkt wurde, wie er zwischenzeitlich unter der Bundeskuppel alles bestimmt, was kommuniziert wird, wie Bund und Kanton Abstimmungsfreiheiten verletzen, und wie selbst der Bundesratssprecher Manipulation zugeben würde.

Die These dahinter lautet, dass Manipulation in der Politik Methode habe. Damit man daran nicht zweifelt, bekommt man gleich im Titel zu Kapitel 1 die Uebersetzung von spin doctors (“Meinungsmacher”) mit: “Wahrheitsverdreher”.

Belegt wird das mit amerikanischen Beispielen. Denn die PR ist die heimliche Regierung. Ihre Vorläufer sind Machiavelli, der Schurke, die Stasi, die üble, und die amerikanischen Politologen. Sie sind die schlimmsten, weil sie als soft power ganze Batallione in psychologischer Kriegsführung gegen die Menschheit ausbilden. Und damit ist die Autorin bei ihrem Lieblingsthema, der Manipulation durch Psychotechniken aller Art, die einmal eingeführt dank dem Filz von PR und Journalismus unser öffentliches und individuelles Bewusstsein bestimmen. Auch der Kleinstaat Schweiz ist davor nicht gefeit, beim Bergier-Bericht beispielsweise, oder bei der Totalrevison der Bundesverfassung oder beim Verkauf des Vaterlandes an die NATO sei manipuliert worden!

Gegen all das gibt es aus der Warte Barbens nur eins: das “personale Menschenbild”, das der Jugend vermittelt werden müsse, damit eine solide staatsbürgerliche Bildung darauf aufbauen könne und die Erkenntnisse der Manipulationsmechanismen verstanden werden. Damit das am schnellst möglichen geschieht, wurden in der Bibliografie an den entscheidenden Orten die Telefonnummern für Bestellungen der eigenen Pamphlete eingefügt.

Die Biografie der Autorin ist dem Buch schon mal ausführlich beibelegt. Sie weist sie als Lehrerin und Psychologin aus. Eine einfache Kontrolle via google zeigt, dass ihre x-fach belegten Verbindungen zur frühren Psychosekte VPM indessen systematisch ausgeklammert wurden.

Um es klar und deutlich zu sagen: All das, was Barben aufgreift, gehört beobachtet, untersucht und diskutiert. Denn es ist für das Funktionieren der Demokratie erheblich, und dieses ist in der Mediengesellschaft nicht zweifelsfrei gewährleiste. Doch anders als es die Autorin mit ihrer Verschwörungstheorie glaubhaft machen will, wird es das auch: Die Grundlagenstudie von Ulrike Röttger und anderen ForscherInnen der Universität Zürich über die PR in der Schweiz lässt Barben gleich integral mal aussen vor.

Das ist es, was die Buchlektüre so uninspirierend macht: Das Gute und das Böse sind von Anfang an klar verteilt. Das eine sieht man bei sich selber, das andere bei allen anderen. Würde das Gute die Welt regieren, wäre die eigene Initiative für “Volkssouveränität und gegen Behördenpropaganda” 2006 angenommen worden. Weil sie aber abgelehnt wurde, ist das der Beweis des Bösen. Den Dreh hat die Autorin bestens drauf.

Claude Longchamp

Judith Barben: Spin doctors im Bundeshaus. Gefährungen der direkten Demokratie durch Manipulation und Propaganda, Baden 2009
Ulrike Röttger: Public Relations in der Schweiz. Eine empirische Studie zum Berufsfeld Oeffentlichkeitsarbeit, 2003

Volksabstimmungen sind kaum käuflich, sagt Forscher Hanspeter Kriesi

Es ist schon viel geschrieben worden zur Frage, ob der Ausgang von Volksabstimmungen in der Schweiz käuflich sei oder nicht. Jetzt gibt der Zürcher Politologe Hanspeter Kriesi eine neuartige Antwort und kommt zu differenzierten Schlüssen..

Die Kritik
“Ja” sagte Hans-Peter Hertig 1982, als er die Frage nach der Käuflichkeit von Abstimmungsergebnissen beantwortete. 1994 pflichtete ihm der Oekonom Silvio Borner bei. “Kaum” erwiderte ihnen Wolf Linder, als er die Studienbelege sah. Hanspeter Kriesi, der führende Zürcher Politologe, stellte sich bisher dazwischen. Generell sagte er nein zur Käuflichkeit von Abstimmungergebnissen, einen Einfluss des Geldes gegen die Regierungsposition hielt er aber für erwiesen.

Nun kritisiert Kriesi in der Festschrift zur Emeritierung von Wolf Linder alle bisherigen schweizerischen Untersuchungen hierzu. Seine eigenen nimmt er nicht aus. Denn die Ausgaben in Abstimmungskämpfen seien keine unabhängige, sondern eine selber abhängige Grösse. Das Mass, in dem in einen Abstimmungskampf investiert wird, hänge nämlich vom erwarteten Ausgang ab. Und dieser sei, vereinfacht gesagt, umso geringer, je gespaltener das Regierungslager ist. Das gelte besonders bei bei fakultativen Referenden, während es bei obligatorischen und Volksinitiativen weniger klar zu Tage tritt.

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Die Grafik zeigt erstmals die Ausgaben der Regierungs- und Oppositionsseite bei eidg. Volksabstimmungen in Funktion des erwartbaren Ergebnisses (Quelle: Kriesi)

Die Befunde
Mit dieser Erwartunghaltung kann Kriesi in einem ersten Schritt die Ausgaben in Abstimmungskämpfen untersuchen. Dabei zeigt sich, dass das Regierungslager meist etwas mehr ausgibt. Absolut am meisten investiert es, wenn Ausgänge zwischen 50 und 70 Prozent erwartet werden können. Das Oppositionslager steckt dann viel Geld in eine Kampagne, wenn es aus seiner Sicht mit einer Zustimmung von mindestens 40 Prozent rechnen kann.

Berücksichtigt man dieses unterschiedliche Investitionsverhalten, gilt nach Kriesi: Die Ausgaben der Gegnerschaft sind (unverändert) der beste, aber bei weitem nicht einzige Prädiktor für eine hohe Ablehnung der Regierungsposition. Jene der Befürworter sind der beste für eine hohe Zustimmung. Führt die Regierungsseite jedoch klar, nutzt sich der Effekt für das Regierungslagers ab. Das gilt auch, wenn die Ausgaben des Regierungslagers jene des Gegnerlagers deutlich übertreffen.

Diese geldbezogenen Einflussgrössen auf den Abstimmungsausgang müssen in einen erweiterten Kontext gestellt werden. Die Abstimmungskonstellation ist eine eigenständige Erklärungsgrösse. Der Stand des Regierungsvertrauens modelliert die Zustimmungswerte zusätzlich, während undurchsichtige Konsequenzen einer Vorlage ihre Befürwortung verringern.

Kommentare
Das “sparsame Modell”, wie es Kriesi nennt, erklärt nicht weniger als die Hälfte der Varianz in den 218 Abstimmungsergebnissen zwischen 1981 und 2006. Das hat ihn bewogen, sich ganz Wolf Linders Einschätzung zur Käuflichkeitsthese anzuschliessen. Zu behaupten, die eine oder andere Seite könne Abstimmungsresultate kaufen, erscheint ihm “ziemlich übertrieben”. Nicht ausschliessen will er aber, dass bei einem ganz knappen Resultat auch ein geringer Effekt letztlich ausschlaggebend sein kann.

Ohne Zweifel präsentiert Kriesi das differenziertes Untersuchungsdesign, das die Schweiz hierzu bisher gesehen hat. Der spieltheoretische Einwand, wonach die Chancen des Abstimmungssieges das Investitionsverhalten mitbestimmten und Auswirkungen auf das Verhalten der anderen Seite haben, trifft die Beobachtungen in der Praxis gut. Das gilt auch für jede Einbettung finanzieller Kennwerte in einen grösseren, politischen Zusammenhang.

Es bleibt aber die Frage, ob die Ermittlung des erwarteten Ausganges nicht zu theoretisch ausgefallen ist. Gut denkbar, dass das neue Modell noch verbessert werden kann, wenn man diese anhand von Umfragenwerten und Aktionsfähigkeiten der campaigner bestimmen würde.

Claude Longchamp

Hanspeter Kriesi: Sind Abstimmungsergebnisse käuflich?, in: Adrian Vatter, Frédéric Varone, Fritz Sager (Hg.): Demokratie als Leidenschaft. Festschrift für Wolf Linder zum 65. Geburtstag, Bern 2009, pp. 83-106.

Volkswahl des Bundesrates: vermehrte Blockbildungen zu erwarten

“Volkswahl des Bundesrates” tönt gut. Denn so drückt sich der Volkswille bei der Bestellung der Schweizer Regierung unvermittelt aus. Denkt man jedenfalls. Doch die Erfahrung lehrt: Es kommt auf das Kleingedruckte an.

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Die angekündigte Volksinitiative zur “Volkswahl des Bundesrates” ist für die Politologen eine reizvolle Denkaufgabe. Institutionalisten sind herausgefordert, über die Wirkungen der Neuerung nachzudenken.

Das Berner Modell
Das Modell, das die SVP am Samstag für ihre Initiative zugunsten einer Volkswahl des Bundesrates gewählt hat, lehnt sich eng an das bestehende im Kanton Bern an. Gewählt wird nach dem (gemässigten) Majorzverfahren, mit einer Sitzgarantie für die Sprachminderheiten. Die Berner Erfahrungen legen nahe, dass die Wahlchancen von Parteien und KandidatInnen je nach Ausgestaltung unterschiedlich ausfallen. Im Wesentlichen kommt es auf zwei Faktoren an:

Erstens, sind vorgedruckte Wahlzettel erlaubt oder nicht? Und:
Zweitens, gehen die Parteien Allianzen ein oder nicht?

Kombiniert kann man drei Szenarien unterscheiden, deren Auswirkungen hier kurz besprochen seien:

Szenario 1: Vorgedruckte Wahlzettel, gemeinsamer Vorschlag der Regierungsparteien
Voraussetzung hierfür ist, dass sich die Regierungsparteien einig sind, wer dazu gehört und wer auf wieviele Sitze Anspruch hat. Als Masstab hierzu könnte der WählerInnen-Anteil bei der jüngsten Nationalratswahlen dienen oder die Sitzzahl unter der Bundeskuppel. Können sich die Regeirungsparteien darüber hinaus auch auf die geeignetsten KandidatInnen einigen, unterbreiten sie den WählerInnen einen gemeinsamen Siebnervorschlag. Nicht auszuschliessen ist, dass sich auch Aussenseiter bewerben, ohne aber grosse Wahlchancen zu haben. Formell kommt es damit zwar zur Volkswahl des Bundesrates, doch ist es im Wesentlichen eine Bestätigung des stillschweigend eingegangene Proporzes. Gegenüber dem Status quo ändert sich nicht viel. Wahrscheinlich ist ein solches Szenario bei parteipolitischer Polarisierung nicht.

Szenario 2: Vorgedruckte Wahlzettel, mit mindestens zwei Blöcken

Vor allem dann, wenn es keine allgemein anerkannten Regeln gibt, auf welche Parteien und in welchem Masse die sieben Sitze zu verteilen sind, ist bei einer Volkswahl mit einer beschränkten Konkurrenzsituation zu rechnen. Zu erwarten ist ein linker Block, voraussichtlich aus SP und Grünen bestehend, ein rechter, der SVP und FDP umfassen dürfte, sowie ein Zentrumsblock mit CVP und kleinen Parteien. Jeder Block stellt Ansprüche, die über den eigenen Wähleranteile hinausgehen. Gegenwärtig könnten das vier oder fünf rechte Kandidaturen sein, zwei oder drei aus der Mitte und zwei oder drei von links. Damit kommt es zum Parteien- und KandidatInnen-Wettbewerb.Dieses Szenario ist in der gegenwärtigen Situation am wahrscheinlichsten, garantiert aber keine parteipolitische Stabilität, wie die Wahlen in kantonale Regierungen zeigen. Tendenziell bevorteilt es den stärksten Block, voraussichtlich die SVP mit der FDP.

Szenario 3: Keine vorgedruckten Wahlzettel; jede(r) gegen jede(n)

Die dritte Variante leuchtet unter dem Stichwort “Volkswahl” auf den ersten Blick am meisten ein. Demnach wären, wie das im Kanton Bern 2010 erstmals auch der Fall sein wird, vorgedruckte Wahlzettel nicht erlaubt. Allianzbildung zwischen den Parteien sind dann weniger wichtig, weil sie die Aussichten der eigenen KandidatInnen schmälern. Selbst wenn man sich formell gegenseitig empfiehlt, gibt es ohne vorgedruckte Wahlzettel nämlich keine Garantie, dass man übers Kreuz auf die KandidatInnen anderer Parteien wählt. Doch hat auch dieses Szenario zwei Nachteile: Einerseits sind die Amtsinhaber begünstigt; anderseits können sich neue BewerberInnen nur mit landesweiten Wahlkampagnen durchsetzen. Die Werbeausgaben einerseits, die Medienberichterstattung anderseits bestimmen die Wahlchancen in erheblichem Masse mit. Die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios halte ich für mittel, geringer ist es, dass die sinnvollste Einschränkung, die Amtszeitlimitierung, beispielsweise auf 8 Jahre, gleichzeitig eingeführt wird.

Erste Bilanz
Kurz gesagt: Bei einer Annahme der “Volkswahl für den Bundesrat” ist damit zu rechnen, dass vorgedruckte Wahlzettel möglich sind, es zur verschärften Blockbildung innerhalb der Regierungslager kommt, der Wettbewerb unter ihnen verstärkt wird und die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrates floaten wird. Bevorteilt ist dabei der stärkste Block, und innerhalb dieses die stärkste Partei. Politische Stabilität auf der Basis der Konkordanz wird leiden. Als Varianten kommen reine Bestätigungswahlen in Frage, allenfalls auch der Durchstart zu Bundesratswahlen mit eigentlichen Wahlkämpfen à la américain. Oder noch klarer: In keinem zu erwartenden Fall wird die Parteienmacht gebrochen, allenfalls durch die Medienmacht ergänzt.

Claude Longchamp

Die Krux mit den Ueberhangmandaten

Nicht-Deutschen muss man das Wort “Ueberhangmandate” erläutern. Denn in Bern ist das unbekannt. Dafür wird in Berlin spekuliert, dass eine bürgerliche Regierung in Deutschland inskünftig alleine dadurch legitimiert sein könnte. Worum geht es?

Die Gesamtzahl der Sitze, die einer Partei in einem Bundesland zustehen, wird zunächst durch die Zweitstimme bestimmt. Hat eine Partei innerhalb eines Bundeslandes mehr Direktmandate, als ihr nach Zweitstimmen Mandate des Landeskontingents zustünden, entstehen Überhangmandate. Die Partei darf die zusätzlichen Sitze aus Überhangmandaten behalten, obwohl sie damit mehr Abgeordnete entsendet, als ihr eigentlich zustehen. Durch diese Überhangmandate erhöht sich die Zahl der Abgeordneten im Bundestag. Noch nie waren es mehr als 16 Mandate, die so zusätzlich zu den 299 Mandaten der Bundesländer und den 299 für Deutschland geschaffen wurden.

Der Friedrichshafener Politologe Joachim Behnke, Verfasser eines Standardwerkes zum deutschen Wahlsystem, gilt als einer der besten Rechner, wenn es um Ueberhangmandate im deutschen Bundestag geht. Demnach kann diesmall alleine die CDU/CSU mit 20 Ueberhangsmandaten rechnen. Forsa-Chef Manfred Güllner ist mit 14-18 etwas zurückhaltender; doch sein Kollege Richard Hilmer von Infratest dimap hält sogar noch mehr Ueberhänger für möglich.

Das kann absurde Folgen haben, insbesondere wenn sich die Volksparteien ungleich stark sind. So könnte die CDU/CSU bei einem Wählendenanteil von 35 Prozent durchaus mehr Direktmandat erringen, als ihr zustehen, während das bei der SPD aufgrund ihres voraussichtlichen Anteils von 25 Prozent weniger wahrscheinlich ist. In der Endabrechung kann es deshalb theoretisch sein, dass SDP, Grüne und Linke mehr Stimmen haben als CDU/CSU und FDP, aber weniger Mandate.

Für diesen Spezialfall hat Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits angekündigt, ohne Rücksicht auf Wähleranteile auf die parlamentarische Mehrheit zu setzen. Sie will Schwarz-Geld, auch wenn die Differenz nur eine parlamentarische Stimme beträgt und diese auf einem Ueberhangmandat basiert.

Unter veränderten Umständen haben die SchweizerInnen gerade eine vergleichbare Diskussion erlebt, deren Ergebnis allgemein umgekehrt gelesen wird. Im Schweizer Bundesrat sollen die Parteien ihre Ansprüche nur entsprechend im WählerInnen-Anteil, nicht aufgrund der Zahl Parlamentsabgeordneter anmelden können, hiess es letzte Woche in Bern. Wahrscheinlich auch, weil es in der Schweiz keine Ueberhangmandate gibt …

Claude Longchamp

“Die allgemeine Volksinitiative bietet zu wenig Demokratie”

Es ist eine typisch binnenschweizerische Diskussion. Aber eine, die Grundsätzliches zum Verhältnis von Demokratie und Herrschaft berührt. Denn kurz vor der Volksabstimmung über die Allgemeine Volksinitiative meldet sich Andreas Gross, Politikwissenschafter mit Spezialgebiet direkte Demokratie, mit einem kritischen Votum in der NZZ zu Wort und plädiert für die Abschaffung der Fehlkonstruktion unter den Volksrechten.

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Andreas Gross, der wohl beste Kenner der Philosophie der direkten Demorkatie spricht sich gegen die Allgemeine Volksinitiative aus.

Am 27. September 2009 stimmen die Schweizer Stimmberechtigten über die Nicht-Einführung der Allgemeinen Volksinitiative ab. Das bestehende Initiativrecht soll bleiben, die Verfeinerung, die 2003 bewilligt, bisher aber nicht umgesetzt wurde, soll jedoch wieder verschwinden.

Einen Abstimmungskampf hierzu gibt es kaum. Im Parlament war nur einer dagegen, doch der weibelt in allen Medien. Nun kontert Andreas Gross, vormals Präsident der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates. Dies ist umso glaubwürdiger, als Gross schon im Abstimmungskampf bei der Einführung 2003 gegen das Instrument war.

Ein Drittel aller Volksinitiative, die zur Abstimmung gelangen, verlangen Aenderungen der Bundesverfassung; zwei Drittel zielen auf Korrekturen im Gesetzeswerk der Schweiz ab. Diesem Umstand wollte Bundesrat Arnold Koller Rechnung tragen, als er die allgemeinen Volksinitiative vorschlug. Gemäss der könnte das Parlament entscheiden, ob eine angenommene Anregung aus einer Volksabstimmung in der Verfassung oder im Gesetz verankert werden solle.

Andreas Gross hält die Erweiterung des bestehenden Initiativrechtes durch eine Gesetzesinitiative für die richtige Schlussfolgerung. Die Allgemeinen Initiative bekämpft er mit dem Hinweis, wer Unterschriften für eine Volksinitiative sammle, sei mit dem Status Quo in der Regel nicht einverstanden. Diese Verägerung entstehe nicht selten, weil das Parlament falsche Entscheidungen getroffen habe. Deshalb hält Gross es für im Ansatz verfehlt, dass der mittels Volksinitiative vorgetragene Volkswille im Fall einer Annahme durch die Stimmenden vom Parlament interpretiert werden dürfe.

Oder pointiert gesagt: “Um neue Fehlkonstruktionen und Irrtümer zu vermeiden, muss die direkte Demorkatie aus der Sicht der Bürgerinnen und Bürger verstanden und verfeinert werden und darf nicht aus herrschaftlicher Sicht zurückgebunden werden wollen.”

Claude Longchamp