Managed Care – eine Neuerung hat es schwer

33 Prozent dafür, 44 dagegen. Das ist das vordergründige Hauptergebnisse zur Managed Care Vorlage aus der ersten Repräsentativ-Befragung von gfs.bern für die SRG SSR Medien. Hintergründig zeigt unsere Studie auf, wo das Problem liegt.

Komfortabel ist die Ausgangslage für das Ja-Lager zur Krankenversicherungsrevision nicht. Am letzten Samstag beschlossen die Delegierten der SVP und der BDP, anders als die Mehrheit ihrer ParlamentarierInnen, die für die Reform gestimmt hatten, ihren Mitgliedern und Wählern ein Nein zu empfehlen.

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Die davor abgeschlossenen Repräsentativ-Befragung der Stimmberechtigten für die SRG Medien zeigt warum: Die Skepsis gegenüber der Vorlage ist weit verbreitet. Gerade im rechten Lager. Nirgends hat die Managed Care Vorlage so viele Gegner wie bei der SVP. Noch am ehesten dafür ist das bürgerliche Zentrum, namentlich die CVP, aber auch die FDP. Doch selbst hier reicht es nur für eine relative Mehrheit. Rotgrün ist noch etwas ratlos: Viele Unschlüssige bei der GPS, eher mehr Gegner bei der SP.

Dasselbe bei den Argumenten: Mehr Qualität, mehr Effizienz sind die Schlagworte aus dem Ja-Lager. Zweiklassenmedizin und Einschränkung der freien Arzt- und Spitalwahl jene der Nein-Seite. Durchgedrungen sind sie damit erst bei den Vorentschiedenen, während die Meinungsbildung in der breiten Masse der StimmbürgerInnen davon noch weitgehend unberührt blieb.

Die gute Botschaft für die Behörden, welche die Vorlage ausgearbeitet haben, ist: Es gibt noch viel Spielraum. Die schlechte lautet: Das ist erfahrungsgemäss eher ein Steilpass für die Nein-Sager!
Die Erfahrung mit Meinungsbildungsprozessen zu umstrittenen Behördenvorlagen lehrt uns, dass es mit dem Abstimmungskampf zu einer Polarisierung der Unentschiedenen in beide Richtung kommt. Dabei hat es die Nein-Seite kurzfristig eher einfacher als ihre Widersacher.

Die Aufgabe der BefürworterInnen ist diesmal nicht einfacher: Denn die parlamentarische Allianz, welche der Neuerung zum Durchbruch verholfen hat, bröckelt. An die Abdresse des Souveräns ist das nie eine gute Botschaft. Und für die Aktivisten ist es ein Dämpfer.

Ich bleibe bei meiner Einschätzung, die ich vor knapp zwei Jahren zur Krankenkassenrevision kund getan habe: Behördenvorlagen, die mit der parlamentarischen Beratung bei der Bevölkerung nicht einen positive Grundwelle ausgelöst haben, haben es im Abstimmungskampf schwer. Der hätte, angesichts des komplexen Themas mit Fallstricken, seitens des Ja-Lagers nicht eben erst starten sollen, sondern mit der parlamentarischen Beratung, die immerhin seit 2004 dauert.

Desaster für Initiativkomitee gegen Aufklärung in der Volksschule – (k)ein Grund zum Jubeln für Widersacher?

Der Aufklärungsunterricht in der Primarschule ist ein heiss diskutiertes Thema. Mit einer Volksinitiative soll der umstrittene Sex-Koffer, von dem mehr und mehr die Rede ist, untersagt werden. Nur, die Intianten haben sich ein eigenes Ei gelegt: Eines ihrer Mitglieder wurde vor Jahren wegen sexuellen Uebergriffen bei einer Minderjährigen bestraft.

“Fehlerstart einer Volksinitiative”, titelte die NZZ in ihrer Online-Ausgabe gestern. Heute erkundigte sich die (neuerdings konservativ ausgerichtete) BaslerZeitung bei mir, was vom ganzen zu halten sei. Bange Frage: Ist die Intiative diskreditiert, bevor sie wirklich zum Thema geworden ist?

Ein wenig erinnere mich das an Sarah Palin, antwortete ich der Journalistin. Die ehemalige Kandidatin für das Amt des amerikanischen Vizepräsidenten habe sich, ganz dem konservativen Trend folgend, gegen Sex vor der Ehe ausgeschlossen. Mitten im Wahlkampf musste sie bekannt geben, dass ihre eigene, unverheiratete Tochter ein Kind erwarte. Scheinheiligkeit pur! Der Glaubwürdigkeit Palins hat das nicht genützt, den Republikanern indessen nicht wirklich geschadet!

Ganz vergleichbar sind die beiden Beispiele indessen nicht. Denn Sarah Palin hatte sich als Kandidatin der Republikaner in Kürze ein globales Image verschafft. Sie war breit bekannt, als die Gunrühmliche eschichte bekannt wurde: als beigesterte und fürsogliche Hockey-Mom, die ihre Kinder zum Training fährt und abholt! Politisch hatte sie damit nicht wirklich punkten können, kommunikativ hatte sie ein perfektes Bild von sich entworfen. Das fehlbare Mitglied aus dem Initiativ-Komitee gegen den umstrittenen Sex-Untericht auf der Unterstufe der Schweizer Schulen ist dagegen nicht nur weitgehend unbekannt; es gibt kein gesellschaftlich verankertes Bild von ihr. Und so wird es in der Versenkung enden!

Die entscheidende Frage ist indessen, ob das nun auch die Volksinitiative diskreditiert oder nicht?

Ich habe hier eine eigene Position, entwickelt aus dem Dispositionsansatz zur Entscheidfindung gegenüber Volksintiativen; diese lautet: Der Unterschriftenstart ist erschwert; in erster Linie aber durch die Negativ-Presse, die auf die Exponenten der Initiative wirkt. Ob eine Intiative die nötigen 100’000 Unterschriften zusammenbringt oder nicht, hängt jedoch nicht davon ab. Vielmehr ist entscheidend, ob es eine genügend grosse Zahl Sammlungswilliger gibt oder nicht. Und das wird nicht durch das mediale Image einer Initiative beeinflusst; nein, es hängt von der Klarheit der Stossrichtung eines Volksbegehrens ab, das eine Forderung aus der Gesellschaft aufnimmt. Das traue ich dem Initiativ-Komitee auch nach dem Desaster zu. Ja, man könnte noch einen Schritt weiter gehen: Attacken aus den (Elite)Medien motivieren die fordernden Minerheiten mit starker Ueberzeugung erst recht, für eine (aus ihrer Sicht) besser Welt aktiv zu werden!

Eine nochmals andere Frage stellt sich, wie ein solches Volksbegehren in den Behörden aufgenommen wird; wie Bundesrat und Parlament reagieren. Zudem will man zurecht wissen, wie die Chancen in der Bevölkerung, sprich, bei einer Volksabstimmung, sind. Da lohnt es sich von drei Gruppen auszugehen:

. der Kernwählerschaft, die das klar Anliegen unterstützt, aus weltanschaulichen Gründen oder aus Interesse;
. der Kerngegnerschaft, die dem Anliegen sicher nicht zustimmen wird, aus ebensolchen Gründen, und
. der schwankenden, wenig entschlossenen Wählerschaft.

Ersterer ist die Initiative wichtiger als die Zusammensetzung des Komitees. Man wird sich da nicht beeinflussen lassen – weder heute noch morgen. Bei letzerer ist alles umgekehrt – aber gleich. Bleiben die schwankenden BürgerInnen, denn letztlich die Sache nicht so wichtig ist: Sie legten sich erfahrungsgemäss erst im Abstimmungskampf fest. Der findet voraussichtlich in 4 Jahren statt. Und dann zumal wird man die Panne beim Initiativ-Start vergessen haben.

Für mich schlüssige Analysen der Unzufriedenheit mit der Schule ausgehend von den Harmos-Abstimmungen zeigen, dass das Kernpotenzial der neuen Initiative beim gesellschaftskonservativen BürgerInnen liegt, die sich mit ihrem Familienbild vom mainstream abgrenzen wollen. Sie finden sich heute nicht nur in religiösen Kreisen, auch in der ländlichen Bevölkerung vor allem der deutschsprachigen Schweiz. Profitieren kann die Initiative auch von einer gewissen Reformmüdigkeit gerade im Umfeld der betroffenen Lehrer und Schulbehörden.

Eine gesicherte Mehrheit sei das nicht, sagte ich Andrea Fopp von der BalserZeitung heute – aber eine respektable Minderheit. Ihre Gegenfrage lautete: Könnte mit dem Volksbegehren daraus eine Mehrheit werden? Mein Antwort lesen sie morgen im Interview mit der BaZ …

Claude Longchamp

Volksinitiativen: Stolpersteine und Erfolgsfaktoren

Das ist kein Seminar, das sich speziell an die FDP richtet. Denn es geht bei den Stolpersteinen und Erfolgsfaktoren für Volksinitiativen nicht bloss um die Unterschriftensammlung. Vielmehr bietet sich das Berner NPO-Forum an, Akteuren in diesem Bereich generell einen Spiegel vorzuhalten und Empfehlungen für eine gute Politik zu formulieren.

Die Themenpalette des Seminars, das am 15. Mai 2012 in Bern stattfindet, ist gegeben: Behandelt werden die rechtlichen Voraussetzungen von Volksinitiative, eine Checkliste zu Fehlern, die man beim Texten vermeiden sollte, eine Uebersicht über (Miss)Erfolgsfaktoren im ganzen Prozess, eine Analyse der Unterschriftensammlung, der Umgang mit den Behörden zwischen Einreichung und Abstimmung sowie Kampagnenführung.

Die Referentin sind bunt gemischt zusammengesetzt: Es sprechen Barbara Perriard von der Bundeskanzlei, Heribert Rausch, Professor für öffentliches Recht an der Uni Zürich, Aline Trede, Kampagnenleiter beim VCS, Meinrad Vetter, Kadermann der economiesuisse, und Stefan Batzli, Campaigner.

Selber werde ich eine Uebersicht geben, von der Initiierung bis zur Umsetzung einer Volksinitiative. Es geht mir um Benmarks und Fallstricken. Um gute und schlechte Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit.

Sicher, ich werde von der Abstimmung ausgehen, das kenne ich am besten und es ist und bleibt das Nadelöhr eines jeden Volksbegehrens. Ich will indessen nicht dabei stehen bleiben, vielmehr eine Volksinitiative als (Lern)Prozess der Meinungsbildung für InitiantInnen deuten, welche die Politik, die Behörden und die Oeffentliche Meinung mit ihrem Anliegen wirksam beeinflussen wollen.

InteressentInnen für diese Anlass finden mehr Informationen – und Anmeldeunterlagen unter NPO-Forum.

Claude Longchamp

Oekokonservatismus ist ein Trumpf

Die gestrige Aktualität hat alles ein wenig überlagert; dennoch newsnetzt publizierte eben ein Interview mit mir, das am Dienstag zur Erstanalyse der angenommenen Initiative “Stopp dem uferlosen Zweitwohnungsbau” geführt wurde. Hier die Einordnung, und hier das ganze Interview.

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Bild: newsnetz

Newsnetz: Es heisst, die Schweizer stimmten keiner Initiative zu, die Wirtschaftsinteressen zuwiderlaufe. Diese Regel muss man nach Annahme der Zweitwohnungsinitiative relativieren, oder?
Claude Longchamp: “Die Aussage stimmt, wenn man sich auf Themen wie Ausschaffung, Unverjährbarkeit und Verwahrung bezieht. Diese Initiativen wurden angenommen, waren wirtschaftlich aber irrelevant. Mehrheitlich sagte man das auch von der Minarettinitiative oder dem UNO-Beitritt. Bei der Gentechinitiative in der Landwirtschaft stimmt das überhaupt nicht. Wohl auch nicht bei der Alpeninitiative. Da geht es mehr um die Frage, welche wirtschaftliche Entwicklung wir wollen, genauso wie bei der Zweitwohnungsinitiative. Und da ist Ökokonservatismus ein Trumpf.”

Buchpreisbindung: Noch hat keine Seite ein Mehrheit hinter sich

Die Meinungsbildung zur Buchpreisbindung schreitet zügig voran. Die in Umfragen bekundeten Gegnerschaft ist zwischenzeitlich stärker als die BefürworterInnen. Doch hat keine Seite eine gesicherte Mehrheit. Hier eine Auslegeordnung.

Vor vier Wochen lagen die die BefürworterInnen der Buchpreisbindung bei 49 Prozent; ihre WidersacherInnen bei 39 Prozent. Zwischenzeitlich haben sich die (relativen) Mehrheitsverhältnisse umgekehrt. Die Nein-Seite umfasst nun 47 Prozent; das Ja liegt bei 40 Prozent.
Der Nein-Trend ist in erster Linie in der deutschsprachigen Schweiz markant; in der Romandie und im Tessin findet er sich kaum.

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Was ist der Grund? – Die Buchpreise sind bei den “Lateinern” kein parteipolitisches Thema, bei den “Alemannen” schon. Bei den Deutschsprachigen die stimmen wollen, kippte die Tendenz, auf 53:37 für das Nein.

Die Opposition startete bei den bürgerlichen Jungparteien. Das zeigte bei den bürgerlichen Parteien Wirkung. Je rechter sie stehen, um so mehr. Bei der SVP sind zwischenzeitlich 60 Prozent gegen die Buchpreisbindung, bei der FDP 52 Prozent. Dafür sind noch 27 resp. 36 Prozent. Am wenigsten merkt man davon bei den Wählenden der CVP; hier lauten das aktuelle Verhältnis 48 zu 39 – ohne klare zeitliche Entwicklung.
Das alleine reicht nicht, damit die Zustimmung zur Vorlage kippt. Denn die linken WählerInnen halten ihr die Stange. Doch ist ihre Ausstrahlung schwächer als sonst. Denn die urbanen WählerInnen, auch die mit höherer Schulbildung sind nicht eindeutig dafür. Sie, die am meisten Bücher lesen und kaufen dürften, wissen um die Vorteile des Büchereinkaufs auf Internet – eine offensichtliche Schwäche der Vorlage.

Der Konflikt ossziliert zwischen dem Schutz eines Kulturgutes und neuen Realitäten. Ersteres hat etwas Konservierendes an sich; setzt auf Föderalismus, breite Versorgungsdichte und faire Preise. Zweiteres ruft zum Kampf gegen die Hochpreisinsel Schweiz auf, nährt sich von der Angst, mit der Buchpreisbindung in der Schweiz noch mehr für ein Buch bezahlen zu müssen, und verweist die ersten Erfahrungen mit der Liberalisierung, die so schlimm nicht seien. Das vereint ein Potpurri aus Liberalen, KonsumentInnen und PragmatikerInnen gegen Konservative, ProtektionistInnen und Buchliebhaber!

Gelaufen ist die Sache noch nicht: Zwar ist die Meinungsbildung in dieser Frage fortgeschritten, doch hat keines der beiden Lager eine Mehrheit auf sicher. Der Trend im bisherigen Abstimmungskampf verläuft Richtung nein, doch ist er vor allem ein Phänomen der deutschsprachigen Schweiz, bisher ohne Ausstrahlung auf das ganze Land.
Bei Behördenvorlagen gilt zudem: Unschlüssige verteilen sich auf beide Seiten; es kommt vor allem auf das Ausmass an – auch in diesem Fall!

Claude Longchamp

Warum die Schweiz mehr Ferien gegenüber skeptisch ist. Ein Erklärungsversuch.

“Erklären Sie einem Menschen ausserhalb der Schweiz, warum die Einheimischen nicht mehr Ferien wollen?” So versuchte gestern ein Journalist mich aus meiner Zurückhaltung zu locken. Spontan fiel meine Antwort vielleicht etwas kurz aus, hier kann ich etwas ausholen.

Erfolgreich sind Volksinitiativen, die massive Defizite der behördlichen Politik aufgreifen und/oder breit geteilte Interessen vertreten. Dazu gehören in Zeiten der Inflationen Forderungen aus dem KonsumentInnen-Schutz. Es zählen auch neuralgische Stellen zwischen Einheimischen und AusländerInnen dazu, namentlich dann, wenn sie Minderheiten treffen, die man nicht gerne unter sich weiss. PolitologInnen sprechen denn auch von der Ventilfunktion von Volksabstimmungen. Sie sind nicht nur da, um ein Problem zu lösen, sondern auch politischen Missmut abzubauen.

Ob die Stimmenden nicht mehr Ferien wollen oder, wissen wir letztlich erst am 11. März 2012 nachmittags. Heute kann man analyiseren, zum Beispiel aufgrund der Ergebnisse der SRG-Abstimmungsbefragungen von gestern. Demnach sind 55 Prozent bestimt oder eher gegen 6 Wochen Ferien für alle, 39 Prozent bestimmt oder ehere dafür. Beteiligen würden sich rund 4 von 10 StimmbürgerInnen.

Psychologisierung, nicht Politisierung ist bei den InitiantInnen angesagt: “Timeout gegen Burnout” ist ihr Slogan. Damit greifen sie ein Thema auf, das man individuell vielerorts kennt: am Arbeitsplatz, in der Freizeit und des Nachts; überall klagt man über die negative Auswirkungen der Arbeitswelt. Vemehrt Ferien, vermehrt individuelle Zeit- und Ortsbudget und vermehrt Erfüllung in der Arbeit sind durch aus verbreitete Wünsche.

Volksabstimmungen, indes, sind nicht einfache Hitparaden der Alltagssorgen- und wünsche, sondern Entscheidungen über vorgeschlagene Lösungen. Und da gehen die Meinungen über das Richtige schon unter den ArbeitsnehmerInnen auseinander: Für die Einen brauchte es mehr Erholungszeit; denn sie sehen, dass die Dichte während des Arbeitens grösser wird – was mehr Distanzierungsmöglichkeiten bedingt. Andere wiederum sind der Auffassung, mehr Ferien erhöhten das Beklagte nur. Wenn alle Arbeitsnehmer 6 Wochen Ferien haben, leisten auch alle ArbeitsnehmerInnen 6 Wochen Stellvertretungen.

Dieses Dilemma belegt auch die gestern veröffentlichte Umfrage. Teilzeiarbeitende stehen mehr Ferien positiver gegenüber, denn sie suchen individuelle Lösungen für ihre Work/Life-Balance. Vollzeiterwerbstätige lehnen sie indessen verstärkt ab. Sie haben sich mit den vorgeschriebenen Arbeitsrhythmus arrangiert. Selbstredend sind Nicht-Erwerbstätige am meisten dagegen; die Hälfte von ihnen gehört zur Rentnerschaft, sagt sich wohl, das hatte ich auch nicht, und die andere Hälfte hätte möglicherweise lieber ein Job als mehr Ferien.

Bei Volksabstimmungen schwingen darüber hinaus politischen Ueberzeugungen mit. Wenn es um die Neuverteilung von Rechten am Arbeitsplatz oder in der Wirtschaft geht, werden die BürgerInnen entlang der Parteibindungen polarisiert. Das ist auch aktuell der Fall – und zwar recht exemplarisch: Bürgerliche Parteiwählerschaft sind (heute schon) zu zwei Dritteln gegen das Anliegen, linke mindestens gleich geschlossen für mehr Ferien. Mehr noch als mit den Gewerkschaften hat das mit dem Weltbild der bürgerlichen Schweiz zu tun: Zentral ist die Vorstellung, durch den Arbeitsethos, geboren im Protestantismus der frühen Neuzeit, hochgehalten in der Phase der Industrialisierung, zum eigenen Wohlstand beigetragen zu haben. Aller Kritik in der Gegenwart zum Trotz, gilt das, auch bei den säkularisierten KatholikInnen, als Begründung, bei solchen Themen nicht nur zweckrationale Entscheidungen zu treffen, sondern auch wertrationale zu fällen. Hochgehaltene Prinzipien sind da wichtiger als eigene Interessen.

Ich weiss, das sehen linke und rechte BürgerInnen diametral anders: Denn für Linke haben die Arbeitnehmer längst ihren Beitrag zur Produktivitätssteigerung erbracht, um jetzt Kasse machen zu können. Für rechte SchweizerInnen ist das ganz einfach nicht die Ebene, auf der sie sich entscheiden. Denn ihnen ist die Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz wichtiger, gerade in einer umstrittenen Umwelt.

Damit bin ich beim meinem letzten Argument: dem gegenwärtigen Klima. Nein, ich meine nicht die Kälte draussen! Vielmehr geht es mit um das Wirtschafts-Klima, ausgelöst durch die Weltwirtschaftskrise, von der die Schweiz bis jetzt einigermassen verschont blieb – wenn auch ohne Sicherheit für die Zukunft. Es geht mir auch um das Gesellschafts-Klima mit Abstiegsängsten angesichts offener Gesellschaften und daraus entstehender Probleme, und ich meine auch das politischen Klima: Denn seit den Wahlen 2011, die über die Umwelt- und Energieproblematik ein beträchtliches Zerwürfnis unter den bürgerlichen Parteien hervorgebracht hat, wird im Abstimmungskampf zur Ferien-Initiative Gegenteiliges sichtbar: SVP, FDP, CVP und BDP ziehen am gleichen Strick gegen mehr Ferien, und sie wissen sogar die GLP auf ihrer Seite. Die Linke, im letzten Wahlherbst mit ihren KandidatInnen in den Ständerat punktuell durchaus für Ueberraschungen gut, muss sich damit auseinandersetzen, dass nur für SP, GPS und kleine Linksparteien die Ferien-Initiative von Travail.Suisse prioritär ist, zusammen aber keine 30 Prozent der schweizerischen Wählerschaft repräsentieren.

Eine Prognose für den 11. März 2011 ist auch das nicht. Aber ein Erklärungsversuch, der nicht nur auf politökonomischen Interessenlagen basiert, sondern das allgemeine Klima, die politische Willensbildung in der genannten Sache, die bisherigen Kampagnen, die Erfahrungen aus Vergleichsabstimmungen und das Bewusstsein der SchweizerInnen miteinbezieht. Das ist nach meiner Erfahrung angemessener, auch wenn die Gewichtigung der hier vorgeschlagenen Elemente nicht unabhängig von einer bestimmten Situation existieren.

Claude Longchamp

Ist direkte Demokratie ein Exportprodukt der Schweiz?

Regelmässig werden PolitolgInnen eingeladen, über die direkte Demokratie der Schweiz im Ausland oder vor ausländischen PolitikerInnen zu referieren. Das Interesse ist steigend, namentlich in Deutschland, wo “Stuttgart 21” das Nachdenken über Volksentscheidungen befördert hat. Meine sieben Statements in dieser Sache im Ueberblick.

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Eines ist klar: Nirgends auf der Welt wird so viel abgestimmt wie in der Schweiz. Immer deutlicher wird aber auch, dass das Ausland aufholt. Heute gibt es in einem Durchschnittsjahr bereits mehr Volksentscheidungen im Ausland als in der Schweiz. Und so stellt sich die Frage: Ist direkte Demokratie d a s politischen Exportprodukt aus der Schweiz?

In meinen Ausführungen hierzu merke ich zunehmend, dass politische System nicht einfach übertragen werden können. Auch wenn wir PolitologInnen sie abstrakt-theoretisch nachzeichnen, sie sind gewachsen, aus den gesellschaftlichen Kräften, den zurückliegenden Konflikten und den Lösungen, die sich exemplarisch daraus ergeben haben. Strukturen des Staates, ja selber der Entscheidungsprozesse und der Politikprogramme haben ihre Entsprechungen in den Kulturen.

GegnerInnen der direkten Demokratie gebrauchen diesen Hinweis gerne, um die Nicht-Uebertragbarkeit politischer Institutionen zu betonen. Entweder folgt man dem klassisch parlamentarischen oder bekannten präsidentiellen System, oder aber man entscheidet sich für das direktdemokratische.

Das Argument greift meines Erachtens zu kurz. Denn auch die Schweiz war nicht von Beginn weg ein direktdemokratisches System, sondern hat sich vom parlamentarischen hierzu gewandelt. Aus diesem Prozess des Wandels kann man einiges aus den Schweizer Erfahrungen lernen, ohne fixfertige Antworten zu kriegen.

Erstens, Experimente mit Volksentscheidungen in parlamentarischen Systemen sind in kleinen politischen Einheiten einfacher als in grossen. Daraus folgt, dass direkte Demokratie lokal und in Gliedstaaten eingeführt und erprobt werden sollte, bevor es auf nationalstaatlicher oder gar supranationaler Ebene zur Anwendung kommt.

Zweitens, Volksentscheidungen sind nicht da, um Probleme zu lösen, bei denen der parlamentarische Prozess versagt hat. Sie sind da, um BürgerInnen-Partizipation in der Sache zu fördern. Das ist der Kern einer vorausschauenden Institutionenpolitik, die nicht zur Reparaturwerkstätte verkommen darf. Sonst misst man direkte Demokratie an übertriebenen Einzelerwartungen.

Drittens, namentliche Parteien müssen lernen, mit direkter Demokratie umzugehen. Denn die ausschliessende Macht der Fraktionen wird mit Volksentscheidungen klar relativiert, während der Umgang der Parteien mit BürgerInnen-Anliegen auch ausserhalb von Wahlen gestärkt wird. Das muss parteiintern in eine Balance gebracht werden, was den Oppositionsparteien einfacher fällt als Regierungsparteien.

Viertens, auch Medien müssen für die direkte Demokratie gewonnen werden. Denn ohne ihre anspöruchsvolle Informationsarbeit sind BürgerInnen-Entscheidungen nicht möglich. Medien können davon auch profitieren, enn sie bei Volksabstimmungen in einen direkten Dialog mit ihrer Kundschaft treten. Diese empfängt nicht nur, sondern auch sendet auch, spätestens mit dem Entscheid selber.

Fünftens, in einem grösseren Zusammenhang geklärt werden muss, welche Instrumente der direkten Demokratie unter gegebenen Bedingungen Sinn machen. Der Referendumstyp ist ein Bremse, die je nach Ausgestaltung mehr oder minder stark sein kann, aber immer als Korrektiv zum Parlamentsentscheid wirkt. Der Initiativtyp ist ein Gaspedal, mit dem die Bürgerschaft Ideen im Entscheidungsprozess initiieren oder auch einbringen kann. Eine Kombination von beidem erhöht die Akzeptanz in verschiedenen politischen Lagern.

Sechstens, festgelegt werden müssen die Spielregeln: Ob Bürgerbewegungen, die Volksentscheidungen verlangen, ideell, finanziell und infrastrukturell unterstützt werden sollen oder nicht, muss klar geregelt sein. Denn damit definiert man auch, ob Parteien weitgehend alleine, oder auch Interessenverbände und Bewegungen als TrägerInnen von Volksrechten werden sollen.

Und siebtens, direkte Demokratie kann, einmal eingeführt, kaum mehr zurückgenommen werden. Sie wird zu einem dauerhaften Element in der Entscheidfindung, und sie verändert diese auch – denn keine Regierung, kein Parlament verliert gerne in Volksabstimmungen, weshalb sie mit Volksrechten “responsiver”, aufmerksamer werden, für das was ausserhalb von Parlamenten geschieht.

Oder anders gesagt: Volksrechte kann man nicht einfach verpflanzen. Ihre Instrumente sind keine Exportprodukte. Sie sind aber eine Expertidee. Man kann die Bestrebungen dazu aber befördern, auch mit den guten und weniger guten Erfahrungen, welche die Schweiz hierzu gemacht hat – um Fehler zu vermeiden und schneller zu brauchbaren Lösungen zu kommen.

Claude Longchamp

Das bestgehütetste Parteiengeheimnis.

Innenpolitisch ist das Geld der Parteien kaum ein Thema. Jetzt erhöht der Europarat den Druck auf die Schweiz in dieser Sache.

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Quelle: L’Hébdo via Wahlkampfblog

Vor 5 Jahren ratifizierte die Schweiz das Anti-Korruptions-Abkommen des Europarates. Zwei Länderexamen hat unser Land seither bestanden. Beim dritten dürfte es jedoch scheitern.
Das jedenfalls berichtet die heutige “NZZamSonntag” unter Berufung auf ExpertInnen des Bundes. Denn seit Februar dieses Jahres überprüft der Europarat nicht die Wirkungen des hochgehaltenen Bankgeheimnisses, sondern … des bestgehüteten Parteiengeheimnisses.

“Wer finanziert die Parteien in der Schweiz? Sind es die Mitglieder? Sind es die Lobbyisten, die im Gegenzug verlangen, dass die Parteien ihre Interessen vertreten? Sind es die Schwerreichen, welche in ihrem Sinn steuern?”, sind drei nachollziehbare Erwägungen, die man zwischenzeitlich auch am Zürcher Falkenplatz macht.
Hilmar Gernet, vormals CVP-Generalsekretär und seit neuestem Buchautor in dieser Sache, versuchte den Schleier des Schweigens mit seiner Doktorarbeit ein wenig zu heben, ohne allzu konkret zu werden. Interna auszuplaudern, sei nicht seine Sache, eine Diskussion zu lancieren schon, fasst er seine Absicht zusammen. Selbst das bekam ihm nicht gut: Vor zwei Wochen wurde er aus dem Luzerner Grossen Rat abgewählt – und danach hing er seine Politkarriere ganz an den Nagel.

Die Schweiz hat als eines der wenigen europäischen Länder kein Parteiengesetz. Da sind internationale Diskussionen, europäische Vereinbarungen und unterschriebene Abkommen umso wichtiger. Das weiss auch Bundesrätin Simonetta Sommaruga, die Ende letzten Jahres das federführende Justiz- und Polizeidepartement übernahm. Sie will gar nicht warten, bis die ExpertInnen des Europarates ihren Bericht fertig haben. Noch vor der heissen Phase des diesjährigen Wahlkampfes will sie mit einer eigenen Stellung den Boden für eine schweizerische Regelung vorbereiten.

Um es klar zu sagen: Ich mache mir keine Illusionen, das Parteien kein Geld brauchen würden. Doch gerade deshalb finde ich Transparenz in dieser Sache umso wichtiger. Denn nur das würde zeigen, ob Wahlergebnisse unabhängig vom eingesetzten Geld entstehen. Denn das ist demokratiepolitisch das Entscheidende.

Die Mentalität in der Romandie ist da schon etwas weiter als die übrigen Schweiz. Das Wochenmagazin L’Hébdo publizierte kürzlich ein Dossier über das “Geld der Parteien“; in den deutschsprachigen Massenmedien wurden nicht nur die Ueberlegungen hierzu, nein selbst die grundlegendsten Statistiken totgeschwiegen. Schön, dass es da mit polithink, Wahlkampfblog und zoonpoliticon wenigstens eine kleine Gegenöffentichkeit gibt.

A suivre!

Claude Longchamp

VOX-Analyse zur Waffeninitiative: von der Sach- zur Wertfrage

Die heute erscheinende VOX-Analyse zur Volksabstimmung über die Waffeninitiative bestätigt den erkannten Parteienkonflikt in der Sachfrage. Sie macht auch auf die Bedeutung der Mobilisierung von gesellschaftlichen Wertekonflikten bei Volksabstimmungen aufmerksam.

Tagesschau vom 08.04.2011

Das Ergebnis zur Volksabstimmung über die Waffen-Initiative vom 13. Februar 2011 war recht klar: 56 Prozent lehnten das SP-Begehren ab. Wer der SVP nahe stand, war mit einer Wahrscheinlichkeit von 93 Prozent gegen die Waffeninitiative; wer in der Regel für die GPS votierte mit einer Probabilität von 89 Prozent dafür. Mehrheitlich Ja sagten die SP-Leute, mehrheitlich Nein die SympathisantInnen von FDP und CVP. Die Geschlossenheit war aber geringer als an den Polen. Das zeigt die VOX-Analyse, basierend auf einer Nachbefragung von gut 1500 stimmberechtigten Personen unseres Institut; ausgewertet wurden die Daten durch ein Team unter der Leitung von Politikwissenschafter Pascal Sciarini.

Der Bericht der Uni Genf legt nahe, nicht nur von einer konkreten Sachfrage auszugehen, sondern von einem tieferliegenden Wertekonflikt.

Stark zum Tragen im Prozess der Meinungsbildung kam die Frage, was für eine Schweiz man wolle: eine traditionelle, die sich auf sich selber bezieht, wie die politische Auslegeordnung der Werthaltung ist, oder eine moderne und offene, welche sich als Teil der westlichen Gesellschaft definiert, und sich auch an ihren Standards orientiert, prägten die Entscheidungen zur Waffeninitiative nachhaltig. Damit nicht genug: Wer eine Schweiz mit Vorrechten für die Schweizer will, wer eine starke Armee befürwortet, war in erhöhtem Masse dagegen, und umgekehrt. Oder anders gesagt: Die Vorstellungen der Wunschschweiz sind in einem relevanten Masse politisierbar.

Seit 1 bis 2 Jahren ist das zu einer der wichtigsten, wenn auch nicht einzigen Konfliktlinie bei Schweizer Volksabstimmungen geworden. Die VOX-Analyse zeigt nun, wie diese im konkreten Abstimmungsfall mobilsiert wird: Wer ein Gewehr zu Hause hat, wollte das in seiner Mehrheit auch in Zukunft behalten können. Und wer darüber hinaus in einem Schützenverein ist, war hochgradig motiviert, diese Tradition fortsetzen zu können. Die Kampagnen der Gegnerschaft setzte voll auf dieses Potenzial – und gewann damit. Es gelang ihr in der Polarisierung, die Beteiligung ihrer Potenziale zu befördern. Insbesondere die Mitglieder von Schiessvereinen wurde im Abstimmungskampf weit über das übliche Mass hinaus zu einer Teilnahme motiviert. Besonders bemerkenswert: Diese Motivierung geschah nicht nur bei den Aktiven. Erfasst wurden auch Passivmitglieder, ja selbst die SympathisantInnen von Schützenvereinen waren zahlreich als das Mittel an der Entscheidung beteiligt.

Ergebnisse sind Ergebnisse. Ihre Analyse ist keine Relativierung. Sie ist der Versuch, nachvollziehbar aufzuzeigen, wie Entscheidungen entstehen. Diejenige zur Waffen-Initiative oszillierte, von der Sach- zur Wertfrage. Die Analyse der Meinungsbildung, wie sie erstmals von Paul Lazarsfeld erarbeitet worden ist, kennt diesen Typ seit mehr als 60 Jahren. “Aktualisierung” wird er genannt. Das meint, dass mit einem Abstimmungskampagne ganz bewusst ziemlich konstante, tiefliegende Prädispositionen angesprochen werden, die im Zusammenhang mit eine Sachfrage aktualisiert werden, um sie zur Entscheidungsgrundlage zu machen. Theoretisch ist das Konzept solcher Kampagnen recht einfach; praktisch muss es zum Funktionieren gebracht werden, was nicht immer so schön gelingt wie diesmal.

Claude Longchamp

Zählen, Zählen, Zählen

Vorläufig amtliche Endergebnisse und verbindliche Resultate müssen bei Abstimmungen nicht übereinstimmen. Die Abweichungen sind in der Regel nur minim, die automatischen Kontrollen aber auch unvollständig, wie eine Uebersicht im “Bund” zeigt.

Orlando, der Karikaturist des Berner “Bund”, kam beim Thema “Zählfehler” bei Volksabstimmungen mächtig in Fahrt. Den Berner Stadtpräsident Tschäppät sieht er die Endresultate handyphonieren, die sein Wahlbüro ermittelt hat. Doch da wird gewogen, versteckt, fotokopiert und gebündelt, was das Zeug hält. Was Sache sei, versucht nur ein treuer Beamter mit einer Differenzberechnungen zu eruieren.

topelement

Hintergrund des fantasiereichen Bildes ist die Nachzählung von Abstimmungsergebnissen, wie sie bei der Autosteuer-Entscheidung vom 13. Februar 2011 im Kanton Bern verlangt wurde. Beantragt wurde sie, weil bei der Stichfrage die Differenz zwischen Volksvorschlag und Grossratsvorlage ausgesprochen gering war.

Nun hat der Bund verdienstvollerweise eine Uebersicht erstellt, wie gross die Unterschiede zwischen der provisorischen und definitiven Auszählung sind. Eine Publikation zu solchen Vergleichen ist mir bis jetzt nicht bekannt gewesen.

Fazit: Im Einzelfall differieren die Ja- oder Nein-Stimmenanteile bis zu einem Prozentpunkt. Solche Abweichungen sind aber selten. Im Mittel ist mit 2 Promillen Unterschied zu rechnen.

Anders gesagt: Bei Ergebnissen von 50,2 zu 49,8 ist am sich Vorsicht angebracht. Das finale Ergebnis kann sehr wohl umgekehrt zum vorläufig amtlichen sein. Gering ist diese Wahrscheinlichkeit, wenn ein Resultat 49:51 lautet.

Damit bestätigt die Uebersicht, was man hinter vorgehaltener Hand auf Bundesebene sagt: Bis 1 Prozent Fehler ist theoretisch möglich, einige Promille kommen immer wieder vor.

Der Begriff “Zählfehler” muss aber differenziert werden, und zwar in Erfassungs- und Uebertragungsfehler. Die Bestimmung des definitiven Ergebnisses kontrolliert nur Uebertragungsfehler. Der häufigste dabei ist, dass die Ja- und Nein-Stimmen vertauscht werden. Das geschieht in der Kette der Resultateübertragung von A nach Z. Die verbindliche Resultateermittlung, wie sie der Kanton jetzt vorlegt, kontrolliert nur dieses Problem. Nicht überprüft werden Erfassungsfehler, also Ungenauigkeiten bei Zählen selber. Dem wird nur nach gegangen, wenn eine Beschwerde vorliegt und ihr stattgegeben wird. Dann beginnt das Auszählen in den Gemeinden von Neuem. Das ist recht selten, kam aber zum Beispiel 2002 bei der Asylinitiative der SVP vor. Bei solchen Kontrollen kommen meist mehr Fehler an die Oberfläche, ohne dass sie zwingend eine Konsequenz haben müssen.

Der Grund dafür ist recht einfach: Das Zählsystem bei Schweizer Volksabstimmung ist imperfekt, weshalb Ungenauigkeit auf mehreren Stufen nicht ausgeschlossen werden können. Doch entstehen sie nicht aufgrund eines übergeordneten Willens, sondern aus beschränkter Nachlässigkeit. Damit ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass sich die zufälligen Effekte neutralisieren, das heisst in beide Richtung vorkommen, und nur die Bilanz daraus erheblich ist.

Eine Anwort auf die Beschwerde der Jungen Grünen zur Stichfrage bei der Autosteuer ist das alles nicht. Denn erst wenn diese gut geheissen wird, beginnt die Nachzählung des “definitiven” Ergebnisses. Und nur so werden die Zählfehler in den Gemeinden aufgedeckt. Dabei kann gut sein, dass sich da einiges von Orlandos Fantasie bewahrheitet, doch eines übersieht er: die Fehler gehen in beide Richtungen, und schränken damit die Auswirkungen ein.

Claude Longchamp