Warum Micheline Calmy-Rey gegen die Minarett-Initiative ist.

Eigentlich war es eine Grundsatzrede zu Jean Calvin, welche die Wahlgenferin Micheline Calmy-Rey kürzlich an der Universität Zürich hielt. Im Schlussteil ihrer Ausführungen legte die Schweizer Aussenministerin jedoch eine Bekenntnis ab, warum sie die Minarett-Initiative ablehnt.

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Calmy-Rey, ausgebildete Politikwissenschafterin mit Schwerpunkt Internationale Beziehungen, hält Calvin für einen Wegbereiter der Moderne, der jedoch an der Schwelle der Neuesten Zeit halt gemacht habe. Sein Menschbild, wonach das Wesen in seinem Ganzen vom Willen des Schöpfers bestimmt werde, stelle in den zusammengewürfelten Gesellschaften der Gegenwart gar ein Problem dar.

Denn wir leben nicht mehr im kleinen Dorf mit der Kirche im Zentrum, sondern in einer Welt mit verschiedenste Kulturen, Sprachen und Zeichen, die sich darauf einstellen müssen, miteinander zu kommunizieren. Voraussetzung hierfür sei der Respekt der Menschenrechte und die Anerkennung der Nicht-Diskriminierung.

Die politische Analyse des Vorgangs führt die Bundesrätin zu folgender Deutung: Ein Teil der politischen Klasse in der Schweiz will den angestrebten Dialog nicht und nutze die Verunsicherung der Menschen, um daraus politischen Profit zu schlagen. Dabei werde unter dem Vorwand, die Schweiz schützen zu wollen, der Religionsfriede zerstört.

Diesem Ansinnen der InitiantInnen hält Calmy-Rey die Bundesverfassung gegenüber, welche die konfessionelle Neutralität des Staates vorschreibe, die wiederum Glaubensfreiheit und Nicht-Diskriminierung voraussetze. Wer sich aufspiele, die Absichten einer dieser Religionen alleine interpretieren zu können, um ihre Sonderbehandlung und schlechterstellung zu rechtfertigen, der stehe im flagranten Widerspruch zu den Werten eben dieser Verfassung.

Und zum Schluss: “Wie Calvin leben wir in einer Uebergangsperiode. Lassen Sie uns versuchen, die Herausforderungen mit weniger Dogmatismus und genauso viel Kühnheit anzunehmen.”

Claude Longchamp

Börsianer wetten auf ein Nein zur Minarett-Initiative.

“56 Prozent Nein, 44 Prozent Ja” lautet die gegenwärtige Wette der Börsianer zur Minarett-Initiative auf der Plattform “Wahlfieber”.

Nebst Umfragen zum Stand der Meinungsbildung haben sich Börsen als Instrumente der Abstimmungsforschung in der Schweiz etabliert. Wahlfieber, eine in Oesterreich betriebene Plattform mit schweizerischen Themen, gehört dazu.

Verlauf und aktueller Stand der Erwartungen an der Börse “Wahlfieber” zur Minarett-Abstimmung

Demnach rechneten die Börsianer zu jedem Zeitpunkt mit einem Nein zur “Minarett-Initiative“. Der aktuelle Wert der gegnerischen Aktie liegt bei rund 56, jeder der BefürworterInnen bei ungefähr 44. Das kann man auch als Prozentwerte der momentanen Prognose nehmen.

Wahlbörsen haben gegenüber Umfragen Nachteile: Sie erlauben es nicht, die Frage zu beantworten, wer warum so stimmen will. Denn sie geben keine Auskünfte über individuelle Entscheidungen. Sie eignen sich nur, um kollektive Entscheidungen vorweg nehmen zu können.

Ihr Vorteil ist es, der Logik zu folgen, die aus der “Weisheit der Vielen” entsteht. Namentlich Politökonomen halten das für die rationalste Form der Informationsverarbeitung. Einzelne, so ihre Kritik, bleiben in ihren Einschätzungen zum Ausgang einer Entscheidung immer unsicher und subjektiv, sodass nur ein Markt diese Annahmen systematisieren und damit objektivieren kann.

Der Verlauf der Einschätzung durch den Markt zur Minarett-Initiative zeigt die typischen Schwankungen, die aus dem Tagesgeschehen hergeleitet werden können. Börsen sind dann unbrauchbar, wenn sich zu wenige Händler beteiligen.

Genaueres weiss man am Abstimmungssonntag!

Claude Longchamp

Minarett-Initiative: Mehrheiten der gewählten und kandidierenden PolitikerInnen dagegen.

Gemäss smartvote sprachen sich 2007 71 Prozent der NationalratskandidatInnen für ein Minarett-Verbot aus, 29 dagegen. In der Schlussabstimmung unter den Gewählten NationalrätInnen lehnten 132 das Begehren ab, und es waren 51 dafür. Das entspricht einem Nein-Anteil von 72 Prozent.


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Zwischen den Parteien gab es in der KandidatInnen-Umfrage klare Gegensätze. 99 Prozent der SP-KandidatInnen und 97 Prozent der Grünen waren dagegen. Doch auch in der bürgerlichen Mitte überwog die Ablehnung. 83 Prozent der FDP-KandidatInnen und 82 Prozent jener der CVP gaben an, gegen die Vorlage zu sein; bei der EVP waren es 78 Prozent. Auf der rechten Seite des Parteienspektrums zeichnete sich dagegen eine deutliche Zustimmung zum Minarettverbot ab. Die SVP-Kandidaten stimmten der Initiative mit 89 Prozent zu. Mit 96 Prozent Zustimmung klar für die Minarett-Initiative waren auch die KandidatInnen der Mitinitiantin EDU. Von den übrigen Kleinparteien waren die BewerberInnen der Grünliberalen mehrheitlich dagegen, jene der SD und Lega mehrheitlich dafür.

Unter den weiblichen Kandidierenden lehnten 79 Prozent die Minarett-Initiative ab, während der Anteil bei den Männern geringere 69 Prozent betrug. Kandiderende im Rentenalter waren am deutlichsten dagegen, JungpolitikerInnen unter 35 Jahren am wenigsten deutlich auf der Nein-Seite. Die KandidatInnen aus der französischsprachigen Schweiz lehnten die Initiative mit 75 Prozent ab, jene aus der deutschsprachigen Schweiz zu 70 Prozent. In der italienischsprachigen Schweiz waren 67 Prozent gegen die Minarettverbots-Initiative.

Damit war unter den PolitikerInnen die Parteizugehörigkeit das entscheidende Mermal unter den PolitikerInnen. Das zeigte sich auch im Parlament, wo die Vorlage die Ratsrechte von der Mehrheit separierte: 51 NationalrätInnen waren dafür, 132 dagegen. Das entspricht einem Nein-Anteil von 72 Prozent. Im Ständerat war es übrigens nicht anders: 39 KantonsvertreterInnen votierten gegen ein Minarett-Verbot, 3 dafür. Das entpricht eine Ablehnung von 93 Prozent.

Claude Longchamp

EVP möchte “christliche Leitkultur” am liebsten in der Bundesverfassung verankern

Nach der KVP kommt nun auch die EVP unter Druck ihrer Mitglieder, weil sie die Minarett-Initiative ablehnt. Zur Beruhigung der inneren Spannung erwägt sie, einen Vorstoss zugunsten einer christlichen Leitkultur in der Schweizer Bundesverfassung zu unternehmen.

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Znbeirrt mittendrin, so sieht sich die EVP in der heutigen Gesellschaft; zwischenzeitlich rumort es wegen der Nein-Parole zur Minarett-Initiative, mittendrin in der eigenen Partei.

Die EVP, eine Kleinpartei in der Zentrumsfraktion, lanciert eine Diskussion für einen neuen Religionsartikel in der Bundesverfassung. Erwogen wird ein parlamentarisches Vorgehen oder eine Volksinitiative zu starten.

Der EVP geht es darum, das Christentum als Leitkultur im Zusammenleben der Religionsgemeinschaften zu festigen. Erwogen wird auch eine staatliche Qualitätskontrolle bei der Ausbildung der Imame. Diskutiert würden obligatorischen Sprach- und Staatskundekurse an einer schweizerischen Universität. Begründet wird es, dass man eine Barriere gegen die Scharia aufbauen müsse.

Dass religiös fundierte Parteien wie die EVP die christliche Tradition als Leitkultur verankern möchten, überrascht nicht. Vorstösse hierzu hatten bisher wenig Erfolg, da der Laizismus gut verankert, der konfessionelle Pluralismus breit akzeptiert und die Mitgliederzahlen in de reformierten wie der katholischen Kirche rückläufig sind.

Mit der Ausbildung der Imame nimmt die EVP etwas hastig auch eine aktuelle Diskussion in ihren Forderungskatalog auf, wie die nur vage formulierten Vorschläge zeigen. Joel Blunier, Generalsekretär bestätigt denn auch gegenüber der Sonntagspresse, dass die Parteileitung wegen (angedrohten) Austritten in Folge der Nein-Parole zur Minarett-Initiative unter Druck geraten sei. Es wird also noch dauern, bis über ein spruchreifes Vorhaben entschieden wird.

Claude Longchamp

Warum Julia Onken für die Minarett-Initiative ist.

Für Muslime sind Minarette Wegweiser. Für das Egerkinger-Komitee sind sie politische Machtsymbole. Und für die Psychologin Julia Onken stehen sie, dem Phallus gleich, schlicht und einfach für das Patriachat.

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Julia Onken, feministische Psychologin, stellt sich mit den Initianten gegen Minarette.

«Es ist beängstigend, dass kritische Frauen in diesem Lande nicht bereit sind, sich ernsthaft mit diesem Thema auseinanderzusetzen.» Der Koran schreibe frauenfeindliche und frauenverachtende Regeln vor und lasse Muslime auch so handeln: «Moscheen sind Männerhäuser. Minarette sind männliche Machtsymbole.»

Julia Onken, Thurgauer Psychotherapeutin mit hoher Medienressonanz, Vorkämpferin für die Gleichstellung der Frauen, verschickte diese Botschaft 4000 Empfängerinnen. Damit wehrt sie sich gegen falsch verstandene Toleranz, denn es könne politisch bewussten Frauen nicht gleichgültig sein, was mit Frauen und Mädchen aus anderen Kulturen geschehe, die in der Schweiz lebten.

Onken zeigte sich überzeugt, damit einen nötigen Tabubruch unter Feministinnen zu begehen. Kritisch reagieren in der heutigen Tagespresse muslimische Frauen und linke PolitikerInnen. «Wer Verbote sät, wird Extremismus ernten», kontert Briefempfängerin Jacqueline Fehr, SP-Nationalrätin ihre sonstige Weggefährtin.

Claude Longchamp

“Islamophobie” ist keine taugliche politische Kennzeichnung.

Sie hoffe, die “Islamophobie” werde nach der Abstimmung vom 29. November 2009 wieder abnehmen, sagte Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf heute vor der internationalen Presse. Ich hoffe das auch und, dass die Bundesrätin das Wort “Islamophobie” nicht mehr gebraucht.

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Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf heute in Genf an der Medienkonferenz

Phobien in Medizin und Politik
In der Medizin macht der psychologische Begriff der Phobie Sinn. Er beschreibt krankhafte Zustände von Menschen, die Angst haben, auch wenn sie nicht bedroht sind.

Die Kombination von Kulturen und Phobien ist problematisch. Denn sie besagt, dass man als Träger einer Kultur zu Unrecht Angst hat.

Noch problematischer ist die Psychologisierung des politischen Widersachers. Das gehört eher zu den Untugenden autoritärer Ideologen.

Ich schlage vor, auf den Begriff der “Islamophobie” ganz zu verzichten. Genauso wie man “Xenophobie” kaum mehr zitiert, um Fremdenfeindlichkeit zu bezeichnen, und die “Homophobie” sich als Kennzeichnung von Menschenfeindlichkeit gar nicht erst durchsetzen konnte. Selbst im englischen Sprachraum, von wo der Begriff kommt, ist er zwischenzeitlich umstritten.

Islamfeindlichkeit ist angemessene Kennzeichnung

Wenn ich für Sorgfalt im Umgang mit Benennungen plädiere, heisst das nicht, dass ich das Bezeichnete damit ausschliesse. Nein, ich möchte dieses umso genauer bezeichnen.

Ich bin der Meinung, dass der Begriff der Islamfeindlichkeit in politischen Analysen nötig ist, aber genügt, um das festzuhalten, worüber man sich Gedanken machen muss.

Denn es gibt ohne Zweifel islamfeindliche Ideologien, Werthaltungen und Einstellungen. Sie finden sich in religiös-konservativen Kreisen, welche die Reinheit des Glaubens predigen. Es gibt sie unter fremdenfeindlich eingestellten Exponenten, die in ihrem Hass auf das Andere nicht unterscheiden, denn ihr Geschäft ist es, Gruppen zu erniedrigen, um ihre Angehörigen diskriminieren zu können. Und das alles gibt es zwischenzeitlich reichlich undifferenziert in Massenmeiden und im Internet. Das alles ist nicht ohne, wenn es aggressives Verhalten gegenüber Musliminen in Wort und Tat rechtfertigt.

Meinungsbildung der BürgerInnen nicht diskreditieren
Die Annahme, dass Menschen, die sich an politischen Meinungsbildungsprozessen beteiligen, phobisch reagierten, sollte man indessen generell unterlassen. Denn sie machen sich ihre Meinungen auch aufgrund ihrer Erfahrungen im Alltag. Und diese müssen als solche immer Ernst genommen werden. Sonst machen demokratische Entscheidungen keinen Sinn mehr.

So hoffe ich, dass unsere Justizministerin wachsam bleibt gegenüber unbegründet feindseligen Ablehnung der Minderheiten von Muslimen in der Schweiz. Und dass sie im öffentlichen Diskurs auf untaugliche Etiketten wie “Islamophobie” inskünftig verzichtet. Es reicht, wenn sie eine Höhepunkt der Islamfeindlichkeit feststellt.

Claude Longchamp

Burka-Verbot diskutieren.

Sie hoffe, die Islamophobie verschwinde nach der Abstimmung wieder, sagte Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. Darin stimme ich ihr zu, auch wenn ich es nie so nennen würde.

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Teile der Initianten der Minarett-Initiative provozierten diese Woche mit dem mutierten Bundesratsbild, das die weiblichen Mitglieder der Bundesregierung in der Burka zeigt heftig. Der Bundesrat stellte sich gegen das Bild, nimmt jetzt aber das Thema im Vorfeld der MInarett-Abstimmung auf.

2007 war es CVP-Präsident Christophe Darbelley, der das Thema mit einer Interpellation aufgriff. Der Bundesrat, vertreten durch Justizminister Christoph Blocher erteilte ihm eine Absage. Blochers Nachfolgerin als Justizministerin, Eveline Widmer-Schlumpf, meinte gestern im Interview mit dem “Tele D”, sie könne sich vorstellen, «dass man sagen würde, in der Schweiz wollen wir das nicht». Die Burka «passt nicht zu unserer offenen und gleichberechtigten Kultur». Für sie als Frau biete das Kleidungsstück einen «diskriminierenden Anblick». Christophe Darbellay reagierte promt: «Die Dinge kommen in Bewegung», stellt er gestern noch fest. Er werde nun prüfen, erneut einen parlamentarischen Vorstoss für ein Burka-Verbot einzureichen.

Eine Repräsentativ-Befragung von Isopublic, die der Tages-Anzeiger zu Beginn des Abstimmungskampfes veröffentlichte, zeigte, dass 68 Prozent der Stimmberechtigten ein solches Verbot begrüssen würden., 29 Prozent halten es in der Schweiz für unnötig. Anders als es die Initiantinnen des Anti-Minarett-Initiative empfehlen, wollen sie aber nur rund zur Hälfte am 29. November für das Volksbegehren stimmen.

Nun nimmt Widmer-Schlumpf die Stimmung bei der anderen Hälfte auf: Lebensweisen, die bei uns mehrheitlich als diskriminerend empfunden werden, sollten nicht zugelassen sein, Diskriminierung von religiösen Minderheiten aber ebenso untersagt bleiben. Die Integration fördern, die zu integrierende Bevölkerung aber auch fordern ist das Motto, das beispielsweise auch Nicolas Sarkozy in Frankreich propagiert.

Georg Kreis, Präsident der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, ärgert sich über die Debatte: «Da wird versucht, einen Generalverdacht gegenüber den Muslimen an einer faktisch in der Schweiz nicht existierenden Extremvariante festzumachen. Diese Diskussion ist das grössere Problem als die Burka selber.» Brigitte Hauser-Süess, die Sprecherin von Bundesrätin Widmer-Schlumpf präzisiert die Position ihrer Chefin heute. Wenn die Burka in der Schweiz gehäuft vorkommen sollte, werde man am Verbot arbeiten.

Claude Longchamp

Warum Muslime gegen die Minarett-Initiative sind.

Im Abstimmungskampf über die Minarett-Initiative äussern sich die betroffenen Muslime nur selten. Und das mit Absicht.

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Es versteht sich von selbst, dass die Muslime in der Schweiz es nicht befürworten, dass der Bau von Minaretten per Verfassung in der Schweiz verboten wird, halten verschiedene muslimische Organisation in einem Argumentarium gemeinsam fest.

Da sie darauf vertrauen, dass die Schweizer StimmbürgerInnen keine religionsspezifischen, diskriminierenden Sonderregelungen für Muslime erlassen werden, hält es der in der Schweiz lebende persische Soziologe Farhad Afshar für richtig, dass auf eine Kampagne gegen diese Initiative von Seiten der Muslime verzichtet wird.

An diese Abmachung halten sich verschiedene muslimische Orgnisationen wie die Gesellschaft Schweiz – Islamische Welt und die Koordination Islamischer Organisationen Schweiz, wie sie auf der Plattform www.islam.ch mitteilen.

Sie halten fest, die Muslime in der Schweiz würden fest hinter der Schweizer Verfassung und ihren Gesetzen stehen. Natürlich würden sich das Baugesetz beachten.

Auf die Provokation der konservativ-religiösen Kreise hinter der Initiative treten man nicht spezifisch ein. Denn zur Debatte stehe die Religionsfreiheit an sich und deshalb seien alle Religionsgemeinschaften gleichermassen angesprochen.

Claude Longchamp

Muslime in der Schweiz: wahrscheinlich nur 10 bis 15 Prozent regelmässig in Moschee.

Lebten 1970 rund 16300 Muslime in der Schweiz, hat sich die Zahl inzwischen auf rund 400’000 erhöht. Für sie gibt es 180 Gebetslokale, die von 10 bis 15 Prozent der Muslime in der Schweiz regelmässig besucht werden.

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In den 80er- und vor allem 90er-Jahren begann die heutige Migrationsphase von Menschen muslimischen Glaubens. Damit begann auch das Bedürfnis der Muslime, sich hier in Vereinen zu organisieren und ihre Religion in entsprechenden Räumen zu praktizieren. Dies waren am Anfang vor allem Gewerbe- oder Industriegebäude, in den letzten Jahren sind 180 Gebetslokale dazugekommen. Vier Moscheen haben ein Minarett.

Die muslimischen Gemeinden in der Schweiz sind sehr heterogen. “Den” Muslim als solchen gibt es nicht: 56 Prozent stammen aus dem ehemaligen Jugoslawien (Kosovo-Albaner und Bosnier), 20 Prozent stammen aus der Türkei, und 15 Prozent sind aus Schwarzafrika. In ihren Vereinen sind die Muslime meist nach Nationalitäten organisiert. In der deutschsprachigen Schweiz gilt das insbesondere für die bosnischen und albanischen Muslime.

Das Religionswissenschaftliche Seminar der Uni Luzern geht davon aus, dass lediglich 10 bis 15 Prozent regelmässig eine Moschee besuchen. Der Rest ist unterschiedlich stark laizistsich geprägt.

Claude Longchamp

Lehren aus kantonalen Abstimmungen für die Minarett-Initiative.

In der NZZ vom Samstag veröffentlichte Adrian Vatter einen Artikel zur Analyse kantonaler Abstimmungen über Minderheitsrechte, die Schlüsse für die Volksabstimmung über die Minarett-Initiative zulässt. Hier eine Kurzfassung der Hypothese aus dem laufenden NF-Projekt.

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Was überwiegt: Die “kulturelle Distanz zu bedrohlichen Muslimen” (Vordergrund) oder “Schutz vor Rechtsabbau, der den Religionsfrieden stört” (Hintergrund)?

Adrian Vatter, seit wenigen Wochen Professor für Politikwissenschaft und Inhaber des Lehrstuhls für Schweizer Politik an der Universtität Bern, untersucht in einem Nationalfonds-Projekt die Volksabstimmungen der Gegenwart, die sich mit Gleichstellung von religiösen Minderheiten beschäftigen. Da das auf eidgenössischer Ebene kaum mehr ein Thema war, konzentriert er sich auf die kantonalen Volksentscheidungen. 15 hat er im letzten halben Jahrhundert identifiziert.

12 davon wurde angenommen. Sie betreffen alle die Gleichstellung christlicher oder jüdischer Glaubensgemeinschaften. Abgelehnt wurden aber die drei Vorlagen, die entweder die AusländerInnen mit den SchweizerInnen im Kirchenrecht eines Kantons gleichstellen oder aber explizit die Stellung der muslimische Minderheit in den Kantonen Zürich oder Bern verbessern wollten.

Aus der Analyse der kantonalen Abstimmungsergebnisse zur 200 Vorlagen, die Minderheiten jedweder Art beinhalteten, leitet Vatter zwei Folgerungen ab, die auch auf Entscheidungen mit religiösem Inhalt angewendet werden können: Vorlagen scheitern, wenn “erstens ein Ausbau von Minderheitsrechten angestrebt wird, und zweitens dieser Ausbau gemäss der öffentlichen Meinungschlecht integrierte Gruppen betrifft.”

Was folgt daraus für die Volksabstimmung über die Minarett-Initiative? Vatter lässt das Verdikt gelten, Muslime seinen in der Schweiz eine kulturelle Fremdgruppe. Doch gehe es nicht um einen Ausbau von Rechten für sie, vielmehr um einen Abbau bisheriger Rechtsstandards.

Das Ausgang der Abstimmung hängt seiner Meinung nach stark davon ab, was mehr gewichtet wird: die mangelnde Integration oder die Verringerung von Rechten der Minderheit. Die VOX-Analyse, die erstmals unter der Leitung des neuen Berner Professors entsteht, wird Anhaltspunkte geben, ob hier eine neue und hinreichende Hypothese vorliegt, die uns hilft, den Umgang der Stimmenden mit Minderheiten zu erklären – und inskünftig auch vorherzusehen.

Claude Longchamp