Strategische Führung und unser Bundesrat

Bundespräsidentin Doris Leuthard sprach sich gestern im Nationalrat für eine Verbesserung der strategischen Führung durch den Bundesrat aus. Zu recht, wie ich meine!

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Gestern im Nationalrat, während den Ausführungen von Bundespräsidentin Leuthard

Strategische Führung ist in aller Leute Mund. Unternehmen werden nach den Leitsätzen der zielorientierten Planung, Steuerung und Kontrolle aufgebaut. Staatliche Dienstleistungen bekommen einen Leistungsauftrag und müssen diesen unter Verbesserung von Effektivität und Effizienz einhalten. Ja, selbst Gemeinden und Kantone unterwerfen sich den Gepflogenheiten, die aus der Privatwirtschaft kommen, aber auch in der Staatswirtschaft Vorteile versprechen.

Nur wenn es um den Bundesrat geht, scheint das alles nicht zu gelten!

Von realitätsfremden, ja surrealen Reformvorstellungen ist da die Rede, für die die Zeit nicht reif sei oder eine veränderte personelle Konstellation von alleine Abhilfe schaffe.

Nun gehöre ich bei Weitem nicht zu jenen, die den Bundesrat nur an seiner Führungsarbeit und Strategiefähigkeit beurteilen. Mir ist klar, dass gerade die Regierung einem Bundesstaatsgefüge, in einer plurikulturellen Gesellschaft und in einer Parteienlandschaft ohne Mehrheitspartei zunächst integrative Aufgaben hat. Sie muss Parteien verschiedener Farben, Kantone und Städte mit divergierenden Interessen und Gesellschaftsteile, die sich auf unterschiedlichste Werte beziehen, zusammenhalten.

Doch muss die Bundesregierung nicht nur das!

Zu den Aufgaben des Bundesrates gehört es auch, sich in einem rasch wandelnden internationalen Umfeld durchzusetzen, richtige Entscheidungen zu treffen, wenn Rezession oder Inflationen drohen, und er muss sich auch in der globalen Medienwelt mit ihren Themen, Emotionen und Anklagen behaupten können. Gerade dafür braucht es die Verbesserung der strategischen Führung in der Schweizer Bundesregierung.

Innere Verbundenheit, kurze Entscheidungswege und gemeinsame Zielvorstellungen gehören genauso dazu, wie individuelle Kompetenz, generelle Erfahrung und professionelles Fachwissen. Das sei all jenen gesagt, die gerade nach der Veröffentlichung des GPK-Berichtes ein mentales Bollwerk gegen jedwede Reform der Bundesregierung aufbauen, um partikuläre Absichten zu schützen.

Selbst der Bundesrat ist williger als manche Kommentatoren. Gestern betonte Bundespräsidentin Doris Leuthard, die angestrebte Regierungsform beschleunigen zu wollen. Man werde noch vor dem Sommer einen Bericht hierzu vorlegen. Und Themen wie die Energie- oder Europapolitik sollen an Retraiten von den 7 BundesrätInnen vertieft behandelt werden. Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf, in diesem Dossier federführend, versprach eine Stärkung der Bundeskanzlei und eine bessere Koordination der Kommunikation.

Das halte ich mal fest: Die Analyse schreitet voran, und auch die Massnahmen entwickeln sich. Das ist im Ansatz lobenswert, denn der Weg wird in Angriff genommen. Nun braucht es noch eine klarere Zieldefinition und eine gute Landkarte, wie man dorthin kommt. Denn eines ist sicher: Die nächste Krise kommt bestimmt und spätestens dann gilt die schon ältere Erfahrung zum politischen System der Schweiz: gute Leistungsbilanz bei schönen Wetter, Ueberforderung bei schlechtem. Das zu ändern ist genau einer der Aufgaben von strategischer Führung.

Die Regierungsreform tut not!

Die Vorbereitung auf die gestrige Arena-Sendung machte mir deutlich wie noch nie, dass eine Regierungsreform gerade für das Krisenmanagement dringend ist. Hier die Idee.

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Ein Statement zur Lage des Bundesrates in der gestrigen Arena als visuelle Aufzeichnung, den ganzen Gedankengang hierzu als schriftliche Notiz in diesem Blog. Denn es geht nicht um die Zahl der Ueberforderten, sondern um die Ueberforderung der Institution.

Die Situation im Rückblick
Seit ich den Schweizerischen Bundesrat professionell beobachte, ist die Einheitlichkeit, mit der das Gremium politisiert, zurückgangen. In den letzten 20 Jahren haben die Mitglieder des Bundesregierung an Bedeutung gewonnen. Das hat zunächst mit der Medialisierung der Politik, insbesondere auch der Regierungspolitik zu tun. Anfänglich waren es auftrittsgewandte Aussenseiter im Gremium, welche diese Möglichkeit nutzten; heute bedienen sich letztlich alle dieses Mittels. Verstärkt haben sie ihre Stäbe, in kommunikativer Hinsicht, aber auch in sachpolitischer, stärker sind die Kanäle zu den Parteien geworden, die ihnen nahestehen, und bisweilen ist auch die Beziehungspflege mit dem Ausland direkt ausgebaut worden. Das alles hat die Handlungsfähigkeit der einzelnen Mitgliedern erhöht; es ist deshalb nicht einfach negativ zu beurteilen, und es soll nicht einfach rückgängig gemacht werden!

Gelitten hat aber der Bundesrat als Team. Das gilt ganz generell; in Krisenfällen zeigt es sich ganz speziell, wie der GKP-Bericht diese Woche drastisch festhielt. Namentlich mangelt es an der Fähigkeit, schnell, entschieden, gerichtet und korrekt Stellung zu nehmen. Es regiert, wie ich es gestern nannte, die Ueberraschungskommunikation der Departementschefs, die Versuchsraketen in alle Richtung in die Luft lassen. Der rotierende Bundespräsident verkommt zur Pose, im Aus- und Inland, denn er macht in der gelebten Vielfalt keinen Sinn mehr.

Das Grundprinzip in Theorie und Praxis
Eigentlich wäre der Bundesrat in der Schweiz eines der wenige Beispiele, das auf dem Prinzip der kollektiven Führung aufbaut. In einem Land mit zahlreichen und verschiedenen Kulturen ist das eine der Integrationsinstanzen. Deshalb legt man aus dieser Sicht zurecht viel wert auf die Repräsentation der Sprachregionen, der Geschlechter und der Parteien im Bundesrat. Doch wirkt das alles nicht mehr ganz so adäquat, wenn sich das Rollenverständnis nicht nur einzelner Mitglieder, sondern zunehmen aller weg von diesem Prinzip entwickelt.

Der Bundesrat musste immer geführt werden; meist waren es Vertreter der FDP, die das taten; seltner BundesrätInnen anderer Parteien. Gegenwärtig ist die FDP weder als Partei noch mit ihren Mitgliedern in der Lage das zu machen. Bundesrat Burkhalter kann man diesbezüglich noch nicht beurteilen, Bundesrat Merz ist sichtbar überfordert, und bei alt-Bundesrat Couchepion macht eine Bewertung keinen Sinn mehr.

Der sanfte Umbau
Mein neuer Bundesrat braucht mehr institutionelle Führung, und er hat mehr Kohärenz nötig. Er sollte, erstens, nicht mehr, sondern weniger Parteien umfassen. Drei sind angesichts der heutigen Parteien unumgänglich, um auf 50 Prozent in beiden Kammern zu kommen, vier wohl besser, wenn man keinen Fraktionszwang einführen will. 5 wie heute, oder gar sechs, wie auch schon erwogen wurde, machen da keinen Sinn. Vielmehr würde eine Reduktion die Erwartungen an die Regierung bündeln.

Zweitens sollte die Bundesräte nicht mehr einzeln gewählt werden, sondern für vier Jahre auf einer Liste, welche die Parteien, die willens sind, an den Schwerpunkten der Legislatur zu arbeiten, gemeinsam. Denkbar wäre auch verschiedene Listen, mit unterschiedlichen Personen- und Parteikonstellationen. Gewählte Personen sollten für nicht mehr als 8 Jahre im Bundesrat sein.

Drittens, geführt werden sollte das Gremium durch einen Bundespräsidenten/eine Bundespräsidentin, der oder die eine ausgebauten Bundeskanzlei vorsteht. Gleichzeitig ein Departement zu führen macht angesichts der Aufgabe, die man eigenltich hätte keinen Sinn; gleichzeitig auch Aussenminister sein zu wollen, ist ebenso unsinnig. Die Legislaturplanung, die Sitzungvorbereitung, das Protokoll und die Kommunikation wären direkt beim Präsidium angesiedelt. BundespräsidentInnen sollten das Amt in ihrer zweiten Amtsperiode ausüben, vorher DepartementsvorsteherIn gewesen sein. Das macht sie mit den Geschäften vertraut, und das gibt ihnen auch die Chance, sich als Fachminister mit Bodennähe in der Bevölkerung zu profilieren.

Viertens, die Zahl der Bundesräte müsste generell erhöht werden, sicher auf neun, nach oben jedoch ohne feste Limite. Staatssekretäre, die nur dem Departementschef verpflichtet wären, würde es dafür nicht mehr geben. Gewählt würde der Bundesrat wie bisher durch die Vereinigte Bundesversammlung, aber in corpore, nicht als Einzelmitglieder.

Meine Würdigung

Die Vorteile sehe ich darin, dass die verbindenden Elemente institutionell gefördert würde. Die Führung würde erhöhte, und damit wohl auch die Koordination. Die Kohärenz der Aktion, gerade in schwierigen Zeiten könnte verbessert werden. Vielleicht würde so das Konkordanzprinzip wieder gestärkt, vielleicht auch in Richtung Konkurrenzprinzip ausgebaut. Das ist zwar nicht mein primäres Ziel, angesichts der disparaten Entwicklungen gerade im Parlament braucht es meiner Meinung nach auf Regierungsebene aber eine Sammlung der regierungswilligen und -fähigen Kräfte.

Wie sich Politologe Hanspeter Kriesi die Regierungsreform vorstellt

Regierungsreformen haben (wieder) Konjunktur. Auch Verein Zivilgesellschaft Schweiz hat sich damit auseinander gesetzt. Hier die Thesen, die der renomierte Zürcher Politikwissenschafter Hanspeter Kriesi dem eher rechtsbürgerlichen und einflussreichen Diskussionsclub zur Behandlung vorgeschlagen hat.

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Hanspeter Kriesi ist Leiter des Forschungsprogramms NCCR Democracy

Das Schweizer Regierungssystem hat drei Hauptprobleme:

Erstens leidet es an einer Führungsschwäche des Bundesrates. Dies manifestiert sich darin, dass der Bundesrat nicht regiert, sondern hauptsächlich verwaltet und eher ein neutraler Schiedsrichter als ein starkes Führungsgremium darstellt. Dieses Problem hat seine Ursache in der Konzeption des Bundesrates als „Parlaments-Ausschuss-Regierung“ und der jährlich rotierenden und schwachen Ratspräsidentschaft. Besonders in Krisensituationen zeigt sich diese Führungsschwäche.

Zweitens fehlt dem Bundesrat die Kohärenz. Das Kollegialprinzip funktioniert immer weniger. Die Mitglieder des Bundesrates äussern sich unterschiedlich gegenüber der Öffentlichkeit und machen den fehlenden Konsens damit sichtbar. Diese Problematik rührt daher, dass unsere Konkordanzregierung nichts anderes als eine permanente grosse Koalition darstellt. Durch immer lauter werdende Rufe nach Transparenz und Verantwortlichkeit sowie der medienzentrierten Kommunikation wird diese Problematik noch verschärft.

Drittens stösst der Bundesrat an seine Kapazitätsgrenzen. Durch die immer komplexer werdenden Geschäfte und die wachsenden Departemente sowie der hohen Präsenzzeit in parlamentarischen Kommissionen und Sitzungen werden die Bundesratsmitglieder zeitlich überfordert.

Als Lösung dieser Probleme wird oft die Volkswahl des Bundesrats vorgeschlagen. Dies ist aber nur „une fausse bonne idée“, weil diese das Kapazitätsproblem nicht löst und das Kohärenz- und Koordinationsproblem durch die Mediatisierung der Politik sogar noch verschärft. Alternativen zur Volkswahl sind die „politische Weichenstellung“ und der „sanfte Umbau“.

Die “politische Weichenstellung” beinhaltet die Bildung von kohärenten Regierungskoalitionen mit Koalitionsvertrag aufgrund einer Listenwahl im Parlament. Dadurch können Verfassungsänderungen vermieden und die Voraussetzungen des Kollegialsystems erhalten werden. Eine solche Änderung leistet einen Beitrag zur Lösung der Führungsschwäche, trägt aber nicht zur Verringerung des Kapazitätsproblems bei.

Ein “sanfter Umbau” beinhaltet eine Verstärkung der Regierungsspitze mittels Erhöhung der Amtsdauer des Bundespräsidenten auf vier Jahre. Auch wird der Bundesrat je nach Notwendigkeit und gewählter Struktur auf 9, 11, 13 oder 15 Mitglieder erweitert. Damit werden die Probleme der Führungsschwäche und der Kapazitätsgrenze gemindert oder gelöst, jedoch nicht unbedingt das Kohärenzproblem. Ausserdem ist dafür eine Verfassungsänderung notwendig.

Als optimale Lösung wird nicht eine dieser Alternativen, sondern eine Mischform aus beiden vorgeschlagen. Damit können alle drei Hauptprobleme des heutigen Regierungssystems gelöst werden.

Wie sich der Bundesrat die Regierungsreform vorstellt.

Nun hat der Bundesrat entschieden, wie er die Regierungsform am liebsten hätte. Er konzentriert sich ganz auf Massnahmen zur Verbesserung der eigenen Arbeitsweise.

Tagesschau vom 25.03.2010
Den Bundesrat modernisieren: Für die Bundesregierung heisst dies nicht, die Zahl seiner Mitglieder zu verändern.

Auf Vorschlag von EJPD-Chefin Eveline Widmer-Schlumpf befürwortet der Bundesrat ein zweijähriges Bundespräsidium ohne Wiederwahlmöglichkeit, das aus der Mitte des Bundesrats bestimmt wird. Er ist für 8 bis 10 Staatssekretariate, die in den Gebieten, wo starker Entwicklungsbedarf vorhanden ist, eingesetzt werden sollen. Und er will mehr Retraiten ausserhalb der ordentlichen Sitzungen machen, um mehr über Grundsatzfragen diskutieren zu können.

Mit dem skizzierten Vorhaben widerspricht der Bundesrat auch einer Reihe von Vorschlägen, die in jüngster Zeit entwickelt worden sind. Am stärkstenist die Ueberstimmung mit dem Modell, das die FDP propagiert und das von CVP und BDP grosso modo Anders als dieses soll aber das Bundespräsidium nicht mit dem Aussendepartement verbunden werden. Grösser ist die Divergenz mit dem Vorschlag der Grünen, sekundiert von der SP, denn nicht die Zahl der BundesrätInnen und Departemente soll erweitert werden, sondern mit den StaatssekretärInnen die zweite Regierungsebene gestärkt werden. Ganz anders als die SVP will die Bundesregierung am Wahlmechanismus für den Bundesrat nichts ändern.

Bald wird sich das Parlament zur Vorhaben des Bundesrat äussern können. Dabei ist mit weiteren Vorschlägen zur Regierungsreform zu rechnen. Solange sie auf der Basis der gültigen Bundesverfassung bleiben, kommt es nicht automatisch zu einer Volksabstimmung. Und selbst wenn die SVP-Initiative zustande kommen und von Volk und Ständen angenommen werden sollte, kann die Regierungsreform in Kraft treten. Denn anders als das Volksbegehren behandelt sich ausschliesslich die Arbeitsweise der Schweizer Regierung.

Wie sich die FDP den Bundesrat der Zukunft vorstellt.

Nun bringt auch die FDP Schwung in die Reformdiskussion des Bundesrates: mit einem adaptierten Modell für das Bundespräsidium und mit Namen für die Nachfolge von Bundesrat Merz.


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Den Bundesrat modernisieren heisst für die FDP das Bundespräsidium zu stärken.

Nachdem Hans-Rudolf Merz (FDP) letztes Jahr als Bundespräsident ein glücklos war, meldete sich die FDP diese Woche gleich doppelt zur Diskussion über den Bundesrat der Zukunft zu Wort. Zuerst präsentierte die Partei ihre Vorstellungen der Regierungsreform. Kernstück ist die Aufwertung des Bundespräsidiums. Konkret soll dieses Amts nicht mehr für ein Jahr besetzt werden, sondern für 2, mit der Möglichkeit einer einmaligen Wiederwahl. Nominiert werden soll der Bundespräsident nicht mehr aufgrund der Ancienität, sodass alle einmal an der Reihe sind, sondern durch die Parteien, welche den Bundesrat bilden. Neu wäre auch, dass der/die InhaberIn des Amtes ein Weisungsrecht erhielte, wenn auch nicht in inhaltlicher Hinsicht, so doch bei den Terminplänen.

Der Vorschlag der FDP findet am ehesten in den Reihen der CVP Gefallen. Doch stösst man sich hier an der Vorstellung, das Präsidium mit dem Aussendepartement zu verknüpfen. Vielmehr befürwortet man bei der CVP ein eigentliches Präsidialdepartement. Das Argument, der/die BundespräsidentIn könnte so das Networking auf internationaler Ebene absichern, lässt man auch in der SP nicht gelten, sieht man doch einen Handlungsbedarf in der innenpolitischen Vermittlung von Entscheidungen. Zudem verlangt die SP eine parteipolitische Rotation des Präsidiums, um es allseitig abzustützen.

Die FDP hofft, mit ihrem Vorschlag die Führung der Exekutive zu verbessern. Die Reaktionen zeigen, dass eine Aenderung am Räderwerk des Regierungssystems der Schweiz nicht ohne Folgen für andere Diskussionen ist, von denen es derzeit gleich mehrere gibt. So schiebt die SVP mit der Volkswahl des Bundesrates einen ganze anderen Meccano für die Bestimmung des Bundesrates vor, und für die Grünen geht es bei der Regierungsreform auch um die Erhöhung der Zahl BundesrätInnen und Departemente.

Die kontroverse Regierungsreform ist vielleicht auch der Grund, dass die FDP keine Woche nach der Präsentation des Modells erstmals auch antönt, Hans-Rudolf Merz als Bundesrat zurückzuziehen. Die Partei könnte so vielleicht mit zwei neuen Kräften in den Wahlkampf ziehen, und SP und SVP könnten sich mit der Zustimmung hierzu je zwei Sitze sichern. Geprellt würden dadurch die CVP, die BDP und die Grünen.

Favoritin für die Nachfolge von Merz ist gemäss Presse gegenwärtig die St. Galler Regierungsrätin Karin Keller-Sutter. Im Gespräch sind aber auch die Berner NationalrätInnen Johann Schneider-Ammann und Christa Markwalder, der Zürcher Volksvertreter Ruedi Noser sowie die FDP-Fraktionspräsidentin Gabi Huber.

Wie sich die Grünen den Bundesrat der Zukunft vorstellen

“Der Bundesrat ist den Herausforderungen in Krisenzeiten nicht mehr gewachsen. Doch die Volkswahl des Gremiums, welche die SVP vorschlägt, würde die Probleme noch verschlimmern. Die Grüne Fraktion lanciert darum einen Gegenvorschlag für eine umfassende Bundesratsreform.”

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So tönt es seit dieser Woche auf den grünen Websiten und bei den grünen Tenören. Verlangt wird nicht nur eine Aenderung des Wahlsystems; es geht auch um neues Modell für die Arbeit des Bundesrates.

Die Zahl der Departemente soll von heute sieben neu auf neun erweitert werden. Vor allem das UVEK und das EDI erscheinen den Grünen zu gross. Sie könnten in je zwei Einheiten aufgeteilt werden. Damit würde sich die Zahl der BundesrätInnen auf neun erhöhen. Das liesse etwas mehr Spielraum für die Besetzung des Bundesrates mit fähigen Leuten aus mittelgrossen Parteien.

Neu würde nach Grünen Vorstellungen das 9er Gremium von einem auf vier Jahre gewählten Bundespräsidenten oder einer Bundespräsidentin geführt. Zu einem Ministerpräsidium soll das neue Amt jedoch nicht aufgewertet werden, denn es soll verträglich mit dem Kollegialsystem bleiben.

Den gegenwärtigen Wahlmechanismus möchten die Grünen wie folgt ändern: Parteien, die Probleme gemeinsam lösen wollen, unterbreiten zu Beginn der Legislatur ein gemeinsames Programm und eine damit abgestimmte Equipe, die als Bundesrat amten soll.

Im Prinizip sind die Bundesräte auf vier Jahre gewählt. Nur höherer Einfluss wie gesundheitliche Probleme eines Mitgliedes sollen zu Bundesratswahlen zwischendurch führen. Eine Widerwahl eines Mitgliedes soll maximal 2 Mal möglich sein; damit ergäbe sich eine Amtszeitbeschränkung von 12 Jahren. Eigentliche Amtsenthebungsverfahren müssten zwei Drittel der Stimmen in der Bundesversammlung zusammenbringen.

Der Vorschlag der Grünen setzt damit bei zahlreichen Problemen im jetzigen Regierungssystem an. Insbesondere soll der Auftritt des Bundesrates als Team, das ein gemeinsames Programm verfolgt, gestärkt werden. Einzelrücktritte sollen vermieden werden. Sesselkleben soll beschränkt ausgeschlossen werden können. Das Gremium soll grösser werden, und bei seiner Arbeit stärker geführt werden. Vor allem die zu grossen Departement müssten hierfür reorganisiert werden.

In Vielem assoziiert man bei diesem Vorschlag einen schrittweise Uebergang vom Konkordanzsystem zum Konkurrenzsystem mit Regierungsmehrheit und Opposition. Zwar wird dies nicht direkt gesagt, doch verweisen alle Elemente in diese Richtung. Mindestens soweit wie beispielsweise der Regierungsrat im Kanton Baselstadt soll der künftige Bundesrat der Grünen verschoben.

Das Modell ist wohl nicht zufällig gewählt. Denn Baselstadt wird von einer rotgrünen Mehrheit regiert. Und das ist wohl auch die Hauptabsicht, die mit dem grünen Bundesratsmodell verbunden wird: Den Einzug der Grünen in die Bundesregierung zu erleichtern, und das Schwergewicht programmatisch so zu verlagern, dass die SVP im Bundesbern aussen vor bleiben müsste.

Regierungsvertrauen 2009 wieder rückläufig

2009 war nicht das Jahr des Bundesrates. Das zeigt auch der Langzeitvergleich der VOX-Analysen. Erstmals seit 2004 sinkt das Regierungsvertrauen in der Schweiz wieder.

Anfangs 2009 vertrauten noch 53 Prozent der Regierungsarbeit auf Bundesebene. Ende Jahr waren es noch 42 Prozent. Es überwog das Misstrauen mit 44 Prozent (+9%).

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Das wirtschaftliche und politische Umfeld können als Ursachen gelten. Hinzu kommen umstrittene Entscheidungen des Bundesrates, etwa im Fall der UBS, beim Bankgeheimnis und im Steuerstreit. Höhepunkt der medialen Kritik gegen den Bundespräsidenten war die Libyen-Affäre.

Eingebrochen ist vor allem das Regierungsvertrauen der SVP-Wählerschaft. Es ist tiefer als in der Phase, als die Partei in der Opposition war. Zwischenzeitlich ist es dem der parteipolitisch ungebundenen BürgerInnen vergleichbar. Anders verhält es sich bei den Wählerschaften von SP, FDP und CVP. Die Hälfte vertraut dem Bundesrat. Bei der SP ist kein eigentlicher Trend sichtbar. Bei FDP und CVP lässt die Unterstützung nach.

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Bei Volksabstimmungen zeigten sich vorerst keine Auswirkungen. Die Verlängerung der Personenfreizügigkeit anfangs 2009 passiert noch glatt. Knapper war es bei den Biometrischen Pässen und der IV-Zusatzfinanzierung. Beim Minarett-Verbot Ende Jahr kippte dann die Stimmung. Es siegte die Opposition.

Das Ausmass des Misstrauen 2009 muss jedoch relativiert werden. Insbesondere nach der UNO-Beitrittsabstimmung begann es zu sinken. 2004 erreichte es den bisherigen Tiefststand. Bis zu 52 Prozent Misstrauen zeigten die Umfragen damals, während das Vertrauen auf einen Viertel der BürgerInnen zusammenschmolz. Die Stimmungslage verbesserte sich ab 2006 sukzessive. Selbst angesichts der beginnenden Finanzkrise nahm es 2008 unverändert zu.

Das ist wieder passé. Und es gilt nicht nur gegenüber dem Bundespräsidenten. Die Langzeitbetrachtung anhand der VOX-Analyse mit bis zu 4000 BürgerInnen-Interviews jährlich lehrt, dass Wendepunkte im guten wie im schlechten nicht aus der Tagesaktualität entstehen. Vielmehr braucht es eine eigentliche Umkehr in der Politik, um das Grundverhältnis zwischen Bürgerschaft und Behörden zu verändern. Das ist gegenwärtig nicht in Aussicht.

Zur Zukunft des Regierungssystems der Schweiz.

Der Aargauische Jugendparlament, Juvenat genannt, lud mich ein, eine Auslegeordnung über die Zukunft des Regierungssystems der Schweiz zu machen.

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Das Referat hatte drei Teile: Eine Herleitung der Konstanten im Regierungssystem der Schweiz, ein summarischer Ueberblick über die aktuelle Kritik, und eine Auslegordnung von Reformvorschlägen für den Bundesrat.

Bei den Vorbereitungen hierzu wurde mir wieder einmal klar, wie deutlich die Schweiz den Weg einer bürgerlichen geprägten Republik gegangen ist, dass diese früh und weitergehend als andere demokratisiert worden ist und dass das in hohem Masse zum heutigen Konkordanzsystem geführt hat.

Von Konsensdemokratie mag ich nicht mehr sprechen. Denn die Polarisierung der Schweizer Politik, namentlich unter dem Eindruck der europa- und aussenpolitischen Oeffnung verträgt sich nicht mehr mit dieser Kennzeichnung. Dennoch sprechen die plurikulturelle Zusammensetzung des Landes und der Referendumsdruck unverändert dafür, das Regierungssystem auch inskünftig nach den Spielregeln der Konkordanz auszugestalten.

Das sehe ich allerdings nur als äusseren Rahmen. Der innere Rahmen sollte durch die aktuellen Herausforderungen bestimmt sein. Und diese leitenden sich aus dem Handlungsbedarf der dauerhaften Interessenvertretung in einer interdependenten Welt ab.

Die aktuellen Reformvorschläge habe ich neutral vorgestellt, sie aber in diese Rahmungen gestellt; konkret habe ich behandelt:

. Veränderungen in der Führung des Bundesrates (gestärktes Präsidium, Einführung einer zweiten Ministerebene für Sachgeschäfte, Erhöhung des Zahl des Bundesrates)
. Veränderungen in der Wahl des Bundesrates (Listenwahl, Volkswahl)
. Veränderungen in der parteipolitischen Zusammensetzung des Bundesrates (Proportionalisierung, kleine Konkordanz).

Klar wurde mir dabei, dass die Focussierung der Reformvorschläge auf arithemtische Konkordanzregeln nicht genügen. Es braucht eine umfassendere Betrachtungsweise und den Einbezug von inhaltlichen Ueberlegungen, wie der Bundesrat strukturiert, konstituiert und bestückt wird.

Die Diskussion mit den VertreterInnen des Jugendrates war ganz anregend. Sie zeigte mit, dass die öffentliche Diskussion gerade bei den Interessierten der kommenden Generationen den Eindruck geweckt hat, dass etwas gehen muss. Bis eine konsolidierte Stossrichtung vorliegt, braucht es aber auch in diesem Bevölkerungsteil noch viele Diskussionen.

Claude Longchamp