Umfragen in Deutschland: CDU/CSU mit FDP vorne

Dank Gewinnen für die FDP werden die bürgerlichen Parteien bei den deutschen Bundestagswahlen 2009 obsiegen. Das ist der Schluss aller Umfrageinstitute in Deutschland. Unterschiede ergeben sich vor allem bei der Grösse des Vorsprungs auf eine rot-rot-grüne Koalition.

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Neun Tage vor der deutschen Bundestagswahl liegen die CDU/CSU bei 36, die SPD bei 24 und die FDP bei 13 Prozent. Es folgen die Grünen und die Linke, die es auf je 11 Prozent der Wählenden bringen. Das jedenfalls ist die Zusammenfassung von www.wahlumfrage.de, einer unabhängigen Plattform für Wahlumfragen. Ausgewertet wurden hierzu die jüngsten Publikationen der sieben Institute, welche mit der Sonntagsfrage den Stand der Wahlabsichten zur anstehenden Bundestagswahl erforschen.

Gegenüber der Bundestagswahl 2005 bedeutet dies Verluste für die SPD, Gewinne für die FDP, die Grünen und beschränkt auch für die Linke. CDU/CSU könnte sich demnach halten.

Bei CDU/CSU und FDP sind die Schwankungsbreiten der Angaben aus den verschiedenen Instituten mit zwei Prozentpunkten gering. Bei den Grünen und der Linken sind es mit drei, bei der SPD dreieinhalb Prozentpunkte etwas. Das hat vor allem mit den Gewichtungsfaktoren der Institute zu tun, die angewendet werden, um den Entscheid der Unentschiedenen vorwegzunehmen. Die Institute arbeiten dabei mit individuellen Erfahrungsregeln, die im Detail nicht bekannt sind.

Auf die Koalitionsaussagen hat das kaum einen Einfluss. Alle sieben Institute sehen nämlich die CDU/CSU im Verbund mit der FDP vorne. Einzig bei Emnid ergibt sich ein Patt mit einer rot-rot-grünen Regierung. Derweil weisen die Forschungsgruppe Wahlen und die GMS Dr. Jung GmbH ein Verhältnis von rund 53:47 aus. Bei Forsa und info ist es bei 52:48 und bei Allensbach und dimap bei 51:49. Demnach kommt nur gemäss Emnid auch eine grosse Koalition in Frage.

Das Ganze bleibt allerdings ein wenig hypothetisch. Denn in der Endabrechnung zählen nur die Stimmen der Parteien im Bundestag. Direkte Schlüsse von Umfragen auf Fraktionsstärken sind noch nicht möglich. Dafür braucht es nämlich Angaben zu Direktmandaten, WählerInnen-Anteilen und allfälligen Ueberhangmandaten. Bundeskanzlerin Merkel kündigte an, auch mit nur eine Stimme Mehrheit im Bundestage eine Koalition ihrer CDU/CSU mit der FDP eingehen zu wollen.

Claude Longchamp

Steinmeier gewann Fernsehduell für sich, nicht aber für die SPD

Als Teilmodul der grossangelegten German Longitudinal Election Study untersuchen vier Politik- und KommunikationswissenschafterInnen das Fernsehduell zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier (SPD). In ihrer ersten Publikation weniger als eine Woche danach vermitteln sie einen Punktevorsprung für Steinmeier, der sich in seiner Bewertung messen liess, bisher aber kaum auf die SPD abfärbte.

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Fieberkurve des Fernseh-Duells zwischen Merkel und Steinmeier

Torsten Faas veröffentlicht auf seinem lesenwerten Blog zum Wahlkampf erste Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung, die mittels Instant-Bewertungen eines Querschnitts von WählerInnen in Echtzeit erfolgten.

Den besten Moment hatte Steinmeier gemäss Fieberkurve zur Sendung in der 24. Minute als er sagte, “Wir müssen diese Lohnspirale nach unten aus mehreren Gründen aufhalten: weil hier auch der Aspekt von Würde von Arbeit bedroht ist. Wer den ganzen Tag arbeiten geht, muss von seinem Einkommen aus Arbeit auch leben können. Wirklich leben können.” Stark war er auch in seiner Schlussrede, als er in Abrenzung zur bürgerliche Koalition nochmals zur Einkommensfrage sprach: “Schwarz-Gelb wird bedeuten, dass eine Rückkehr zur Atomkraft stattfindet. Das ist nicht mein Weg. Das ist kein sozialdemokratischer Weg, ich steh dafür, dass jeder, der arbeitet, aus seinem Einkommen auch leben kann.”

Merkel triumphierte vor allem am Anfang. Nach 11. Minuten erhielt sie die Bestnote für das Statement zur globalen Finanzmarktaufsicht: “Und jetzt sage ich: wir brauchen Regeln für die internationalen Finanzmärkte und wir brauchen auch einen Export der Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft, davon bin ich zutiefst überzeugt.”

In der Bilanz spricht Faas von relativen Vorteilen für Herausforderer Steinmeier. Im gelang es seine Kanzler-Eignung von von 23 auf 29 Prozent zu steigern. Dabei legt er nicht zulasten von Kanzlerin Merkel zu, die bei 57 blieb. Es gelang ihm aber, bei Unschlüssigen einen Bewegung mit positiven Saldo zu seinen Gunsten auszulösen.

Weiter Auswertungen, vor allem aufgrund von Befragungen werden folgen. Unmittelbar kann man das vorläufige Ergebnis an den Trendumfragen zur Wahlabsicht verifizieren. Hier trifft zu, dass sich die CDU/CSU hält, während die SPD bisher nur minimal zunimmt. Der unmittelbare Effekt auf die Partei ist geringer als auf die Person.

Claude Longchamp

In Deutschland scheint wieder Vieles möglich

Wer glaubte, die deutschen Bundestagswahlen vom 27. September 2009 seien schon gelaufen, wurde mit den heutigen Landtagswahlen in drei Bundesländern eines Besseren belehrt. Es scheint wieder Vieles möglich zu sein.

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Quelle: Der Standard

51 oder 50 Prozent geben gegenwärtig alle Umfrageinstitute einer Koalition von CDU/DSU mit der FDP. Das sind 4 bis 6 Punkte Vorsprung auf das versammelte linke Lager, das noch nirgends gemeinsam regiert.

Vier Wochen vor der Bundestagswahlen könnte das nun anders werden. Das jedenfalls ist die Botschaft der Wahlergebnisse in drei Bundesländern.

Im Saarland wurde die allein regierende CDU regelrecht abgestraft. Der Wähleranteilsverlust in zweistelliger Höhe fiel so deutlich aus, dass es nicht einmal für eine Koalition mit der FDP reicht. Wahrscheinlich wird in diesem Bundesland erstmals eine rot-rot-grüne Regierung unter Führung der SPD.

In Thüringen präsentiert sich die Situation am Waglabend komplizierter. Auch hier kann sich die CDU mit der FDP nicht retten, doch bleibt ihr die Möglichkeit, wie im Bund mit der SPD zu koalieren. Das verschaft der linken Regierungspartei eine besondere Ausgangslage, reicht es doch auch in diesem Bundesland für eine Regierung aus den beiden roten Parteien. Allerdings muss ein solches Bündnis den Führungsanspruch zwischen der Linken und der SPD klären, wobei die Linke wählerstärker ist, ohne die SPD aber aussichtslos da steht, sodass man heute nicht mit Bestimmtheit sagen kann, was aus der Wahl wird.

Zufrieden sein können die bürgerlichen Kräfte in Dutschland nur mit dem Wahlergebnis in Sachsen. Denn da wird die bestehende schwarz-rote Koalition einer schwarz-gelben weichen. Beide Parteien verfügen zusammen über eine parlamentarische Mehrheit, genau so wie man sich in diesen reihen den Politikwechsel nach der kommenden Bundestagswahl vorstellt.

Unter dem Strich gesehen ist mit dem heutigen Tag aber wieder einiges offen: Die CDU/CSU von Kanzlerin Angela Merkel schwächelt mitten im Wahlkampf flächendeckend, die FDP strahlt, zieht aber auch dem möglichen Partner WählerInnen ab, die Grünen wachsen im Osten über sich hinaus, die SPD hält sich, womit ihre koalitionsoptionen zunehmen, und die Linke verhindert, dass einfache Rechenspiele für Lagerwahlkämpfe gemacht werden können.

So steigt die Spannung, was der 27. September 2009 bringt: die vielerorts erwartete schwarz-gelbe Regierungsmehrheit oder eine für unmöglich gehaltene rot-rot-grüne Wende. Und wenn beides nicht geht, stehen Ampel aus SPD, Grünen und FDP sowie ein Fortsetzung der bisherigen grossen Koalition aus CDU/CSU und SPD zur Debatte.

Claude Longchamp

Wenn man schon weiss, wie die Wahl ausgeht …

Während im deutschen Wahlkampf CDU/CSU und FDP immer deutlicher eigene Wege gehen, weiss Politologie-Professor Gschwend bereits, dass eine Koalition beider Parteien bei der kommenden Bundestagswahl einen Stimmenanteil von 52,9 Prozent bekommen und damit eine Mehrheit hinter sich haben wird.

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Zusammen mit Helmut Norpoth hat Thomas Gschwend ein Prognosemodell für deutsche Bundestagswahlen entwickelt, das sich bisher recht gut gehalten hat. Es basiert auf einer Regressionsrechnung, die möglichst wenige Faktoren hat, die, gewichtet, bei zurückliegenden Wahlen das Ergebnis so präzise wie möglich “nachhergesagt” haben.

Das statistisch ermittelte Modell lautet:

Prognose für Schwarz-Gelb =

– 1,53*(AMT=Abnützungseffekt anhand der Zahl der Amtsperioden der Regierung)
+ 0,75*(PAR=Mittel der Parteistimmenanteile in den letzten drei Bundestagswahlen)
+ 0,38*(KAN=Kanzlerunterstützung unter Ausschluss von Unentschlossenen)
-5,6 %.

Im deutschen Regierungssystem ist demnach die Dauer der bisherigen Regierungskoalition, der Mittelfrist-Effekt, der wichtigste Prädiktor. Das spricht nicht gegen CDU/CSU, die erste eine Legislatur am Stück regiert, aber gegen die SPD. Es folgt mit den zurückliegenden Parteistärken der langfristige Präditor. Das gibt Schwarz-Gelb einen soliden Sockel. Das kurzfristige Moment, die Kanzlerpopularität, ist zwar am unwichtigsten, favorisiert aber Merkel eindeutig.

In die obige Formel eingesetzt, ergibt das eine Prognose von 52,9 Prozent an Zweitstimmen für Schwarz-Gelb am 27. September 2009, – oder die nötige Mehrheit für die Regierungsbildung durch die CDU/CSU ohne SPD.

Die Prüfung der Prognose steht selbstredend noch aus. Doch das ist der Vorteil solcher Modelle: Wenn das Ergebnis nicht mit der Prognose übereinstimmt, müssen nur die Parameter spezifiziert werden!

Claude Longchamp

Mehr zur Erläuterung unter:
ARD

Mehr zum Vorgehen unter:
Norpoth, Helmut, und Thomas Gschwend. 2005. “Mit Rot-Grün ins Schwarze getroffen: Prognosemodell besteht Feuertaufe”, in: Analysen aus Anlass der Bundestagswahl 2002, Jürgen W. Falter, Oscar W. Gabriel und Bernhard Wessels (Hg.), Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 371-387.

Kommt nun wegen Twitter das Ende der Wahlforschung?

Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Twittern erschwert die Arbeit bei der Ermittlung von Wahlergebnissen. Das ist aber kein Grund für Ueberreaktionen. Die Alternative zur Wahlforschung ist nicht twittern, sondern Regelung der Verteilung von und des Umgangs mit Ergebnissen.

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Bei der Wahl des deutschen Bundespräsidenten geschah es: Das vorliegende Ergebnis wurde aus dem innersten Kreis der Wissenden heraus nicht offiziell verkündet, sondern inoffiziell via Twitter, dem schnellsten Kurznachrichtendienst auf Internet. In Deutschland diskutiert man nun ernsthaft, am 27. September 2009, dem Wahltag für das deutsche Parlament, die Forschung zur Ermittlung des Wahlergebnisses einzuschränken.

Meine Meinung hierzu: Das Problem ist nicht zu unterschätzen, der vorgeschlage Lösungsanatz geht in diesen in die falsche Richtung. Es braucht keine Behinderung der Wahlermittlung durch offizielle oder offiziöse Stellen, sondern eine publizistische Führung der Kommunikation von Ergebnissen.

Die Oeffentlichkeit hat ein Recht, schnell und korrekt über den Wahlausgang informiert zu werden. Je besser das gelingt, desto geringer ist der Spielraum für Spekulationen und Fehldeutungen des Wahlresultates. Jede Einschränkungen von Hochrechnungen und exit-polls am Wahltag öffnet nur das Fenster hierzu.

Richtig ist, dass sich die Kommunikationsprobleme mit Twitter, SMS und mails erhöhen. Wer Insider-Informationen hat, kann diese verwenden, um gezielte Mobilisierungskampagnen in buchstäblicher letzter Minute zu starten. Das darf nicht möglich werden.

Deswegen ist es wichtig, die Kommunikationswege bei der Resultateermittlung genau zu kontrollieren. Diese hat sich nach den Bedürfnissen der Oeffentlichkeit zu richten. Die spezifischen Interessen der Parteien sind hier massgeblich.

Geordnete Kommunikation von Wahlergebnissen entsteht nach meiner Erfahrung bei Hochrechnungen von Schweizer Abstimmungen …

erstens, wenn zwischen dem Vorliegen erster Teilergebnisse und dem Gesamtresultat möglichst wenig Zeit verstreicht;
zweitens, wenn Wahlforschung zur Ergebnisermittlung nicht behindert wird, sondern so schnell wie nur denkbar Resultate vorlegen kann, und
drittens, wenn die daran beteiligten Personen verpflichtet werden, sich an einen strikten Kodex für die Informationsverwendung einzig zum bestimmten Zweck zu halten.

Das Zwitschern im Internet ist weder ein Ersatz für die Wahlforschung, noch ist es eine Gefahr für Wahlen, wenn alle Beteiligten auf die übergeordneten Zielen einer demokratischen Wahl verpflichet werden und die Regelungen hierzu rechtzeitig entsprechend erlassen werden.

Claude Longchamp

Wahlen in Deutschland: (Manager vs. Lehrer) vs. Verkäufer

Cicero, die deutsche Zeitschrift für politische Kultur, veröffentlichte dieser Tage eine interessante Befragung, die Emnid im Mai 2009 zu den Bundestagswahlen vom September gemacht hatte. Dabei ging es um die Frage, wie bestimmte Teile der gesellschaftlichen Eliten wählen wollen, und welche Rückschlüsse man daraus für den aktuellen parteipolitischen Konflikt man ziehen kann.

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Aus der Uebersicht in der aktuellen Ausgabe von Cicero kann man den Schluss ziehen: Das Links/Rechts-Spektrum (in Deutschland) wird zwischen den Eliten der Privatwirtschaft und des Staates gebildet. Manager auf der einen Seite, Lehrerinnen auf der andern bilden die Pole. JuristInnen sind den Managern vergleichbar, AerztInnen nehmen eine Mitte-Position ein, und selbst die VerkäuferInnen, die zusätzlich zu den Eliten befragte wurden, stehen nicht so weit links wie die Lehrerschaft.

Hier die Details der Emnid-Erhebung:

ManagerInnen: 66 Prozent stimmen für eine Regierung aus CDU/CSU (35%) und FDP (31%). Die grosse Koalition ist nicht mehrheitsfähig, das gilt auch für rot-grün. Theoretisch reicht es bei der Ampel für eine Mehrheit.
JuristInnen: 57 Prozent votieren zugunsten von CDU/CSU (29%) und FDP (28%). Rot-(rot)-grün ist nicht mehrheitsfähig, eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP bekäme eine theoretisch eine Mehrheit. Alles andere scheidet aus.
AerztInnen: Die Aussagen sind gleich bei bei den JuristInnen; 57 % sind für eine Koalition von CDU/CSU (33%) und FDP (24%) und rechnerisch eine Ampel mehrheitsfähig.
LehrerInnen: Rot-rot-grün schwingt bei den LehrerInnen mit 64 Prozent (SPD: 26%; Grüne: 23%; Linke 16%) klar oben aus; für rot-grüne Mehrheit wie bis vor vier Jahren reicht es aber auch hier nicht. Theoretisch möglich ist eine Ampel (57%), eine rechte Regierung bringt es dagegen nicht auf die erforderliche Mehrheit.
VerkäuferInnen: Sie sind zu 56 Prozent für die bisherige grosse Koalition (CDU/CSU: 30%; SPD: 26%). Rechte und linke Regierungsallianzen schaffen die nötige Hürde nicht; die Ampel kommt minimal drüber.

Oder anders gesagt: Die deutschen Eliten sind parteipolitisch polarisiert. Die grosse Koalition mögen sie nicht. Das rechte Projekt kann die Wirtschaftseliten und die liberalen Gesellschaftseliten ansprechen, das Linke liegt bei den Staatsangestellten vorne, wenn auch nur in der unwahrscheinlichen dreier Koalition. Dem stehen die VerkäuferInnen gegenüber, die auf Polarisierungen zurückhaltender reagieren und die grosse Koalition favorisieren. Die einzige Alternative hierzu ist in fast allen untersuchten Gruppen eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP, – allerdings nur, wenn man von Inhalten absieht.

Claude Longchamp

Mehr als nur Verstärkerwirkungen möglich

Welche Rolle spielt die politische Information bei Wahlentscheidungen? Eine vermehrt eigenständige und zunehmend massenmedial bestimmte, sagt der Mannheimer Politikwissenschafter Rüdiger Schmitt-Beck.

Klassisch wird die aufgewordene Frage durch die Forschungsergebnisse beantwortet, welche die amerikanischen Columbia-School im Gefolge von Paul Lazarsfeld beginnend in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts erarbeitet hatte. Medien als den wichtigsten Verbreitern von Informtion kommt dabei vor allem eine Verstärkerwirkung bestehender Prädispositionen der Menschen zu.

Differenzierter fallen die Schlüsse aus, wenn man der Habilitationsschrift von Rüdiger Schmitt-Beck folgt, die sich auf Sekundäranalysen von Wahlbefragungen in den USA, Grossbritannien, Spanien sowie West- und Ostdeutschland aus den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts stützt.

Politischen Prädispositionen der WählerInnen, kollektiv auch Grundlinien einer Entscheidung genannt, mischen sich in Entscheidungen mit Informationen, welche Wahlergebnisse oszillieren lassen. Das ist auch bei Schmitt-Beck der Ausgangspunkt. Als Einfluss von Information wird dabei jener Effekt definiert, der WählerInnen Entscheidungen treffen lässt, die sie ohne diese Informationen nicht gefällt hätten.

Die empirischen Ergebnisse, die Schmitt-Beck hierzu präsentiert, sind zunächst nicht unabhängig von der untersuchten Wahl resp. von ihrem Kontext: Personenwahlen wie die amerikanischen Präsidentschaftswahlen sind stärker informationsabhängig als Parteiwahlen; das gilt auch für Parteiwahlen in jungen gegenüber etablierten Demokratien. Schliesslich findet sich das Phänomen auch dort vermehrt, wo politische Entscheidungen von gesellschaftlichen Konfliktlinien unabhängiger, sprich individualisierter, ausfallen.

Unter den Prädisposition geht die Bedeutung der Schicht zurück, während Werthaltungen bei Wahlen wichtig bleiben, meist aber von Parteibindung überlagert werden. Informationen wiederum treffen auf zwei verschiedenen Wegen auf Parteibindungen: einerseits massenmedial resp. anderseits durch interpersonale Kommunikation. Dabei kommt dem Fernsehen generell die grösste Bedeutung zu, weil es ubiquitär verbreitet ist, während sich in der Nutzung von Printmedien und damit ihrer Bedeutung als Informationsquellen kulturell bestimmte Unterschiede finden. Das gilt auch für die Verbreitung von Gesprächen zur Informationsgewinnung, die zusätzlich durch den Grad der Politisierung von Wahlen beeinflusst sind.

Je pluralistischer ein Mediensystem ist, desto geringer fallen die erwarteten Medieneinflüsse aus. Konzentrationen im Mediensystem erhöhen diese jedoch ebenso wie die Abhängigkeit der Medien von politischen Akteuren. Hinzu kommt, dass moderat einseitige Berichterstattungen beeinflusender sind, als neutrale und klar gerichtete, weil letztere zu eigentlichen Gegenreaktionen unter den RezipientInnen führen.

Das Fernsehen trifft wegen seiner zentralen Stellung per definitionem auf vermehrt diskordante Prädispositionen. Gerichtete Printmedien in einem pluralistischen Mediensystem führen dagegen dazu, dass sich die WählerInnen jenen Medien zuwenden, von denen sie eine höhere Uebereinstimmung mit den eigenen Positionen erwarten. Das gilt ganz besonders auch für Primärbeziehungen wie Ehepartner, Verwandte und FreundInnen, weniger aber für Sekundärnetze wie Arbeitskolleginnen.

Informationen aus Kanälen, die Konkordanz mit den Prädispositionen versprechen, aktivieren diese in erster Linie. Sie verstärken damit die Grundlinie. Zu Konversionen kommt es vor allem dann, wenn diskordante Informationen aufgenommen und akzeptiert werden. Hierbei ist jedoch die Glaubwürdigkeit der Absender massgeblich. Dabei ist das Vertrauen meist wichtiger als die Kompetenz. Ist das Vertrauen von Absendern gegeben, können diskordante Informationen durch Prädispositionen überlagern oder verändern, sodass die Wahlergebnisse zu oszillieren beginnen. Das ist namentlich beim Fernsehen der Fall.

Insgesamt weichen die Ergebnisse, die Schmitt-Beck präsentiert, nicht fundamental von jenen der wahlbezogenen Kommunikationsforschung der amerikanischen Columbia-School ab. Doch reduziert der deutsche Politikwissenschafter angesichts verschiedenartiger Befunde die bisher übliche Beschränkung der Medienwirkung auf die übliche Verstärkerrolle. Ës kann auch zu einer Umkehr der Verhältnisse kommen, hält er in seiner Bilanz fest. Zahlreiche Fenster der Beeinflussung von Prädispositionen durch Informationen, sei dies bei parteiungebundenen BürgerInnen oder Wahlen, in denen Personen wichtiger sind als Parteien, werden angesichts der steigenden Durchdringung von Wahlkämpfen durch Massenmedien geöffnet.

Claude Longchamp

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Auf der Website www.wahlradar.de entsteht gegenwärtig ein spannendes Experiment zur Wahlkampfkommunikation. Etabliert wird ein Monitor der relevanten politischen Website,s um die Ausbreitung von Informationen während des Bundestagswahlkampfes im Internet zu studieren.

Die spezielle Website zu den deutschen Bundestagswahlen ist seit Anfang April 2009 aktiv. Letztlich ist sie eine Anpassung eines Projektes von “linkfluence“, die im vergangenen amerikanischen Wahlkampf eingesetzt wurde.

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Die Legende findet sich hier.

Die erste Phase des Projektes ist (weitgehend) abgeschlossen. In einem mehrstufigen Verfahren wurden die 555 wichtigsten politischen Websites in Deutschlang ermittelt. “Wichtig” bemisst sich dabei, wie im Internet so häufig, nach dem Grad dere Verlinkung durch andere Websites.

Dieses Kriterium lässt Segmentierungen in verschiedene politische Lager einerseits, unterschiedliche Funktionen zwischen Information und Parteinahme anderseits zu.

Die Karte, die so entsteht, gleicht einer Wolke: Nahe beieinander sind die Webstites, die stark untereinander agieren. Das ist bei den parteibezogenen Angebote im konservativen, liberalen, sozialdemokratischen, grünen, linken und rechten Spektrum wenig überraschend.

Aufschlussreicher sind die Beziehungen vor allem zu den institutionellen und medienbetriebenen Webstites, jenen der Oeffentlichkeit und der Satire. Letztere beispielsweise sind recht gut mit den Medien verhängt, aber auch mit denen der politischen Extreme, kaum jedoch mit jenen der Regierungsparteien. Insgesamt fällt auf, wie gering die CDU/CSU-nahe Websites mit denen anderer Parteien und Funktionen verlinkt sind.

In der zweiten Stufe des Projektes der Agentur Publicis Consultants sollen Wahlkämpfer erkennen können, wie Debatten verlaufen, wohin sie sich ausbreiten, und wer sie ignoriert. Das soll mit Stichwortsuche auch für KandidatInnen möglich werden. Zu erwarten ist, dass man mit diesem Projekt mehr über die Dynamiken von Sachfragen lernen wird, wie auch dem Umgang der Akteure mit ihnen.

Man wird mit Sicherheit von von dieser Website sprechen.

Claude Longchamp

Deutsche Bundestagswahlen als Blog

“Wahlen nach Zahlen” ist ein Blog und bietet empirisch fundierte, wissenschaftliche Beiträge rund um das Wahljahr 2009 in Deutschland.

Die online-Ausgabe der Zeitung “Die Zeit” hat verschiedenste ForscherInnen unterschiedlicher Universitäten eingeladen, im Vorfeld der deutschen Bundestagswahlen kurz und prägnant zu Wahlkämpfen, Wahlausgängen und Koalitionsverhandlungen Stellung zu nehmen. Das Blog “Wahlen nach Zahlen” will aktuell, informativ und empirisch fundiert sein. Es leistet damit eine willkommene Vermittlung zwischen Forschung und Journalismus.

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Nützliche Kurzinfos zu den deutschen Bundestagswahlen: Die Positionierung der Parteiprogramm im Zeitvergleich lässt für 2009 eine verbreitete Links-Entwicklung im aktuellen Wahljahr erkennen.

Zu den AutorInnen zählen bekannte Grössen aus der Literatur zur deutschen Wahlforschung wie Rüdiger Schmitt-Beck, Kai Arzheimer und Harald Schön. Schaut man sich die neueren Beiträge an, finden sich tatsächlich nützliche Informationen aus der aktuellen Forschung. Besprochen werden etwa die Positionen der Parteiprogramme auf der Links/Rechts-Achse, die Vernetzung der SpitzenkandidatInnen in sozialen Netzwerken auf Internet und die Bedeutung länger- resp. kurzfristiger Parteibindungen bei den Wahlentscheidungen 2005. Es lassen sich aber auch Besprechungen von Stellungnahmen finden, wie etwa die Kritik am kaum existenten Europa-Wahlkampf oder an den Schwierigkeiten der CDU/CSU, sich in der Steuerfrage zu positionieren.

Man wird noch mehr auf dieses überparteiliche Blog zu den kommenden Bundestagswahlen zurück greifen!

Claude Longchamp

Die deutschen Parteistärken im Spiegel der Demoskopie

Mit Blick auf die Bundestagswahlen vom 27. September 2009 nimmt die Bedeutung von Umfragen zu den politischen Parteien in Deutschland schnell zu. Spiegel-Online bietet hierzu eine nützliche Dokumentation an, die Einblicke in die Tätigkeit der demoskopischen Institute gibt.

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Auf den ersten Blick könnte man meinen, die Umfragewerte für die deutschen Parteien seien instabil. Doch resultiert der Eindruck nur, weil auf der Hauptgrafik die Resultate aller Institut miteinander verarbeitet sind.

Im Prinzip machen alle Institute die gleiche Arbeit mit der gleichen Zielsetzung. Sie wollen wissen, wie stark die Parteien mit Blick auf die Bundestagswahlen sind und verwenden hierfür in ihren Repräsentativ-Erhebungen die Sonntagsfrage. In der Praxis unterscheiden sich die Vorgehensweisen von TNS Emnid, Forsa, Forschungsgruppe Wahlen, Infratest dimap und Allensbach jedoch leicht. Das gilt namentlich für die Gewichtungsverfahren und Stichprobenbildungen.

Vergleicht man nur die Ergebnisse von Trendbefragung innerhalb eines Instituts entstehen viel klarere und konstantere Resultate. Ihnen gemeinsam ist, dass sie alle die CDU/CSU als vorläufige WahlgewinnerInnen sehen, und die SPD an zweiter stelle ranigert, gefolgt von der FDP. Derweil liegen je nach Institut die Linke oder die Grünen auf dem 4. Platz.

Am uneinheitlichsten wird gegenwärtig die CDU/CSU bewertet. Allensbach gibt aktuell einen Wert von 37,5 % aus, TNS Emnid und Infratest dimap kommen auf je 34 Prozent. TNS Emnid hat dafür die SDP bei rekordverdächtigen 28 Prozent, während Allensbach für diese Partei auf 24,5 Prozent kommt. Die Unterschiede bei FDP, der Linken und den Grünen liegen im Ein-Prozent-Bereich.

Die Kadenzen der Veröffentlichung von Befragungsergebnissen sind allerdings nicht gleich, weshalb der punktgenaue Vergleich täuscht. Die letzte Publikation von Allensbach basiert auf Daten, die zwischen dem 3. und 17. April erhoben wurden, während jene von TNS Emnid zwischen dem 4. und 11. Mai entstanden.

Alle Institute arbeiten heute mit computergestützten Telefonumfragen, doch unterscheiden sich die Befragtenzahlen beträchtlich. Bei der Forschungsgruppen Wahlen reichen rund 1300 Personen, während sich TNS Emnid auf 3207 stützt.

Zwei technische Sachen sind im Institutsvergleich bemerkenswert: Alle Institute runden auf ganze oder halbe Prozentwerte, verzichten aber auf die Publikation von Bandbreiten für die Parteistärken, die sich aus den statistischen Fehlermargen von Stichprobenerhebungen ergeben.

Wie die Wahlergebnisse am 27. September 2009 sein werden, kann man daraus abschätzen. Wie hoch die Aussagegenauigkeit effektiv sein wird, wird man jedoch erst am Wahlabend selber wissen.

Claude Longchamp