Wie soll man ein allfälliges Nein zur Personenfreizügigkeit interpretieren?

Den Volkswillen bei Abstimmungen zu interpretieren, ist heikel. Politisch wie wissenschaftlich. Denn Entscheidung ist Entscheidung. Doch es ist sinnvoll, diese zu analysieren. Im Normalfall, wie auch im möglichen Spezialfall. Deshalb ist es Zeit, sich ein paar zusätzliche Gedanken zu machen, wie ein allfälliges Nein zur Personenfreizügigkeit untersucht werden müsste.


Wie kann man interessenbasierte Interpretationen eines allfälligen Neins zum 8. Fabruar 2009 verhindern?- Eine Herausforderung für die angewandte Politikwissenschaft, halte ich fest, mit der Absicht, sich ihr zu stellen

Die aktuelle Situation
Man erinnert sich: Kaum im Amt als Bundesrat, erklärte Christoph Blocher, es sei nicht die Aufgabe des Bundesrates, den Volkswillen zu interpretieren. Er solle sich an die Entscheidungen des Souveräns halten, und er solle danach handeln. Heute ist alles ganz anders: Schon vor der Volksabstimmung über die Personenfreizügigkeit ist ein Interpretationsstreit entbrannt, wie man ein allfälliges Nein interpretieren solle. Speziell die SVP-Exponnenten sind bemüht, ihre Sicht der Dinge durchzubringen, wonach ein Nein am 8. Februar 2009 nur ein Nein zur Erweiterung der Personenfreizügigkeit sei, nicht aber zu dieser als solcher und damit auch kein Verstoss gegen die Bilaterale I.

Zu den Positionen der Gegnerschaft
Die gestrige “Arena“-Sendung zur Volksabstimmung 2009 zeigte, dass die Sache komplizierter ist, denn auf Seiten der Opponenten wurden alle Positionen vertreten: “Nein” heisse Nein zur Erweiterung, meinte etwa Lukas Reimann von der SVP; “Nein” heisse Nein zur Personenfreizügigkeit an sich, konterte Ruedi Spiess von den Schweizer Demokraten. Ein “Nein” am 8. Februar 2008 wäre ein Nein zur gesamten Vorlage, über die abgestimmt würde, erwiderte Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, was der Bundesrat bis Ende Mai 2009 der EU mitteilen müsste, womit die Bilaterale Verträge, die seit 2002 in Kraft seien, nach 6 Monaten automatisch auslaufen würden.

Politisch kann diese Diskussion nur entschieden werden, wenn alle Akteure, die an der Entscheidung beteiligt sind, mitsprechen können: der Bundesrat und das Parlament, die Stimmberechtigten und die Europäische Union.

Die Möglichkeiten der angewandten Politikwissenschaft
Die angewandte Politikwissenschaft kann der Politik in einem Punkt Hilfen anbieten: Sie kann die stark interessen-geleiteten Interpretationen der Akteure auf schweizerischer und europäischer Ebene, die sich auch in der Deutung des Volkswillens äussern, mit vertiefenden Untersuchungen spiegeln, kritisieren und einer vernünftigen Interpretation zuführen.

Statt normative Abstimmungsanalysen zu machen, empfiehlt es sich solche empirisch zu leisten. Ganz einfach gesagt: Die Stimmenden selber sollen sagen können, was sie mit ihren Entscheidungen beabsichtigten.

Gegenwärtig wird unter den Analytikern, die so oder so die Volksabstimmung zur Personenfreizügigkeit untersuchen werden, überlegt, wie angesichts der üblichen, aber unübersehbaren Diskussion zur Interpretation eines Neins am 8. Februar 2009 die VOX-Nachbefragung erweitert werden könnte. Klar herausgearbeitet werden müsste in der Nachanalyse der Volksentscheidung, die diesmal das Institut für Politikwissenschaft an der Universität Bern leistet, …

… wie man im Lager den Nein-Stimmenden seine Ablehnung verstanden hat
… wie man zu einer weiteren Volksabstimmung in der Sache steht,
… wie man bei einer Trennung der Entscheidungen über Fortsetzung und Erweiterung(en) stimmen würde.

Das Ganze macht nur dann Sinn, wenn die Konsequenzen unterschiedlicher Entscheidungen nicht gleich wären, wie ein allfälliges Nein am 8. Februar 2009. Um keinen schweizerischen Bias zu haben, müsste auch erörtert werden, ob man zu Konzessionen in anderen Dossiers wie der Banken-, Steuer-, Landwirtschafts- oder Forschungspolitik bereit wäre, um Verhandlungen zu einer modifizierten Personenfreizügigkeit zu erreichen. Und: Ob bei einem Nein die Bilateralen zu Ende sind, und was danach kommen soll, – Alleingang oder EU-Beitritt?

Besser wissensbasierte Interpretionen als interessenbasierte Annahmen
Ich denke, es ist sinnvoll, diese Fragen zu klären. Das ist keine Aussage zum Ausgang der Volksabstimmung vom 8. Februar. Aber es ist eine rechtzeitige Auslegeordnung für den Fall B, denn die Nachanalyse startet so oder so am Montag nach der Volksabstimmung. Und sie soll, wie immer, zu einer wissens-, interessenbasierten Interpretation des Volkswillens führen.

Claude Longchamp

Personenfreizügigkeit 2005/2009: ein erster Vergleich

Seit Tagen gibt es in den Schweizer Medien eine Debatte über Umfragen zur Personenfreizügigkeit. Dabei übertrifft die Fiktion die Realität. Dieser könnte man sich beispielsweise über die VOX-Analyse annähern, die 2005 nach der ersten direkten Volksabstimmung über die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der Europäischen Union gemacht wurde.


Die Ergebnisse der Volksabstimmung und der Nachanalyse
Die Ergebnisse der Volksabstimmung vom 25. September 2005 lauteten: Genau 56 Prozent stimmten für die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU, 44 Prozent votierten dagegen. An der Volksentscheidung beteiligten sich 53.8 Prozent der Stimmberechtigten.

Das Profil der beiden Lager konnte in erster Linie mittels politischer Merkmale bestimmt werden. SP-, CVP- und FDP-AnhängerInnen waren zu rund vier Fünfteln wie ihre Partei für die Personenfreizügigkeit. Ungebundene war genau hälftig gespalten. Die politischen Entscheidung war in erster Linie durch die Einstellung zur EU beeinflusst, aber auch durch Werthaltungen gegenüber der Oeffenheit zum Ausland und zur Gleichstellung der AusländerInnen mit SchweizerInnen. In ihr reflektierte sich auch das Vertrauen in den Bundesrat.

Soziologisch gesehen war die Entscheidung vor allem durch die Schicht mitbestimmt: Je höher die Bildung und die berufliche Position war, desto stärker war man für die Personenfreizügigkeit. Schliesslich ergaben sich Einflüsse aus der Einschätzung der Wirtschaftslage. Vor allem bei negativen Beurteilungen überwog das Nein.

Das veränderte Umfeld
Die Skepsis gegenüber der allgemeinen ökonomischen Lage ist heute deutlich höher als vor dreieinhalb Jahren. In den Worten des Dispositionsansatzes: Das Umfeld der Entscheidung ist anders.

Das hat zwar das Parlament nicht einflusst. Es beeinflusst aber den Abstimmungskampf, und es ist zu erwarten, dass es auch auf die Meinungsbildung der Bevölkerung Auswirkungen haben wird. Das Ausmass ist jedoch noch nicht abschätzbar.


Quelle: Sorgenbarometer 2008. Die aktuellsten Werte stammen aus dem September 2008. Sie dürften jetzt noch kritischer sein.

Auswirkungen auf den Abstimmungskampf
2005 verfügte die Ja-Seite über drei klar mehrheitsfähige Argumente sozio-ökonomischer Natur. Rund zwei Drittel der Stimmberechtigten waren damals der Meinung, die Personenfreizügigkeit sei für die Schweiz wichtig, um Zugänge zu neuen Märkten zu erhalten, um Arbeitskräfte aus den mittel- und osteuropäischen Staaten rekrutieren zu können und um den SchweizerInnen im Ausland bessere Erwerbsmöglichkeiten zu gewähren.

Das alles dürfte im jetzigen Umfeld relativiert worden sein, was die Position der Ja-Seite kommunikativ schwächen dürfte und zielgruppenspezifisch negative Auswirkungen haben dürfte.

Argumentativ ergibt sich auf der Nein-Seite kaum eine Aenderung. Die 2005 populärsten Argumente war der erhöhte Druck auf den Schweizer Arbeitsmarkt einerseits, die Belastungen für die Sozialwerke anderseits. In beiden Themen war die Gegnerschaft der Personenfreizügigkeit punktuell mehrheitsfähig. In andere Kampagneschwerpunkten, die auch jetzt wieder auftauchen, war das nicht der Fall. Das gilt insbesondere für Aengste vor vermehrter Migration und für Botschaften, die Schweiz werde von der EU erpresst. Allenfalls letztes ist vor der gewachsenden EU-Skepsis in der Schweiz heute etwas wirksamer.

Vorläufiges Fazit
Damit sei nicht gesagt, dass sich alles aus dem Jahre 2005 wiederhole. Es sei aber vor dem Hintergrund des Dispositionsansatzes als Analysemöglichkeit von Meinungsbildungsprozessen postuliert, was damals Sache war und was diesmal Sache sein könnte. Der wichtigste Unterschied ergibt sich aus dem veränderten Umfeld wirtschaftlicher Natur. Alles andere hatten wir 2005 in eine weitgehend ähnlichen Masse wie heute auch.

Die wahrscheinlichste Hypothese ist demnach, dass die damaligen Entscheidungen die jetzigen mitbestimmen, dass die Skepsis gegenüber der Personenfreizügigkeit jedoch etwas höher ist als vor dreieinhalb Jahren und dass das die Profilierung der ökonomischen Begründungen aus dem Ja-Lager erschweren dürfte.

Claude Longchamp

Statistik über alles

Statistik ist überall, und doch nirgends. Sie bestimmt und verschwindet. Das soll sich ändern. statistia dokumentiert das Denken und Handeln der Deutschen umfassend. Und ist dafür als Innovation des Jahres 2008 auf dem www ausgezeichnet worden.

Schauen Sie Fernsehen? Schlagen Sie ein Zeitung auf? Surfen Sie auf Internet? Ueberall begegnen Sie Grafiken und Prozentwerten, die auf Statistiken basieren. Gehe es um die Belastungen der Haushaltskasse, die beliebtesten Vornamen für Knaben und Mädchen oder um die Zeit für den eigenen Medienkonsum, überall will man Ranglisten haben, Verteilungen kennen, Zielgruppen unterscheiden können. Doch wär behält das die Uebersicht? Wer vergisst nicht gleich alles? Wer hilft einem Bleibendes von Momentanem zu treffen?

Die Antwortet lautet: statista. Tim Kröger und Friedrich Schwandt haben die Idee 2007 geboren, und sie gingen im Mai 2008 damit ins Netz. Binnen kürzester Zeit haben Sie ihre Website als zuverlässige Auskunftsquelle etablieren können. Ende des vergangenen Jahres erhielten sie dafür den deutschen startup-Preis, den ein Jury aus Fachleute, Medienschaffenden und Investoren für die besten neue Website des Jahres vergibt.

Aufgeteilt in 18 Rubriken sind mehrere Millionen Statistiken kostenlos für Jedermann abrufbar. Die Daten stammen allesamt von namhaften und seriösen Instituten wie dem Institut für Demoskopie Allensbach, dem Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung sowie dem Statistisches Bundesamt und erfüllen somit alle wissenschaftlichen Standards. Gleichzeitig schafften es die Gründer, Kopperationen mit den größten Medienplayern in Deutschland zu schließen – darunter Spiegel Online und bild.de. Die Partner stellen Statista ihre Daten gegen eine kleine Gebühr zu Verfügung. Die angelieferten Datenpakete werden mit neuesten Präsentationmitteln aufbereitet und den Nutzern der Plattform kostenlos zur Verfügung gestellt. Zur Zielgruppe von Statista zählen professionelle Nutzer aus Wirtschaft, Medien und Wissenschaft. Bislang finanziert sich Statista weitgehend über Werbung.

Ich habe mich eine gute Weile umgesehen auf statista. Nachdem ich jahrlang voluminöse Statistikbände gewälzt habe, um dann doch nicht das zu finden, was ich brauche, spricht mit die Hamburger Website besonders an. Natürlich gibt es auch hier eine Ueberfülle an Informationen. Doch die Elektronik erleichtert die schnelle Suche, das Grafiktool gibt einen raschen Ueberblick, und die die Filterungsmöglichkeiten lassen vertiefende Abklärungen zu. In meinem Fachgebiet weiss ich das Meiste auch, doch schon ein wenig darüber hinaus, habe ich so binnen Kurzem viel Interessantes erfahren, sodass man sich wünschen würde, dass die Macher die Beschränkung auf deutsche Statistiken zugunsten einer besseren Uebersicht, wenigstens über den ganzen deutschsprachigen Raum aufgegeben würden.

Claude Longchamp

“Rita Fuhrer gewinnt Volkswahl”, sagt eine kuriose Online-Umfrage (Bundesratswahlen 2008/6)

So steht es heute in vielen Medien, ohne den Platz, den die Aussage beansprucht, Wert zu sein.

Die Fragen nach der Regierungsbeteiligung der SVP und der geeigneten Vertretung im Bundesrat sind wichtig. Deshalb interessieren Ergebnisse, die helfen, Antworten zu geben.

Die news
Suggeriert wird mit der Meldung, dass durch die Erhebung von Marketagent.com sogar präziseste Resultate vorliegen: “15,9 Prozent der Befragten würden ihre Stimme der Zürcher Regierungsrätin geben. Weniger als das, genau 14,5 Prozent der Befragten, würden sich für Blocher entscheiden.” Und: “Die Mehrheit von 51,6 Prozent der Befragten möchte, dass die SVP wieder in den Bundesrat zurückkehrt.”



Die Tücken des Schneeball-Prinzips

Damit man zu solchen Schlüssen kommen kann, braucht man entweder eine Vollerhebung bei allen SchweizerInnen, wie die Titel im Sobli- und anderen Medien fälschlicherweise suggerieren. Oder man macht eine systematische Stichprobenziehung unter den Entscheidungsberechtigten. Doch auch das ist bei Online-Umfragen nach dem Schneeball-Prinzip (“Mach doch auch mit …”) nicht der Fall.

Denn das Ganze funktioniert so: Ich registriere mich bei Marketagent. Meine Angaben werden kontrolliert. Da bin ich in der Community aufgenommen. Wenn ich die Fragebögen ausfülle, kann ich Preise gewinnen und bekomme ich Bonuspunkte. Die kann ich gegen Geld eintauschen oder in Partnerfirmen von Marektagenten damit einkaufen gehen. Um was es dabei geht, legt die Werbeseite der Agentur offen. “express yourself”! Mach mit. ist das Motto, denn Du kannst Trends bestimmen. Die Agentur spricht denn auch ganz bewusst nicht von “Befragten”, sondern ganz offen von “Meinungsbildnern” …

Repräsentativ-Befragung funktionieren ganz anders. Sie brauchen eine systematische Auswahl aus einer bekannten Grundgesamtheit, die durch niemanden beeinflusst werden kann. Beim genannten Beispiel handelt es sich um ein Schneeball-Prinzip, bei dem weder das mitmachende Individuum effektiv kontrolliert werden kann, noch seine Bedeutung für die Grundgesamtheit geklärt ist. Verallgemeinerung von Messergebnissen müssen daher zwingend ausbleiben.

Lernprozesse in Massenmedien nötig
Massenmedien stürzen sich auf solche Erhebungen, weil sie günstig sind, BürgerInnen-Nähe vorgeben, und Ergebnisse liefern, die man gut kommunizieren kann. Solange sie Informationen liefern, die sachdienlich sind, ist dagegen nichts einzuwenden. Wenn sie aber etwas vorgeben, was nicht ist, handelt es sich um Täuschungen, die letztlich keiner Erwähnung wert sind.

Eine kleine Recherche zeigt, was ich damit meine: In der parallel dazu realisierten Online-Umfrage des “Schweizer Bauer” hat Andreas Aebi, SVP-Nationalrat aus dem Bauernstand, 23,4 Prozent der Stimmen erhalten. Er lag damit vor Ueli Maurer (16,2%) und Hansjörg Walther (9,0%). Doch auch das sagt nichts aus, ausser dass die mitmachenden Bauern wohl am liebsten Aebi hätten.

Einige beispielhafte Patzer in dieser Sache kann man hier studieren. Ein Lernprozess, wie man mit solchen Marketingangeboten auf Internet umgeht, ist dringend zu wünschen.

Claude Longchamp

“damping factor” für die Umfragen zu den US-Präsidentschaftswahlen

Bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen kann der Prognosewert von Umfragen in zwei Schritten verbessert werden: durch das Mitteln der verfügbaren Umfragewerte und durch “damping”.

Der SuperTracker zu den amerikanischen Präsidentschaftswahlen ist hier bereits vorgestellt worden. Einfach gesagt geht es dabei um das Mitteln von Umfrageergebnisse verschiedener Institute zur gleichen Sache. Das verhindert Ueberinterüretationen von Trends aufgrund singulärer Befragungsergebnissen.

Will man darüber hinaus auch den Prognosewert von Umfragen erhöhen, braucht es noch eine zweite Verfeinerung veröffentlichter Umfragewerte, damping factor (“Dämpfer-Faktor”) genannt.

1996 konnte Campbell aufgrund einer Re-Analyse früherer Wahlprognosen zeigen, dass der führende Bewerber zutreffender bewertet wird als der zurückliegende. Dieser wird regelmässig leicht unterschätzt, wobei die Differenz mit sich näherndem Wahltag abnimmt. Zu diesem Zweck hat Campbell vorgeschlagen, bei Umfragen eine Korrektur für den Zweitplatziert vorzunehmen, um präzisierte Prognosen machen zu können. Das wird in der Regel bei den publizierten Erhebungen nicht gemacht, in wissenschaftlichen Vorhersagen indessen schon.

Zurecht, denn die vor 12 Jahren vorgestellten Befunde und Korrekturen haben sich auch 2008 gezeigt und bewährt. John McCain wurd in den Umfragen vor der Wahl leicht unterschätzt. Das war zwar nicht entscheidend für die Frage, wer gewinnt oder verliert. Für die Prognose war das aber von Belang.

Ohne die Korrektur von Campbell kam McCain gemäss RealClearPolitics im Mittel der Umfragen auf 46,1 Prozent der Stimmen. Mit der Korrektur (damping factor von 0.17 dazu) lag er bei 46.8 Prozent. Nach dem vorliegenden, vorläufigen Endeergebnisse waren es effektiv 47.0 Prozent.

Die Korrektur ist nicht unwichtig: Ohne sie wären die aktuellen Umfragen wie früher auch etwas weniger treffsicherr gewesen als die elektronischen Wahlbörsen; mit der Korrektur erwiesen sich die Umfragen um einen Hauch präziser.

Claude Longchamp

Campbell J. E. (1996), “Polls and Votes: The Trial-Heat Presidential Election Forecasting Model, Certainty, and Political Campaigns,” American Politics Quarterly, 24 (4), pp.408-433.

Immer mehr gute, aber auch schlechte Umfragen bei den Präsidientschaftswahlen

Nimmt man die provisorischen Resultate der Wählendenanteile beider Spitzenkandidaten bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl von gestern, kommt Barack Obama auf gerundete 53 Prozent, während John McCain ebenfalls gerundete 47 Prozent erreicht. Die vorläufig finale Differenz zwischen den beiden beträgt rund 6 Prozentpunkte. Mit diesen Kennziffern kann man die Präzision der verschiedenen Vorhersagen evaluieren.

In einem Punkt waren sich die fünfzehn Umfrageserien, die vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2008 realisiert wurden, einig: Barack Obama werde gewinnen. Ueber das Ausmasses an Unterstützung für ihn resp. für seinen Gegenspieler gab es aber einige Differenzen:

Fünf Schlussbefragungen kommen dem Endergebnis sehr nahe; es sind dies:

. Opinion Research (CNN) 53:46 (Differenz=7): 714 voraussichtlich Wählende / 30.10. – 1.11.
. Ipsos (McClatchy) 53:46 (7): 760 / 30.10. – 2.11.
. Battleground-Lake 52:47 (5): 800 / 2.-3. 11.
. PEW Research 52:46 (6): 2587 / 29.10. – 1.11.
. Rasmussen Reports 52:46 (6): 3000 / 1. – 3. 11.

Keine eindeutige Aussage kann man zur Stichprobengrösse machen: 3 verwendeten relativ kleine Stichproben, 2 arbeiteten mit grossen.

Alle anderen 10 Institute, die sich an der Messung von Wählendenpräferenzen zu den Präsidentschaftswahlen beteiligten, schnitten allesamt schlechter ab. Am meisten wichen Zogby und Gallup vom effektiven Endergebnis ab.

Immer deutlicher gute und schlechte Prognosen nebeneinander
Im Vergleich zu früheren amerikanischen Präsidentschaftwahlen beteiligten sich damit deutlich mehr Institute an diesem Wettbewerb.

Doch müssen zunehmend zwei Gruppen gemacht werden: solche, die gut, und solche, die schlecht abschnitten.

Nimmt man die fünf guten Institute in diesem Jahr, waren sie präziser als die sechs besten Institute bei den Vorwahlen. NImmt man indessen alle Institute, war der mittlere Fehler diesmal grösser.

Nicht unproblematisch ist, dass es schwierig ist, im Voraus die guten von den schlechten zu unterscheiden. So gehörten Zogby und TIPP bisher er zu den Befragungsagenturen mit präzisen Wahlvorhersagen, erfüllt diesmal das Kriterium aber nicht. Anderseits war Battleground-Lake vor vier Jahren nicht präzise, und Rasmussen beteiligte sich bei den öffentlichen Wahlumfragen gar nicht. Regelmässig in der Spitzengruppeist PEW Research.

Kein sog. Bradley-Effekt in den Wahlumfragen

Nicht bewahrheitet hat sich der in den Medien breit diskutierte Bradley-Effekt, wonach Obama wegen seiner Hautfarbe effektiv weniger Stimmen machen werde als in Umfragen angegeben. Zutreffend war vielmehr die Einschätzung von Dan Hopkins, der alle amerikanischen Umfragen diesbezüglich untersucht hatte und für den Zeitraum nach 1996 ein Verschwinden des Bradley-Effektes nachwies.

Claude Longchamp

Frauen wählten Obama und gaben den Ausschlag

Die ersten Ergebnisse der exitpolls zu den amerikanischen Präsidentschaftswahlen lassen einen Schluss zu: Die Frauen wählten gestern mehrheitlich Barack Obama, und sie gaben bei dieser Wahl den Ausschlag.

Barack Obama und seine Frau Michelle, der neue Präsident und die neue First Lady, bei ihre Stimmabgabe.
Barack Obama und seine Frau Michelle, der neue Präsident und die neue First Lady, bei ihre Stimmabgabe.

Zwar liegen die definitiven Endergebnisse der Präsidentschaftswahl einen halben Tage nach Wahl noch nicht vor. Doch rechnet man mit eine Stimmenverhältnis von 52 oder 53 Prozent für Obama und 46 oder 47 Prozent für McCain. Wie sich diese zusammensetzen, lässt sich aus den exit polls ableiten. Gut 17000 Interviews, die bei einer repräsentativen Auswahl Wählender gemacht wurden, geben hierzu Auskunft.

56 Prozent der wählenden US-Frauen gaben demnach ihre Stimme dem demokratischen Duo Obama/Biden. Bloss 43 Prozent von ihnen wählten McCain/Palin. Bei den Männern wäre die Mehrheit unklar geblieben: Die Wahllokal-Befragung ergibt hierein Verhältnis von 49 zu 48 zugunsten der Demokraten.

Da sich auch etwas mehr Frauen als Männer an der Wahl beteiligten, gaben sie nicht nur den Ausschlag bei Sieg und Niederlage. Dank ihnen können sich die Demokraten nicht nur in den beiden Parlamentskammern, sondern auch im Präsidentenamt auf eine Mehrheit stützen.

Ueberwältigend ist die Mehrheit für Obama bei der schwarzen Bevölkerung. Eine Mehrheit aller nicht-weissen Gruppen unter den Wählenden votierte für ihn. Die Geschlechterunterschiede treten dabei in den Hintergrund. Wenn schliesslich mehr Frauen als Männer für die Demokraten stimmten, ist das ein Effekt, der trotz allem bei der weissen Bevölkerung entstand. Hätten nur die weissen Männer wählen dürfen, hätte McCain mit 57 zu 41 die Präsidentschaft gewonnen.

Weiters zeigen die exitpoll Befragungen der grossen Fernsehanstalten und AP, dass das Alter einen Einfluss auf die Stimmabgabe hatte. Vor allem bei den Unter-30jährigen siegte Obama mit zwei Drittel der Stimmen. Beschränkt signifikant sie die Zusammenhänge mit der Schichte. Zwar votierten tiefere Bildungs- und Einkommensklassen für die Demokraten als für die Republikaner; bei den oberen Schichten gibt es aber keinen einheitlichen Trend.

Der Sieg der Demokraten entstand im Verlaufe der Kampagne, weil es ihnen gelang, die unabhängigen Wählerschichten mehrheitlich für sich zu gewinnen. Die beiden Parteilager waren dagegen weitgehend geschlossen. Die letzte Woche ging übrigens an die Republikaner, die so ihren Rückstand in allen Umfrageserien noch leicht verringern konnten.

Claude Longchamp

exit polls: aufwendig und nicht unproblematisch

Wenn die Wahllokale schliessen, schlägt die Stunde der exit poll, der grossen Befragungen vor den Wahllokalen. Für die politische Kommunikation ist das wichtiger als das amtliche Endergebnis. Der enorme Zeitdruck der Oeffentlichkeit ist aber nicht unproblematisch, namentlich was die olgen für die Genauigkeit der Aussagen betrifft.


Letzte Vorbereitungen im CNN-Studio für die exitpolls von heute (Quelle: CNN)

Um bei den heutigen Wahlen in den Vereinigten Staaten von Amerika den Präsidenten bestimmen und das Wahlergebnis einer Erstanalyse unterziehen zu können, haben sich die news Organisationen ABC News, Associated Press, CBS News, CNN, FOX News and NBC News zum National Election Pool zusammengeschlossen. Gemeinsam beauftragen sie nach 2004 zum zweiten Mal Edison Media Research und Mitofsky International, die Wahllokalbefragung durchzuführen.

Ziel der grossangelegten Erhebung in allen Gliedstaaten Sieger und Verlierer korrekt zu bestimmen. Das ist 2004 und 2006 gelungen.

Die sehr schnelle Durchführung von Befragung, Verarbeitung, Analyse und Kommentierung ist aber nicht ohne Probleme bei der Genauigkeit. Trotz erneuertes Projektorganisation 2004 wichen die kommunizieren Endergebnisse anfänglich ausserhalb des Stichprobenfehlers vom späteren offiziellen Resultat ab. Zu gut dargestellt wurden damals die Demokraten von John Kerry, während Bushs Republikaner unterschätzt wurden.

Beträchtlich sind nebst den organisatorischen Aufwendungen auch jene der Informationspolitik. Sichergestellt werden muss, dass keine der konkurrierenden news-Agentur bevorteilt informiert wird. Hierzu werden alle Informationen vom New Yorker “Quarantine Room” aus verteilt, der bis zur Resultatverkündung hermetisch von der Aussenwelt abgeriegelt ist.

Die Exit Poll erscheinen in der heutigen Wahlnacht, noch bevor die effektiven Wahlergebnisse aus den Gliedstaaten eintreffen, welche die verbindliche Verteilung der Elektorenstimmen ergeben. Gewonnen hat, wer 270 der 538 Elektoren hinter sich weiss. Sicher wird man vorsichtig mit den Daten aus den exit polls umgehen, denn man ist nach den letzten Wahlnächten gebrannt. Das heisst nicht, dass es Barack Obama nicht schafft.

Claude Longchamp

Wie genau sind die amerikanischen Vorwahlumfragen in der Regel?

Im Jahre 2004 kamen die Umfrageserien, die bis vor den Wahltag erstellt worden waren, im Schnitt bis auf 2 Prozentpunkte an das effektive Ergebnis heran. Sie waren damit im Schnitt etwas besser als vier Jahre zuvor. In der Richtung haben die Umfrageserien von 2000 und 2004 jeweils den Republikaner Bush leicht überschätzt. Auch das spricht für eine Wahlsieg von Barack Obama, der in den letzten Umfragen mit durchschnittlich 7,6 Prozent führt.

6 der 8 Institute, die 2004 eine Projektion erstellten, sahen richtigerweise Georges W. Bush (50.7%) als Sieger vor John Kerry (48.3%). Am genauesten waren damals die Vorhersage von TIPP (50.1 zu 48.0). Sie gab Bush 2.1 Prozentpunkte Vorsprung. Mit etwas abnehmender Genauigkeit folgten damals die Institute PEW, Battleground-Tarrence und Harris, beide knapp vor Zogby und Gallup. Eigentliche Fehlprognosen lagen bei Democracy Corps und Battleground-Lake vor.

Im Jahr 2000 war die Sache komplizierter, weil Al Gore (48.4%) effektiv einen halbe Prozentpunkt mehr Wählerstimmen hatte als Georges W. Bush (47.9%). Diese wurde dank eine hauchdünnen Mehrheit bei den Elektoren gewählt. Die Umfragen wiederum sahen Bush ist als klaren Sieger. Nur Zogby hatte Kerry vorne, und Harris kam dem bizzaren Endresultat mit 47:47 am genauesten.

Was lernt man daraus?

Erstens, die Differenz zwischen den beiden Spitzenkandidaten wurde 2000 falsch, 2004 aber richtig erkannt. Der Fehler liegt zwischen 2 und 3 Prozentpunkten.
Zweitens, die republikanischen Bewerber werden nicht einfach unterschätzt, egal ob sie Herausforderer oder Amtsinhaber sind.
Drittens, auf ein Institut abzustellen, ist nicht einfach, da Harris nicht mehr dabei ist, und TIPP und TIPP“>Zogby, die beiden besten bei einer Wahl bei der anderen kleinere Probleme hatten.

Wenn Obama diesmal in allen Umfrageserien mit durchschnittlich 7,6 Prozent (wenn auch mit unterschiedlichen Differenzen von 2 bei Battleground Tarrence bis 11 Prozent bei Zogby resp. Gallup führt, kann, egal wie gross der Vorsprung letzten Endes sein wird, nichts mehr schief gehen.

Weder für ihn, noch für die Umfrageinstitute als Ganzes.

Claude Longchamp

Die Zeit der Dramatisierungen

Das letzte Wochenende vor dem amerikanischen Präsidentschaftswahlen hat begonnen. Es sind die Tage der Dramatisierungen vor allem in den Massenmedien. Vorsicht ist angesagt.

Alles rechnet mit dem Sieg des Demokraten Barack Obama. Jede Verdoppelung dieser Nachricht hat deshalb keinen Newswert mehr, selbst wenn sie stimmt. Deshalb liesst man mehr vom Gegenteil, auch wenn es nicht stimmt.

Selbst das informative Netzwerk der grossen deutschschweizer Zeitungen (Tagesanzeiger, Bernerzeitung und Baslerzeitung) macht jetzt auf Dramatisierungen. “Obamas Vorsprung zerrinnt”, kann man heute in fetten Lettern lesen.

Als Beleg hierzu werden recht beliebig Umfragen verwendet, deren Ergebnisse einander gegenüber gestellt werden, um einen Trend zu haben, den man dann auch flink noch extrapolieren kann!

Besser als das ist es auf jeden Fall, sich nur an die Serien der bewährten Institute zu halten, oder aber einzig die rollenden Mittel aller, nicht ausgewählter Umfragen zu verwenden.

Letzteres leistet beispielsweise der SuperTracker der unabhängigen Wahlplattform 538. Alternativ dazu kann man auch den Trend von Real Clear Politics verwenden. Die Entwicklung, die so aufscheint, ist viel konstanter, und die Prognose, die daraus für den Wahltag gemacht werden kann, viel eindeutiger.

Momentan führt Obama bei 538 mit durchschnittlicher 7 Prozentpunkten, und es wird erwartet, dass dies am Wahltag 6 sein werden.

Von einem dramatischen Umschwung in letzter Minute kann nicht die Rede sein. Doch hat das in der gängigen Berichterstattung der Massenmedien kurz vor dem Ereignis keinen news-Wert.

Claude Longchamp