Vom Bedeutungsverlust kantonaler Wahlen

Alles schaut gespannt auf die letzten kantonalen Wahlen: in Basellandschaft an diesem Sonntag, in Zürich am nächsten, und in Luzern und Tessin am übernächsten. Dabei sollte man eines nicht übersehen: nationale Wahlen erleben eine eigentliche Renaissance, kantonale kaum.

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42,2 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten sich an den Nationalratswahlen 1995. Das war der historische Tiefpunkt in der Wahlmobilisierung auf gesamtschweizerischer Ebene. Seither nimmt die Wahlbeteiligung zu: um 1 Prozentpunkt bis 1999, um weitere 2 Prozentpunkte bis 2003 und um nochmals zusätzliche 3 Prozentpunkte bis 2007. Extrapoliert auf die Wahlen in diesem Herbst, lässt das, unter gleich bleibenden Bedingungen, eine Beteiligung von 52 Prozent erwarten.

De Gründe sind vielfältig: Die Zahl der KandidatInnen steigt, auch jene der Parteilisten ist zunehmend. Das vermehrt das Angebot. Nachfrageseitig sind insbesondere Protestpotenziale steigend, die gegenüber Diesem und Jenem in der nationalen Politik misstrauisch geworden sind. Schliesslich zeigt ein neuartiger Medienwahlkampf Wirkungen: Ins Zentrum gerückt sind ausgewählte, national bekannte Politunternehmer, an denen man sich reiben kann. Sie haben ihre eigenen Projekte, kommentieren beinahe jede Sachfrage, meist um die thematisiche oder wertmässige Polarisierung anzuheizen. Ergänzt wird dies durch Politikprominenz aus der Mitte, die nicht einmal kandidieren muss, aber hochgradige Identifikationsmöglichkeiten anbietet. Zwar werden die Sitze unverändert in den Kantonen verteilt, der Wahlkampf für National- und in wachsendem Masse auch für Ständeratswahlen wir national oder wenigstens sprachregional geführt.

Bei kantonalen Wahlen findet man nur Teile davon. In der Regel geben die Wahlen in die Regierung den Takt vor, den Bisherige haben meist gute Chancen einer Wiederwahl, was das Interesse in der Regel auf einzelne Sitze reduziert. Der Rest kann im Schlafwagen zur Wahlfeier fahren. Gemieden wird dabei eine sichtbare Nähe selbst gegenüber der eigenen Partei, denn das Majorzsystem erfordert, Stimmen überparteilich zu machen. Allenfalls kommt es lagerbezogenen Blockbildungen und Allgemeinplätzen auf der Ebene von Aussagen. Kandidierende ins Kantonsparlement gibt es je nach Kanton mehr oder weniger; selten haben sie aber kantonale Ausstrahlungskraft. Das verhindert auch, dass sie Themen setzen können, die andere aufgreifen müssen. Via Eigenwerbung und Online betreibt man vor allem Eigenmarketing. Das Medienverhalten ist entsprechend. Die dominante Lokalpresse ist regierungsnah, deshalb auch nur beschränkt angriffslustig; sie fördert vor allem das staatspolitische Interesse.

Die Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung sind entsprechend. Als ich vor einem Vierteljahrhundert mit Wahlanalysen begann, galt noch als Regel, dass eine kantonale Wahl an einem nationalen Abstimmungssonntag zu einem erhöhten Beteiligung mindestens im besagten Zählkreis führt. Heute ist alles umgekehrt. Die Teilnahme an kantonalen Entscheidungen ist tiefer; nationale Abstimmungen könnten sie und damit auch das Wahlergebnis beeinflussen, weshalb man gerne eigene Termine für Wahlen in den Regierungs- und Kantonsrat wählt.

Typisch dafür ist, dass selbst im Kanton Zürich, der unter den Kantonen eine noch am stärksten polarisierte Politkultur kennt, die Wahlbeteiligung bei Regierungs- und Kantonsratswahlen tief ist – und auch keine Trendumkehr sichtbar wird. Die bisher geringste Wahlbeteiligung gab es 2007 mit 34 Prozent. Das ist ein Klacks gegenüber dem, was national üblich geworden ist.

Man kann es auch so sagen: Kantonale Wahlen leiden an einem Bedeutungsverlust, ohne dass bis heute eine flächendeckende oder wenigstens im Einzellfall spannende Wende sichtbar geworden wäre. Das relativiert die Möglichkeiten, aus kantonalen Wahlen Parlamentswahlen nationale Trends abzuleiten – was in den nächsten 14 Tage n nicht vergessen gehen sollte. Denn das, was sich bei nationalen Parlamentswahlen in Sachen Mobilisierung seit 16 Jahren entwickelt, zeigt sich bei kantonalen eigentlich nirgends.

Claude LOngchamp

Der Kanton Zürich als Trendkanton bei Parlamentswahlen


Die Wahlen in den Zürcher Kantonsrat werden mit hoher medialer Spannung erwartet. Denn der grösste Kanton der Schweiz wählt ein halbes Jahr vor der Schweiz. Vom schweizerischen Abbild im Kleinen ist deshalb oft die Rede. Ich habe nachgerechnet, was Sache ist – und was nicht.

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Im Kanton Zürich gibt es keine Lega und auch keine CSP mehr. Ob die BDP es schafft, ins Parlament einzuziehen, ist wegen der Eintrittshürde von 5 Prozent unklar. Schweizerisch ist sie im Nationalrat vertreten, und wird es auch weiterhin sein.

Quantitativ sind ist die Ergebnisdifferenzen in Zürich und in der Schweiz namentlich bei der CVP relevant. Schweizerisch gesehen war die (ehemals katholisch geprägte) Zentrumspartei immer stärker als in der Zürcher Diaspora. Die Differenz betrug 1991 noch 10 Prozentpunkte, aktuell liegt sie bei 7. Bei der EVP ist es dafür umgekehrt. Bei den Züriher Kantonsratswahlen schloss sie bisher regelmässig um 3 Prozentpunkte besser ab als bei Nationalratswahlen. Das dürfte auch für die GLP gelten, wenn hier auch keine Verallgemeinerung aufgrund der einzigen Beobachtung sinnvoll möglich ist.

Rechts gibt es einen wichtigen Unterschied: Die Zürcher SVP ist stärker als die Vaterpartei auf schweizerischer Ebene. Die Differenz hat sich jedoch markant zurück entwickelt. Betrug sie 1991 noch 7 Prozentpunkte, schmolz diese 2007 auf gut 1 Prozent zusammen.

Beschränkt man sich darauf, Gewinn- und Verluste der Parteien schweizerisch und zürcherisch zu vergleichen, eignen sich die Zürcher Trends deutlich besser. Letztlich gibt es nur zwei Einschränkungen, welche aber mit der SVP und der SP die zwei grössten Parteien betreffen. So brachen der Zürcher SP 2007 7 Prozentpunkte weg, der nationalen Partei 3,6. Es hat wohl mit dem Wahlergebnis im Kanton Zürich von 2003 zu tun. Denn damals gewann die Kantonalpartei 4,4 Prozentpunkte hinzu, national waren es 0.8. Oder anders gesagt: Zürich ist in Sachen SP volatiler als die Schweiz.

Bei der SVP stimmten die Entwicklungen bis 1999 gut überein. Dann hatte die Zürcher Partei fast 30 Prozent und legte nur noch in kleinen Schritten zu, während die gesamtschweizerisch SVP unverändert stark wuchs. Zwischen 2003 und 2007 macht sie im Nationalrat 2,2 Prozent gut, im Zürcher Kantonsrat noch 1 Promille. auch da ist Vorsicht angesagt.

Bei allen anderen Parteien sind die Trends vergleichbar. Sie stimmen in der Richtung überein, und die Differenzen in der WählerInnen-Stärke ist unter 1 Prozent. Einzig bei der EDU öffnet sich ein wenig eine Schere. Sie wächst im Kanton Zürich, wenn auch bescheiden, anders als national.

Was heisst das für den Abend des 3. April 2011? Wenn die Ergebnisse zu den Zürcher Parlamentswahlen vorliegen, weiss man die schweizerischen Parteistärken nichts Wirkliches. Man kann aber einigermassen abschätzen, wer zulegt, und wer verliert. Vier Einschränkungen mache ich hier:

Erstens, am Unsichersten ist das noch bei der SVP, denn die Trends in Zürich gehen den schweizerischen gerade bei diese Partei voraus. Ein allfälliger Verlust für die wählstärkste Partei im wählerstärksten Kanton wäre damit noch kein klares Signal für das Resultat der SVP im Herbst.
Zweitens, das dürfte, allenfalls in umgekehrter Richtung, auch bei der GLP der Fall sein. Diese Partei ist in Zürich entstanden, und sie ist nirgends so gut verankert wie in diesem Kanton.
Drittens, genau Umgekehrtes trifft auf die BDP zu. Das Resultat in Zürich ist Hinweis darauf, was mit dieser Partei in Graubünden, Bern und Glarus geschieht.
Viertens, kann sein, dass die EVP in Zürich erheblich durch die GLP konkurrenziert wird, mehr als das in allen Kantonen zusammen der Fall sein dürfte.

Eines sei hier noch nachgeschoben: Das alles sind keine Gesetze. Es sind Erfahrungen. Eine Theorie, warum es zahlreiche Uebereinstimmungen in Zürich und der Schweiz hat, gibt es nämlich nicht. Die besten Argumente sind die Grösse Zürichs und der geringe Abstand der beiden Wahlen.

Claude Longchamp

Der Mercedes-Stern über der Zürcher Politlandschaft

Peter Moser, Politikwissenschafter und Leiter des Statistischen Amtes des Kantons Zürich, ist wohl der Innovativste unter den amtlichen Datenverarbeitern. In der heutigen NZZ legt er in Bild und Wort dar, wie er die parteipolitische Landschaft seines Kantons strukturiert sieht.

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Seit dem Erscheinen des Schweizer “Atlas der politischen Landschaften” von Michael Hermann und Heiri Leuthold sind wir uns zweidimesionale Analysen des politischen Raumes gewohnt. In vielfacher Hinsicht konnte gezeigt werden, dass die klassischen Links/Rechts-Dimension mit der Polarität zwischen mehr Markt und mehr Staat durch eine neue Identitätsdimension mit nationalkonservativen und international-progressiven Werten überlagert wurde.

Umstrittener ist aber, ob daraus effektiv eine Vier-Felder-Tabelle mit linksliberal, rechtsliberal, sozial- und nationalkonservativen Quadranten resultiert wie bei Hermann unterstellt, oder beispielsweise ein Mercedes-Stern, wie ihn Moser vorschlägt. Seine Ueberlegung ist, dass dass die wichtigste Polarität zwischen links und rechts unverändert spielt, es jedoch eine analoge Aufteilung des konservativen Lagers – mindestens in Zürich – nicht viel Sinn macht. Denn der Gegensatz dazu ist schweizbezogener Konservatismus. Deshalb bevorzugt Moser eine analytische Aufteilung mit drei Strahlen: dem konservativen, dem linksprogessiven und dem rechtsprogressiven.

Bei Abstimmung konnte der Kantonsstatistiker schon mehrfach zeigen, dass man damit sinnvolle Analysen der Ja-/Nein-Anteile, aber auch der Beteiligung machen kann. Dabei geht es dem Analytiker nicht nur um die Extreme, die eindeutig verteilt sind, sondern auch um die Profile der Parteien im Schnittfeld der drei Strahlen. Er kommt zu folgenden Schlüssen.

SVP: Der Erfolg der SVP basiert auf einer Umkrempelung von der Bauern- und Gewerbepartei mit klarem Interessenprofil zur Volksapartei mit schweizerisch-konservativen Werten. Gewachsen ist sie eben nicht nur auf dem Land, sondern in Teilen der Agglomerationen. Deren Gemeinsamkeit ist, dass es Gemeinden mit problematischen Auswirkungen der Globalisierung sind, wie die Zuwanderung wenig qualifizierter Arbeitskräfte oder die Entwertung der traditionellen Fähigkeitspotenziale. Die so entstandene Desorientierung in der Bürgerschaft wird durch die klaren und einfachen programmatischen Antworten aufgefangen.

Rotgrüne Wählerschaft: Die Kernwählerschaft von SP, GP, teilweise auch der GPL rekrutiert sich aus gut ausgebildeten Spezialisten, namentlich im Bildungs- und Gesundheitsbereich, die beim Staat oder in der staatsnahen neuen Dienstleistungswirtschaft beschäftigt sind. Die eher unscharfe Abgrenzung zwischen den Parteien führte lange zu einer hohen Fluktuation innerhalb des Lagers. Etwa zur Hälfte kann man in diesem Schema auch die GLP erklären; die andere Hälfte resultiert aus der Attraktivität des Neuen, insbesondere bei JungwählerInnen. Dem Wind der internationalen Konkurrenz waren diese Schichten bisher nur beschränkt ausgesetzt, was sich aber mit der qualifizierten Zuwanderung und vermehrten Konkurrenz an Universitäten, in Spitälern und der Kommunikationsbrache ändern könnte.

FDP: Die Verluste der FDP binnen 30 Jahren können nicht einfach mit dem Aufstieg der SVP erklärt werden. Ein Hinweise darauf ist der tiefe, bildungs- und einkommensmässige Graben zwischen den WählerInnen der bürgerlichen Parteien. Die Veränderungen der klassischen Rechtspartei hat mehr mit dem demografischen Wandel zu tun, wobei dei FDP vor allem durch das Ableben ihrer Wählenden schwindet, anders als bei der SVP junge Wählende die Verluste aber nicht wettmachen können.

Ich halte das für eine sehr stimmige Analyse der Parteienlandschaft im Kanton Zürich. Die drei Strahlen machen Sinn, die Porträts der Parteien ebenso. Untersuchen kann man damit sowohl Abstimmungen wie Wahlen. Aufzeigen könnte man das Potenzial noch für Parlaments- und Regierungsratswahlen resp. für National- und Ständeratswahlen.

Was man heute schon weiss, verdient sehr wohl die prestigeträchte Auszeichnung eines Mercedes-Sterns!

Claude Longchamp

Berner Ständeratswahlen: Niederönz ist überall

“Niederönz ist überall”, kann man nach den Berner Ständeratswahlen sagen. Denn in der Vorortsgemeinde von Herzogenbuchsee obsiegte Adrian Amstutz mit einer 1 Stimme über Ursula Wyss. Knapp war auch das Ergebnis auch im Kanton. Der neue Ständerat weiss 50,6 Prozent der Stimmenden hinter sich, der Unterlegenen fehlten 3600 Stimmen.

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Der neue Berner Ständerat, Adrian Amstutz, nimmt die Gratulation seiner Konkurrentin im zweiten Wahlgang, Ursula Wyss, entgegen.
Quelle: Bernerzeitung

Zunächst wird man festhalten können, dass die Wahlbeteiligung für Berner Wahlen hoch war: Beide Seiten haben auf Mobilisierung gesetzt, und es hat Wirkung gezeigt. Vor einem Jahr wurde der Regierungs- und Grossrat bei einem Teinahmewert von knapp 31 Prozent neu bestellt. Jetzt gingen 46 Prozent – die Hälfte mehr. Polarisierung, vermittelt durch anerkannte Persönlichkeiten, verstärkt durch zentralisierte Kommunikation bringen die Menschen zum Nachdenken und Handeln. Das lernte uns schon der Wahlkampf 2007, namentlich der der SVP. Und das wiederholte sich jetzt bei der Endausmarchung zu den Ersatzwahlen in den Ständerat im Kanton Bern exemplarisch.

Natürlich, vor drei Wochen war die Beteiligung mit gut 50 Prozent noch etwas höher. Doch damals unterstützen spannende nationale und kantonale Abstimmung die Teilnahme an den Entscheidungen. Wenn diesmal 5 Prozent weniger wählen gingen, heisst das wohl, dass ein Teil der Mitte, der sich weder für Amstutz noch für Wyss entscheiden wollte, zuhause blieb. Das macht vielleicht die Hälfte der politischen Mitte aus; mindestens die die Hälfte gab seine Stimme erneut ab. Wyss legte um 20000 Stimmen zu, Amstutz um 11000.

Zugelegt hat die Sozialdemokratin namentlich in den Zahlkreisen Bern-Mittelland, Biel/Bienne, Thun. Etwas aufgeholt hat sie aber auch im Berner Jura und im Seeland, während sie in Obersimmental-Saanen, Frutigen-Niedersimmental, Interlaken-Oberlhasli und dem Emmental praktisch chancenlos blieb. Diese Regionen bewegten sich eher Richtung Wahlsieger Amstutz.

Mit Adrian Amstutz hatte ein SVP-Ständeratskandidat der neuen Art Erfolg. Er politisiert auffällig, und weiss mit negative campaigning zu politisieren. Denn seine Botschaften gegen den EU-Beitritt und gegen die Abschaffung der Armee waren nicht nur SVP-Programm, sie zielten auch klar auf seine Konkurrentinnen. Das passt gut in die Strategie der Partei von Amstutz, welche 2011 ihre Untervertretung im Ständerat korrigieren möchte.

Mit dem knappen Ergebnis, aber auch mit seinem Profil in Bern wiederholte sich zudem das zwischenzeitlich gut bekannte Konfliktmuster im Kanton Bern: Die beiden Agglomeration Bern und Biel stimmen genauso wie der französischsprache Kantonsteil mehrheitlich links, der übrigen Kanton rechts. Die Spaltung geht durch kleinere Agglomerationen wie die von Thun oder Spiez, von Langenthal oder Burgdorf, wo das mehrheitlich Umland konservativ ist, die Zentren progressiv.

Dazu passt, dass Niederönz, die Agglomerationsgemeinde vor Herzogenbuchsee mit 50,1 Prozent für Adrian Amstutz wählte, und den konservativen Oberländer neben Werner Luginbühl von der BDP zum neuen Berner Ständerat empfahl.

Claude Longchamp

Börsianer schätzen Chancen der Waffen-Initiative skeptisch ein.

Die Börsianer auf Wahlfieber rechnen mit einen doppelten Nein bei Volks- und Ständemehr zu Waffen-Initiative.

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Kurswerte der Aktien für das Ja und Nein zur Waffen-Initiative. Quelle: Wahlfieber

Bis neun Tage vor der Abstimmung überwog in der Wettbörse “Wahlfieber” die Erwartung, die Initiative “Schutz vor Waffengewalt” werde das Volksmehr schaffen, wohl aber am Ständemehr scheitern.

Nun ist alles anders. Aktuell ist Aktie für die Zustimmung noch gerundete 48 Einheiten wert, jene für die Ablehnung gerundete 53 Prozent.

Am positivsten war die Wette für das Ja am 23. Januar 2011. Seither überwiegt im Trend die negative Erwartung. Nach der letzten publizierten Repräsentativ-Befragung überholte die Nein-Aktie jene für das Ja im Kurswert. Seit dem 4. Februar liegt diese ungebrochen vorne. Noch zwei Tage früher kippte die Ewartung beim Ständemehr definitiv auf die Nein-Seite.

Aus meiner Sicht füge ich bei: Der negative Trend reflektiert nicht zu unrecht die Aktivitäten der beiden Lager in der Oeffentlichkeit. Die Nein-Seite ist (gefühlsmässig) präsenter, vor allem bei den Plakaten, und in den Leserbriefspalten. Nach einem Furioso zu Beginn, gelang es dagegen den InitiantInnen kaum einen sichtbaren Schlusspunkt zu setzen, um die finale Mobilisierung zu beeinflussen.

Genaueres weiss man morgen.

Claude Longchamp

Der Tag der AuslandjournalistInnen

Freitag vor Volksabstimmungen: Tag der AuslandjournalistInnen, welche die direkte Demokratie in der Schweiz entdecken. Eine Analyse meiner gemischten Gefühlslage.

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Noch vor Kurzem war der Freitag vor einer Volksabstimmung für mich ein Reservetag. Wenn es schlecht ging, hatte ich noch Zeit, nötige Vorbereitungen zu treffen; wenn’s dagegen gut ging, hatte ich frei.

Das ist neuerdings anders. Denn spätestens an so einem Freitag besuchen mich die AuslandkorrespondentInnen. Diesmal ist das Interessen an der eidgenössischen Volksabstimmung zur Initiative für Schutz gegen Waffengewalt in den USA recht gross; denn wie die Amis auch, haben die SchweizerInnen ein spezielles Verhältnis zu Waffen in Privathaushalten. Seit der Abstimmung über das Minarett-Verbot habe ist auch das ZDF regelmässig zu Gast in meinem Büro. Es reizt die konservative Schweiz, die sich konfessionell abgrenzt, national verschliesst und trotzig hinter der Waffe steht. Der Amoklauf von Winnenden, wo heute der Urteilsspruch gefällt wurde, sorgt bei unserem nördlichen Nachbarn für das spezifische Interesse.

Ein wenig Missbehagen habe ich schon. Denn bedient wird so ein Klischee. Nicht dass ich sagen würde, in der Schweiz gäbe es keinen Nationalkonservatismus. Doch die Ausschliesslichkeit des Interesses an dieser Frage irritiert. Und so versuche ich regelmässig zu platzieren, dass die direkte Demokratie auch andere Folgen hat, als die Igel-Schweiz zu markieren. Zum Beispiel auch neuen Bewegungen aller Art Entfaltungsspielraum zu geben. Auch ein wenig von der Schweizer Ausgabenbremse (mehr als 80 Prozent Zustimmung in der Volksentscheidung) würde Deutschland und Co. gut anstehen, ist eine meiner Botschaften.

Ich werde morgen also versuchen, nicht nur über die Waffen-Initiative, das demoskopische Porträt hierzu zu sprechen, nein, es sollen auch ein paar allgemeine Informationen verbreitet werden. Zum Beispiel, dass wir über alles abstimmen können. Zum Beispiel, dass der Stadt/Land-Gegensatz kräftig anwächste, und die direkte Demokratie diese Spaltung neuerdings sichtbar macht. Und zum Beispiel, dass Männer und Frauen nicht immer gleich entscheiden.

Was uns echt fehlt, ist eine Organisation, welche bei ausländischen MeinungsmacherInnen die direkte Demokratie der Schweiz, die Volksabstimmungen und die Ergebnisse erläutert – und nicht wartet, bis wir eine “ubliebsame” Entscheidung getroffen haben.

Was mir am Freitag davon gelingt, weiss ich nicht. Vordergründig geht es ja um Zahlen. 47:45. Doch das war vor zwei Wochen. Bei negativem Trend. Das plausibelste Szenario ist die Fortsetzung dessen. Den Deutschen wird man sagen müssen, dass man in der Schweiz unmittelbar vor Abstimmungen keine Umfragen mehr machen und veröffentlichen darf. Und so einiges unklar bleibt.

Ich weiss, damit risikiere ich grosse Augen und strenge Nachfragen. Vielleicht werde ich diese auch bedienen. Was ich gegenüber einem Schweizer Medium nicht mehr machen dürfte. Bleibt nur die Hoffnung, dass in der Schweiz morgen niemand ZDF schaut, wenn er seine Waffe pflegt!

Claude Longchamp

Zürich: Rechte Mehrheit im Kantonsrat möglich – im Regierungsrat unerwünscht

Zwei Umfragen – zwei Aussagen: Der Kantonsrat rückt etwas nach rechts – die parteipolitische Zusammensetzung des Kantonsrates bleibt stabil. Was im grössten Testkanton für die nationalen Wahlen rechnerisch möglich wäre, erscheint politisch nicht wünschenswert: eine rechte Mehrheit, die alleine das Sagen hätte.

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Vorgestern publizierte der Tages-Anzeiger die Isopublic-Umfrage zu den Regierungsratswahlen. Die Resultate legen eine Präferenzen für konstante Verhältnisse nahe. Denn der neue SP-Mann Mario Fehr würde den abtretenden Genossen Markus Notter ersetzen können. Markus Kägi von der SVP, erst seit kurzem als Ersatz für Rita Fuhrer im Amt, liegt nur auf Platz sieben, vorerst aber mit einem recht klaren Vorsprung auf Martin Graf, dem grünen Herausforderer.

Gestern nun erscheinen die Befragungsergebnisse zu den Kantonsratswahlen. Bis zum 3. April 2011 vergehen noch neun Wochen, während denen sich Einiges ereignen kann – oder auch nicht mehr wirkt, wie die Debatte zum tätlichen Angriff auf SVP-Wahlkampfleiter Hans Fehr.

Der Trend geht aber nach rechts. Zulegen könnte die SVP, halten würde sich die FDP, praktische Stabilität würde auch für die EDU und die SD resultieren. Wenn auch nur schwach, die Mitte und die Linke würde verlieren. Etwas zulegen würde die GLP, ebenso die AL. Eigentliche Verliererin wäre die EVP. Gar nicht ausgewiesen wird der denkbare, aktuelle Wähleranteil der BDP. Das spricht für einen Prozentsatz unter 1 Prozent.

Bestätigt werden damit der Hauptbefunde aus unserem Wahlbarometer. Zwar wären die Veränderungen in Zürich etwas geringer, die Symptomatik ist aber gleich: Rechts legt zu, Mitte/Links sammelt die GLP. Von Bi-Polarisierung kann man kaum mehr sprechen, von Polarisierung Richtung SVP viel eher, der letztlich nur die GLP widerstehen kann.

Interessant an beiden Umfragen von Isopublic ist der Vergleich untereinander. Der Trend nach rechts ist ein Phänomen der Legislative, nicht der Exekutive. Das spricht für vernachlässigte parlamentarische Probleme, die einer Lösung zugeführt werden sollen. Die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit liegt da wohl zuvorderst. Daraus sollte man jedoch nicht auf einen verbreiteten Willen der BürgerInnen schliessen, das ganze System auswechseln zu wollen.

Zur Regierungskonkordanz gibt es auch im Kanton Zürich keine Alternative. Eine rechte Mehrheit mit der Linken und der Mitte in der Opposition erscheint rechnerisch zar möglich, politisch aber nicht wünschenswert. Diese Botschaft aus dem grössten Testkanton, sollte sie sich am 4. April 2011 bestätigen, sollte man national nicht vergessen.

Claude Longchamp

Erste Wahlbarometer-Sendung – Feedbacks erwünscht

Am Freitag erschien die erste Wahlbarometer-Sendung auf SF. 5 weitere werden folgen. Feedbacks sind erwünscht, denn am Konzept kann man noch feilen.

Wahlbarometer vom 28.01.2011

Wenn man selber im Studio steht, darf man sich von nichts beeindrucken lassen. Am wenigsten von der Technik, obwohl sie mit ihrer Undurchschaubarkeit unheimlich wirkt, aber auch nicht von der Geschäftigkeit des Personal, das von Kamera-Frau bis Schmink-Mann Dienst tut. Und dennoch ist es schwer, sich während einer Sendung nicht vom Prozess bestimmen zu lassen, sondern vom Produkt. Denn das sieht man auch als Beteiligter gleichzeitig mit allen anderen Zuschauerinnen.

Gesehen wurde die Sendung auf jeden Fall. 254000 Personen wurden im Mittel des Beitrags gezählt. Das ist beträchtlich, etwa gleich viel wie im Schnitt die anschliessende Arena-Sendung schauten. 19 Prozent Marktanteil ist für eine Politsendung am Freitag abend auch schon ganz ordentlich.

Das Sendungegefäss wurde 2007 eingeführt, nachdem der Publikumsrat bemängelt hatte, die elektronischen Medien würden zu wenig aus dem reichhaltigen Material machen, welche via Wahlbarometer zur Verfügung gestellt wird. Zwischenzeitlich sind die Dienstleistungen ausgebaut worden, und auch die Verwertung durch die SRG SSR Medien hat nicht zuletzt via Online-Plattformen zugenommen.

Gerne höre ich, wie die Reaktionen sind, zum Beispiel zum ausführlichsten Beitrag, den ich hier dem interessierten Publikum zur Kommentierung bereit stelle. Rückmeldung sind erwünscht, denn wir überlegen immer wieder, wie die Kommunikation der Forschungsergebnisse verbessert werden kann.

Claude Longchamp

Aufruf zur kollektiven Wahlberichterstattung

Zu den interessantesten Experimenten der Wahlberichterstattung 2.0 gehören die Artikel von wikipedia zu den Parlamentswahlen. Gesucht wird so ein kollektiv erstes Porträt der jeweiligen Parlamentswahl in einem bestimmten Land.

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Bis eine wissenschaftliche Monographie zu einer Wahl erscheint, kann es locker Monate, bisweilen auch Jahre dauern. Das mindert ihren Wert für die Geschichte nicht – aber den für die Gegenwartsanalyse.

In diese Lücke vorgestossen ist wikipedia. Seit längerem gibt es im Kunterbund der elektronischen Enzyklopädie eine hochaktuelle Reihe, die nationalen Wahlen laufend dokumentieren. Die Artikel sind in der Regel mit der Wahl, allenfalls mit den ersten Nachanalysen abgeschlossen. Sie beginnen meist mit dem Wahlkampf, allenfalls mit der Schilderung der Ausgangslage.

In der Schweiz konnte man schon 2003 die ersten Gehversuche mit dieser neuartigen Wahlberichterstattung verfolgen. Und bei den Berner Grossratswahlen 2010 gab es einen zaghaften Versuch, das gleich auch auf die kantonalen Wahlen zu übertragen.

Nun rufe ich auf, das Projekt bei den National- und Ständeratswahlen 2011 fortzusetzen. Gesucht sind Personen, die sich interessieren, an einem partei- und personen-unabhängigen Porträt der Schweizer Parlamentswahlen der Gegenwart mitzuarbeiten. Sie sollen aufmerksam beobachten, systematisch recherchieren und ihre Ergebnisse in ein grösseres Ganzes einbringen können.

2003 und 2007 entstanden so ein bis heute unverzichtbare Lexikon-Artikel zu den Stichworten wie Wahlmodus, Ausgangslage, Wahlkampf, Wahlbeobachtung, Wahlanalyse, Ergebnisse und Auswirkungen. Ergänzt wurden die Ausführungen durch zahlreiche Tabellen, die man sonst nicht überall findet, und einige Bilder, welche einen Eindruck des Geschehens im Wahlkampf vermitteln. Wie alle wikipedia-Artikel sind die Beiträge gut verlinkt, nicht zu letzt, um nicht zu umfangreich zu werden, und es finden sich relevante Hinweise auf Quellen im Internet und darüber hinaus.

Und so frage ich: Sind Sie interessiert, zum Korrespondenten, zur Korrespondentin in der genannten Sache zu werden? – Ich jedenfalls werde mich an der lancierten Projektidee erneut beteiligen.

Ueberigens: In französischer Sprache ist der Artikel schon weiter gediehen als auf Deutsch! Und es fehlen KollegInnen, die in Italienisch oder Englisch berichten ganz.

Claude Longchamp

Coopetition als Strategie der SRG SSR

Auf den ersten Blick, ist der Begriff eine Widerspruch ins sich, auf den zweiten beschreibt er die Medienstrategie des neuen SRG-Generaldirektors Roger de Weck. Im Grossen und im Kleinen.

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Roger de Weck, neuer Generaldirektor der SRG, erklärt seine Strategie-Vorstellung für den Medienplatz Schweiz

“Wir debattieren über Strategien für den Finanzplatz, für den Werkplatz, den Hochschulplatz – aber wir führen keine Diskussion über die Zukunft des Medienplatzes Schweiz in der Globalisierung”, diktierte Roger de Weck Francesco Benini ins Notzbuch, als der NZZamSonntag-Redaktor den neuen SRG Generaldirektor zu seinen Plänen interviewte. De Weck kritisierte diese Absenz eine nationalen Medienstrategie, der zentrale Logik sei, was die SRG gewinne würde, gehe zu lasten der privaten Medienhäuser in der Schweiz – und umgekehrt. Denn die vorherrschende Analyse sei falsch, übersehe, dass im globalen Massstab allesamt Liliputaner seien. Demnach liege es im Interesse aller Medienhäuser in der Schweiz, einander zu stärken, statt zu schwächen.

Das Rezept der SRG-Obersten heisst deshalb “Coopetition” – ein ökonomisch inspiriertes Kunstwort aus “cooperation” und “competition”, das genau eine solche Mischung von Strategien will. Bei de Weck heisst das: Koopetationen im beiderseitigen Vorteil, etwa bei der Werbung, anderseits Konkurrenz beim Angebot.

Zu dieser Ueberlegung gekommen ist de Weck aus der Analyse der Medienverhältnisse in Deutschland, wo Google einen 60prozentige Marktanteil im Internet hat, und mit Facebook ein neuer Akteur hochschnellt, bei dem man noch zielgerichteter werben kann. Da haben sie vier Anbieter aus der deutschen Verlags- und Medienbranchen zusammengetan, um mit einer gemeinsamen Vermarktungsfirma für Internet-Werbung die kritische Masse gegen die Riesen entgegensetzen zu können.

Darüber hinaus propagiert der neue Generaldirektor im Interview mit der NZZ am Sonntag zwei seiner Grundsätze: mit Sport und Unterhaltung am nationalen Zusammenhalt der Schweiz zu arbeiten, und mit einer Politik der Unabhängigkeit, des Ausgleichs und Minderheitenschutzes der Vorherrschaft einzelner politischer Strömungen und Sprachregionen entgegenzutreten.

Ein wenig kam mir die Lektüre vor wie die Verhandlungen für das Wahlbarometer 2011. Denn nebst den Redaktionen der SRG SSR, die wir primär beliefern können, gibt es eine Kooperation mit 5 grösseren Regionalzeitungen aus verschiedenen Verlagshäusern: Le Temps, Neue Luzerner Zeitung, Mittelland-Zeitung, St.Galler Tagblatt und Südostschweiz. Und gegenüber den Parteien ist das Projekt unabhängig konzipiert.
Claude Longchamp