Die Zukunft Chimerikas

Er ist der Optimist unter allen Analytikern der USA in der Zeit nach der Finanzkrise: Niall Ferguson, 45, britischer Historiker an der amerikanischen Harvard University. Der begnadeste Geschichtsprofessor seiner Generation, publizistisch vor allem im Fernsehen und mit Artikeln und Büchern dazu aktiv, erfand (mit Moritz Schularik) auch den Begriff “Chimerika”, ein Schachtelwort aus China und Amerika, weil die Oekonomien beider Länder engstens miteinander verhängt seien.

Stellt man sich die Wirtschaft beider Länder als die eines einzigen vor, kommt dieses Chimerika auf 13 Prozent der Landmasse, stellt ein Viertel der Erdbevölkerung, kommt auf etwa ein Drittel des Bruttosozialprodukts und auf circa die Hälfte des globalen Wirtschaftswachstums der letzten sechs Jahre.

Sehr einfach ausgedrückt, besorgte die eine Hälfte, die Westchimeriker, das Sparen und die andere, die Ostchimeriker, das Ausgeben. Die USA erzeugten Wachstum durch Bauen mit Schulden, während die Chinesen mit höher Produktion zu tiefen Löhnen Kredite vergaben. Doch dann enthüllte eine Welle geplatzter Hypotheken an Kreditnehmer mit schlechter Bonität, wie instabil Chimerika war.

“Wie immer bei Blasen”, sagt der Wirtschaftshistoriker, “ging schnelles Geld mit einer laxen Kreditvergabe und glattem Betrug einher.” Der Kollaps am Immobilienmarkt habe deshalb so verheerend gewirkt, weil die Banken die ursprünglichen Kredite gebündelt, in Scheibchen geschnitten und durcheinander gewürfelt und sie an Investoren in aller Welt verkauft hätten. Die Rating-Agenturen ihrerseits hätten die Premium-Etage dieser Produkte als AAA eingestuft: Quintessenz der Finanz-Alchemie. Als sich das vermeintliche Gold erst in Blei und dann in Giftmüll zurückverwandelt habe, waren die Folgen fatal.

Eine unausweichliche Konsequenz der Kreditkrise ist, dass die Vereinigten Staaten in absehbarer Zeit langsamer wachsen werden: eher ein als zwei Prozent pro Jahr statt der drei oder vier Prozent wie bisher. Dagegen kann Chinas Semi-Planwirtschaft, angetrieben von staatlich verordneten Investitionen in die Infrastruktur und wachsender Nachfrage der Konsumenten, auch weiterhin bequem um acht Prozent jährlich wachsen.

Mit einem von Amerika abgekoppelten China scheint das Ende Chimerikas nahe. Und mit dem Ende Chimerikas muss sich das globale Machtgleichgewicht verschieben, prognostiziert der Historiker. China kann andere Sphären globaler Einflussnahme erkunden, zum Beispiel im rohstoffreichen Afrika.

“Jedoch”, bilanziert Ferguson, “die Geschichte hat einen Dreh. Kommentatoren sollten, bevor sie Niedergang und Fall der Vereinigten Staaten prophezeien, immer zögern, sagt der Optimist. Die USA haben schon mehr als eine katastrophale Finanzkrise überlebt und sind jeweils geopolitisch gestärkt aus ihr hervorgegangen, galubt Ferguson aus der Geschichte herauslesen zu können. Der Grund dafür ist, dass solche Krisen, so schlimm sie daheim auch scheinen mögen, Amerikas Rivalen offenbar noch härter treffen.”

Ferguson ist für seine publizistischen Offensiven zugunsten der amerikanischen Finanzwelt ist in Fachkreisen vielfach kritisiert worden. Ein Teil der Kritik betrifft die mediale Präsenz, der andere die Nähe zur Propagnada für den Turbokapitalismus. Der Vorwurf, Halbwahrheiten mit phantasievollen Spekulationen, akademisch gekleidet, aber nur spärlich belegt zu veröffentlichen, hat dem Tausendsassa der gegenwärtig Historikerzunft nicht geschadet. 2010 kehrt er nach Grossbritannien zurück, um an der LSA über die Finanzgeschichte der Welt zu forschen und zu lehren.

Claude Longchamp

Niall Ferguson: The Ascent of Money: A Financial History of the World, Penguin Books 2008 (dt. Der Aufstieg des Geldes. Die Währung der Geschichte, Berlin 2009)

NZZ gegen neues Ausweisgesetz, nicht aber gegen e-Pass

Im bürgerlichen Zentrum ist man für das neue Ausweisgesetz, das die Einführung der biometrischen Pässe regelt. Doch ausgerechnet die NZZ gesellt sich mit liberalen Argumenten aus der gegenwärtigen Debatte mit der EU fast unbemerkt ins Nein-Lager.

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Die “alte Tante” der liberalen Gesinnung stellt sich gegen das Vorhaben von Bundesrat und Parlament, das bestehende Ausweisgesetz neu zu regeln.

So stand es diese Woche in der NZZ zu lesen: Die Redaktion “lehnt die Änderung des Ausweisgesetzes zur Einführung biometrischer Pässe in der vom Parlament im letzten Sommer verabschiedeten Fassung aus datenschützerischen Überlegungen ab.”

Anders als die fundamentale Gegnerschaft vor allem aus dem rechten politischen Lager, welche die namentlich die zwangsweise Einführung des biometrischen Passes ablehnt, hat die NZZ nichts gegen die e-Pässe einzuwenden.

Stein des Anstosses ist jedoch der Umstand, dass die biometrischen Daten auf einer zentralen Datenbank beim Bundesamt für Polizei gespeichert werden sollen. Damit gehe die Schweiz über den Schengen-Standard hinaus. Es sei deshalb nicht einzusehen, schreibt “zz” in der Erläuterung der NZZ-Position, “warum jeder Passbesitzer seine persönlichen Daten dem Staat übergeben soll.” Und: “Umfassende Datenbanken wecken nach aller Erfahrung Begehrlichkeiten. (…) Die Vorlage ist deshalb zur Verbesserung in diesem Punkt neu aufzugleisen.”

Ausdrücklich grenzt man sich damit von der nationalkonservativen Opposition ab, welche einmal versuche, das bilaterale Vertragsgebäude zu Fall zu bringen. O-Ton NZZ: “Die vom Volk deutlich gutgeheissene Schengen/Dublin-Mitgliedschaft der Schweiz wird damit keineswegs gefährdet – auch wenn aus Zeitgründen allenfalls eine Übergangsregelung mit den EU-Staaten nötig werden wird. Gerade in liberaler Sicht ist der Schutz persönlicher Daten ein hohes Gut, das man nicht leichtfertig aufs Spiel setzen sollte.”

Die Anspielung auf die aktuelle Stimmungslage aus der Bankkunden-Debatte mit der USA und der EU ist unübersehbar!

Claude Longchamp

Der politische Raum in der Konjunkturpolitik der Schweiz

Unser Institut hat jüngst die Akzeptanz konjunkturpolitischer Programme untersucht. Dabei wurden unter anderem 10 Forderungen getestet, um die Höhe der Zustimmung, aber auch die wichtigsten Konfliktlinien unter den StimmbürgerInnen zu bestimmen.

Beides ist statistisch mit gängigen Prüfverfahren aus der uni-, bi- und multivariaten Statistik leistbar, für die Ergebniskommunikation aber wenig geeignet. Genau da bieten sich die Stärken der multidimensionalen Skalierung an, die komplexe statistische Ergebnisse visuell darstellt.

Produziert werden dabei zweidimensionale Karten, die sich ähnlich wie Landkarten lesen. Kennen zwei Städte, die auf einer Karte weit auseinander liegen, meist nur geringe Gemeinsamkeiten, ist das auch bei Indikatoren aus Befragungen so. Was nahe beeinander liegt,ist dagegen verwandt, das heisst es wird von vergleichbaren Menschen befürwortet (oder abgelehnt).

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Die Anwendung auf unsere konjunkturpolitische Abklärung ist obenstehend abgebildet. Dabei entspricht die x-Achse der Zustimmungshöhe zu den Forderung. Was im Westen der Karte erscheint, geniesst eine dezidierte Zustimmung, während bei Forderungen im Osten das Gegenteil der Fall ist.

Entscheidender noch ist die y-Achse, den sie zeigt auf, von wo die politische Zustimmung überdurchschnittlich erfolgt. Forderungen mit sehr hoher Befürwortung befinden sich auf dieser Dimension in der Achsenmitte. Forderung mit einer mittlere Zustimmung können aber eher rechts, linke oder Mitte-Potenziale ansprechen, während Forderung, die mehrheitlich abgelehnt werden von den eindeutig von den politischen Polen stammen.

Die Resultateinterpretation lautet demnach:

Erstens, von den gegenwärtig diskutierten konjunkturpolitischen Massnahmen kennen die Sicherung der Arbeitsplätze, die Befristung von Massnahmen und die Vermeidung von Steuererhöhung die höchste und parteipolitisch kaum profilierte Zustimmung. Aehnlich ist die Bewertung von Forderungen, wie nachhaltige Investition im Bau zu tätigen resp. die Ausagendisziplin beizubehalten, wenn sich auch hier minimale Einflüsse aus der links/rechts-Positionierung der Befragten ergeben.

Zweitens, mehrheitsfähige Positionen mit einem eindeutig überdurchschnittlichen rechten Zustimmungsprofil sind Forderungen wie sozialpolitische Ausgaben in Krisenzeiten schwächen den Wirtschaftsstandort Schweiz resp. wie nur jene Massnahmen zu realisieren, die kurzfristig eine gesicherte Wirkung zeigen. Umgekehrt kann man festhalten, dass die Ankurbelung der Wirtschaft durch Sozialausgaben eine mehrheitsfähig linke Massnahme darstellt. Dazu gehört auch, dass man mit Mehrausgaben Rezession verhindern kann.

Drittens, schliesslich gilt, dass Steuersenkungen als Massnahme gegen die Wirtschaftskrise in der Schweiz als eindeutig von rechts unterstützte Forderungen identifiziert werden können, deren Zustimmung keine Mehrheit findet, weil sie klar aus dem rechten politischen Lager unter den StimmbürgerInnen kommt.

Das MDS-Verfahren erstellt solche Uebersichten über Häufigkeit und zentrale Konfliktlinie, die aus einer Mehrzahl von Indikatoren abgeleitet werden müssen, rasch und zuverlässig, sodass sie als gültige Objektivierung politischen Forderungen im politischen Raum verwendet werden können.

Claude Longchamp

Ganzer Bericht

Medienschaffende und PolitikerInnen: Egoisten oder Altruisten und sich?

Im Rahmen einer europaweiten Studie untersucht ein Forschungsteam des IPMZ der Uni Zürich erstmals die politische Kommunikationskultur der politisch-medialen Eliten in der Schweiz. Es liegt der Zwischenbericht der Professoren Otfried Jarren und Patrick Donges vor, der jetzt in die vergleichende Betrachtungsweise eingebracht werden soll. Eine kleine Uebersicht.

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Wechselseitige Brüche im Rollenverständnis von Politik und Medien ortet die Studie des IPMZ zur politischen Kommunikationskultur in der Schweiz

In Anlehnung an die politische Kulturforschung wird die politischen Kommunikationskultur in dieser Studie in 4 Dimensionen zerlegt:

. System: Interaktionsstruktur von Eliten aus Politik und Medien
. Input: Bedeutung der öffentlichen Meinung in der Politikvermittlung
. Output: Einstellungen zur politischen Oeffentlichkeitsarbeit und
. Selbstbild: Rollendefinitionen in der Interaktion der politisch-medialen Eliten

Zur Operationalisierung wurde eine Elitenbefragung konzipiert, realisiert bei 332 prominenten VertreterInnen aus Politik und Medien.

Die Kernergebnisse

Selbstbilder: In ihren wechselseitigen Rollenbildern unterscheiden sich politische und mediale Eliten massiv. Die PolitikerInnen nehmen Medien als marktkonforme Vermittler wahr, deren Hauptaufgabe es ist, möglichst viele NutzerInnen zu haben. Die Medienschaffenden definieren sich dagegen als Informanten der BürgerInnen, damit sich diese eine begründete Meinung bilden können. Das gilt notabene auch umgekehrt: Medienschaffende sehen im medialen Engagement der PolitikerInnen den Wunsch, die eigene Bekanntheit zu erhöhen, während PolitikerInnen das als Beitrag zur öffentlichen Information sehen.

System: Der Einfluss des öffentlichen Fernsehens, der Qualitätszeitung und der Boulevardpresse eingestuft. Geringer ist der Einfluss von Privatenfensehen und Online-Medien. Generell nehmen die politischen Auskunftsgeber mehr Einfluss wahr als die Medienschaffenden. Insgesamt fällt das Urteil beider Gruppen zum Einfluss der Medien auf die Funktionsweise der Demokratie positiv aus.

Input: Die Beurteilung von Umfragen fällt gemischt aus. Regelmässige Berichte werden recht positiv beurteilt. Der Journalismus, der sich auf Umfragen bezieht, gilt aber nicht als glaubwürdiger. Vor allem Medienschaffende bleiben hier skeptisch. Von beiden Gruppen werden Meinungsumfragen übrigens nicht als Hindernisse angesehen, um politische Vorhaben selbst bei einer kritische Bevölkerungsmeinung realisieren zu können.

Output: Fernseh-Talkshows gelten schliesslich als wirkungsvollste Vorgehensweise, um Botschaften in der Oeffentlichkeit zu platzieren. Praktisch gleichwertig beurteilt werden gezielte Informationsarbeit der politischen Akteure gegenüber JournalistInnen. Generell gelten medienorientierte Strategien als geeigneter denn politikbezogene wie die Parlamentsrede.

Mein Kommentar

Das sicherlich spannendste Ergebnis betrifft die Selbst- und Fremdbilder der Eliten untereinander. Sie zeigen erhebliche Brüche. Dabei unterstellt man dem Parnter egoistische Motive, während man die eigenen altruistisch interpretiert. Es wird interessant sein, diesen kulturellen Wandel bald einmal im Vergleich mit anderen politischen Kommunikationskulturen vergleichen zu können.

Claude Longchamp

“Der schmale Grat zum Erfolg”

Er heisst Tim Frey. Und er ist Politikwissenschafter. Nun wechselt er von der universitären Theorie in die Praxis, um die Zentrale der CVP Schweiz zu führen.

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Frey ist unter PolitikwissenschafterInnen kein unbekannter, wirkt er doch als Oberassistent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich. Seine Doktorarbeit erscheint Ende Februar 2009 in Buchform. Doch danach verlässt Frey das Feld der theoretischen Politik, um sich auf jenes der praktischen zu begeben. Denn am 1. April 2009 beginnt er als Generalsekretär der CVP Schweiz.

Sein Werdegang ist frei von Stallgeruch. Seine Familie war parteipolitsich nicht engagiert, als Timotheos 1972 in Basel zur Welt kam. Getauft wurde er auf den reformierten Glauben, und die entsprechend gefärbte Pfadi hat ihn sozialisiert. Nach einer Lehre auf dem Bau entschied sich Tim, in Genf Internationalen Beziehungen zu studieren. 30jährig wechselte er nochmals, diesmal nach Zürich, um bei Hanspeter Kriesi mit einer aufwendigen Arbeit zu doktorieren.

Der ledige Frey lebt gegenwärtig in einer WG aus Studentenzeiten. Eine eigene Familie hat er nicht; dafür interessiert ihn die neue urbane Mobilität. Und auf Internet ist er vor allem englisch unterwegs. Das Repertoire des metropolitanen Menschen wird Frey bald ergänzen müssen, wenn er auch im ruralen Umfeld der CVP bestehen will. Denn im Bewerbungsverfahren, währenddem erst er der CVP beigetreten ist, standen ihm 30 Konkurrenten aus allen Teilen der föderalistischen Partei gegenüber, darunter namhafte CVP-Repräsentanten und kantonale Funktionäre.

Man suche einen Iwan Nause oder einen Reto Rickenbacher, erzählte mir jüngst ein prominentes Mitglied der Findungskommission. Erwartet werde jemand, der weniger zögerlich sei, als dies Iwan Rickenbacher als Generalsekretär war, aber auch weniger extravertiert als Reto Nause, dem scheidenden Chef der CVP-Zentrale. Das scheint man nun in der Personen von Tim Frey gefunden zu haben. Er werde weniger nach Aussen in Erscheinung treten, aber viel für eine kohärente politische Linie sorgen, sagte der frisch Gewählte übers Wochenende den Medien.

Die grosse Herausforderung beginnt schon bald. Denn Tim Frey (politischer Standort: “in der Mitte der Mitte”) muss die CVP 2011 zum Wahlerfolg führen, will sie ihren Anspruch, aus eigener Kraft einen zweiten Bundesratssitz zu erhalten, einlösen können. Und das ist angesichts der Konkurrenz links und rechts nicht einfach, wie Frey im Titel seiner Dissertation festgehalten hat: “Der schmale Grat zum Erfolg”, heisst das Buch, das die Gegenwart der westeuropäischen Christdemokratie beschreibt.

Claude Longchamp

Hochrechnung von Abstimmungen: Alles hängt von der richtigen Referenz ab!

Die schwierigste Frage bei der Hochrechnung von Abstimmungsergebnissen für die SRG SSR idée suisse lautet: Welche rasch verfügbare Teilinformation zu Abstimmungsresultaten kann man wie sicher verallgemeinern, um daraus eine national gültige Hochrechnung machen zu können.


Bei der Arbeit: Jonas Kocher, Stephan Tschöpe und Lukas Golder, drei Mitglieder des Hochrechnungsteams bei eidgenössischen Abstimmungen

Das Problem
Bei einer üblichen Stichprobe für in Bevölkerungsbefragungen steht das Vorgehen im Lehrbuch: Man muss die Grundsgesamtheit kennen, daraus eine Zufallsauswahl ziehen, und man kann dann die Ergebnisse aus deer Stichprobe mit der schliessenden Statistik verallgemeinern.

Bei Hochrechnung ist das nicht möglich. Um 1000 Gemeinderesultate sammeln zu können,braucht man mehr als die zugelassenen 2 Stunden. Und der theoretische Stichprobenfehler wäre mit +/- 3 Prozentpunkten grösser als die Vorgabe. Denn die Hochrechung muss auf +/-2 Prozentpunkte genau sein.

Deshalb bedient man sich einer anderen Methode. Die massgebliche Frage hierfür lautet: Welche Volksentscheidung, die früher stattgefunden hat, könnte als Muster für den kommenden Entscheidungsfall dienen.

Die Lösung
Bei Wahlen ist das einfach: Man nimmt die jüngste zurückliegende Wahl. Man wählt die Gemeinde(n) aus, die damals gleich wie der Kanton und/oder die Schweiz wählten. Dann beschafft man sich die neuen Wahlergebnisse aus dieser/n Gemeinde(n) und berechnet die Differenz. Schliesslich extrapoliert man diese auf die kantonale resp. nationale Ebene, womit sich im Vergleich aus dem alten Wahlergebnis das neue ergibt.

Bei Abstimmungen kann man nur die Anforderung belassen, es müsse sich um einen Vergleichsfall handeln, der möglichst geringe Zeit zurückliege. Schwieriger ist es indessen je nachdem, einen Antwort zu geben, was die Vergleichsabstimmung war. Es braucht eine verwandte Entscheidung im Thema, aber auch im Konfliktprofil und damit im räumilchen Zustimmungsmuster. Das hat seinen theoretischen Hintergrund.

Praktisch lösen kann man das auf verschiedene Arten und Weisen:

Mit Intuition,
mit Erfahrung,
oder mit Mapping-Methoden.

Die Perfektionierung
Die erste Möglichkeit funktioniert immer dann, wenn ein eindeutig vergleichbarer Fall vorliegt. Dann kann eigentlich jede und jeder sagen, was der Vergleichsfall ist und damit arbeiten. Wenn das nicht möglich ist, hilft die Erfahrung, die man als langjährige(r) ForscherIn einbringen kann weiter, kompliziertere Fälle richtig einzuschätzen. Man kann sich aber auch täuschen. Zuverlässig sind nur Mapping-Methoden, die Aehnlichkeiten von Abstimmungsprofilen miteinander vergleichen und visuell darstellen.

Ganz einfach gesagt: Man erstellt eine Landkarte auf der alle Abstimmungen enthalten sind, und zwar so nahe oder so fern voneinander, wie das Profil gleich oder anders war. Die Lösung isrt also eine Superlandkarte der Abstimmungskarten.Der neue Fall kann dann auf dieser Uebersicht plaziert werden, wenn man Parolen hat, und die ersten Umfrageergebnisse vor der Abstimmung eine Profileinschätzung zulassen.

Bis 1998 wandten wir nur die beiden ersten Lösungen an. Seither verfügen wir meist für die Vorlagen, die wir hochrechnen, auch über Vorumfragen der SRG. Diese werden seit 1998 in das Mapping eingearbeitet. Sie haben eine klare Verbesserung der Hochrechnungsgenauigkeit gebracht. Grössere Abweichungen konnten ganz vermieden werden. Im Schnitt bleibt eine Abweichung von 1 Prozentpunkt.

Die Referenz für den 8. Februar 2009
Diesmal war der Entscheid, was die Referenz zur Personenfreizügigkeit 2009 ist, fast so einfach wie bei Wahlen. Es ist die Entscheidung über die Personenfreizügigkeit 2005 und die damals brauchbaren Vergleichsabstimmungen hierzu.

Das sagen nicht nur Intuition und Erfahrung. Das bestätigte auch die erste der zwei SRG-Befragungen, die ein naheliegende Konfliktmuster wie vor 4 Jahren aufzeigte.

Und noch etwas: Mit der Referenzabstimmung bestimmt man nicht den Ausgang der Entscheidung, die man hochrechnen will. Das Ergebnis muss nicht gleich sein. Die Referenz wird nur gebraucht, um die das Konfliktmuster zu bestimmen, und mit dem die in jedem Kanton typische(n) Gemeinden, mit deren Abstimmungsergebnisse am 8. Februar 2009 gerechnet wird.

Davon später mehr.

Claude Longchamp

Das beste Dutzend

Rund ein Jahr gibt es das Blog “zoon politicon”: Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen.

Gereift ist die Idee mit meinen Kursen und Vorlesungen an Hochschulen. Sie betreffen verschiedene Themen. Sie sprechen unterschiedliche Zielpublika an. Sie fordern mich nicht nur, sie regen mich auch an.

Die Idee, ein Blog für die Teilnehmenden von Veranstaltungen etablieren zu können, hat sich aber nur beschränkt erfüllt. Die Nutzung in diesem Umfeld blieb zurück; die Kommentare blieben fast gänzlich aus. Positiv gewendet heisst das, dass Kursteilnehmende lieber direkt mit dem Dozierenden kommunizieren als über das Web.

Dennoch stieg die Nutzung von zoon politicon kontinuierlich an. Seit April 2008 dokumentiere ich das mit google-analytics. 100-200 BesucherInnen hat das Blog jeden Tag, an sehr guten Tagen auch schon da Doppelte. Klar zugenommen haben meine Gäste, seit ich aus öffentlichen Ereignisse wie der amerikanischen Wahlen, den schweizerischen Bundesratswahlen oder der Volkasbtimmung über die Personenfreizügigkeit meine Material für Beiträge mit politik-, kommunikations- oder gesellschaftswissenschaftlichen Hintergrund zu gewinnen.

Verbessert hat sich gegen Ende Jahr die Plazierung des Blogs in den einschlägigen Verzeichnissen. Gibt man auf google “Politikwissenschaft” ein, figuriert dieses Blog an 16. Stelle unter allen Websiten überhaupt und ist es das erste seiner Art. Die Charts auf “Slug” zeigen, dass es etwa jeder zweite Beitrag in den ersten 24 Stunden nach Aufschalten schafft, zu den 25 meistgelesenen Beiträgen der schweizerischen Blogoshäre zu werden.

Das Dutzend, das dabei am häufigsten nachgeschlagen wurde, habe ich nachstehend versammelt. Die Beiträge wurden alle mindestens 400 Mal angeclickt, der führende mehr als Doppelt so häufig. Ein Ansporn 2009 mehr davon zu produzieren.

1. Rechne!
2. Ein erstes Bild des jüngsten SVP Wahlsieges im Kanton St. Gallen
3. Wird Demokratieforschung in der Schweiz nun konkret?
4. Politologie für die Zeitungslektüre
5. Gekonnte Analyse aus der Distanz
6. Roger de Weck: “Starke Demokratie vs. schwacher Rechtstaat”
7. Der Bundespräsident verdient Unterstützung
8. 10 Gründe, warum man in der Schweiz besser in der Regierung als in der Opposition ist
9. Samuel Huntington, Autor von “Kampf der Kulturen”, verstorben
10. 13 Gründe warum Obama US-Präsident wird
11. Die Machtfrage in der SVP
12. Die 12 grosse Kommunikationsereignisse 2008 in der Schweiz

All meinen Gästen und Interessierten wünsche ich eine gutes, friedfertiges neues Jahr.

Claude Longchamp

PS:
Es ist hier wie auf jedem Blog nicht untersagt zu kommentieren!

Unerwünschte Gäste

Leider gibt es zwei Sorten von Reaktionen auf diesen Blog, die unerwünscht sind. Zunächst zahlreiche spams, doch dann auch immer wieder Beschimpfungen aller Art, die an meine Person gerichtet werden, an meine Arbeit, oder auch an die Sozialwissenschaften generell.
Ich sperre sie diese Arten von Reaktionen systematisch, ich verfolge, soweit möglich, die Herkunft.

C.L.

Ich stelle mich vor …

Gerne stelle ich mich noch vor: Mein Name ist Claude Longchamp.

Ich bin am 14. März 1957 in Freiburg im Üchtland als Sohn von Pierre und Claire Longchamp-Stehli geboren. Ich bin in Fribourg französischsprachig, in Oberwil bei Basel und Buchs bei Aarau deutschsprachig aufgewachsen. Ich habe die Schule im Aargau gemacht und in Zürich und Bern studiert. Von meiner Ausbildung her bin ich Historiker, von meiner Tätigkeitkeit her eher Politik- oder Sozialwissenschafter.

Claude Longchamp, Politikwissenschafter/Historiker, Institutsleiter gfs.bern

Seit 2004 bin ich Institutsleiter, Mitglied des Verwaltungsrats und Vorsitzender der Geschäftsleitung des Forschungsinstituts gfs.bern. Seither bin ich auch Verwaltungsratsmitglied des gfs-Befragungsdienstes. am GfS bin ich seit 1986 in verschiedensten Funktionen tätig gewesen.

Meine Forschungsgebiete sind vor allem die Schweizer Politik (Wahlen, Abstimmungen, Parteien), aber auch die öffentliche Meinung (generell, namentlich zum Staat, aber auch zu neuen Technologien, zur Gesundheitspolitik und zur Europapolitik). Ich mache zudem Verhaltens- und Imagestudien zu politischen Akteuren im Entscheidungsprozess.

Bis 1992 unterrichtete ich als Lehrbeauftragter an der Universität Bern im Fach Politikwissenschaft. Seither bin ich als freier, aber regelmässiger Dozent an verschiedenen Universitäten (Universität Freiburg, Universität Zürich, Universität Bern, Universität Lausanne) und an verschiedenen Fach(hoch)schulen (Winterthur, Zürich, Luzern) tätig. Ab 2008 werde ich an der Universität St. Gallen im Rahmen des Lehrganges International Affairs das Fach „Politik in der Praxis“ unterrichten. Meine sonstigen Themen in der Lehre sind vor allem Tools wie die Demoskopie zur Analyse der BürgerInnen-Meinungen, aber auch das Lobbying als konkrete Form des politischen Handelns.

Seit 1992 bin ich in ausseruniversitären Vermittlung von Forschung aktiv. Ich habe seit 1992 an alle eidg. Abstimmungssonntagen Analysen und Kommentare für die SRG SSR idée suisse gemacht. Ich habe auch die Wahlen 1995 bis 2007 für das gleiche Medienunternehmen untersucht und vermittelt. Meine Aktivitäten bei anderen Massenmedien waren früher ausgiebig. Sie sind heute, wegen eine gewissen Distanz zum vorherrschenden Thesenjournalismus geringer geworden. Ich ziehe es dafür vor, mich via Blog wie den Kommunikationsblog direkt an die Oeffentlichkeit zu wenden.

Seit 2004 führe ich zudem regelmässig historisch-politisch-kulturelle Stadtführungen durch, vornehmlich für internationale Delegationen, PolitikerInnen, Verwaltungsmitglieder und Medienschaffende. Ich führe hierzu auch den Stadtwanderer-Blog.

Claude Longchamp

Longchamp 2008: damit habe ich fast gar nichts zu tun

Begrüssung

Wer, wenn er oder sie den Titel dieses Blogs liest, denkt nicht unweigerlich an den griechisches Philosophen Aristoteles und seinen Versuch, das Wesen des Menschen zu bestimmen?

Der griechische Philosoph Aristoteles erzieht den makedonischen Prinzip Alexander (später der Grosse) indem er ihn in das Wesen des Menschen und der Politik einführt

Doch wer, wenn er oder sie sich der Philiosophie von Aristoteles erinnert, bringt es fertig, sie in der Vergangenheit oder für die Zukunft nuteznbringend einzusetzen?

Genau das ist es, was ich mit meinen Kursen an Hochschulen und Universitäten 2008 anstreben möchte:

. Zielen, die Menschen haben, bekommen und sich selber geben, nachgehen,
. die Verwirklichung individueller Ziele im Kollektiv aufzeigen,
. die Verwendung der Vernunft in der Gemeinschaft, die Politik entstehen lässt, bestimmen,
. die Herrschaftsformen, Werte und Gesetze, die das alles regeln, untersuchen, und
. die Kommunikation, die zur Steuerung von Prozessen der Willen- und Meinungsbildung entsteht, analysieren.

“Wie im Samen der ganze Baum veranlagt ist, so ist im Menschen der Staat veranlagt”, sagte Aristoteles, weil er unterstellt, der Staat existiere, wo es Menschen habe. Er bilde sich als Folge der Zielverwirklichungen eben dieser Menschen aus, die als zoon politicon sich selber oder auch andere regieren wollen.

Doch Aristoteles bestimmte nicht nur den Menschen, die Politik und den Staat. Er gab nicht nur Uebersichten über das Wissen seiner Zeit, der er geprüft hatte. Er vermittelte dieses auch. Ohne Aristoteles hätte Alexander der Grosse, der ein Reich von Griechenland bis Pakistan aufbaute, keine so gründliche Ausbildung erhalten. Aristoteles war nicht nur Gelehrter, er war auch Lernender. Er wirkte nicht nur vor seinen Schüler im Gymansium, er war bildete auch die Herrscher seiner Zeit.

Das hat mich immer fasziniert!

Doch ich will mit meinen Lehrveranstaltungen 2008 nicht von der weit zurückliegenden Vergangenheit berichten. Sie werden sich auch nicht mit der unbestimmbaren Zukunft beschäftigen. Sie werden aber alle der Gegenwart gewidmet sein und sich auch mit ihrer unmittelbaren Vergangenheit und unmittelbaren Zukunft beschäftigen.

Sie sollen es dem zoon politicon, dem politisch denkenden und handelnden Menschen der Gegenwart ermöglichen, eine Perspektive zu entwickeln.

Ich werde die Lehrveranstaltungen auch nicht als Theoretiker realisieren. Ds können andere besser. Und ich will mich auch nicht auf die Empirie einschränken lassen. Das könnte ich zwar auch. Jedoch will ihc mehr: Ich will fragen, wie aus wissenschaftlichen Erkenntnissen eine politische und gesellschaftliche Praxis wird.

Ich will dem zoon politicon als Sozialwissenschafter vermitteln, wie und wann es gelingt, auf wissenschaftlichem Wege vorhandene Probleme zu erkennen, einer Lösung zuzuführen oder gar zu beheben.

Meine verschiedenen Kurse 2008 an den Universitäten St. Gallen, Fribourg, Zürich und Lausanne, an den Hochschulen Winterthur und Zürich sollen schliesslich nicht rein akademische Veranstaltungen sein. Sie sollen selber ein Teil der gesellschaftlichen und politischen Praxis werden.

Ich werde sie alle auf diesem Blog dokumentieren, und ich werde die nötigen Foren schaffen, dass die Kurse selber und ihre Produkte in der Oeffentlichkeit diskutiert und kommentiert werden können.

Ich hoffe, dieses Experiment in meinem Lehr-Jahr gelingt!

Claude Longchamp