Das Rätselraten, was das Zürcher Volk am Wochenende sagen wollte, weitergeführt

Die Analyse im Tagi von heute, was das Zürcher Stimmvolk am Wochenende sagen wollte, hat mich nicht wirklich erhellt, aber ermuntert meine eigene Interpretation zu skizzieren.

Munteres Rätselraten ist heute im Kanton Zürich angesagt. Ausgangspunkt ist das Gesamteindruck aus den Abstimmungen vom Wochenende. Populär gesehen hat die “Linke” gewonnen, derweil die “Rechte” verlor (notabene wie auf nationaler Ebene).

Doch der “Tagi/Newsnet” titeln: “Die Linke jubelt zu früh”. Basiert für diese Bilanz sind Statements (bürgerlicher) Polit-Exponenten (der Verlierer also) und einiger Potit-Experten. Eine detailreiche Grafik gibt zwar eine Uebersicht über die Position der Gemeinden in der Zürcher Politlandschaft, erhellt aber die Trends nicht wirklich.

Dem möchte ich hiermit etwas nachhelfen!

Inspiriert hierzu hat mich der Wertewandel-Bericht der Schweizerischen Gesellschaft für Zukunftsforschung, den ich gestern nachgelesen habe. Zwar verspricht dieser im Titel, etwas über die Schweiz 2030 zu wissen, was immer riskiert ist. Doch enthält er, bei gründlicher Lektüre, auch eine saubere Analyse, was den Wandel der Gegenwart ausmacht.

Vereinfachende Systematisierung der Szenarien für die Schweiz (nach SGZF)

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Generell gehen die Autoren von vier Szenarien aus: der Ego-Ansammlunhg, der Balance-Gesellschaft, der Clash-Zukunft und dem Entwicklungspfad des BioControllings.

Um es gängiger zu sagen: Im ersten Szenario geht es um die weitere Selbstentfaltung der Individuen, von vielen SozialwissenschafterInnen (aagelsächsischer Provenienz) das zentrale. Das zweite handelt von einer persönlichen Suche nach einem neuen Gleichgewicht zwischen Selbstentfaltung, Lebensqualität, sozialer und ökologischer Weiterentwicklung. Im dritten dominiert die harte Polarisierung, des kommt zum grossen Knall. Schliesslich das vierte Szenario: der Staat regelt unsere Lebensgrundlage neu, weil wie dazu nicht mehr in der Lage sind.

Dahinter stecken verschiedene Perspektiven der Wirtschafts-, Gesellschafts- und Staatsentwicklung: Ego und Balance setzen Wohlstandsvermehrung voraus, aber auch Gesellschaftsdifferenzierung, was bei Clash und BioControll gerade nicht der Fall ist. BioControll und Balance gemeinsam ist, dass sie auf einen aktivere Staats setzen, während das bei Ego und Clash nicht der Fall; sei es gewollt, oder aus Versagen.

Die zentrale These der Berichts ist, dass der Megatrend zur Ego-Society 2008 gestoppt wurde. Finanzmarkt-, Wirtschafts- und Staatskrisien haben ihn ad absurdum geführt. Indes, welcher der drei anderen Trends sich durchsetzt, ist noch nicht entschieden. Alle alternativen Szenarien sind, wenn auch in unterschiedlichem Masse, möglich.

Eine übergeordnete Interpretation der Abstimmungsergebnisse vom Wochenende in Kanton Zürich auf dieser Folie würde wohl wie folgt aussehen: Der Trend zur Ego-Gesellschaft ist tatsächlich ausgelaufen. Denn Vorlagen wie die Ladenöffnungszeiten, aber auch die Freie Schulwahl hätten ihn verstärkt; sie sind haushoch gescheitert. In die gleiche Richtung interpretieren kann man die, wenn auch knappe, so doch mehrheitliche Ablehnung weitere Steuerreduktionen.

Stillstand herrscht im Gesundheitswesen, sodass man hier nicht weiter nach Gründen suchen sollte. Indes, die Kulturland-Initiative einerseits, das Verkehrsabgabengesetz anderseits, wurden angenommen. Postuliert werden solche Trends vor allem Balance-Szenario, der Suche entwickelter Wohlstandgesellschaften nach neuen Gleichgewichten.

Man kann es auch so sagen: Die Kernthese usnerer Zukunftsforscher, die auch Gegenwartsforscher sind, bestätigte sich an diesem Wochenende im Kanton Zürich klar. Der weiteren Ausdehnung der Ego-Gesellschaft haben die Stimmenden Grenzen gesetzt. Von einem Clash wie in den südeuropäischen Staaten ist in Zürich, ja ist in der Schweiz wenig zu sehen. Neue Signale in dieser Hinsicht hat es am Wochenende nicht gegeben. Das gilt wohl auch für das BioControlling wie es etwa in den PublicHealth-Debatten zum Ausdruck kommt, und exemplarisch an der Raucher-Debatte politisiert wurde; darüber weiss man dann im September mehr, wenn gesamtschweizerisch über die Initiative gegen das Passivrauchen entschieden wird.
Heute schon spricht viel dafür, dass der neue Trend, wenigstens im urbanen Zürich dem “Balance”-Szenario entspricht, das bei bei hoher Wirtschaftsentwicklung, aber gleichzeitigen Versagen der Selbstregulierung durch die Individualgesellschaft zu erwarten ist.

Vielleicht führte das Rätselraten im “Tagi” auch nicht weiter, weil die politischen Kategorien, die verwendet wurden, überholt sind. Gerade die letzten kantonalen und eidgenössischen Wahlen haben im bevölkerungsreichsten Kanton der Schweiz gezeigt, dass es “die Linke” und “die Rechte” nicht gibt, auch nicht einfach eine Polarisierung, dafür eine mehrdimensionale Entwicklung der politischen Landschaft mit einem Trend zur Versöhnung von veralteten Gegensätzen zwischen Oekologismus und Individualismus. Egal, welche Parteien in Sachfragen dafür oder dagegen und damit Sieger oder Verlierer waren am vergangenen Abstimmungssonntag.

Das sehe ich letztlich auch als Hauptbotschaft in den Abstimmungsergebnissen vom Wochenende, mindestens im reichen, aber Balance-suchenden Kanton Zürich.

Claude Longchamp

Schwierige Abstimmungsvorlagen – hohe Stimmenthaltung? Was die Abstimmungsforschung dazu weiss …

Frage nach dem Abstimmungssonntag, wo das dreifache Nein bei tiefer Beteiligung nachwirkt aus dem Kreis meiner Follower auf Twitter: Gibt es eine Studie, die zeigt, wie hoch der Anteil Stimmberechtigter ist, der bei schwierigen Vorlagen nicht mitentscheidet.

Hier meine Antwort: Eine Studie im engeren Sinne kenne ich nicht. Relevante Informationen jedoch sehr wohl.
Generell hilft in solchen Fällen das Projekt “VOX-Trend” weiter. Es stellt ausgewählte Daten aus dem VOX-Projekt zu den eidg. Abstimmungen im Abstimmungsvergleich auf dem Internet zur freien Konsultation zur Verfügung. Gut ausgebaut ist der Teil zur Entscheidfindung. Das hilft hier!

Bezogen auf die aktuelle Fragestellung, kann man eine Anwort in fünf Punkten wie folgt entwickeln:

Erstens, relevanter Indikator ist der zu den individuellen Entscheidungsschwierigkeit. Er gibt an, wie gross der Anteil Stimmberechtigter ist, für den die Entscheidung eher schwer resp. eher leicht zu fällen war. Der Einfachheit halber beziehe ich mich hier auf Behördenvorlagen (weil sie im Schnitt etwas schwieriger zu beurteilen sind).
Vorteil des Indikators: Er bezieht sich nicht nur auf die Teilnehmenden, nein auf alle, die sich eine Meinung bilden sollten.
Hauptergebnis ist hier, dass es eine beträchtliche Schwankungsbreite gibt. Die Extrem sind: Partnerschaftsgesetz aus dem Jahre 2005, was für 82 Prozent einfach zu beurteilen war, während die Förderabgabe im Jahre 2005, welche das Steuersystem ökologisieren wollte, für 55 Prozent Schwierigkeiten bot, eine Entscheidung zu fällen.

Zweitens, die Beispiele sind symptomatisch. Denn es gilt als einfache Regel im aufgeworfenen Zusammenhang: Je alltagsnäher eine zu fällende Entscheidung ist, desto einfacher ist es für die Bürgerschaft, dies zu tun. Je ferner eine Abstimmung für die NormalbürgerInnen ist, desto schwieriger wird es.
Die Begrüdung ist recht einfach: Je mehr man sich in seinem Alltag mit einem Thema schon vor einer Abstimmung beschäftigt hat, desto eher hat man eine klare Meinung, die man auch begründen kann, und umso eher wird diese bei einer Abstimmungsentscheidung wirksam.
Es gibt aber auch noch einen zweiten Einflussfaktor: Konkrete Sachen kann man schneller und einfacher entscheiden als abstrakte. Das gilt auch für Themen mit geringer Alltagsnähe.
Somit gilt: Vorlagen mit einem hohen Bezug zum Alltag der BürgerInnen, die Konkretes beinhalten, werden als leicht empfunden, Abstraktes, mit geringer Verbindung zum Bevölkerungsalltag, gelten als schwierig.
Die nebenstehenden Tabellen zeigen die 10 Beispiele mit den Extremwerten.


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Drittens, bei den einfachen Entscheidung fällt auf, dass viele Fragen der Elternschaft darunter sind. Mutteschaftsurlaub, Familienzulagen und Fristenregelung gehören dazu. Es finden sich aber auch Einbürgerungsthemen auf dieser Liste, und sogar zwei aussenpolitische Vorlage, so der UNO-Beitritt, lange diskutiert, und auch die Entscheidung zu den Abkommen von Schengen/Dublin. Das Beispiel ist an sich am schwierigsten zu erklären. Ohne Rückgriff auf den Abstimmungskampf geht das nicht. Denn weder war die Vorlage konkret, noch alltgsnah. Indes, sie wurde mit der Kampagne konkretisiert, und zwar so, dass sich eine Bezug zum täglichen Leben ergab. So plakatierte die befürwortenden Seite die Sicherheitsfrage, und die Affiche zeigt einen Menschen mit Handschellen, der offensichtlich verhaftet worden war.


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Viertens, die schwierigen Entscheidungen aus BürgerInnen-Sicht haben ein ganz anderes Profil. Es dominieren Steuervorlagen. Denn auf der Liste sind das Steuerpaket, die Unternehmenssteuerreform, die Energielenkungsabgabe und der Neue Finanzausgleich (mit zwei Teilvorlagen). Selbstredend, das Interesse ist hier gross; doch sind die zur Entscheidung vorgelegten Gegenstände das Produkt einer Willensbildung im Parlament. Ohne genauere Informationsbemühungen sind sie kaum entscheidbar. Zudem, viele der Vorlagen zerfallen in mehrere relevante Punkte, ein Faktum, das eine eindeutige Ja/Nein-Antwort erschwert.
Darüber hinaus finden sich Abstimmungsthemen aus verschiedenen Domänen, deren Gemeinsamkeit war, dass sie alle recht abstrakt formuliert daher kamen.

Fünftens, in einem Punkt hilft die Zusammenstellung nicht wirklich weiter: In der Frage der Auswirkung auf die Stimmbeteiligung. Zwar gilt: Die leicht zu entscheidenden Vorlagen haben eine im Schnitt höheren Beteiligungswert, die schwierigen einen tieferen. Damit stimmt die geäusserte Vermutung grundsächlich. Doch gibt es zahlreiche Ausnahmen, sodass der Zusammenhang statistisch nur schwach gesichert werden.
Der Grund liegt in der Sache selber: Die Stimmbeteiligung hängt nämlich nicht nur von einer Vorlage, sondern vom Paket der Entscheidungen, die an einem Abstimmungstag zu fällen sind. Denn es kann gut sein, dass eine dieser Vorlagen als schwierig angesehen wird, indes, andere Zugpferde sind, und die Gesamtbeteiligung hoch ausfällt.

Schönen Tag noch, …

Claude Longchamp

Mit Aktionismus ins Abseits

Geschichte der AUNS! – AUNS bald Geschichte? Eine kleine Uebersicht über Aufstieg und Niedergang der nationalkonservativen “Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz”.

Die BaslerZeitung muss es wissen. Denn wenn die neuerdings klar rechtsbürgerlich positionierte Zeitung die klar rechtsbürgerlich positionierte AUNS ins Reich der Geschichte verabschiedet, ist das nicht ohne.

AUNS-Plakat der Schlussmobilisierung

Heute stimmt die Schweiz über die erste, von der AUNS alleine lancierte Initiative ab. Thema: Uebergang vom bestehenden fakultativen zum obligatorischen Staatsvertragsreferendum.

Der Prozess der Meinungsbildung zur AUNS-Initiative glich dem, was man bei Volksinitiativen kennt. Ein Thema wird lanciert, das nicht ohne Berechtigung ist, doch überzeichnen die Initianten mit ihrem Lösungsansatz, was die Gegnerschaft mit ihrer Kampagne weidlich auszunützen weiss. In den Umfragen sinkt die Zustimmungsbereitschaft mit der Dauer des Abstimmungskampfes, und es baut sich die Gegnerschaft Tag für Tag auf. Auch wenn die SchweizerInnen etwas gespalten sind, im Zweifelsfalle sagen sie eher nein.

Die AUNS kannte schon bessere Zeiten. Hervorgegangen ist der „Wächterrat über die bundesrätliche Aussenpolitik“ (Politologe Alois Riklin) aus der UNO-Abstimmung von 1986. Das damals erfolgreiche Nein-Komitee löste sich nicht auf, sondern taufte sich einfach um: geboren war die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz.

Die Denkhaltung, die im Kalten Krieg bürgerlicher Mainstream war, hielt sich in der Umbruchzeit der 90er Jahre dank Organisationen wie der AUNS ausgezeichnet. Feindbild war nicht mehr die UNO, vielmehr avancierte die EU zum Hauptgrund für alles Uebel im Lande. Und so wurde man das, was eine Interessengruppe in der Schweiz sein muss, um gehört zu werden: referendumsfähig.

1992 kämpfte die AUNS an vorderster Front gegen den EWR-Beitritt. 1994 wehrte sie die Blauhelm-Truppe ab. Und 1996 verhinderte sie die Einführung von Staatssekretären als zweite Regierungsebene. “Wenn die Auns auf den Tisch klopfte, zitterten im Bundeshaus Magistraten und Beamte”, schreibt Autor Martin Furrer in der BaslerZeitung – zu Recht.

Indes, mit dem 21. Jahrhundert kam die Wende: Im Jahr 2000 sagten die Stimmenden zu 67 Prozent Ja zu den Bilateralen Verträgen mit der EU. Die AUNS, bisher aufs Nein-Sagen konzentriert, verzichtete erstmals in ihrem Kerngebiet auf eine Parole. Die Schweiz bewilligte in einer Volksabstimmung eingeschränkte Auslandeinsätze der Schweizer Armee, und 2002 votierten sie für den UNO-Beitritt. Da wirkte das Nein zum sofortigen EU-Beitritt wie eine Ausnahme, von der AUNS verlangt, aber bei weitem nicht alleine vertreten.

Gebrochen ist seither die Zugkraft der Politmaschine von rechts gegen alles. Das hat selbst die AUNS bemerkt; sie engagierte sich immer mehr auch in innenpolitischen Fragen, und verpasste sich einen Relaunch. Oeffnung Richtung innenpolitische Themen und eine neue Generation SchweizerInnen.

Dennoch, der Neustart will der AUNS nicht wirklich gelingen. Verschiedene Umfragen attestieren ihr Glaubwürdigkeitswerte näher bei einem Viertel als bei der Hälfte. Mehrheitsfähig, wie zu Zeiten des Präsidenten Christoph Blocher, ist man heute bei weitem nicht mehr, sodass ein Teil der aktuellen Kampagne gegen die Staatsvertragsinitiative nicht zur Sache, sondern ganz auf die AUNS setzen kann.

Man kann es auch so sagen: Trotz 40‘000 Mitgliedern und 1,2 Mio CHF Budget im Jahr ist aus der einer überparteilichen, schweizerischen Bewegung nach Jahren des Erfolgs ein Ableger der Konservativsten in der SVP geworden. Davon zeugt auch die Spitze der AUNS: Präsident ist SVP-Nationalrat Pirmin Schwander, als Geschäftsführer amtet SVP-Mitglieder Werner Gartmann, und im Vorstand zählt man nicht weniger als vier SVP-Parlamentarier. Bekannte Gesichter aus anderen Parteien sind weitgehend verschwunden.

Die Pointe der Analyse in der BaslerZeitung jedoch setzt erst hier an. Denn bis jetzt galt die Devise “getrennt marschieren, vereint schlagen”. Das könnte sich drastisch ändern, wie die Ankündigung vom Freitag zeigt. Denn die AUNS entschied sich, ganz unabhängig vom Ausgang der heutigen Abstimmung über ihre erste Volksinitiative, das Referendum gegen das Steuerabkommen mit Deutschland und anderen EU-Staaten zu ergreifen. Derweil hält die SVP Widerstand gegen das Abkommen angesichts der Zustimmung des Finanzplatzes für zwecklos. “Mit Aktionismus ins Abseits”, lautete denn auch der Titel der BaslerZeitung über dem Artikel in der Samstagsausgabe, den das Newsnet online leider nicht verbreitet.

Claude Longchamp

Wenn die BürgerInnen entscheiden könnten, worüber sie abstimmen wollten

Ich habe mir die Liste angesehen, welche Volksabstimmungen in der Schweiz den BürgerInnen wichtig und unwichtig sind. Ein Kommentar zu sinnvollen und weniger sinnvollen Volksabstimmungen.

Worüber man in der Schweiz abstimmt, ist formal geregelt. Bei Verfassungsänderungen kommt es automatisch zu einer Volksentscheidung, bei neuen Gesetzen oder Gesetzesrevisionen, wenn 50000 BürgerInnen es verlangen. Das gilt auch für Staatsverträge. Ueber Volksinitiativen wiederum wird entschieden, wenn 100000 gültige Unterschriften beigebrachten wurden.
In den VOX-Analysen eidgenössischer Volksabstimmungen – Repräsentativ-Befragungen danach – werden seit Jahren Fragen zu wahrgenommenen Bedeutung von Volksentscheidungen gestellt. Einmal interessiert, wie hoch diese für die Schweiz als Ganzes, dann für einen persönlich gesehen wird. Das kann man auch als Gradmesser verwenden, um wichtige von unwichtigen Abstimmungen aus Sicht der BürgerInnen zu treffen.

Zieht man Bilanz zu allen untersuchten Abstimmungen seit der Jahrtausendwende, kommt man zu folgenden Schlüssen:

. Zuerst, die zugeschriebene Bedeutung von Abstimmungen für das Land ist stets höher als die für sich selbst. Die Differenzen schwanken zwar etwas, aber immer gleich gerichtet.
. Danach, Behördenvorlagen von nationaler Belang stammen aus den Bereichen UNO/EU-Verträge, Sozial- und Gesellschaftsolitik.
. Schliesslich, staatspolitische Fragen sind für die Bürgerschaft von geringerer Bedeutung.

Bedeutung von Behördenvorlagen (aus BürgerInnen-Sicht) seit 2000

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Machen wir ein paar Beispiele: Da “Ja” zu den Bilateralen Verträgen mit der EU war aus Sicht der Stimmberechtigten die (bisherige) Jahrhundert-Abstimmung. 84 Prozent massen ihr grosse nationale Bedeutung zu. Für 58 Prozent war sie auch persönlich von Belang. Dazu passt, dass auch die drei Volksabstimmungen zu den Bilateralen II (Personenfreizügigkeit, Schengen/Dublin) im Gefolge aufgelistet werden können. Man kann es auch so sagen: Die Kernfragen der Beziehung zwischen der EU und der Schweiz sind für die generell Bürgerschaft wichtig. Und sie sagt in der Regel Ja.
5 der 10 Top-Entscheidungen stammen aus den Bereichen Sozial- und Gesellschaftspolitik. Dazu zählen die beabsichtigte Senkung des Umwandlungssatzes bei der beruflichen Vorsorge, die klar scheiterte, die gelungene Einführung der Mutterschaftsversicherung und die Zusatzfinanzierung der Invalidenversicherung, aber auch die Revisionen des Asyl- und des Ausländergesetzes. Auch das kann man mit anderen Worten ausdrücken: Weichenstellung in umstrittenen Themen sind der Bürgerschaft ebenfalls wichtig. Dabei erreicht die persönliche Betroffenheit mitunter Höchstwerte.
Würde die Bürgerschaft auf Volksentscheidungen verzichten wollen, dann ginge es in erster Linie um institutionelle Fragen. Der Verzicht auf die Regelung von Bistumsgrenzen durch die Bundesverfassung interessiert so wenige wie nie davor und nie danach. Gering war das Interesse auch beim Verzicht auf die allgemeinen Volksinitiative, resp. bei der Neuregelung der Volksrechte. Alle Themen fand im Nachgang zur letzten Totalrevision der Bundesverfassung statt, weil man beschlossen hatte, das Gesamtprojekt durch Detailentscheidungen nicht zu gefährden. Nachträglich kann man sagen: Es waren, juristisch begründet, politisch übertriebene Aengste, denn alles ging im Sinne der Behörden aus – und das unter weitgehender Absenz von öffentlichen Debatten!
Bedeutung von Volksinitiativen (aus BürgerInnen-Sicht) seit 2000

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Nicht viel anders sind die Schlüsse, die man aus der gleichen Uebersicht zu Volksinitiativen ziehen kann. Denn auch hier gilt Umstrittene Gesellschaftsfragen aus den Bereichen Asylpolitik, Umgang mit religiösen Minderheiten, Ausschaffung krimineller AusländerInnen und Einbürgerungsfragen rangieren ganz oben. Das gilt auch für Beitritte zur UNO oder zur EU. Und es finden sich Weichenstellungen mit Breitenwirkungen in der Sozialpolitik, namentlich beim Rentenalter, wieder. Neu ist hier, dass vereinzelt auch Beispiele aus den Internationalen Beziehungen, vor allen die Kriegsmaterial-Exporte, und dem Umweltschutz, namentlich der Zweitwohnungsbau hinzu kommt. Im übrigen: Nur 3 der 10 top-gesetzten Volksinitiativen wurden angenommen, 7 abgelehnt, was nahe beim aktuellen Schnitt ist!
Auch der Gegencheck bestätigt das erkannte Profil: Nichts fanden die StimmbürgerInnen so bedeutungslose wie die verlangte Einführung eines neuen Referendumsrechts, dem sogenannt konstruktiven Referendum, das dann auch klar verworfen wurde.

Mit Blick auf das kommenden Abstimmungswochenende kann man vorerst nur spekulieren: Keine der drei Vorlagen dürfte es auf die Liste der Spitzenabstimmungen schaffen. Am ehesten noch als wichtig angesehen werden dürfte die Staatsvertragssache – weil sie die internationale Zusammenarbeit berührt, was im gegenwärtigen Umfeld nicht ohne ist. Verlangt wird der Uebergang von fakultativen zum obligatorischen Volksabstimmungen. Entsprechende Ausbauforderungen von Volksrechten waren allerdings kaum je wichtig, deutlich weniger als Grundsatzentscheidungen in der Sache selbst.
Oder um auf die Ausgangsfragen zurückzukommen: Konkrete Entscheidungen in Fragen der Europapolitik, umstrittene Gesellschaftsthemen und Veränderungen im Sozialwesen sind der stimmberechtigten Bevölkerung für sich und für das Land wichtig. Institutionelle Reformen, namentlich auch Demokratieausbau, bilden – in der Schweiz jedenfalls – das Gegenstück. Das sollten sich PolitikwissenschafterInnen, aber auch StaatsrechlerInnen merken. Denn nicht selten rangieren sie die allgemeinen Themenbereiche über den Sachentscheidung im Einzelfall!

Claude Longchamp

17. Juni 2012: Es zeichnet sich eine unterdurchschnittliche Stimmbeteiligung ab.

Wenn es um die Stimmbeteiligung geht, kennt der Kanton Genf kein Abstimmungsgeheimnis. Anders als andere Kantone macht er jeden (Arbeits)Tag transparent, wie hoch die Teilnahme ist. Das lässt den Rüäckschluss zu, am Abstimmungssonntag von einer unterdurchschnittlichen Mobilisierung auszugehen.


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Stichtag Dienstag, 12. Juni 2012: 30,5 Prozent der Genfer Stimmberechtigten haben ihre Stimme zu den 3 eigenössischen Vorlagen abgegeben. Das vermeldet der Kanton auf der hauseigenen homepage.

Aus keinem anderen Kanton bekommt man solche Informationen. Denn das Stimm- und Wahlgeheimnis gilt überall sonst sowohl was die materielle wie auch die formelle Stimmabgabe betrifft: Sprich, man bekommt keine Daten zu Ja/Nein-Anteilen, aber auch keine zur Beteiligung. In Genf sieht man das seit geraumer Zeit anders. Da werden nur die Informationen zu den Sachentscheidungen geheim gehalten, der Rest ist frei.

Aus der Sicht der Wahlstatistik eröffnet das interessante Prognosemöglichkeiten: einmal, was die Stimmbeteiligung in Genf betrifft, sodann auch zur gesamtschwiezerischen.

Der Kanton selber schätzt aufgrund der Erfahrungswerte, dass die finale Stimmbeteiligung bei knapp 46 Prozent sein dürfte. Konkret: 5 Tage vor Schluss haben noch rund 16 Prozent Stimmberechtigte ihre Entscheidung nicht abgegeben, werden es aber noch tun.

Zudem weiss man aus Auswertungen des Bundesamtes für Statistik, dass die Genfer Beteiligungswerte normalerweise über dem gesamtschweizerischen Mittel liegen: 5-6 Prozent sind der Schnitt. Mit anderen Worten: Ein Beteiligungswert um die 40 Prozent in der ganzen Schweiz ist momentan am wahrscheinlichsten.

Ganz fix sind die kantonalen Hochrechnungen nicht; sie schwanken ûm die 47 Prozent herum. Bei der Extrapolation auf die Schweiz hängt jedoch davon ab, ob es genf-spezifische Einflüsse hat: Zum Beispiel die Ersatzwahl in den Regierungsrat, oder das Interesse an Wohnungsfrage (und damit am Ja zur Bausparinitiative) resp. an einer öffnungsorientierten Aussenpolitik (und damit an der (Ablehnung der) Staatsvertragsinitiative).

So oder so, angesichts der rund 45 Prozent, die das nationale Mittel gegenwärtig beträgt: für den Abstimmungssonntag zeichnet sich eine unterdurchschnittliche Stimmbeteiligung ab.

Claude Longchamp

Hochrechnungen zu den eidgenössischen Volksabstimmungen

Am Sonntag ist es wieder soweit: Es sind eidgenössische Volksabstimmungen mit den Hochrechnungen von gfs.bern. Das ist die beste Zeit, sie vertieft vorzustellen.

Meine erste Hochrechnung machte ich zu den Berner Regierungsratswahlen 1986. Es war gleich ein Knaller: Die mehrheitlich bürgerliche Regierungsmannschaft wurde nicht bestätigt; Rotgrün eroberte die erstmals Mehrheit und zog eine Frau in den Berner Kantonsregierung ein. Bei Abstimmungen bin ich, auf eidgenössischer Ebene, seit 1992 im Dauereinsatz. Keinen Sonntag mit gesamtschweizerischen Volksentscheidungen habe ich seither ausgelassen.
Unser Kunde war stets die SRG, zuerst das radiophone Regionaljournal mit Schwerpunkt in Bern, dann Radio und Fernsehen der deutsch- und rätoromanischen Schweiz, schliesslich die gesamte SRG, mit vier Sprachen und drei Medienarten.

Warum wir das machen würden, werde ich regelmässig gefragt. Erklären kann man das wohl am besten aus einem Mix, bestehend aus Medien- und Forschungsinteressen.
Die Massenmedien buhlen an einem ereignisreichen Tag wie einer gesamtschweizerischen Volksabstimmung um Aufmerksamkeit. Vor allem dann, wenn diese erwartungsgemäss hoch ist, ergeben sich Profilierungsmöglichkeiten in die Breite. Das war beispielsweise bei der EWR-Entscheidung der Fall. 78 Prozent der Stimmberechtigten beteiligten sich am 6. Dezember 1992. Massenmedien können die Erwartungen in solchen Momenten auf verschiedene Arten nutzen; zu den verbreiteten gehört es, einen Informationsservice zu liefern, den man ohne spezielle Anstrengungen nicht hat. Hier entsteht die Verbindung zur Forschung. In einfachen Fällen kann sich fast jeder Laie seine Extrapolation aus ersten Kantonsergebnissen basteln; in den komplexeren scheitert man ohne Expertenwissen jedoch. Und sind professionelle Wahl- und Abstimmungsanalytiker gefragt.

Höchstwahrscheinlich wirkten ausländische TV-Stationen wie PatInnen. Sie hatten gezeigt, was man kann, und sie weckten Erwartungen. Meist basieren sie aber auf Befragungen am Ausgang der Wahllokale. Das macht in der Schweiz keinen Sinn, den rund 85 Prozent stimmen (etwas) vorzeitig brieflich ab.
Indes, in der Schweiz begegnet man einem zweiten Problem. Hochrechnung von Gemeindeergebnissen, wie es sie auch im Ausland gibt, basieren im Wesentlichen darauf, dass man ein Muster der Verteilungen definiert, über das man von Teilresultate auf Gesamtergebnisse schliesst. Bei Wahlen funktioniert das so: Gemeinde X hatte bei der letzten Wahl eine Verteilung zwischen den beiden grossen Parteien von X zu Z. Damit war sie genau im Schnitt aller Gemeinden. Wenn die gleiche Gemeinde X bei der neuen Wahl ein Ergebnis von Y+2 zu Z-2 liefert, schliesst man daraus auf ein gesamtschweizerisches Resultat von 2 Prozent Verschiebung zugunsten der Partei Y.
Was bei Wahl so einfach tönt, ist bei Abstimmungen tricky. Denn bei Wahlen bestimmt man das Muster anhand der letzten Wahl – und unterstellt, dass sich das Muster gleich bleibt. Das kann man mit rund 90prozentiger Sicherheit tun. Und bei Volksabstimmungen mit ihren welchselnden Themen? Was ist die Referenz zur Gesundheitsreform Managed-Care? Man merkt es sofort: Da gerät man schnell ins Stocken.

Vereinfacht ausgedrückt braucht man einen Typologie, in der alle bisherigen Entscheidungen und Konfliktmuster enthalten sind. Das zu entwickeln, ist die eigentliche wissenschaftliche Herausforderung an die Forschung. Wenn man das hat, fragt man sich, was im aktuellen Fall sinnvollerweise erwartet werden kann, und hält in der Typologie Ausschau nach der Entscheidung, die mit der höchsten Wahrscheinlichkeit analog war.
Es ist ein Glück, dass man nicht alle denkbaren Konfliktmuster typisieren muss; es reicht, wenn man die räumlichen kennt: Also geht es um Sprachräume, und um den Einfluss der Siedlungsart auf das Abstimmungsergebnis.
Ein verwandtes Thema ist dabei nur bedingt hilfreich. Denn bei weitem nicht alle Gesundheitsabstimmungen zeigen, um beim Beispiel zu bleiben. das gleiche Konfliktmuster. Vielmehr braucht es einmal eine grundlegende Unterscheidung zwischen der Initiativ-Logik und der bei Behördenvorlagen. Am schwierigsten sind übrigens Entscheidungen zu Volksinitiativen mit Gegenvorschlägen. Sodann ist eine politische Analyse nötig: Wer trägt ein Vorlage? Von wo kommt die Opposition? Schliesslich kommt der hürdenreichste Tei: In welcher Grössenordnung wird die Vorlagen voraussichtlich angenommen oder ablehnt.

Ursprünglich mussten wir die Hochrechnung zu Volksabstimmungen ohne Vorumfragen machen. Das täuschte man sich gelegentlich. Mit diesen ist einiges einfacher geworden. Deshalb gehört beides auch zusammen. Denn die Vorumfragen helfen einem, Raumverteilung, Oppositionsmuster und Zustimmungshöhe hinreichend genau abzuschätzen.

Von hier weg sind Hochrechnungen vor allem logistische Uebungen. Hat man die idealen Referenzgemeinden bestimmt, geht es darum, mit ihnen eine Kooperation für den Abstimmungstag aufzubauen. Aktuell setzen wir auf rund 100 Gemeinden pro Vorlage. Am 17. Juni 2012 ergibt das bei drei Abstimmung rund 300 Gemeinden – oder rund einen Zehntel der Gemeinden.

Die Kommunikation zwischen dem Rechencenter und Gemeinden muss so schnell wie möglich erfolgen. Zu warten, bis das letzte Resultat vorliegt, ergibt keine sinnvolle Hochrechnung. Also scheiden Gemeinden, die sehr gross und/oder sehr langsam zählen aus. Wir verzichten übrigens auch auf ganz kleine Gemeinden, denn die Zufälle in der Meinungsbildung beispielsweise in einer Sippe, an der Basis einer Partei oder via lokale Wahlen können zu unerwünschten und nicht verallgemeinerbaren Ausschläge führen.
Verarbeitet werden die Gemeindeergebnisse von einem Team von TelefonistInnen, die ihrerseits versierte Abstimmungsanalytiker alimentieren. Diese machen die von langer Hand vorbereitete Extrapolation. Das alles will minutiös vorbereitet sein, denn die Ewartungen an eine schnelle und präzise Hochrechnung lassen keinen Verzögerungen und Fehler zu!

Das Bild zum erwartbaren Abstimmungsergebnis gleicht dem Werden einer Foto im vordigitalen Zeitalter. Zuerst ist es nur schemenhaft erkennbar, dann immer deutlicher, und schliesslich ist es mit dem effektiven Resultat identisch. Wie gesagt, letzteres interessiert nicht wirklich. Das Schema ist das erste, was man haben will: Daraus entsteht die Trendrechnung; sie besagt im wesentlichen, ob einen Vorlage angenommen oder abgelehnt wird. Daraus formiert sich das gesuchte Bild mit Konturen, aus dem die Hochrechnung entsteht. Mit Angaben zu Prozentpunkten für das Ja oder Nein.
Die Methode wird nach jedem Abstimmungssonntag evaluiert und, wenn nötig, verbessert. Im Jahr 2000 haben wir die letzte gründliche Revision vornehmen müssen. Denn der Stadt/Land-Konflikt hat sich akzentuiert; aus den Referenzen geht er zu wenig klar hervor. Hinzu kommen gewisse Probleme mit Gemeindefusionen. Dennoch: Im Schnitt liegen wir bei der 14 Uhr-Hochrechmung im Mittel auf 0.8 Prozentpunkt genau. Mit anderen Worten: Ausser die Hochrechnung ergibt einen Wert für das Ja oder Nein von nahe 50 Prozent, weiss man zuverlässig, was angenommen resp. abgelehnt wurde.

Ohne ein gut eingespieltes Team ginge das alles nicht – auch nicht ohne Gemeinden, die willig sind, den kleinen Mehraufwand bei der Resultatekommunikation auf sich zu nehmen. Schliesslich braucht es ein Medium, dass aus dem Projekt seinen Mehrheit beziehen kann. In unserem Fall die SRG. All ihnen gebührt ein herzliches Dankeschön.

Claude Longchamp

FiveThirtyEight: Der Kampf um die 538 Elektorenstimmen bei amerikanischen Präsidentschaftswahlen

In den USA lohnt es sich nicht, alleine auf nationale Umfragen zu schauen. Denn der amerikanische Präsident wird durch die in den Bundesstaaten bestimmten Elektoren gewählt.

“Noch ist Mitt Romney nicht als Kandidat der Republikaner nominiert – doch es gilt als sicher, dass er am 6. November bei den US-Präsidentschaftswahlen gegen Barack Obama antritt. Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Gallup zeigen, dass Romney durchaus Chancen hat. Seit Monaten liefern sich Obama und er ein Kopf-an-Kopf Rennen. In der letzten Umfrage vom 1. bis 7. Juni liegt Obama mit 46 Prozent knapp vor Romney, für den 45 Prozent der Wähler stimmen würden.”

Das schreibt die Sonntagszeitung heute über die amerikanischen Präsidentschaftswahlen. FiveThirtyEight, das auf US-Wahlen spezialisierte Blog der New York Times kommt zu einem anderen Schluss. Hauptsächlicher Grund: Bekanntlich wählen nicht die WählerInnen den amerikanischen Präsidenten, sondern der Elecotral College, das Wahlmännergremium, das von den WählerInnen state by state bestimmt wird. Das macht die Sache etwas komplizierter.
Entscheidend sind nämlich die Wahlergebnisse und damit die Umfragen je Bundesstaat. Je nach Eindeutigkeit (und Erfahrung in der Interpretation) lassen diese eine Aussage zu, an wen die Elektorenstimmen gehen werden. Ueblicherweise unterscheidet man dabei zwischen soliden Mehrheiten für die Republikaner oder Demokraten, tendenziellen Mehrheiten und den “toss-ups” – den unentschiedenen Staaten.

Die FiveThirtyEight bilanziert das heute so: 217 zu 206 für Obama, bei 115 unsicheren Stimmen. Verteilt man eben diese nach wahrscheinlichstem Szenario, liegt Obama gegenwärtig mit 294 zu 244 vorne, womit seines Siegeschancen für den 6. November heute bei 77 Prozent liegen, selbst wenn er in den beigezogenen Umfragen mit nur durchschnittlich 2 Prozentpunkten Vorsprung vor Romney steht. Mehr noch: Bezieht man die frühren Erfahrungen mit der Meinungsbildung vom Juni bis November mitein, wird das Ganze zwar etwas knapper, indes Obama liegt immer noch 292 zu 264 vorne. Die wahrscheinlichste Ausgang sieht den Amtsinhaber mit einer 63prozentigen Chance in eine zweite Legislatur starten.

Mit dieser Prognose ist das Blog der New York Times sogar eines der konservativsten, wenn es um die Wiederwahl von Präsident Obama geht. Ganz im Sinne der Transparenz wird auch das offen gelegt. Am deutlichesten auf Seiten des Amtsinhabers ist die HuffingtonPost, aber auch RealClearPolitics, deklariertermassen Republikaner-freundlich, sieht Obama mit einem noch deutlicher Vorsprung als “538”. Das gilt, wenn auch etwas weniger klar für CBS, NPR und WashingtonPost.

Der grosse Vorteil des Blogs von Kolumnist Nate Silver besteht übrigens darin, auf die Ursachen der Unterschiede in den Ratings aufmerksam zu machen. Demnach gibt es in den verglichen Hochrechnungen 32 Staaten, die alle gleich entweder solid für Obama oder für Romney gewertet werden. In 18 gibt es Unterschiede. Wirklich different sind sie in New Hampshire, Pennsyvania, New Mexico, Maine, Indiana, vielleicht auch Minnesota und North Carolina.

Darüber würde man relevanterweise gerne auch aus den Schweizer Medien mehr erfahren, und nicht über die Tagesschwankungen in den GallupPolls.

Claude Longchamp

Strategien der Emotionalisierung im laufenden Abstimmungskampf

Politische Werbung, insbesondere die Propaganda mit Plakaten, fasziniert. Bisweilen ärgert man sich grün und blau, um sich dann mit seinen geheimen Wünschen auf allen Ausstellungswänden wiederzufinden. So auch jetzt, eine Woche vor den Entscheidungen zu den eidgenössischen Abstimmungen vom 17. Juni 2012.

Ein eigentliches Revival erlebe das Plakat in der Politik, hielt die Luzerner Kommunikationsprofessorin Sascha Demarmels, in ihrer Dissertation fest. Noch nie in der gut hundertjährigen Plakatgeschichte der Schweiz habe es, bei Wahlen und Abstimmungen, so viele Affichen gegeben wie in der letzten Dekade.

Fein säuberlich seziert identifizierte die Linguistin drei Reizwirkungen von Plakaten:

Erstens, Farben und Schriften (die materielle Ebene des Plakates),
zweitens, Steigerung der Aufmerksamkeit durch Ueberraschungen oder Widersprüche (kognitive Ebene) sowie
drittens, Meinungsbeeinflussung durch die Mobilisierung der emotionalen Ebene.

Von den (zu Ende gehenden) Abstimmungskämpfen vor der Volksabstimmung vom 17. Juni 2012 (in einer Woche!) zeugen namentlich die Kampagnen für und gegen die Volksinitiative „Staatsverträge vors Volk“ empirisch davon, was theoretisch gemeint ist.


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Rein mengenmässig fallen die gegnerischen Plakate am meisten auf. Konsequent setzen sie auf Schweizer Symbolik: die Helvetia ist die Heldin der Serie! Zuerst erschien sie aufrecht, wenn auch erschöpft. Ihr Schutzschild war angeschlagen, von gefährlichen Pflastersteinen getroffen, wurde suggeriert. „Schadet der Schweiz“, lautete der riskierte Slogan – eine Botschaft, die in der Folge jedoch bildlich aufgelöst wurde. Denn je länger die Nein-Kampagne dauerte, umso häufiger lag die Musterschweizerin am Boden, erdrückt von eben jenen schweren Geschossen der Initiantin.

Die Dramatik ist klar: Wir sind bedroht, wie es durch das Lebensgefühl so vieler ZeitgenossInnen heute auch beschrieben wird. Indes, nicht das Ausland ist Schuld, wie die AUNS erklärt, nein, es sind die inneren Zwists, die vielen Streitigkeit durch Volksabstimmungen, die uns niederstrecken. Rot ist hier nicht nur die Farbe der Liebe zur Schweiz, es ist, wie überall, die Farbe der Gefahr. Sodass es nur eine Botschaft gibt. Schweizer(innen): Stimmt „Nein“!

Wem die Inszenierung auf nationaler Ebene nicht genügend verstand, der (oder die) bekam, alimentiert aus den Zentralen der Wirtschaft, im Inserateteil der Zeitungen die lokale Uebersetzung geliefert. Die AUNS-Initiative schade dem Schweizer Gewerbe, der Schweizer Industrie, dem Schweizer Handel, hiess es da. In zwölf Zwölferkolonnen bezeugten, speziell für schwankende FDP- oder CVP-AnhägnerInnen gestandene ZentrumspolitikerInnen aus allen Kantonen die vorbereiteten Kernaussagen: International abschotten werde uns die Initiative, wichtige Verträge würden nur verzögert eingeführt, und über Umstrittenes können man mit dem bestehenden Staatsvertragsreferendum jetzt schon abstimmen. Deshalb: „Nein zu aufwendigen Leerläufen.“

Pflasterstein, Schutzschild, Punkt.


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Fast macht es den Anschein, dass die rechtskonservativen InitiantInnen gewusst hätten, man werde ihnen im Abstimmungskampf die nationale Symbolik propagandistisch streitig machen. Denn der Klassiker aus der Unterschriftensammlung – der bereits flachliegende Nebelspalter-Schweizer wird vom UNO/EU-Hammer erschlagen – wurde in der Hauptkampagne nicht weiter verwendet. Vielmehr setzte man, beraten durch eine renommierte PR-Agentur, voll und ganz auf den Ueberraschungseffekt. Herr und Frau Schweizer sprechen hier direkt. Das Volk spricht zum Volk! Demokratie nach Schweizer Art mache zufrieden, beweisen nicht nur sie; das sagen selbst angesehene Glückforscher auf Lehrstühlen für Wirtschaftswissenschaften. Ein Mann mit zwei Frauen, Leute wie Sie und ich, bezeugten es auf allen Plakaten.

Doch nicht für immer, lautete hier die dramaturgische Anweisung. Denn überall fänden Ausgaben in Milliardenhöhe statt, und das Volks habe dazu nichts zu sagen. Schlimmer noch, ihr werde mit ihrem eigenen Geld der Mund verboten, allen voran von der Europäischen Union. Sodass nur eines bleibt:

„Darum Ja.“ Rot unterlegt!

Auch hier kannte fortgeschrittene Kampagne eine Konkretisierung: Denn gegen den Schluss warb man seitens der InitiantInnen mit Deutschen und Chinesen: Wir, in unserem Land (wo wir unterdrückt werden, würden, wären wir frei wie die Schweizer), Ja sagen.

War man bei den ersten Plakaten angesichts des radikalen Imageswandels erfreut, staunte bei den letzten. “Ausgerechnet!”, rief man innerlich aus, ausgerechnet die Aktion für eine neutrale und unabhängige Schweiz, die Gruppe, die sich wie keine andere in den letzten Jahren das Prädikat isolationistisch verdient hatte, wirbt, der nationalen Symbole beraubt, mit ausländischen BotschafterInnen für eine neues Schweizer Volksrecht.

Was, fragt man sich wieder etwas beruhigt, würde die Expertin Sascha Demarmels zu allen sagen? Oeffentlich geäussert hat sie sich in dieser Sache nicht, sodass ich keinen Satz zitierten kann. Jedoch, ihre Doktorarbeit bereitet die Antwort vor: Plakate sind nicht da, um zu informieren. Sie werden aufgehängt, um Schlüsselreize zu transportieren. Besonders geeignete Themen seien die Freiheit und das Geld. Es gehe um Archetypen des Politischen, wie den Hintergangenen, den Uebermächtigen, dem Bösen – und dem Guten! Im politischen Kampf gefragt sei die klare Zuordnung, weshalb sich Emotionalisierungsstrategien auf das beziehen sollten, was alle erfahren können: die Landschaften und die Mythen, die Gesellschaft und die Geschichte.

Jetzt muss man sich nur noch entscheiden (können)! „Ja. Nein. Schweiz“, übertitelte Sascha Demarmels bezeichnenderweise ihre Doktorarbeit.

Claude Longchamp

Neues Lehrbuch zur Wahlforschung, das ich verwenden werde

Auf ein solches Buch hat man schon länger gewartet: Mit dem eben erschienen Band schliessen die HerausgerberInnen Oscar W. Gabriel und Bettina Westle die Lücke in Sachen Lehrbuch zur Wahlforschung.

Gelegentlich wird die Wahlforschung zur Königsdisziplin der Politikwissenschaft stilisiert. Nicht zu unrecht, denn die öffentliche Präsenz der PolitologInnen ist hier so hoch wie sonst selten.

Wer jedoch in die bestehenden Ausbildungsunterlagen schaut, wird vielfach ernüchtert. Der Wälzer von Falter/Schön ist mehr ein Nachschlagewerk als ein Lehrbuch. Der Band von Pappi richtet sich mehr an Forschende denn an Studierende. Und das Büchlein von Roth reflektiert mehr die Vergangenheit als die Gegenwart der Wahlforschung.

Mit dem Erscheinen des neuen Lehrbuches “Wählerverhalten in der Demokratie” holt die Wahlforschung als etabliertes Pflichtfach in der Bachelor-Ausbildung für künftige PolitikwissenschafterInnen stark auf.

Zu den Vorteilen des neuen Buchs zählt, dass es in übersichtlicher Weise nicht nur Methoden und Theorie der Wahlforschung behandelt. Vielmehr kommt die Leistungen der Wahlforschung auf nationaler und lokaler Ebene ausführlich vor.

Besonders hervorheben möchte ich zwei Kapitel. Das zum Geschlecht. Bettina Westle hat eine Menge nützlicher Daten übersichtlich aufgearbeitet, die es erlauben, der Frage nach zugehen, was das Geschlechtsspezifische an den bekannten Konfliktlinien in der Gesellschaft ist, aber auch, welche KandidatInnen und Wahlkampfthemen von Männern und Frauen unterschiedlich bewertet werden. Wer glaubt, mit den Frauen werde alles anderes, wird von den Ausführungen eher enttäuscht sein; denn die Autorin kommt zum Schluss, dass mit der Kandidatur von Angela Merkel eine Normalisierung bei Wahlen Einzug gehalten habe, die sich in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterschiedlich schnell eingestelle. Angeglichen hat sich die Partizipation der Geschlechter, und mit dem Rückgang der Kirchenbindung ist der Konservatismus unter Frauen zurückgegangen. Um das Neue besser bestimmen zu können, schlägt Westle vor, mehr zu Orientierungen an Geschlechterrollen gerade in Wahlkämpfen zu forschen.

Aufschlussreich ist das Lehrbuch auch, weil es sich neuen Ansätzen in der Wahlforschung annimmt, die namentlich aus der Psychologie stammen. Kristina Faden-Kuhne führt gekonnt in die Welt nach der klassischen rational-choice Theorie ein. Sie bespricht Formen und Funktionen von Heuristiken, die es erlauben, jenseits ausführlicher Informationsverarbeitung vernünftige Entscheidungen zu fällen. Und sie erörtert die Bedeutung von Emotionen, wie sie etwa in der Theorie der affektiven Intelligenz gesehen wird. Soweit möglich bespricht die Autorin auch, wie weit solche innovative Ansätze die Praxis der Wahlforschung bereits beeinflusst haben, etwa anhand der Frage, was wirtschaftlichen bedingte Angst als verbreitetes Gefühl in Kampagnen in Wahlentscheidungen ausmacht.

Ein Kapitel vermisst man im Lehrbuch allerdings: Ausführungen zur Wahlbeteiligung als Teil der Partizipationsforschung. Sinkende Teilnahmewerte in verschiedenen Ländern, aber auch bisher unbekannte Partizipationsformen via neue soziale Medien hätten den Rahmen abgegeben, den man gerne abgesteckt bekommen hätte – nicht zuletzt, weil gerade die realen Veränderungen in diesem Bereich meist normativ überhöht als Ende der Parteienherrschaft oder Geburt einer neuen Demokratie öffentlich verhandelt werden.

Die 11 Kapitel des Buches sind gut lesbar, gelegentlich etwas stark durch Fachbegriffe geprägt. Sie eigenen sich dennoch als Lehrmittel, denn sie sind handlich, werden mit einer Bilanz abgeschlossen und haben im Anhang Kontrollfragen und Vorschläge für die weitere Lektüre. Vielleicht, könnte man sich für eine Neuauflage wünschen, wären etwas mehr Illustrationen, sei es aus der konkreten Welt der Wahlkämpfe, sei es aus der abstrakten der Modellbauer hierzu, gewünscht. Den auch gilt, dass Wahlforschung zur Versachlichung des teils aufgeregten Diskurses über Ursachen und Folgen von Wahlentscheidungen beitragen sollte.

Auf jeden Fall ist mir rasch nach der Lektüre klar geworden: Meinen Kurs zur Wahlforschung im Frühlingssemester 2013 werde ich auf diesem Buch aufbauen, und ich wünschte mir eigentlich nur, dass es ein solches nicht mit deutschem, sondern schweizerischem Anschauungsmaterial geben würde.

Claude Longchamp

20 Jahre Hochrechnungen zu Volksabstimmungen

Seit 20 Jahren mache ich Hochrechnungen zu Volksabstimmungen für die SRG Medien. Ein persönlich gehaltener Rückblick.

Ganz am Anfang stand eine Entdeckung. Bei der Abstimmung über die (schon damals abgelehnte) Ferien-Initiative von 1985 bemerkte ich erstmals, dass die Reihenfolge der Kantone in der Zustimmung nicht beliebig war, sondern einem Muster folgte, das man schon im voraus hätte wissen können.

Das liess in mir die Idee aufkommen, darauf aufbauend Hochrechnungen zu Volksabstimmungen zu machen. Denn die funktionieren nach dem Grundsatz: Wenn Du einen Kanton hast, der früh bekannt ist und Du weisst, dass der in systematischer Art und Weise von gesamtschweizerischen Ergebnis abweicht, dann kannst Du bei Vorliegen des Kantonsergebnisses auf das nationale Endresultat schliessen, bevor jemand dieses kennt.

Die Hoffnung, es würden nur ein solches Muster geben, erwies sich als trügerisch. Auch zerschlug sich die Erwartung, dass es einen schnell ausgezählten Kanton geben würde, der sich für die Extrapolation bei allen Abstimmungsthemen eigne. Das machte den ersten Anlauf zunichte, kontinuierliche Hochrechnungen zu eidgenössischen Abstimmungen leisten zu können.

Der zweite Anlauf war erfolgreicher. Abstimmungsergebnisse wurden in der zweiten Hälfe der 80er Jahre immer häufiger elektronisch zugänglich gemacht. Zudem kamen erste Programme zu deren effizienten statistischen Analyse auf den Markt. Seit 1988 arbeitete ich deshalb im Geheimen während meiner Anstellung als Uniassistent am Projekt „Hochrechnungen“.

Den Durchbruch brachten die Wahlen 1991. Das Schweizer Fernsehen wurde auf meine Analyse zu Parteien, Wahlen und Abstimmungen aufmerksam. Die Idee, das in geeigneter Form medial umzusetzen, wurde gemeinsam geboren. Anlass bot die sich immer deutlicher abzeichnende Abstimmung über einen EWR-Beitritt der Schweiz. Bis dann sollte das Projekt „Hochrechnungen“ gereift sein, meinten Werner Vetterli, Toni Schaller und Balz Hosang von der Chefredaktion.

Anschauungsmaterial boten die IWF-Entscheidung im Mai 1992, gefolgt von der Neat-Abstimmung im September des gleichen Jahres. Am 6. Dezember 1992 war es soweit: Der historische Moment in der Schweizer Gegenwartsgeschichte war auch der eigentliche Startschuss für TV- und Radio-Hochrechnungen, die es seither live gibt und die ich lückenlos kommentiert habe.

In den 20 Jahren, in denen ich dieses Geschäft nun betreibe, sind die verwendeten Methoden weiter entwickelt worden. Durchbrüche waren zuerst logistischer Natur, denn heute verfügen wir über eine umfassende Datenbank mit allen Abstimmungsresultaten der Gemeinden, Bezirke und Kantone. Es kamen mapping-Verfahren hinzu, die uns Uebersichten liefern über vergleichbare Abstimmungen liefern. Schliesslich gelang es uns auch, Ergebnisse aus den Vorbefragungen in diese Systematik einzubauen. Das alles macht es uns möglich, routinemässig Referenzabstimmungen für kommende Entscheidungen zu ermitteln, aufgrund derer wir im Vorfeld eines Abstimmungssonntages die Gemeinden auswählen, denen Ergebnisse wir brauchen, kantonale und nationale Extrapolationen machen, die uns Volks- und Ständemehr anzeigen.

Nötig war es auch, ein eigentliches Team aufzubauen, das im entscheidenden Moment extrem leistungsfähig ist. Denn faktisch verfügen wird ab 12 Uhr und einige Minuten über geeignete Resultate, die uns zwischen 13 und 14 Uhr die gewünschten Hochrechnungen erstellen lassen. Dazu sind erfahrene MathematikerInnen nötig, PolitikwissenschafterInnen, die abstrakte Modelle in konkrete Abstimmungsergebnisse übersetzen und Kommunikatoren, die das Ganze beispielsweise auf im Minutentakt Internet verbreiten können.

Am meisten Freude macht mir, dass es uns gelungen ist, aus Prognose auch Erklärungen zu machen. So sind wir heute in der Lage, schon hochgerechnete Kantonsmuster eine Vorlage, deren Ergebnis offiziell noch gar nicht feststeht, hinsichtlich typischer Konfliktlinien wie Sprachräume und Siedlungsart zu analysieren. Und wir können ein erstes Mal abschätzen, welche Parteien geschlossen oder gespalten gestimmt haben. Schliesslich sind wir in der Lage, Einflüsse aus den wirtschaftlichen Verhältnissen, kulturellen Eigenheiten und politischen Präferenzen in den Regionen auf die Stimmentscheidungen zu berechnen. Dies hilft uns seit Jahren, schon am Sonntag Nachmittag, spätestens aber im Verlaufe des Montag, eigentliche Erstanalysen vorzulegen, die einen Einblick geben, welche räumlichen Einheiten wie gestimmt haben, und vor allem was die Gründe dafür sein können.

In den Jahren, in denen ich dazu den Abstimmungssonntag im Fernsehstudio verbringe, habe ich allerlei gesehen: Unvergessen in mein Gedächtnis eingebrannt hat sich Christoph Blochers Einzug beim EWR-Nein. Oder Peter Bodenmanns Nachfrage, ob er sich, ausgerechnet bei mir, dem Fliegenträger, eine Krawatte ausleihen könne, um gesittet vor die Kamera stehen zu können. In guter Erinnerung habe ich auch, wie knapp die Entscheidungen bei der KVG-Revision, der Asylinitiative und dem Uno-Beitritt waren, die wir alle richtig vorausgesagt haben. Beim letzten Thema kam „erschwerend“ hinzu, dass sich ein zentraler Mitarbeiter in unserem Team mitten in den Arbeiten in einen TV-Gast verliebte!

Claude Longchamp