Angestellte Schweiz wohin?

„Angestellte Schweiz“ heisst ein der Verband der Angestellten speziell der Maschinen- und Pharmaindustrie in der Schweiz. Auf Ende Jahr tritt er aus dem Dachverband travaille.suisse aus, um als eigenes Kompetenz- und Dienstleistungszentrum in Erscheinung zu treten. An der Herbsttagung diskutierte er seine Perspektiven.


Benno Vogler, Präsident der Angestellten Schweiz stellt die Frage nach der Zukunft seines Verbandes

An seiner traditionellen Herbsttagung in Bern beschäftigte sich der Verband “Angestellte Schweiz” mit der Lage der Angestellten, ihrem Herkommen und ihrer Zukunft: Volkswirtschafter Mathias Binswanger definierte das Phänomen ökonomisch, spricht aufgrund von Einkommen und leitete daraus Lebensgefühle wie Glück oder Unglück ab. Michael Hermann, Politgeograf, erklärte die (deutschsprachige) Schweiz als typische Mittelstandsgesellschaft, deren Habitus bis in die Gegenwart verbreitet bestehe. Selber versuchte ich darzulegen, dass moderne Gesellschaftsanalysen in der Regel zwischen Ober-, Mittel- und Unterschichten differenzieren, wobei der herkömmliche Mittelstand als alte Mittelschicht weiterbesteht, derweil die Ausbereitung von Angestellten typisch für industrielle und nachindustrielle Gesellschaften seien, mit denen die neuen Mittelschichten entstanden seien.

Eines wurde mir an der gestrigen Tagung klar: Die überwiegende Zahl der Delegierten von „Angestellte Schweiz“ verstehen sich als unverändert als „ Mittelstand“. Einige akzeptieren, ein Teil der modernen Massengesellschaft geworden zu sein und deshalb Züge der Mittelschichten tragen; vom Wunsch her würde man aber gerne wieder zu einem Stand werden. Nur eine Minderheit folgte spontan meiner Einteilung.

Macht das Sinn? Meiner Meinung nach nicht. Ich kann nachvollziehen, wenn Organisationen der Angestellten der marxistischen Lehre nicht folgen, wonach der Hauptwiderspruch in modernen Gesellschaften zwischen Kapitalisten und Proletariat bestehe, wobei Klassen dazwischen zwangläufig verarmen müssten; die Entwicklung seit Marx ist in eine andere Richtung verlaufen. Ich halte es dagegen für eine tiefliegende Sehnsucht von Teilen der organisierten Angestellten, sich als Teil einer Standesgesellschaft definieren zu wollen, die den Kleinbetrieb mit dem Sekretär vor Augen hat, der etwas besserer als die Arbeiter ist und dem Patron zudiente, ohne dessen Position je einnehmen zu können.

Die heutige Realität der Angestellten in der Schweiz ist anders: Sie kommen nicht mehr als spezieller Teil der Beschäftigen in der Industrie vor, sondern sind im privaten und staatlichen Dienstleistungsbereich verbreitet; sie bilden das Gros namentlich der schweizerischen Arbeitnehmer in urbanen Gebieten. Lohnmässig verdienen sie mindestens zwei Drittel des Durchschnittseinkommens, maximal aber das Anderthalbfache. Bildungsmässig differenzieren sie sich immer mehr, indem sie sich teils aus der Berufslehre kommend weitergebildet haben, um aufsteigen zu können, teils aus dem tertiären Bildungsbereich stammen, sich aber in die mainstream-Berufswelt integriert haben. Pensionierte Angestellte von heute zeigen noch klar bürgerliche Werte, solche mittleren Alters neigen zum politischen Zentrum, während die Jüngeren parteimässig offen sind und politisch experimentieren.

Das alles gilt nicht nur politisch, auch sozial, denn die typische Mittelschichtsfamilie mit ihrer herkömmlichen Rollenteilung zwischen Mann und Frau ist erheblich unter Druck geraten, wie auch der jüngste Sozialbericht Schweiz nahelegt: Vor allem bei tieferen Löhnen gibt es verbreitet Aengste, mit dem Einkommen das Leben nicht bestreiten zu können, und sieht man sich durch die Zuwanderung und damit verbundenen neuartigen Lebensweisen bedroht. Ersteres finden sich auch bei jüngeren, gekoppelt mit der Sorge, Krankheiten der Kinder oder Tod der Eltern würden das bisweilen labile Gleichgewicht in der Lebensführung zwischen Arbeit und Familie auseinander brechen lassen. Hinzu kommen auffällige regionale Unterschiede, geprägt durch die gesamtwirtschaftliche und –gesellschaftliche Entwicklungen. Nicht verzichten will man dabei verbreitet auf Statussymbole wie das Auto oder die Unterhaltungselektronik, im Grenzfall ist man aber bereit, keinen (weiteren) Nachwuchs zu haben, um beruflich und gesellschaftlich bestehen zu können.

Meiner Meinung nach ist das die Lebensbasis, von der eine Organisation wie „Angestellte Schweiz ihre Interessenvertretung in der Arbeitswelt und in der Politik ableiten sollte. Drei Thesen, die ich in der Podiumsdiskussion vorbrachte, sollen das zuspitzen:

Erstens, sie dürfen nicht Interessenvertretungen der etablierten Berufsleute sein, sondern sie müssen sich den Problemlagen der nachfolgenden Angestellten-Generationen annehmen.

Zweitens, sie müssen die Frage beantworten, mit wem sie gesellschaftlich und politisch Allianzen eingehen und mit wem nicht, und zwar so, dass sie dabei mehrheitsfähig werden. Die Antworten hierzu sind umso wichtiger, wenn man ein vergleichsweise kleiner Verband ist.

Und drittens, sie müssen nicht nur ihre Mitgliedschaft stärken; in erster Linie müssen sie ihre Oeffentlichkeitsarbeit entwickeln, um im Kampf um Aufmerksamkeit nicht unterzugehen, denn ohne den macht Interessenpolitik heute kaum mehr Sinn.

Claude Longchamp

Die Hälfte der Entscheidungen im neuen Nationalrat fallen ohne die SVP-Fraktion

Die Polarisierung im Nationalrat hat die Blockbildung der Fraktionen erhöht. Wichtiger wird damit, wer mit wem und gegen wen die Mehrheit bildet. Am häufigsten ist das naturgemäss ohne die Polarparteien. Der Trend geht dabei Richtung Ausschluss der SVP-Fraktion.

Susanne Leutenegger Oberholzer, Carlo Sommaruga, Franziska Teuscher, Daniel Vischer und Regula Rytz – das sind die am klarsten links stimmenden NationalrätInnen des ersten Legislaturjahres seit den Parlamentswahlen 2011, derweil ihnen Primin Schwander, Christoph Blocher, Toni Brunner, Lukas Reimann und Hans Fehr am rechten Ende des Spektrums am deutlichsten gegenüber stehen.


Veränderte Blockbildung im Nationalrat: Von der Polarisierung zwischen Bürgerlich vs. Rotgrün (1996), zur Dreiteiliung des Parlament in Rechte, Mitte und Linke (2012). Grafiken anclicken, um sie zu vergrössern

Neu ist das nicht. Klarer denn je zeigt das aktualisierte Parlamentsrating von sotomo aber, dass es keine Zwischenfelder mehr gibt zwischen den Polen links und rechts und der Mitte. Filippo Leutenegger von der FDP, Gerhard Pfister von der CVP, Urs Gasche von der BDP, aber auch Martin Bäumle von der GLP sind zwar die “Rechtsausleger” ihrer jeweiligen Fraktion; bei der SVP wären sie alle aber Exoten. Das gilt genauso für Kurt Fluri (FDP), Jacques Neirynck (CVP), Rosemarie Quadranti (BDP) und Kathrin Bertschi (GLP), die am linken Rand ihrer Fraktionen politisieren, aber alle samt bei SP oder GP massive AbweichlereInnen wären.

Ueber die Zeit nicht wesentlich verändert hat sich ist die mittlere Positionen der Fraktionen. Unter dem Konkurrenzdruck der GLP hat die GP ihre klare Links-Position 2012 etwas abgeschwächt, und die BDP ist, ursprünglich näher bei der FDP, ist im gleichen Zeitraum Richtung CVP gewandert. Quantitativ entscheidend ist aber, dass die Geschlossenheit verschiedener Fraktionen zugenommen hat. Zwischenzeitlich stimmen, im Schnitt, mehr als 95 Prozent der GLP-NationalrätInnen gleich. Ihnen folgen, in Sachen Homogenität, die SP- und GP-Fraktionen. Seit der Abspaltung der BDP homogener geworden ist auch die SVP, bei der heute im Mittel über 90 Prozent der Mitglieder im Nationalrat gleich votieren.

Die grösste Mühe mit der Geschlossenheit hat – unverändert – die CVP; allen “Verlusten an den Flügeln” (Selbstdiagnose) zum Trotz, ist die Homogenität des Stimmverhaltens der Fraktion nach einem Zwischenhoch von 2003 bis 2007 weiter am Sinken, ohne dass eine Umkehr sichtbar würde. Seit dieser Legislatur gilt das auch für FDP und BDP; nur bei letzterer hat das mit Wachstum der Fraktionsgrösse zu tun.

Die vermehrte Blockbildung von den Polen her hat im ersten Jahr nach den letzten Nationalratswahlen die Allianzbildung verändert: Häufiger geworden sind Mitte/Links-Allianzen, aber auch linksliberale Allianzen; ihnen gemeinsam ist, dass die SP entweder mit der CVP (18%; +5%punkte) oder mit der FDP (5%; +2%punkte) die entscheidende Verbindung eingeht. Indes, sie machen trotz anteilsmässiger Zunahme nur eine Minderheit der Entscheidungen in der Volksvertretung aus. Die Mehrheit der Entscheidungen besteht aus Allianzen von SVP, FDP und CVP (42 %; -2%punkte) resp. von SP, FDP und CVP (28%; -4%punkte). Unheilige Allianzen, zwischen SVP und SP (2%; -1%punkt), sorgen zwar regelmässig für Aufsehen, bleiben aber die Ausnahme.

Das kann man auch anders ausdrücken: Wie oft wird eine erfolgreiche Allianz ohne eine bestimmte Partei gebildet, ist nämlich die entscheidende Frage. Die Antwort lautet: In 51 Prozent der Fälle entscheidet der neue Nationalrat ohne die SVP-Fraktion, 42 Prozent ohne die SP-Fraktion, 20 ohne die FDP-Fraktion und 7 Prozent ohne die CVP-Fraktion. Steigend ist der Anteil von Allianzen ohne SVP, aber auch ohne FDP, stabil sind solche ohne CVP, leicht sinkend solche SP.

Mit anderen Worten: 16 Jahre nach der grossen Dabatte über die “Tripolarität der schweizerischen Parteienlandschaft” ist die damalige Erwartung heute Realität geworden. Die Mitgliederstärke der neuen Mitte-Fraktionen reicht trotz nicht, um die Mehrheit alleine zu bestimmen; sie machen von den veränderten Spielmöglichkeiten jedoch Gebrauch, und sie haben den Schwerpunkt erfolgreicher Allianzen von rechts der Mitte zu minim links davon verlagert.

Claude Longchamp

WählerInnenstärken der Parteien: Trends im Aargau und in anderen Kantonen

Die Wahlsiege der GLP und BDP, aber auch die WählerInnen-Verluste von CVP und GP im Aargau passen zu den Ergebnissen in den meisten anderen Kantone. Anders ist dies vor allem beim Wahlergebnis der FDP, beschränkt verschieden bei SVP und SP.

Man kann Veränderungen in den Parteistärken auf kantonaler Ebene verschiedenartig bestimmen: anhand der Sitze oder anhand der WählerInnen-Prozente. Die Sitze haben den Vorteil, gut sichtbar zu sein, aber die ungleiche Grösse der diversen Parlamente beeinflusst das Ergebnis der Aufsummierung zu stark. Das ist beim Anteil unter den Wählenden einfacher: Man kann ihn nach Kantonsgrösse gewichten und erhält so nach jeder Wahl die gesamtschweizerische Stärke der Parteien – auf kantonaler Ebene.


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12 Monate nach den eidgenössischen Wahlen haben 8 vergleichbare kantonale Wahlen nach dem Proporzwahlrecht stattgefunden. Das lässt einen vorläufigen, aber konsolidierten Schluss über Gewinnerinnen und Verliererinnen bei kantonalen Wahlen zu. Und es erlabut, die gestrigen Wahlen im Aargau in die überkantonalen Wahltrends einzuordnen.

Zwei Parteien, die im Aargau zu den Siegerinnen zählten, sind dies auch in den anderen Kantonen gewesen: GLP und BDP. Sie haben den Schwung während der Nationalratswahlen 2011 mit in die Kantone genommen, und bisher überall, wo sie angetreten sind, gewonnen. Bei zwei Parteien stimmt der Trend im Aargau und bei den anderen kantonalen Wahlen ebenso überein – aber er ist negativ: bei der CVP und der GP. Letztere hat mit der GLP eine ernsthafte Konkurrenz für ökologisch ausgerichtete WählerInnen erhalten, die selber aber weniger links sind als die Grüne Partei. Komplizierter sind die Verhältnisse bei der CVP, die in den urbanen Gebieten seit der missglückten Wahl in Zürich kaum mehr zulegt, in diversen Stammlanden aber neuerliche Verluste hinnehmen muss.

Damit enden die Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen kantonalen Wahlen. Der wichtigste Unterschied betrifft die FDP. Die überkantonale Bilanz ist leicht negativ; im Aargau setzte es einen Wahlsieg ab. Schnell sprach man von einem “Müller-Effekt”, denn der neue Parteipräsident, Philipp Müller, stammt aus dem Aargau, genauer aus dem Bezirk Kulm. Genau da erzielte die Partei einen Teil der Stimmen- und Sitzgewinne. Eine genaue Uebersicht über alle Wahlen zeigt, dass das neue Phänomen verschiedene Wurzeln hat. Wahlsiegen der FDP in vier Kantonen stehen, seit der Nationalratswahlen 2011, vier Niederlagen gegenüber. Die entscheidende Grösse ist der Erneuerungsprozess der Partei im jeweiligen Kanton. In St. Gallen, Aargau, Schwyz und Uri ist man da weiter als an anderen Orten. Hinzu kommt, dass FDP und SVP kaum je miteinander wirklich stärker werden. Hauptgrund: Teilweise kämpfen sie um gleiche Wählergruppen, wobei je nachdem die eine oder die andere erfolgreicher abschneidet.

Nicht ganz im Trend sind auch die aargauischen Ergebnisse bei SVP und SP. Beide kannten, nach den eidgenössischen Wahlen, etwas unterschiedliche Entwicklungen: Der Ueberraschungserfolg der SP bei den Ständeratswahlen gab der Partei vorübergehend Schub, während der ausgebliebene Wahlsieg der SVP in der kleinen Kammer auf die Stimmung drückte. Beides ist zwischenzeitlich wieder weniger entscheidend, wenn in einem Kanton gewählt wird, und so sind die WählerInnen-Gewinne der SP wieder spärlicher geworden, während die SVP sich Stück für Stück erholt.

Direkte Rückschlüsse von der kantonalen auf nationale Ebene sind im Ueberigen nicht sehr zuverlässig. Das hat damit zu tun, dass sich bei nationalen Wahlen rund die Hälfte der Wahlberechtigten beteiligt, bei kantonalen Wahlen ist es häufig nicht mehr als ein Drittel. Damit sind Effekte des Wechselwählens bei kantonalen Wahlen wichtiger als bei nationalen, während bei diesen zählt, wer wie gut oder wie schlecht mobilisiert. Dazu zählt, dass nationale Wahlkämpfe themenreicher sind als kantonale, und Medienstart den Wahlerfolg mitprägen. Derweil in den Kantonen die unmittelbar bekannten Köpfe wichtiger ist, ob eine Partei gewinnt oder verliert.

Claude Longchamp

Letzlich bestimmte Stabilität den Ausgang der “Testwahl” im Kanton Aargau

Bei einer stabilen Wahlbeteiligung von 32 Prozent wählt der Aargau die gleich breit zusammen gesetzte Regierung wie bisher; bei den Grossratswahlen ist die GLP die Siegerin, und die GP muss am meisten Sitze abgeben, während die CVP am meisten Wählende verliert.

Hier die Fakten.

Zunächst: Die Wahlbeteiligung hat sich gegenüber der Vorwahl nicht verändert. Sie liegt provisorisch bei 31,9 Prozent. 2009 betrug sie 31,7 Prozent.

Sodann: Die Aargauer Kantonsregierung setzt sich parteipolitisch gleich zusammen wie bisher. Die 5 Sitze gehen an 5 Parteien. Stephan Attiger (FDP) ersetzt den zurückgetretenen Peter Beyeler. Der Angriff der SVP für einen zweiten Sitz zulasten der Grünen misslang. Unter den Gewählten liegen Roland Brogle (CVP), Alex Hürzeler (SVP) und Urs Hofmann recht nahe beisammen vorne, während die Bisherige Susanne Hochuli (GP) das schlechteste Ergebnis der Bisherigen erzielt.

Schliesslich: 9 Parteien überschreiten das neue Quorum und ziehen ins Kantonsparlament ein. Gescheitert ist die Sozial-liberale Bewegung. Keine Einzugschancen hatten zudem die SD und die erstmals kandidierenden Piraten. Die grössten Gewinne gibt es für die GLP (+2.0%), die grösste Verluste für die CVP (-1.7%). Weitere Gewinne resultieren für die BDP (1,3%) und FDP (+1,1%). Weitere Verluste setzt es bei GP (-1.5%), EVP (-0.6%) und SP (-0.5%) ab. Halten können sich SVP (+0.1%) und die EDU (-0.1%). Sitzmässig sind die Verschiebungen eher bescheiden: Die GLP bekommt 3 hinzu, die FDP und BDP je 2. 3 Verluste gibt es für die GP, und je 2 für CVP und SLB. Damit tauschen FDP und CVP resp. GLP und EVP die Plätze in der Fraktioonsgrösse. Der Aargauer Grosse Rat ist damit etwas weniger polarisiert, mehr zentriert, – und durch gestärkte GLP, BDP und FDP bürgerlicher.

Bräuchte es einen Kommentar in einem Wort, es wäre “Stabilität”. Trotz erstmalig gemeinsamer Wahl von Regierung und Parlament blieb sich der Anteil Wählender gleich, änderte sich nichts am Parteienschlüssel für die Regierung, und sind die Blöcke im Grossen Rat fast gleich stark geblieben. Die Aargau will weiterhin eine breit zusammengesetzte Regierung und ein Parlament mit einem rechten Schwerpunkt. Für mehr Veränderung reichte auch die am meisten diskutierte Asylpolitik vor Ort nicht.

Im Detail gibt es etwas mehr Volatilität in der Parteienlandschaft: Die nationalen Siegerparteien des letzten Jahres, die GLP und die BDP, konnten ihren Aufschwung fortsetzten. Anders als in den 7 vorgängigen kantonalen Parlamentswahlen, wo die FDP mehr verlor als gewann, gehört diese Partei im Aargau, dem Kanton des neuen Parteipräsidenten, zu den Gewinnerinnen. Ebenfalls anders sieht die Bilanz für die SP aus: Bisher knappe Siegerin bei kantonalen Wahlen, entwickelte sie im Aargau zu wenig Aufbruchstimmung und wurde zur knappen Verliererin bei den Stimmen. Von der gesamtschweizerischen (und aargauischen) Wahlniederlage 2011 nicht erholt hat sich bisher die CVP, welche in der Mitte keine exklusive Position mehr hat. Gar verstärkt hat sich gar der Rückgang der GP. Wählende, welche die Energiewende wollen, könnten auch bei der GLP gelandet sein.

Das mit Spannung erwartete Resultat der SVP ist stabil, sowohl beim Wähleranteil als auch bei den Sitzen. Einiges spricht dafür, dass sich die SVP im Wahlkampf in Fahrt bringen konnte. Der Angriff auf den zweiten Regierungssitz und die negativen Medienberichten dürften die Partei nach Innen motiviert haben. Ein gleicher Effekt ist auf der linken Seite nicht zu vermelden; beide mobilisierten etwas schlechter als vor vier Jahren, als sie zum Angriff auf die Regierung ansetzen, in der sich nicht (mehr) vertreten waren.

Das neue Wahlrecht mit Sperrklauseln hat weniger bewirkt als manche befürchteten. Die Parteienlandschaft bleibt breit. Die Rechte (SVP, FDP, EDU) stellt am meisten VolksvertreterInnen, alleine ist aber knapp nicht mehrheitsfähig. Es folgen mit Abstand der Block der Mitte und der Linken. Akzentuiert hat sich die Konkurrenz im Zentrum, sind doch GLP, BDP und EVP gemeinsam erstmals stärker als die bis anhin tonangebende CVP.

“Testwahl Aargau?” Bei einigen Abweichungen bestärkt sich der Eindruck, die Polarisierung der letzten Jahre schreite nicht mehr voran, was kantonal etwas variierend programmatisch und kooperativ arbeitenden Regierungsparteien neuen Platz verschafft, während die Mitte parteipolitisch und damit auch personell neu aufgemischt wird.

Claude Longchamp

“Testwahl Aargau”: Was lehren uns die bisherigen kantonalen Parlamentswahlen an Trends

Fast auf den Tag genau ein Jahr nach den gesamtschweizerischen Parlamentswahlen bestellt der Aargau sein kantonales Parlament neu. Verbreitet spricht man von einer eigentlichen Testwahl. Was würde das bedeuten?

Eine WählerInnen-Befragung der “AargauerZeitung” legte, rund einen Monat vor den Wahlen, parteipolitische Stabilität im Regierungsrat nahe. Derweil zeigte die gleiche Erhebung, dass GLP, BDP, aber auch SP und FDP gewinnen könnten, während SVP und CVP mit Verlusten rechnen müssten.

Angesichts der zeitlichen Distanz der Umfrage zum Wahltag, ist Vorsicht angebracht, solche Messungen als direkte Vorhersagen zu verwenden. Hauptrgrund ist, dass die effektive Mobilisierung meist erst in den letzten 2 Wochen einsetzt, und solche Effekte bei der ländlichen Bevölkerung stärker von den Aktivitäten der Parteien abhängt als in der städtischen. Das alleine könnte Verschiebungen in den Parteistärken bringen.


Grafik anclicken, um sie zu vergrössern (Quelle: Parteienbarometer gfs/bfs)

Nun geben auch die kantonalen Wahlen Hinweise auf aktuelle Trends in der Wählerschaft. 2012 fanden solche in den Kantonen Uri, Schwyz, Schaffhausen, St. Gallen, Thurgau und der Waadt statt. Drei Parteien sind dabei (gegenüber dem Vorjahr) gewachsen: die GLP (im Schnitt um +0.6%punkte je Wahl) als eigentliche Gewinnerin der kantonalen Wahlen 2012, gefolgt von der BDP (+0.4%) und der SP (+0.3). Anteile verloren haben dagegen die SVP (-0.4%), die FDP (-0,3%), die CVP, die GPS und die äusserste Linke (alle -0.2%). Bei allen anderen Parteien halten sich Gewinnen und Verluste im Gleichgewicht; sie sind 2012 gleich stark wie 2011.

Das spricht, genauso wie das Wahlergebnis 2011, gegen eine weitere Polarisierung der Parteienlandschaft im Jahr 2012. Dafür müssten Parteien wie SVP und GPS zugelegt haben, während solche wie GLP und BDP keine Stärkung erfahren dürften. Vielmehr gilt: Neue Kräfte sind im Aufwind, und die SP ist von der nationalen Verlierer- zur kantonalen Siegerpartei mutiert.

Was den Aargau betrifft, fallen identische Befunde zwischen Befragung und Parteienbarometer beim Plus und Minus auf: Einzig bei der FDP gibt es Widersprüche; in der Umfrage mit einem Plus, rangiert sie in der kantonalen Uebersicht mit einem Minus. Die Bilanz ist allerdings gemischt, denn bei der FDP stehen sich Kantone mit Gewinnen und Verlusten gegenüber.

Typisch für die Trends im Jahr 1 nach den letzten eidg. Wahlen wäre, wenn am Wochenende GLP, BDP und SP im Aargau effektiv zulegen würden, und vor allem die SVP etwas geschwächt würde, aber stärkste Partei bliebe.


Grafik anclicken, um sie zu vergrössern (Quelle: Parteienbarometer gfs/bfs)

Extrapolationen auf die nationale Ebene sind nur eingeschränkt möglich. Dafür haben sich die Trends auf beiden Ebenen zu stark auseinander entwickelt. Das zeigt sich an den Stärken der Parteien auf Kantons- und Bundesebene. Im Mittel der Kantone (mit Proporzwahlrecht) führt die SVP mit 22,1 Prozent (national 4,5 Prozent stärker). Es folgen SP mit 17.7 und FDP.Liberale mit 17.6. Sie rangieren klar vor der CVP (13.4) und der GPS (9.0). Die GLP und BDP kommen 4.3 resp. 3.9 Prozent der Stimmen. Generell gilt, dass die Polarisierung des Parteiensystem auf nationaler Ebene noch etwas deutlicher bleibt, und auch die GLP und BDP 2011 besonder stark profitierten. Die Haupttrends fallen damit verstärkt aus, während FDP und CVP einen vergleichsweise höheren Anteil bei kantonalen Wahlen haben.

Claude Longchamp

USWahl: statt auf Einzelbefragungen zu schauen, Umfrageaggregatoren verwenden

Die Praxis im Umgang mit Umfragen in den USA und andern Ländern ist recht unterschiedlich. In der Schweiz und anderswo könnte man lernen, schon bei den gegenwärtigen Präsidentschaftswahlen.

In der Schweiz gibt es viel weniger Wahlbefragungen als in den USA. Zudem, man hat sich daran angewöhnt, statistische Fehlergrenzen zu zitieren. Die besagen, dass der effektive Wert in der Grundgesamtheit aufgrund der Messung in der Stichprobe zwischen einem Maximal- und einem Minimalwert liegt. In den USA wiederum haben wir, gerade vor Präsidentschaftswahlen, das 100-fache an Befragungen. Das erlaubt es, eine andere Art der Validierung von Einzelergebnissen vorzunehmen – zum Beispiel, indem man Werte aus Umfragen mittelt. Damit schliesst man aus, sich von Ausreissern fehlleiten zu lassen.

Gegenwärtig gibt es fünf solcher Aggregatoren von Umfragen. Erstellt werden sie nicht von Umfrageinstituten, sondern von wissenschaftlichen oder journalistischen Plattformen. Das Prinzip ist überall sehr ähnlich, die berücksichtigten Umfragen variieren leicht – deshalb gibt es auch gewisse Unterschiede zwischen den Aggregatoren. Aktuell zeigen sie, reduziert auf die Angaben für die beiden Favoriten (Prozentwerte für Obama):

48.7% Talking Points Memo
50.4% RealClearPolitics
50.5% Pollster
50.8% Princeton Election Consoritum
51.1% ElectionProjection

Noch besser als das ist die Superaggregation, sprich die Aggregierung der Aggregatoren, die PollyVote erstellt. Der Mittelwert der Mittelwerte liegt aktuell bei 50.3 Prozent für Obama, gegenüber 49.7 für Romney. Der Vorteil: Fehlerquoten sind hier nicht mehr nötig!


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Die unprätentiös geführte Website des Papageien “Polly” bietet noch mehr. Denn sie zeigt seit neuestem handlich auf, wie sie die die Mittelwerte in den Aggregatoren über die Zeit verändern. Das erlaubt es, Ereignisanalysen auf gesicherter Basis vorzunehmen.

Demnach kann man sagen: Seit dem 5. Oktober entwickeln sich alle Aggregatoren zuungunsten des Präsidenten. Der Verlust seither beträgt rund 2% Wählerstimmen; entsprechend zugelegt hat der republikanische Herausforderer. Seit dem 9. Oktober ist der Trend indes nicht mehr einheitlich, klare Aussagen, wie es weiter geht, lässt das (noch) nicht zu.

Die Erklärung für diese jüngsten Entwicklungen ist recht einfach: Mit einer Ausnahme legen die Aggregatoren nahe, dass der Rückgang erst nach der “DenverDebate” eingesetzt hat, dass er wohl bereits wieder gestoppt ist und insgesamt weniger als 2 Prozent Wählend verschob. Die Führung des Präsidenten in den Umfragen, seit der Publikation des Videos über Romney Aussagen zu “Staatsschmarotzern” kontinuierlich angewachsen, ist damit geschmolzen, aber nicht ganz aufgebraucht.

Direkt anwendbar wären diese Ueberlegungen in der Schweiz oder Oesterreich nur, wenn es viel mehr Umfragen gäbe. Das wird in absehbarer Zeit nicht der Fall sein. Indirekte Anwendungsmöglichkeiten gibt es dennoch. Statt auf einzelne Umfragen zu schauen und daraus Entwicklungen anzuleiten, ist der Gebrauch der Umfrage-Aggregatoren zu empfehlen. Gut gemeint ist das für alle, also nicht nur für die SpezialistInnen, sondern jede und jeder, die/der sich dafür interessiert – oder darüber berichtet. Denn die Mittelwertsentwicklung auf Aggregatoren- und Superaggregatorenebene werden von PollyVote tagesaktuell via Internet veröffentlicht – und sollten viel häufiger statt exemplarischer Umfragen zitiert werden. Zum Vorteil aller!

Claude Longchamp

Uebrigens: Seit kurzem gibt es auch einen Aggregator für Wahlbörsen zu den amerikanischen Präsidentschaftswahlen: predictwise.

In allen Prognosen zu Elektorenstimmen ist (und bleibt) Obama der Favorit

Zwischen Websiten der Prognosespezialisten in den USA und den Schlagzeilen führender Medien der Schweiz klafft eine Lücke.

Das führende Blog der US-Politikwissenschaft, The Monkey Cage, publizierte diese Woche eine bemerkenswert klar argumentierende Prognose zum Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen. Anders als die aktualitätsbezogenen Analysen über die kurzfristigen Auswirkungen des ersten TV-Duells zwischen Barack Obama und Mitt Romney, berücksichtigt die zukunftsgerichtete Studie sowohl die momentanen Umfragewerte als auch das Wahlmuster, das man aus der Geschichte der Bundesstaaten in den letzten Woche vor der Wahl kennt.

Der Amtsinhaber hat gemäss Kurzfassung des Berichts (unter Vernachlässigung der Stimmen für die Aussensseiter) die Chance, 53.1 Prozent der Stimmen zu bekommen, und er würde 332 Elektorenstimmen erhalten. Barack Obama würde damit die Wahl vom 6. November 2012 weniger deutlich als vier Jahre zuvor, denn mit eindeutigem Vorsprung gewinnen. Auf seinen Widersacher entfielen nämlich nur 47.1 Prozent der Stimmen und 206 Wahlleute.

Zu den Stärken dieser Prognose zählt, dass sie die Sicherheit der Elektoren-Verteilung nach Bundesstaat auflistet. Demnach sind 5 Rennen noch einigermassen offen: diejenigen in Virgina, Colorado und Florida, mit 64 bis 72 Prozent Wahrscheinlichkeit, dass die Elektoren den Demokraten zufallen werden, und diejenigen in North Carolina und Missouri, wo der Republikaner mit 71-75% Wahrscheinlichkeit vorne liegen wird.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Obama die nötigen 270 Stimmen für seine Wiederwahl erreicht, beziffern die beiden Autoren mit 98,8 Prozent.

Im Vergleich zu anderen, ähnlich gelagerten Instrumenten, zeigt das von Jay DeSart und Thomas Holbrook, den klarsten Vorsprung für den bisherigen Präsidenten. Alle anderen sehen ihn zwar auch vorne, doch mit etwas geringeren Abstand.

Recht nahe beisammen sind FiveThirtyEight, PricentonElectionProjektion und RealClearPolitics. Bei ihnen kommt Obama auf 319 bis 303 Stimmen, derweil Romney bei 206 bis 235 steht. Das gilt letztlich auch für Electoral-Vote, das auf 319 zu 206 kommt, weil man in einem Bundesstaat unsicher ist und 13 Stimmen nicht verteilte.

Uebersicht über die Projektionen der gesichterten und möglichen Elektorenstimmen für Obama und Romney gemäss den führenden tools:
319:206 (13) ElectoralVote
311:228 FiveThrityEight/NewYorkTimes
309:229 PrincetonElectionProjection
303:235 RealClearPolitics/NoTussUp

Davon zu unterscheiden sind Auflistungen der Stimmen nach Bundesstaaten, die ohne die unsichere Bundesstaaten zählen. Die Chancen beider Kandidaten, die relevanten 270 Stimmen zu erhalten, sinken dabei automatisch. Pikanterweise überschreitet Obama in einem Fall diese Limite dennoch, – ausgerechnet beim langjährigen Berater republikanischer Präsidenten Karl Rove!

Uebersicht über die Auflistungen der gesicherten Elektorenstimmen für Obama und Romney gemäss den führenden tools:
277:191 (70) Karl Rove
263:206 (69) Huffinton Post
251:181 (106) RealClearPolitics
237:191 (110) 270towin

Ganz anders tönt es in der heutigen Schweizer Presse. So titelt die NZZamSonntag: “Ein Präsident Mitt Romney ist ab sofort denkbar”. Journalistischer Spannungsaufbau mag zu dieser Headline verleitet haben – ein Blick auf die Einschätzungen der Spezialisten, die im Internet diskutiert werden, hätte zu Vorsicht geraten.

Claude Longchamp

Via Twitter fernsehen

Was fernsehen ist, weiss man gemeinhin. Was aus twittern wird, erahnt man langsam. Mein gestriges Experiment mit beiden Medien war für mich jedenfalls neu – und aufschlussreich. Eine Zusammenfassung mit Ausblick.

In der gestrigen “Arena” des Schweizer Fernsehens ging es unter der Leitung von Urs Wiedmer um den “Mythos Milizparlament“. Zuerst debattierte eine Runde PolitikerInnen, dann eine aus ExpertInnen. Ich war in der zweiten. Sendungen wie diese sind Live-Aufzeichnungen. Produziert werden sie in einem Stück, gesendet werden sie zeitverschoben. So kann man sich auch als TeilnehmerIn das Ganze ansehen.

Oder man kann sie auf Twitter verfolgen, genauso wie ich es gestern bei einem Bier in der Berner Markthalle machte. Ein TV-Gerät hatte ich nicht, nur mein iphone. Doch dieses rasselte fast ununterbrochen. 83 Reaktionen habe ich gestern erhalten, und an die 20 neue Follower kamen hinzu.

Angefangen hatte alles am Morgen. Mit einem Beitrag auf diesem Blog habe ich meinen “Arena”-Tag eröffnet. So teilte ich dem Moderator der Sendung mit, was meine Argumente sein würden. Indes, schon darauf gab es Reaktionen aus der Twitter-Szene.

Sascha Erni mobilisierte umgehend für mehr Assistenzstellen, die MilizpolitikerInnen entlasten sollten. Maja Hofmann erkundigte sich nach der Bodenhaftung von BerufspolitikerInnen, und Roger Altenburger fragte nach, wie man denkbare Entfernungen kompensieren könnte. Da habe ich mein BürgerInnen-Büro ins Spiel gebracht: MilizpolitikerInnen könne man nicht vorschreiben, was sie ausserhalb der Parlamentsarbeit machen müssen; von BerufspolitikerInnen dürfe man jedoch erwarten, dass sie einen Tag in der Woche kostenlos für Anliegen aus der Bürgerschaft eine lange “Sprechstunde” abhalten würden. So könnten sie ihre Bodenhaftung beweisen.

Alexander Limacher war gar nicht einverstanden mit der Stossrichtung meiner ganzen Argumentation, während Olivier Dolder sie erweitern wollte: Von überlasteten PolitikerInnen würden Dritte wie Verbände und Verwaltung profitieren, brachte er ein. Fritz Hostettler forderte ein Verbot von Verwaltungsratsmandaten für Gewählte, um Interessenskonflikte abzubauen.

An dieser Stelle meldeten sich Betroffene: Nationalrat Balthasar Glättli verlangte, das Volks-Nein von 1992 in Sachen Entschädigung und Unterstützung von der Schweizer Parlamentarier zu überdenken und die damaligen Vorschläge erneut einer Entscheidung zuzuführen. Claudio Kuster, Assistent von Ständerat Thomas Minder, hieb mehrfach in die gleiche Kerbe. Schliesslich mischten auch Journalisten mit: Joel Weibel ergänzte meine Ausführungen durch Ergebnisse einer Masterarbeit an der Uni Bern zum Stand der Professionalisierung von Kantonsparlamenten, und Alexander Sautter verbreitete seiner grossen Anhängerschaft, meine Ueberlegungen seien “interessant”.

Gegen Abend dann erinnerten verschiedene aus der Twitter-Gemeinde, was das Thema der Arena-Sendung sei, und kurz vor Handy-Löschen drückte mir die nähdrescherin (bewusst in minuskeln gschrieben) ganz fest ihre Daumen.

Nach der Sendung meldete ich mich bei der nähdrescherin zurück und meinte ohne konkret zu werden, die Sendung sei mir bisweilen wie Achterbahnfahren vorgekommen. Die Thurgauerin wiederum wollte wissen, ob ich Traubenzucker dabei gehabt habe und ob sie für sich Baldrian bereit halten solle. Ihre Kollegin Maja Hofmann fand das keine adäquate Prävention für schwierige Sendungen, für sich habe sie sich Wurfkissen bereit gelegt.

Der erste Kommentar zur laufenden Sendung kam von Sascha Erni, meinem informellen Outfit-Berater; grau-in-grau komme an, jedenfalls besser als die KLeiderwahl bei meinen letzten Auftritt. Ich war nachträglich erleichtert …

SRG-Journalist Konrad Weber nutzte die Aufmerksamkeit in der Twitter-Welt, um für die neue ArenaVorOrt Werbung zu machen; postwendend schloss sich mir Radio-Moderatorin Mona Vetsch als neue Followerin an. Alexander Limacher, am Morgen gar nicht auf meiner Seite, fand mein Werben für mehr festbezahlte MitarbeiterInnen der ParlamentarInnen nun “ein Weg, der sein könne”, damit die Gewählten sich “mehr für Schweizer einsetzen” würden, während er umherjetende ParlamentarierInnen für generell unnötig befand. Tania Woodhatch bemerkte als erste, es sei eine sehr emotionsgeladene Sendung, und gratulierte mir, gelassen geblieben zu sein. Journalist “nachdenkend” (Michael Soukup) verwies darauf, in Zug seien die PolitikerInnen nicht überlastet, denn dieses Jahr seien schon drei Sitzungen mangels Traktanden ausgefallen. Derweil karikierte Peter Stämpfli die Miliz im nationalen Parlament am Beispiel von Felix Gutzwiller, der Zeit habe, sich auf facebook mit seiner “Babe” zu vergnügen.

Ida warnte über meinen account Ruedi Lustenberger (kein Twitterer): “jtz wirsch emotional”. Zur Sache sprach dann Nationalrätin Jacqueline Badran, die Politik sei von Verbänden abhängig von Verbänden, denn sie bestünde aus diesen. Alexander Limacher widersprach mir erneut, diesmal wegen der geforderten Amtszeitbeschränkung, denn damit würde man “einen wirklich guten Parli” (Blocher?) rausschmeissen müssen.

Die Kommentare zum Schluss dienten der Bilanz. Andreas Lüthi schloss, von einer Ausnahme abgesehen bei mir den schlüssigsten Ansatz zur Problemlösung gehört zu haben. Fritz Hostettler meinte, mein “Ging” an die Sesselkleber sei gesessen, während Maja Hofmann zugab, ihre Wurfkissen schliesslich nicht eingesetzt zu haben. Sascha Erni fragte sich und mich, weshalb man eine Sendung lang meine Kritik, in der Schweiz weder ein Berufs- noch ein Milizparlament, sondern gemäss offizieller Selbstdarstellung ein “Halbberufsparlament” zu haben, schon im Ansatz negiert habe. sWalterli empfahl mich schliesslich als Nationalchoach für’s Parlament, was mich freute (*).

Ich gebe zu, die Kommentare zur Arena auf der Online-Plattform des Sendegefässes habe ich nicht oft gelesen. Das ist mir zu wirr und bisweilen auch zu weit unter der Gürtellinie. Die gestrige Twitter-Diskussion vor, während und kurz nach der Sendung hob sich davon vorteilhaft ab. Harmonisch war sie nicht, beleidigend aber auch nicht. Ich habe mehr erfahren, als aus dem meisten Reaktionen früherer Sendungen, die ich regelmässig auf der Strasse oder im Freundes- und Arbeitskreis erhalte. Man hat auch die Dynamik der Sendung gut mitbekommen, mit dem fulminanten Start, dem Hänger in der Mitte und der Sachdiskussion zum Schluss. Dafür danke ich hier allen, die sich gemeldet haben, egal ob ich sie hier explizit zitiert oder mitgemeint habe.

Vielleicht ist das auch die Zukunft des Fernsehens, wie sie unter Social-TV diskutiert wird: dass eine Sendung läuft und Oeffentlichkeit herstellt und dass die Teilnehmenden nicht mehr einfache ZuschauerInnen bleiben wollen, sondern mit ihrer Aktivität ihrerseits Oeffentlichkeit bilden, um den gesamten Kommunikationsprozess einer Live-Veröffentichung zu spiegeln. Heini Rogenmoser ging in diese Richtung, wenn er nach der Senung zwitscherte, Twitter ins Fernsehprogramm aufzunehmen. Nach den ersten Erfahrungen bei den “Treffpunkt Bundesplatz” Sendungen denke ich nicht, dass das im Sinne von Einblendern im unteren TV-Fenster der Fall sein wird. Wer jedoch via Internet fernsehen wird, dürfte bald schon links das Bild und rechts die Diskussionen hierzu auf Twitter verfolgen können.

Damit wäre dann mein gestriger Hinweis ein (für mich) neuartiges Experiment schon wieder obselt, denn ich schrieb: “Speziell: eine Sendung via Twitter zu verfolgen, keinen TV vor sich zu haben, und genau zu wissen, um was es geht, weil man dabei war #Arena.”

Claude Longchamp

“Mythos Milizparlament”: Meine Argumente zur heutigen “Arena”

Nach den Prinzipien der Miliz funktioniert das Bundesparlament längst nicht mehr. Dafür wäre auch der heutige Verdienst der PolitikerInnen hoch. Die Schweiz hat auf Bundesebene auch kein Berufsparlament. Denn dafür hätten die Volks- und KantonsvertreterInnen zu wenig frei verfügbare Zeit, um richtig Politisieren zu können. Mein Plädoyer für einen Ausweg aus dem Dilemma.

Die beiden PolitikwissenschafterInnen Simon Hug und Sarah Bütikofer publizierten Mitte 2010 die bisher letzte Bestandesaufnahme zu den Belastungen der National- und StänderätInnen. Ein Nationalratsmandat entspricht demnach einem 57 Prozent-Job; ein Sitz im Ständerat bringt einen Arbeitsaufwand von 67 Prozent mit sich. Im Vergleich zu einer Erhebung vor gut 30 Jahre veränderte sich im Nationalrat recht wenig, während die höhere Zeitbeanspruchung als StänderätIn in den letzten drei Jahrzehnten entstanden ist. In der 46köpfigen Kleinen Kammer lassen sich die Veränderungen parteiübergreifend beobachten, deweil im Nationalrat die Grösse der Fraktion eine Rolle spielt: Mitglieder kleiner und mittlerer Fraktionen sind zeitlich stärker beansprucht; jene der grösseren haben sich besser arrangiert. Eine der am häufigsten genannten Gründe für die Inanspruchnahme besteht in der Kommissionsarbeit. Sie ist durch Kommissionen mit festen Tagungsrhythmen gründlicher aber aufwendiger geworden. Gearbeitet wird vermehrt mehr hinter verschlossenen Türen, während sich die Debattenzeit im Plenum nun unwesentlich verändert hat.

Vielleicht, kann man über die Faktenlage hinaus mindestens spekulieren, ist auch das Umfeld anders geworden: Die Massenmedien sind permanent präsent, an Sonntagen, ja, überhaupt bald zu jeder Tages- und Nachtzeit, und sie wollen etwas von den PolitikerInnen, wenn sie es als JournalistIn für richtig erachten. Mindestens aus Zwiegespräche mit ParlamentarierInnen weiss ich, dass gerade das den Druck auf ihre Arbeit, aber auch ihr Leben erhöht hat. Professionalisiert hat sich zudem die Verbandsarbeit, häufig eine der wichtigen (Wieder)Wahlbasen für MilizpolitikerInnen. Vorstandmitgliedschaften in Interessengruppen werden mehr und mehr mit Erwartungen verknüpft, als PolitikerInnen nicht nur Volk und Kanton zu vertreten, sondern auch Partikulärinteressen.

Kompensiert werden kann dies immer seltener durch Arbeitgeber, die sich auf hohe Loblied auf die Demokratie verpflichten liessen. Vielmehr kommen Phänomene wie Dichte-Stress gerade auch am Arbeitsplatz vor, verlangen eine gesteigerte Präsenz oder Aufmerksamkeit, was die Abkömmlichkeit für Nebenämter erschwert. Der Fall “Moergeli lässt grüssen! Einzelne Berufsgruppe spürten das schneller als andere und verschwanden als erste aus dem Parlament. So gibt es im Nationalrat kaum mehr ArbeiterInnen, dafür sind Berufsgruppen, für die sich Politik lohnt von Bauersleute über Juristen bis zu VerbandsfunktionärInnen im Bundeshaus übervertreten.

Die Reaktionen auf diese Entwicklung sind unterschiedlich: Einzelne ParlamentarierInnen kommen mit dem Zwiespalt gut zu recht, andere nicht. Dass BundesparlamentarierInnen beruflich arbeitslos werden, ist zwar noch ein Tabu, aber keine ganz grosse Ausnahme mehr. Andere leiden physisch oder psychisch; Herzinfarkte, Schwächeanfälle und Burnouts gehören zwischenzeitlich zu den häufiger vorkommenden Begleiterscheinungen des ParlamentarierInnen-Daseins. Gleiches gilt für Scheidungen, wenn öffentliches und privates Leben nicht mehr in Einklang gebracht werden können.

Wer es sich leisten kann, als Reicher ohne wirkliche Geldsorgen Bundespolitik betreiben zu können, der empfiehlt den Schritt zurück in heile Welten, zu denen das Milizparlament zählt. Andere sind fürs Durchstarten zum Berufsparlament, mit dem man einen Teil seines Arbeitslebens voll und ganz der Politik widmet. Was im Ausland in Parlamenten des Nationalstaates die Regel ist, bleibt in der Schweiz indes fast querbeet zum Parteienspektrum verpönt, wie die letzte diesbezügliche Abstimmung im Nationalrat zeigte. Doch das ist kein abschliessender Gradmesser, was sinnvoll ist und was nicht, denn die ParlamentarierInnen entschieden hier in eigener Sache.

Generell sehe ich zwei Auswege: Die Verstärkung der Infrastruktur für ParlamentarierInnen mit MitarbeiterInnen, sodass sie zwischen Wichtigem und Unwichtigem trennen können, oder ein weitere Schritt zur Professionalisierung, damit PolitikerInnen wieder PolitikerInnen sein können. Erstes haben die StimmbürgerInnen 1992 abgelehnt, sodass diese Entwicklungsmöglichkeit blockiert ist. Zweiteres ist kaum populärer, wohl aber unausweichlich.

Und so breche ich hier eine Lanze für ein professionalisiertes Bundesparlament! Faktisch haben wir es im Ständerat teilweise, während im Nationalrat die Halbberufsarbeit dominiert. Das meine ich nicht nur für die Institutionen, ich sehe es durchaus auf der Ebene ihrer Mitglieder so. Ständerat Alain Berset stand bei seiner Wahl in den Bundesrat dazu, ein Berufspolitiker zu sein, und andere haben sich seither geoutet.

Wenn die Anforderungen ans Parlament aus aussen- und innenpolitischen Gründen immer mehr steigen, braucht es es einen Schritt, der mehr Raum für Politik schafft, gefüllt durch PolitikerInnen, wie wir sie in den Kantonsregierungen oder als Stadt- teilweise auch als GemeindepräsidentInnen schon kennen. Drei Vorteile sehe ich in diesem Schritt:

. Anständig bezahlt, gleichzeitig aber auch der res publica verpflichtet, sollen sie Gewählte ohne permanente Zeit- und Geldsorgen arbeite können.
. Kompetenter sollten sie zudem sein und sich nicht schämen müssen, wenn sie sich auch als ParlamentarInnen weiterbilden, sei es in internationalem Finanzmarktrechts oder um ihre Online-Fertigkeiten auf den Stand zu bringen.
. Fordern kann man von BerufspolitikerInnen auch eine verbesserte Vernetzung, um in Zeit des raschen internationalen Wandel nicht periodisch von verkannten Entwicklungen ausserhalb der Schweiz überrascht zu werden.

Meines Erachtens stärkt man so das freie Mandat, und unterhölt man es nicht. Denn von einem Berufsparlament kann erwarten, dass sie Zeit ausserhalb des Parlamentes für Kontakte mit der Bürgergesellschaft einsetzen, und nicht, um einträglichen Geschäften nachzugehen oder sich mit Tricks bereichern zu wollen. Gleichzeitig bin ich der Meinung, dass zwischen den Aufgaben ein der Politik und den Interessen des Lobbyings besser getrennt werden muss. Das Problem sind nicht die Interessen, die von der Politik etwas wollen. Das heutige Problem ist, dass im Milizparlament die Lobbyisten selber in Plenum und in den Kommissionen sitzen und über das Abstimmen können, was sie betrifft.

Das Milizparlament hat sich auf Stadt- und Kantonsebene weitgehend bewährt, daran würde ich nichts ändern wollen. Auf Bundesebene gehört das festhalten am Milizprinzip zu den Mythen, welche die Schweiz beherrschen – und dies alles andere als zu ihrem Vorteil.

Claude Longchamp

Die Coleman’sche Badewanne schliessen

Mein Master-Seminar an der Uni Bern ist diese Woche richtig in Fahrt gekommen. Hier der Stand unserer Ueberlegungen zur Neuausrichtung der Abstimmungsforschung (in der Schweiz).

Zu meiner Studienzeit dominierten Makrotheorien die Sozialwissenschaften. Niklas Luhmann forderte mit seiner allgemein gehaltenen Systemtheorie mehr oder weniger alle heraus. Systembetrachtungen beherrschten auch die Politikwissenschaft: polity-, politics- und policy-Dimensionen des Politischen waren die Stichworte hierzu. In den Diskussionen mit meinen heutigen Studierenden wird immer wieder bewusst, wie stark sich das alles geändert hat. Denn ihre Herangehensweise neue Fragen wird durch Mikro-Theorien bestimmt ist, die aus der Oekonomie oder Psychologie stammen und individuelles Handeln analysieren.

James Coleman hat in seiner Grundlegung der Sozialtheorie, zu Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts auf Deutsch erschienen, das Verhältnis beider Perspektiven erörtert und hierfür das einprägsame Bild der Badewanne bestimmt. Er postulierte, es werde einen Erkenntnisgewinn in den Sozialwissenschaften geben, wenn man Phänomene auf der Makro-Ebene auf der Mikro-Ebene untersuche. In vielem sollte der Protagonist des methodologischen Individualismus Recht bekommen.


Quelle: James Coleman, Einführung in die Sozialtheorie (Grafik anclicken, um sie zu vergrössern)

Aber nicht in allem!

Denn mit der Vielzahl von Studien zu Entscheidungen oder Handlungen von Akteuren beispielsweise in der Politik, sind fast ebenso viele neue Datensätze entstanden: Umfragen bei BürgerInnen, Datenbanken zum Stimmverhalten von PolitikerInnen gehören ebenso dazu, wie die Positionierung von Parteien, Verbänden und Medien zu anstehenden Beschlüssen. Sie bieten ein unershlossenes Forschungspotential. wenn man sie neu verwendet. Anstatt Akteure als “Fälle” zu betrachten, kann man auch Entscheidungen als Untersuchungseinheit bestimmen. Dann geht es nicht um Erklärungsmodell des Aktuershandeln, sondern um solche der Entscheidung selber.

Wem das zu abstrakt ist, folge nachstehendem Beispiel: Befragt man BürgerInnen zu Abstimmungsentscheidungen, findet man fast immer einen positiven Zusammenhang zwischen Informiertheit zu einer Vorlage und der Zustimmung(sbereitschaft) zu dieser, wenn sie von der Regierung stammt. Negativ formuliert heisst das: Wer sich in einer Sache nicht informiert oder überfordert fühlt, der stimmt mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit gegen die Sache! Indes, was auf Bürger-Ebene recht gut belegt ist, ist auf Gesellschafts-Ebene noch schlecht erforscht. Denn es stellt sich die Frage, ob die ausgebaute Information durch Behörden und Medien vor einer Entscheidung diese positive beeinlfusst oder nicht.

Nun gibt es Hinweise dafür, dass das nicht sein muss. Die Medieninformation hängt vom erwarteten Konfliktgrad ab, wobei die intensivere Beschäftigung der Massenmedien mit solchen Themen das Mass an Konflikt eher erhöht als senkt. Mehr Information auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene muss deshalb nicht zu mehr Zustimmung insgesamt führen. Es kann sehr wohl sein, dass informierte BürgerInnen stets mehr die Regierung stützen als nichtinformierte, und das für mehr oder minder jedes Zustimmungsniveau gilt. Der letzte Abstimmungssonntag in der Schweiz verstärkte diese Vermutung in mir: So wurde über den Schutz des Passivrauchens am meisten geschrieben und gesprochen, und die Initiative ging, je länger die Debatte dauerte, immer mehr unter, während die Jugendmusikförderung kaum zu einer öffentliche Auseinandersetzung führte – und glatt angenommen wurde. Deshalb lohnt es sich, Fragen auf individuellem wie auf kollektivem Niveau separat zu untersuchen.

Dafür hat sich die Forschungslandschaft zu Volksabstimmungen in der Schweiz in den letzten Jahren erheblich verändert. Zahlreiche Datenbanken oder Informationsquellen sind entstanden, die im Verbund noch kaum analysiert worden sind. Genau diese grosse Lücke der Forschung will ich mit meinem Master-Seminar an der Uni Bern zu “Meinungsbildung bei Volksabstimmungen” schliessen helfen. Ausgangspunkt bildet dabei die elektronische Uebersicht, welche SwissVotes über die Ergebnisse der mehr als 500 Volksabstimmungen in der Schweiz bietet. Erklärungsmodelle können damit bis jetzt aber nur wenige getestet werden, konkret eigentlich nur der Zusammenhang zwischen Parteien/Verbände-Konflikt und Annahme/Ablehnungschancen einer Vorlage. Das liesse sich aber locker erweitern, wenn man die SwissVotes-Datenbank mit anderen Informationsquellen kombiniert – zum Beispiel mit der VOX-Datenbank, den Nachanalysen von Volksasbtimmungen auf Befragungsbasis, mit den Ergebnisse nder SRG-Vorbefragungen zum Stand der Meinungsbildung 3 resp. 7 Wochen vor einer Abstimmung oder mit den Auswertungen, die Politnetz beispielsweise zu den Entscheidungen im Parlament zulässt.

Spannend wird das vor allem dann, wenn man die genannten Zusatzinformationen nicht auf der individuellen Ebene verwendet, sondern auf der kollektiven einfügt. So kann man untersuchen, ob Initiativen oder Referenden eher durchkommen, wenn der Parteienkonflikt gering oder stark ist, wenn die Fraktionen der Regierungsparteien geschlossen resp. gespalten sind, wenn es zwischen Partei-Eliten und -Basen grosse oder kleine Unterschiede gibt, wenn sprachregional einheitliche oder spezifischen Kampagnen gefahren werden, wenn … Die neuen Möglichkeiten sind schier unbegrenzt!

Das entspricht genau dem Vorgehen, das die Colemansche Badewanne schliesst. Ich halte das sogar für die erfolgversprechendste neue Ausrichtung der Abstimmungsforschung gerade in der Schweiz, weil nur hierzulande genügend Fälle und Studien zu Volksentscheidungen vorliegen, welche solch übergreifende Tests überhaupt erst ermöglichen. Oder anders gesagt, die neuartige Analyse mikroanalytischer Untersuchungen wird es uns erlauben, neuartige makroanalytische Einsichten zu gewinnen.

Claude Longchamp