Die politische Mitte wird neu aufgemischt.

Das politische System der Schweiz ist auf eine stabile Mitte angewiesen. Nach der jahrelangen Bipolarisierung der Parteienlandschaft ist die politische Gestaltungskraft genau dieses Zentrums aufgerieben. Und die parteipolitische Umgruppierung der Mitte ist im vollen Gang. Ohne dass dabei ein neues Schwergewicht sichtbar würde.

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Quelle: www.wahlkampfblog.ch

73 Prozent der Stimmenden votierten vor einer Woche gegen die BVG-Revision von Regierung und Parlament. 57 Prozent waren, die vor zweieinhalb Monaten für die Minarett-Initiative stimmten, und sich damit ebenfalls von der Vorgabe der Behörden distanzierten.

Nebst Unterschieden haben beide Volksabstimmungen eines gemeinsam: Sowohl die bei Identitätsfragen ausscherende nationalkonservative Rechte wie auch die bei sozialpolitischen Reformen skeptische Linke bekommen neuerdings aus der Mitte Unterstützung. Das heisst auch, dass diese Mitte nicht mehr mit Sicherheit dem Regierungslager zugehörig ist.

Die FDP hat sich 2003 aus der politischen Mitte verabschiedet. Seither sucht sie ein Arrangement mit der SVP, das in Finanzfragen funktioniert, doch schon Wirtschaftsfrage an den verschiedenen Interessen der Aussen- und Binnerwirtschaft zerbricht. Spätestens mit der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat ist der Traum einer Mitte-Rechts-Regierung unter vermittelnder Führung der FDP zerbrochen. Doch auch der CVP will die Repräsentation der Mitte nicht gelingen. Ihr grosser Griff nach dem zweiten Bundesratssitz schlug angesicht zu viel Taktik vor einem halben Jahr fehl. Der Spitzenkandidat der CVP hat seine Bundesratsaspirationen begraben, und der Parteipräsident wirkt mit seinen unüberlegten Stellungsbezügen angeschlagen. Von einem gemeinsamen Programm, das man via Ständerat einspeisen könnte, ist wenig mehr zu sehen, und, wo man, wie in der UBS-Frage noch etwas davon merkt, entsteht der Eindruck einer defensiven Interessenverteidigung.

Elektoral ist die Mitte in Bewegung geraten. SP und FDP sind hier “out”, “in” sind vor allem die Grünliberalen und die BDP. Sie haben den Vorteil, neue Kräfte in die Politik zu bringen, bei denen das Etikett unverbraucht mitschwingt. Doch sie weder personell noch parteimässig in der Lage, die politische Mitte inhatlich massgeblich zu prägen. Zu stark sind sie noch damit beschäftigt, eine eigene Identität zu finden, originelle Positionen einzunehmen, eine exklusive Wählerschaft anzusprechen und hierfür eigene Parteistrukturen anzubieten. Zu wenig etabliert ist ihre Stellung im Bundesbern, um den zentrifugalen Kräften etwas entgegensetzen zu können.

Das führt zum gegenwärtigen Paradox: Jetzt, wo nach 15 Jahren der Bi-Polarisierung die Mitte wählerInnen-mässig wieder zunimmt, verringert sich ihr politische Gewicht. SVP, SP und Grüne blockieren gemeinsam, wenn sie wollen. Einzeln bieten sie dem Zentrum Lösungsvorschläge an, die nach links oder nach rechts strebend mehrheitsfähig werden, wenn die Mitte es will. Doch was diese Mitte will, wird angesichts der parteipolitischen Neuaufmischung immer unklarer. Das macht die Fähigkeit der Schweiz, politische Probleme zu lösen, nicht grösser, – was für das politische System der Schweiz nicht unerheblich ist.