Seit 1980 gibt es in zu Berner Lokalwahlen eine WählerInnen/Nicht-WählerInnen-Statistik. Seit 2008 liegt diese nun verknüpft mit Einkommens- und Vermögenswerten vor. Der Einfluss der Schicht auf die politische Partizipation wird erstmals gut sichtbar.
Bei den Gemeinderatswahlen 2008 in der Stadt Bern beteiligten sich 51,5 Prozent der Wahlberechtigten. Damit stieg die Wahlteilnahme wie im landesweiten Mittel wieder etwas an.
Die neuste Publikation des Statistischen Amtes der Stadt Bern eindeutig: Je mehr eine Person Steuern zahlt oder Vermögen hat, desto eher beteiligte sie sich an den Gemeindewahlen. Personen, die nichts verdienen, nahmen zu 35 Prozent teil; Personen mit mehr als eine halben Million Franken Einkommen wählten zu 82 Prozent. Beim Vermögen wiederholt sich dasselbe Bild. Millionäre wählten mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent; Menschen ohne Vermögen mit einer halb so hohen. Das bestätigt Stichprobenerhebungen auf Befragungsbasis, liegt nun aber amtlich nachgezählt vollständig vor.
Die Abhängigkeit der politischen Partizipation von sozio-ökonomischen Merkmalen kann als Teil der gesellschaftlichen Integration verstanden werden, welche die Wahlbeteiligung bekanntlich positiv beeinflusst. So gilt, dass die Beteiligung mit der Aufenthaltsdauer in der Stadt zunimmt. Erst nach 20 Jahren in der Stadt verflacht dieser Effekt. Auch Verheiratete nehmen häufiger teil, wenn es um die Bestellung der Stadtbehörden geht. Ein neues Phänomen gibt es aber: Am höchsten ist die Wahlbeteiligungsrate bei den eingetragenen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften.
Im Uebrigen bestätigt die Auswertung Bekanntes zur Wahlteilnahme nach Geschlecht und Alter. Am höchsten ist sie bei den 65-69jährigen. Zwischen den Geschlechtern vergrössert sich die Differenz, je älter die Personen sind. Insgesamt. Nehmen Männer um 5 Prozentpunkte mehr teil als Frauen.
Für die Mobilisierung durch Parteien besonders interessant ist die räumliche Verteilung. Im (bürgerlichen) Kirchenfeld liegt die Beteiligung über 65 Prozent. Im Stöckacker und in Bethlehem, gebieten die rasch gewachsen sind, gehen dagegen weniger als 40 Prozent der Wahlberechtigten wählen. Hier liegt das grösste Reservoir an möglichen Stimmen.
Da scheint sich jemand eingenistet und alle neuen (und interessanten) Kommentare gelöscht zu haben.
Muss dem nachgehen. Vorerst sorry.
Merkwürdig, meine Frage bleibt: Ist das eine Demokratie, wenn nur die Hälfte wählt, und diese, erst noch, sozial einseitig zusammengesetzt ist? Meine Meinung dazu ist: nein!
Ich glaube, ich habe das Problem gefunden. Die Beiträge sollten bis am Abend wieder aufgeschaltet sein.
Hier die ausgefallenen Kommentare von und mit Martin noch einmal:
Martin
Ist es üblich, dass erfasst wird, wer überhaupt abstimmt?
Mit Blick auf das Stimmgeheimnis empfinde ich diese Datenerfassung als bedenklich, die Verknüpfung mit weiteren Daten aus Einwohner- und Steuerregister skandalös …
cal
Ja, der Stimmrechtsausweis, nicht der Stimmzettel ist der Beleg dazu. Das sind ja zwei Dokumente, die man getrennt abgibt oder abschickt. Deshalb sind individuelle Rückschlüsse, wer wie gestimmt hat, nicht möglich.
Wer gestimmt hat und wer nicht, kann man so aber sehen.
Diese Daten sind auf individueller Ebene nicht zugänglich. So bleibt das eigentliche Stimmgeheimnis gewahrt.
Dennoch ist klar: Jede(r) der/die wählt, hinterlässt zwei verschieden Spuren: eine mit dem Wahlzettel, die anonym bleibt, und eine mit dem Stimmrechtsausweis, die identifizierbar ist. Und genau auf die bezieht sich diese Untersuchung.
martin
Ja, der Stimmrechtsausweis, nicht der Stimmzettel ist der Beleg dazu. Das sind ja zwei Dokumente, die man getrennt abgibt oder abschickt. Deshalb sind individuelle Rückschlüsse, wer wie gestimmt hat, nicht möglich.
Das ist mir klar …
“Wer gestimmt hat und wer nicht, kann man so aber sehen.”
… genau, und darin sehe ich einen Verstoss gegen das Stimm- und Wahlgeheimnis.
“Die Daten sind aber wiederum auf individueller Ebene nicht zugänglich. So bleibt das eigentliche Stimmgeheimnis gewahrt.”
Aus Ihrer Sicht besteht das Stimm- und Wahlgeheimnis also darin, dass die Tatsache, wer stimmt und wählt, lediglich den Behörden und weiteren Beteiligten, aber nicht der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich ist?
cal
Das ist nicht meine Sicht, das ist die Sicht des Rechts, das ich zu erläutern versucht habe.
Die Daten sind übrigens weiteren Beteiligten nicht zugänglich.
martin
“Die Daten sind übrigens weiteren Beteiligten nicht zugänglich.”
Mussten Sie nicht zugänglich gemacht werden um Personen- und Steuerdaten zu erhalten?
“Uebrigens, wer teilnimmt oder nicht, ist mindestens unter den Bedingungen des Urnengangs nie ein Geheimnis gewesen.”
Das ist korrekt, aber allein aus faktischen Gründen – genauso wie man beispielsweise vor eine Anwaltskanzlei die ein- und ausgehenden Personen beobachten kann …
cal
Ausser das man weiss, wo und wann gewählt werden kann, während die Besuche auf einer Kanzlei unlimitiert sind …
(Und: Die Daten des Stistischen Amtes umfassend die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, wie auch die zur Beteiligung. Da braucht es keine Dritten dazu).
PS: Ich habe das Beispiel extra erwähnt, weil ich die Kombination von Datensätzen zu Analysezwecken durchaus diskutabel finde. Im Sinne von “interessant” wie auch “problematisch”.
at Bernd
Die Frage kann man empirisch nicht beantworten. Denn sie ist normativ.
Es gibt meines Wissens keine Wahl, wo sich niemand oder kaum jemand beteiligte und die deswegen für ungültig erklärt wurde.
Das gilt ganz sicher für die besagte resp. untersuchter Wahl.
Die klassisch-repräsentative Demokratietheorie beschränkt sich deshalb darauf, allgemeine Kriterien demokratiescher Wahlen festzulegen. Die Partizipation gehört ohne Zweifel dazu. Höchstwahrscheinlich genügt aber schon die Partizipationsmöglichkeit (“das Recht haben zu”, um dem Kriterium zu genügen.
Kritischer verfährt die partizipative Demokratietheorie. Sie konzentriert sich, wie der Name sagte, auf die Partizipation, allerdings ausdrücklich nicht nur bei Wahlen.
Die wichtigsten Restriktionen gesellschaftlicher Natur sieht sie in der Ungleichverteilung von Bildung, einem zentralen Aspekt der Schicht. Diskutiert werden vor allem auch Einflüsse des Geschlechts und des Alters.
Die Erklärungen setzten in der Regel bei der Soziostruktur an. Diese sind indessen nicht hinreichendende Erklärungen. Diese findet man erst in der Soziokultur und in der Sozialisation.
Entsprechend befürwortet diese Theorierichtung gezielte Gegenmassnahmen, wie die politische Bildung für Frauen, Junge, Unterschichten oder auch für Neuzuzüger. Sie fordert auch eine Demokratisierung der Medienöffentlichkeit,um ungleiche Repräsentationschancen abzubauen. Und sie befürwortet die staatliche Förderung politischer Basisarbeit.
Wichtigster Vertreter dieser Richtung in der Politikwissenschaft ist Benjamin Barber, ein Vordenker der amerikanischen Linken. Er reder der starken Demorkatie das Wort.
Die partizipative Demokratietheorie ist allerdings viel umstrittener als die normative, weshalb entsprechende Forderungen auch in der Wissenschaft nicht einfach geteilt werden.
Das ist vielleicht keine wirkliche Antwort auf die Frage, aber ein Grund, warum es vielleicht auch keine gibt.
In Bern kann man sicher frauen-, teilweise auch jugendfördernde Massnahmen erkennen, beschränkt auch solche für Eingebürgerte, kaum aber solche, die sich dem Abbau der Schichtdefizite annehmen würde. Das weist Du auf einen schwachen Punkte hin, der mir persönlich indessen nicht reicht, um von einer undemokratischen Wahl zu sprechen.
martin vermutete übrigens über seinen twitterdienst, ich sei von einem hacker befallen worden.
wahrscheinlich nicht.
die uhr viel aus und löschte deshalb einträge. kann auch ein wartungsproblem sein.
Gerade in der Schweiz ist der Unterschied zwischen arm und reich ja noch viel heftiger!
Bei mir hat sich die Erweiterung http://wordpress.org/extend/plugins/wp-db-backup/ bewährt; ich lasse mir die Backups auf ein speziell dafür eingerichtetes E-Mail-Konto mailen, wo sie gespeichert bleiben.
Die Hacking-Vermutung begründete sich unter anderem darin, dass Ihre WordPress-Installation veraltet ist. Sie verwenden Version 2.8.5, seither sind vier Aktualisierungen erschienen, von denen mindestens zwei gravierende Sicherheitslücken beseitigten.
Zurück zum eigentlichen Thema: Wissen Sie, ob solche Auswertungen noch anderswo in der Schweiz stattfinden?
Herzlichen Dank für den Hinweis. Ich werde mich kümmern, ein update zu erhalten.
Wegen der Kombinierten auswertung: Bekannt ist mir keine andere Stadt, mitunter deshalb habe ich ja darauf hingewiesen. Es war nämlich das erste Mal, dass ich solche in der Literatur häufig zitierten Zusammenhänge (auf Befragungsbasis) verifiziert sah.